Urteil des OLG Düsseldorf vom 08.04.2008

OLG Düsseldorf: vermittler, zwangsvollstreckung, internationale zuständigkeit, gerichtliche zuständigkeit, charakteristische leistung, anschlussberufung, wechselkurs, erfüllungsgehilfe, herbst

Oberlandesgericht Düsseldorf, I-24 U 186/06
Datum:
08.04.2008
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
24. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
I-24 U 186/06
Vorinstanz:
Landgericht Wuppertal, 19 O 163/06
Tenor:
Auf die Anschlussberufung der Klägerin wird das am 11. Oktober 2006
verkündete Schluss-Urteil der 19. Zivilkammer des Landgerichts
Wuppertal unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels und
der Berufung des Beklagten teilweise abgeändert und wie folgt neu
gefasst:
Der Beklagte wird unter Abweisung der weitergehenden Klage verurteilt,
an die Klägerin 71.993,21 Neue Türkische Lira (YTL) nebst Zinsen in
Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 25.
November 2005 zu zahlen sowie vorgerichtliche Kosten von 1.481,00
EUR zu zahlen.
Die Kosten beider Rechtszüge werden dem Beklagten auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Dem Beklagten wird nachgelassen,
die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des
jeweils zu vollstreckenden Betrags abzuwenden, wenn nicht die
Klägerin zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
G r ü n d e
1
I.
2
Für an seinem Amtssitz in Velbert auftragsgemäß gefertigte Beurkundungen erwirkte der
beklagte Notar auf der Grundlage der am 07. November 1998 zugestellten Klage mit der
er Gebühren in Höhe von insgesamt 183.963,32 DM geltend gemacht hatte (17 O
518/97 LG Wuppertal), gegen die klagende, beschränkt haftende Gesellschaft
türkischen Rechts mit Sitz in Ankara/Türkei die folgenden vollstreckbaren Titel:
3
Tabelle 1
4
Zeile Position
Betrag/DM
Umrechnung/EUR
01
Teilanerkenntnisurteil v. 07. 01. 1999
47.813,901)
02
Vergleich v. 21. 04. 1999
69.270,711)
03
Kostfestsetzbeschl. (KFB) v. 27. 01. 2000
5.875,192)
04
KFB. v. 08. 05. 2000
51,803)
05
KFB. v. 08. 05. 2000 , Kostenzinsen
1,80
06
Summen
123.013,40
62.895,75
5
1) unverzinslich
6
2) zzgl. 4% Zinsen seit dem 19. 10. 1999
7
3) zzgl. 4% Zinsen seit dem 20. 03. 2000
8
In einem weiteren Verfahren (7 O 1/99 LG Wuppertal) erwirkte der Beklagte am 21. Juni
2001 gegen den stellvertretenden Verwaltungsratsvorsitzenden der Klägerin persönlich
ein vollstreckbares Versäumnisurteil über 44.749,31 DM (22.879,96 EUR). Die diesem
Titel zugrunde liegenden Gebührenansprüche resultieren aus Beurkundungen, die der
Beklagte an seinem Amtssitz für diesen Schuldner persönlich erbracht hatte und auf die
dieser nichts zahlte.
9
Die Klägerin erbrachte ohne eine nähere Tilgungsbestimmung auf die gegen sie
titulierten Forderungen zu Händen des Prozessbevollmächtigten des Beklagten
ratenweise Leistungen, wobei sich die Parteien einig sind, dass mit Blick auf die von der
Klägerin geschuldeten Bankgebühren für die Auslandsüberweisungen die
umgerechneten DM-Beträge der Anlage K6 und nicht die der Anlage K1 gelten sollen:
10
Tabelle 2
11
Zeile
Datum
Betrag/YTL (alt)
Betrag/DM
01
31.05./07.06.99
5.097.150.000
23.426,26
02
15.07./20.07.99
5.475.554.475
24.274,00
03
14.10./19.10.99
4.971.660.000
19.230,00
04
14.12./20.12.99
1.913.100.000
6.960,00
05
09.03./15.03.00
5.702.685.160
19.960,00
06
28.07./10.10.00
4.519.557.285
15.000,00
07
19.11./05.12.00
4.163.814.720
13.730,00
08
Summen
31.843.521.640
122.580,26
12
Wegen der verbleibenden Differenz in Höhe von (123.013,40 DM - 122.580,26 DM)
13
433,14 DM (221,46 EUR) betrieb der Beklagte am Sitz der Klägerin die
Zwangsvollstreckung. Mit deren Einleitung und Durchführung beauftragte er den
Vermittler E. B. (künftig: Vermittler), den der Beklagte in seinem Sommerurlaub im Jahre
2003 in der Türkei kennen gelernt haben will. Der Vermittler übergab die ihm vom
Beklagten im Herbst des Jahres 2003 überlassenen Titel (u. a. Teilanerkenntnisurteil
vom 07. Januar 1999 und Kostenfestsetzungsbeschluss vom 27. Januar 2000, künftig:
Teilanerkenntnisurteil und Kostenfestsetzungsbeschluss) dem Prozessbevollmächtigten
Rechtsanwalt V. Ö. (künftig: Bevollmächtigter), der zunächst außergerichtlich und dann
im Anerkennungsverfahren bei dem Landgericht in Ankara namens des Beklagten die
volle Hauptforderung nebst Zinsen und Kosten geltend machte und am 10. Oktober
2005 ein Vollstreckbarkeitsurteil gegen die Klägerin erwirkte, in welchem deren
Zahlungen unberücksichtigt blieben. Namens des Beklagten wurden bei der Klägerin
auf der Grundlage des Vollstreckbarkeitsurteils folgende Positionen beigetrieben:
Tabelle 3
14
Zeile Position
Betrag/DM Betrag/EUR Betrag/YTL (neu) Wechselkurs
01
Hauptforderung
47.813,90 24.446,85
02
Kosten
5.875,19
3.003,93
03
Zinsen
11.243,00
04
Zinsen auf Kosten
720,94
05
Summe
39.414,72
72.400,00
1 : 1,83687
15
Der Bevollmächtigte hatte am 25. Oktober 2005 den beigetriebenen Betrag in Höhe von
72.400 YTL namens des Beklagten in Empfang genommen. Dem Antrag der Klägerin,
die Zwangsvollstreckung einzustellen, entsprach das Landgericht Ankara erst durch die
Entscheidung vom 13. Dezember 2005.
16
Die Klägerin hat von dem Beklagten den beigetriebenen Betrag (abzüglich der
Restforderung von 221,46 EUR) in inländischer Währungseinheit zurückverlangt, wobei
sie ihrer Schadensberechnung einen Wechselkurs von 1,6291 YTL/EUR zugrunde
gelegt hat. Sie hat beantragt,
17
den Beklagten zu verurteilen, an sie 44.439,58 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 25. November 2005 sowie
außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 1.481,00 EUR zu zahlen.
18
Der Beklagte hat um
19
Klageabweisung gebeten.
20
Er hat geltend gemacht: Er habe den Vermittler nur beauftragt, die Zwangsvollstreckung
wegen des Restbetrags aus der Hauptforderung (221,46 EUR) und im Übrigen nur
wegen der Kosten und der ihm materiell und nach türkischem Recht im Anerkennungs-
und Vollstreckungsverfahren auch titulierbaren Zinsen zu betreiben. Der Vermittler, den
er auf Veranlassung der Klägerin im Sommer/Herbst 2004 u. a. erneut auf den
21
eingeschränkten Vollstreckungsauftrag hingewiesen und dem er entsprechende
Vorhaltungen gemacht habe, habe sich nun nicht nur geweigert, Name und Anschrift
des Bevollmächtigten und das Vollstreckungsverfahren zu benennen, sondern habe ihn,
den Beklagten, wegen des gezeigten Vertrauensmangels mit physischer
Gewaltanwendung bedroht, weshalb es zum Bruch mit ihm gekommen sei. Er, der
Beklagte, habe deshalb keinen Einfluss mehr auf den Gang des Anerkennungs- und
Vollstreckungsverfahrens nehmen können. Der Vermittler habe den beigetriebenen
Betrag vom Bevollmächtigten zwar erhalten, aber an ihn, den Beklagten, nicht
weitergeleitet, weshalb er nicht bereichert sei. Die Klägerin treffe ein erhebliches
Mitverschulden, weil sie es versäumt habe, im Vollstreckungsverfahren rechtzeitig den
Erfüllungseinwand zu erheben. Kosten und Zinsen seien zu Recht vollstreckt worden.
Hilfsweise hat der Beklagte wegen der ihm materiell zustehenden Zinsen die
Aufrechnung erklärt.
Durch das angefochtene Urteil hat das Landgericht den Beklagten unter
Zugrundelegung des auf den letzten Termin zur mündlichen Verhandlung (06.
September 2006) bezogenen Wechselkurs (1,8737 YTL/EUR) verurteilt, an die Klägerin
38.418,67 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz
seit dem 25. November zu zahlen. Den weitergehenden Zahlungsanspruch
einschließlich der (der Höhe nach angeblich nicht schlüssig dargelegten)
vorgerichtlichen Kosten hat es abgewiesen.
22
Dagegen richten sich die Rechtsmittel der Parteien. Der Beklagte will mit seiner
Berufung die Klage insgesamt abgewiesen haben. Die Klägerin will mit ihrer
Anschlussberufung erreichen, dass der Beklagte das Wechselkursrisiko und auch die
außergerichtlich entstandenen Rechtsanwaltskosten trägt.
23
Der Beklagte beantragt,
24
unter teilweiser Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage insgesamt
abzuweisen und die Anschlussberufung der Klägerin zurückzuweisen.
25
Die Klägerin beantragt,
26
die Berufung des Beklagten zurückzuweisen und unter teilweiser Abänderung des
angefochtenen Urteils den Kläger zu verurteilen an sie 72.400,00 Neue Türkische
Lira (YTL) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit
dem 25. November 2005 sowie außergerichtliche Kosten in Höhe von 1.481,00
EUR zu zahlen.
27
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachvortrags wird auf den Akteninhalt Bezug
genommen.
28
B.
29
Die Berufung ist bis auf einen geringen Betrag unbegründet, die Anschlussberufung ist
dagegen nach den zuletzt gestellten Anträgen begründet.
30
I. Mit Recht ist das Landgericht (stillschweigend) von der internationalen Zuständigkeit
der inländischen Gerichte ausgegangen. Sie ergibt sich aus dem inländischen Wohnsitz
des Beklagten, an den Art. 2 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 vom 22. Oktober
31
2000 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und
Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO) anknüpft,
und zwar ohne Rücksicht auf die Staatsangehörigkeit der Prozessbeteiligten. Deshalb
richtet sich die internationale Zuständigkeit auch dann nach der Verordnung, wenn -wie
hier- einer der Beteiligten keinem Signatarstaat angehört (vgl. Zöller/Geimer, ZPO, 26.
Aufl., Anh I, Art 2 EuGVVO Rn 7).
II. Die von der Klägerin erhobene Leistungsklage ist, wovon das Landgericht (ebenfalls
stillschweigend) zutreffend ausgeht, auch in der gewählten Prozessart zulässig.
Insbesondere ist im Streitfall nicht die Notarkostenbeschwerde als spezifischer
Rechtsbehelf gegeben. Gegenstand der Notarkostenbeschwerde sind Einwendungen
des Kostenschuldners gegen eine vom Notar gemäß § 154 KostO erteilte
Kostenberechnung (§ 156 Abs. 1 KostO) einschließlich der Rückforderung überzahlter
Gebühren nach der sachlichen Abänderung einer solchen Kostenberechnung, § 157
KostO (vgl BayObLG, BayObLGR 2006, 23 m.w.N.). Darum geht es im Streitfall nicht.
Die Klägerin wendet sich nicht gegen die sachliche Richtigkeit der
Gebührenberechnung, sondern macht geltend, der Beklagte habe Gebühren
beigetrieben, die bereits befriedigt worden seien. Daraus hervorgehende Ansprüche, die
sich auf Ereignisse nach Eintritt der Bestandskraft des Titels stützten und die nicht mit
prozessualen Gestaltungsmitteln (z. B. der Vollstreckungsabwehrklage) verwirklicht
werden konnten, können mit der Leistungsklage verfolgt werden (vgl. BGHZ 58, 207,
214ff; 77, 9, 11 und 17; 83, 278, 280; BGH NJW 1985, 3080, 3081 jew. m.w.N.;
Zöller/Herget, aaO, § 767 Rn. 2 Stichw. "Bereicherungsklage", "Schadensersatz").
32
III. Schließlich hat das Landgericht mit Recht (wiederum stillschweigend) seiner
Entscheidung das deutsche Sachrecht zugrunde gelegt. Dessen Anwendbarkeit ergibt
sich aus dem kollisionsrechtlichen Prinzip der engsten Verbundenheit, das sowohl für
vertragliche als auch für außervertragliche Schuldverhältnisse gilt (Art. 28 Abs. 1 S. 1,
41 EGBGB). Mit Blick auf die öffentlich-rechtliche Qualität des hier umstrittenen
Rechtsverhältnisses, das im Beurkundungsgesetz, der Bundesnotarordnung (§§ 14ff,
20ff BNotO) und gebührenrechtlich in der Kostenordnung (§§ 140ff KostO) geregelt ist
(vgl. BGH NJW 2003, 578) und um dessen Nachwirkungen es im Rechtsstreit geht, sind
die Parteien am engsten mit der Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland
verbunden, auf deren Gebiet der Beklagte seinen allgemeinen Wohn- und seinen
Amtssitz hat und wo er die für das Rechtsverhältnis charakteristische Leistung
(Beurkundung) zu erbringen hatte, um deren behauptete Überzahlung es hier geht. Im
Übrigen haben die Parteien ihrer Rechtsbeziehung im ersten Rechtszug deutsches
Sachrecht zugrunde gelegt, so dass im Zweifel auch von einer stillschweigenden
Rechtswahl ausgegangen werden kann (Art. 27, 42 EGBGB).
33
IV. Der Senat lässt offen, ob die Klägerin hinsichtlich der gesamten Forderung einen
(öffentlich-rechtlichen) Bereicherungsanspruch aus § 812 Abs. 1 BGB etwa in Gestalt
der Eingriffskondiktion hat, wovon das Landgericht im Ansatz ausgeht. Zwar dürfte sich
der Beklagte mit Blick auf die Erfüllung und deshalb zu Unrecht hinsichtlich der
vollstreckten Hauptforderung in Höhe von (24.446,85 € - 221,46 €) 24.225,39 EUR und
der ebenfalls erfüllten und deshalb zu Unrecht vollstreckten Kostenforderung in Höhe
von 5.875,19 EUR nicht mit Erfolg auf Entreicherung berufen können; denn er haftet
diesbezüglich, wie das Landgericht mit Recht angenommen hat, gemäß §§ 819 Abs. 1,
818 Abs. 4 BGB verschärft bereits ab Eintritt der Bereicherung am 25. Oktober 2005,
weil er sich das (von ihm eingeräumte) positive Wissen seines Vermittlers von der
Rechtsgrundlosigkeit der Bereicherung gemäß § 166 Abs. 1 BGB wie eigenes Wissen
34
zurechnen lassen muss (vgl. BGHZ 83, 293 = NJW 1982, 1585, 1586 m.w.N.).
Zweifelhaft ist indes, ob die verschärfte Haftung auch die erst durch das
Vollstreckbarkeitsurteil titulierte Zinsforderung im Wert von 11.243,00 EUR (vollständig)
erfasst. Das beruht darauf, dass der Senat diesbezüglich das von § 819 Abs. 1 BGB
geforderte positive Wissen von der Rechtsgrundlosigkeit der Vollstreckung nicht
zweifelsfrei feststellen kann. Der Beklagte hat unbestritten vorgetragen, das türkische
Anerkennungs- und Vollstreckungsrecht erlaube (insoweit abweichend vom
europäischen Anerkennungs- und Vollstreckungsrecht des Art. 45 Abs. 2 EuGVVO, der
mangels EU-Mitgliedschaft der Türkei dort nicht gilt) die (erstmalige) Titulierung von
Rechtshängigkeitszinsen in gesetzlicher Höhe, auch wenn der anzuerkennende Titel -
wie hier - keinen Zinsausspruch enthalte. Obwohl die Art. 34ff des türkischen Gesetzes
über Internationales Privat- und Zivilverfahrensrecht vom 22. Mai 1982 (künftig:
Vollstreckbarkeitsgesetz, vgl. den Abdruck in übersetzter Fassung in RabelsZ 47 [1983],
131, 137ff; vgl. auch die Internetseite der Deutschen Botschaft/Ankara, Rechts- und
Konsularangelegenheiten Visa, gesamte Rechtsinformationen, Rechtsverfolgung in
Zivil- und Handelssachen in der Türkei [http://www.ankara.diplo.de/Vertretung/anka-
ra/tr/Startseite]) eine solche Sachnorm nicht enthält, vermag der Senat die Lage des
praktizierten türkischen Anerkennungs- und Vollstreckungsrechts nicht ohne weitere
Ermittlungen festzustellen, so dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass
(wenigstens hinsichtlich eines Teils der) beigetriebenen Zinsen nur Fahrlässigkeit des
Vermittlers vorliegt, was die verschärfte Haftung des Beklagten zu Fall bringen würde.
V. Die Klägerin hat indes einen Schadensersatzanspruch gem. § 280 Abs. 1 BGB
gegen den Beklagten, der zweifellos auch die Zinsforderung erfasst, so dass sich die
Prüfung erübrigt, wie weit der erörterte Bereicherungsanspruch reicht.
35
1. Ein Vollstreckungsgläubiger, der in schuldhafter Weise von einem Vollstreckungstitel
Gebrauch macht, obwohl die titulierte Forderung nicht mehr oder nicht mehr in der
titulierten Höhe besteht, macht sich gegenüber dem Schuldner schadensersatzpflichtig.
Die Schadensersatzpflichtigkeit ergibt sich aus der schuldhaften Verletzung der durch
die Forderungstitulierung geschaffenen Sonderbeziehung in Gestalt eines gesetzlichen
Schuldverhältnisses (vgl. BGHZ 58, 207, 214ff = NJW 1972, 1048; BGHZ 74, 9, 11 uns
17 = NJW 1979, 1351; BGH NJW 1985, 3080, 3081; vgl. dazu auch
Stein/Jonas/Münzberg, ZPO, 21. Aufl., vor § 704 Rn 24 und § 767 Rn 56).
36
2. In diesem Sinne hat der Beklagte im Streitfall von dem Teilanerkenntnisurteil und dem
Kostenfestsetzungsbeschluss schuldhaft und in die Klägerin schädigender Weise
Gebrauch gemacht.
37
a) Der Beklagte geht selbst davon aus, dass durch die Zahlungen der Klägerin die
titulierten Forderungen bis auf einen Restbetrag der Hauptforderung in Höhe von 221,46
EUR lange vor Einleitung der Zwangsvollstreckung in der von § 367 Abs. 1 BGB
vorgegebenen Weise getilgt worden waren. Daraus folgt, dass der Beklagte die
Zwangsvollstreckung aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss gar nicht beginnen durfte,
denn die darin titulierte Forderung war bei Einleitung der Zwangsvollstreckung
vollständig getilgt. Es hatte demnach von vornherein auch kein Anlass bestanden, dem
Vermittler diesen Titel zur Weiterleitung an den Bevollmächtigten zu übergeben.
38
Im Übrigen muss sich der Beklagte das vorsätzlich rechtswidrige Verhalten des
Vermittlers, der im Rahmen des Vollstreckungsauftrags sein Erfüllungsgehilfe gewesen
ist, gemäß § 278 BGB wie eigenes vorsätzliches Verhalten zurechnen lassen. Als
39
Erfüllungsgehilfe wird tätig, wer auf Veranlassung des Geschäftsherrn Aufgaben
wahrnimmt, die nach dem maßgeblichen Rechtsverhältnis dem Geschäftsherrn
obliegen. Nicht als Erfüllungsgehilfe wird tätig, wer wie ein außerhalb des
Rechtsverhältnisses stehender Dritter gehandelt hat. Zur Abgrenzung der
Tätigkeitskreise kommt es nicht entscheidend darauf an, ob der Gehilfe (vorsätzlich oder
fahrlässig) weisungswidrig gehandelt hat, sondern darauf, ob er im Innenverhältnis zum
Geschäftsherrn auf dessen Veranlassung in diesem Aufgabenkreis tätig geworden war
und welche Nebenpflichten er dabei zu beobachten hatte (vgl. BGH NJW 1965, 1709,
1710; BGH, NJW-RR 1989, 1183; Senat NJW-RR 1997, 1097f m.w.N.). Es liegt auf der
Hand, dass der Vermittler - wenn auch (angeblich) weisungswidrig - im Rahmen des
ihm erteilten Vollstreckungsauftrags handelte, als er gegenüber dem Bevollmächtigten
die Erfüllung der hier in Rede stehenden Forderung verheimlichte, so dass dieser bei
dem Landgericht Ankara einen objektiv unrichtigen Vollstreckbarkeitsantrag stellte.
Hinzu kommt, dass sich der Beklagte im Sommer/Herbst des Jahres 2004 und damit
noch lange Zeit vor dem Schadenseintritt im Oktober 2005 erneut und dieses Mal grob
fahrlässig verhielt, als er es nach dem Bruch mit dem Vermittler unterließ, persönlichen
Kontakt zu dem Bevollmächtigten herzustellen. Dazu hatte mit Blick auf das behauptete
höchst ungewöhnliche und verdächtige Verhalten des Vermittlers (komplette
Informationsverweigerung, versuchte Täuschung des Beklagten und Gewaltandrohung)
und die von der Klägerin zuvor erhaltene Information über das vom Vermittler
veranlasste außergerichtliche Vorgehen des Bevollmächtigten dringende Gründe
gegeben, zumal der Beklagte nicht wieder in den Besitz der Titel gekommen war.
b) Der Beklagte handelte aber auch zumindest fahrlässig, als er dem Vermittler zur
Weiterleitung an den Bevollmächtigten das Teilanerkenntnisurteil aushändigte, um
gegen die Klägerin angeblich nur wegen eines Restbetrags von 221,46 EUR die
Zwangsvollstreckung zu betreiben. Das bedeutet nicht, dass der Beklagte wegen des in
Rede stehenden Restbetrags überhaupt auf Zwangsvollstreckungsmaßnahmen zu
verzichten hatte. Die Vorgehensweise des Beklagten war deshalb fahrlässig, weil kein
hinreichender Grund zu der Annahme bestand, die Klägerin verweigere die Zahlung
ohne Vollstreckungszwang. Das ergibt sich ganz zwanglos aus deren freiwilligen
Zahlungen (vgl. oben Tabelle 2), mit welchen nur deshalb ein Restbetrag aus der
Hauptforderung offen geblieben war, weil die Klägerin evident und für den Beklagten
ohne Weiteres ersichtlich übersehen hatte, dass sie für die diesem berechneten
Gebühren der Auslandsüberweisungen aufzukommen hat. Hätte der Beklagte die
Klägerin darauf außergerichtlich angesprochen und die Bankgebühren belegt, besteht
kein vernünftiger Zweifel daran, dass die Klägerin auch den Restbetrag von 221,46
EUR noch ausgeglichen hätte, wie der Verlauf des Rechtsstreits belegt. Im Übrigen
muss sich der Beklagte auch in diesem Zusammenhang das vorsätzlich rechtswidrige
Verhalten des Vermittlers als seines Erfüllungsgehilfen aus den schon genannten
Gründen wie eigenes vorsätzliches Verhalten zurechnen lassen, § 278 BGB.
40
c) Schließlich handelte der Beklagte auch zumindest fahrlässig hinsichtlich der
vollstreckten Zinsen. Dabei muss nicht geklärt werden, ob das praktizierte türkische
Anerkennungs- und Vollstreckungsrecht in allerdings international-privatrechtlich ganz
atypischer Weise (vgl. Art. 45 Abs. 2 EuGVVO) tatsächlich die (erstmalige) Titulierung
von Zinsen gestattet, die die zu vollstreckende Entscheidung gerade nicht tituliert.
Entscheidend ist, dass dem Beklagten aus materiellen Gründen jedenfalls nicht die
titulierten Zinsen zustanden, was er bzw. der Vermittler als sein Erfüllungsgehilfe
wussten. Die Klägerin hatte Ende des Jahres 2000 die titulierten Forderung (bis auf den
Restbetrag von 221,46 EUR) erfüllt. Da der Beklagte dem Vermittler die
41
Forderungsaufstellung vom 12. Januar 2004 übermittelt haben will (Klageerwiderung),
wussten er und der Vermittler, dass Zinsen nur in unbedeutendem Umfange angefallen
sein konnten. Nur indem der Vermittler gegenüber dem Bevollmächtigten die
Tilgungsleistungen der Klägerin vorsätzlich verschwieg, konnte es zur Titulierung von
Zinsen für lange Zeiträume kommen, in denen es eine zu verzinsende Hauptforderung
gar nicht mehr gegeben hatte. Dass es bei zutreffender Antragstellung auch nicht zur
Titulierung von Zinsen gekommen wäre, wird im Übrigen durch die Entscheidung des
Landgerichts Ankara vom 5. Dezember 2005 indiziert.
d) Der Senat hat keine Veranlassung, dem Beklagten auch nur einen Teil der erst im
Vollstreckbarkeitsurteil titulierten Zinsen zu belassen. Der Beklagte hat nicht dargelegt,
dass und in welcher Höhe Zinsen zu seinen Gunsten bei wahrheitsgemäßer
Antragstellung tituliert worden wären. Zu solchen Darlegungen hatte es Anlass
gegeben, weil das Landgericht Ankara nach Klärung des Sachverhalts durch die
Entscheidung vom 05. Dezember 2005 die Zwangsvollstreckung aus dem
Vollstreckbarkeitsurteil unstreitig komplett eingestellt hatte.
42
3. Im Ergebnis ohne Erfolg macht der Beklagte ein Mitverschulden der Klägerin am
Schadenseintritt (§ 254 Abs. 1 BGB) geltend. Dabei unterstellt der Senat zu seinen
Gunsten, dass es die Klägerin im Vollstreckbarkeitsverfahren fahrlässig versäumt hatte,
den gemäß Art. 39 Abs. 2 Vollstreckbarkeitsgesetz hier zu bringenden
Erfüllungseinwand in geeigneter Weise unter Beweis zu stellen, so dass er (zunächst)
unberücksichtigt blieb. Ob ein Mitverschulden des Geschädigten schadensmindernd zu
berücksichtigen ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls, insbesondere von Art
und Umfang der beiderseitigen Verursachungsbeiträge unter Berücksichtigung von Art
und Umfang des Verschuldens ab. Bei der Abwägung der beiderseitigen
Verursachungsbeiträge liegt der Schwerpunkt auf der Seite des Beklagten. Er war durch
die Klägerin frühzeitig vom objektiv rechtswidrigen Vorgehen des Bevollmächtigten
unterrichtet worden. Er musste ferner spätestens im Herbst des Jahres 2004 mit Blick
auf das behauptete rechtswidrige und bedrohliche Verhalten des Vermittlers ihm, dem
Beklagten, gegenüber damit rechnen, dass dem kein Missverständnis, sondern ein
vorsätzlich vermögensschädigendes Verhalten des Vermittlers (Betrug) zugrunde lag.
Die folgende Untätigkeit des Beklagten während der Dauer eines Jahres war, wie
bereits ausgeführt worden ist, grob fahrlässig, während die Klägerin ihre Rechte
allenfalls einfach fahrlässig nicht wirkungsvoll vertreten hat. Die Klägerin wusste zudem
nicht, dass der Beklagte keinen Kontakt mehr zu dem Vermittler und sich nicht um einen
persönlichen Kontakt zum Bevollmächtigten bemüht hatte. Der Klägerin kann nicht
vorgeworfen werden, dass sie gegenüber dem beklagten Notar gutgläubig darauf
vertraute, er werde schon die richtige Darstellung des Sachverhalts veranlassen. Vor
allem aber muss sich der Beklagte das betrügerische Verhalten des Vermittlers
zurechnen lassen (§ 278 BGB), weshalb das allenfalls fahrlässige Verhalten der
Klägerin vollständig in den Hintergrund tritt.
43
4. Die Klägerin hat durch die an ihrem Sitz bewirkte Zwangsvollstreckung einen
Fremdwährungsschaden in Höhe von 71.993,21 YTL (neu) erlitten. Sie hat durch die
Vollstreckung 72.400,00 YTL eingebüßt. Nach Abzug des dem Beklagten lediglich
zustehenden Betrags von 221,46 € = 406,79 YTL (bei einem Umrechnungskurs von 1 :
1,83687) verbleiben unberechtigt 71.993,21 YTL. In Gestalt dieser Fremdwährung ist er
ihr auch zu ersetzen (§ 249 BGB), was die Klägerin durch die entsprechende
Umstellung ihres Antrags im Rahmen der Anschlussberufung nun auch beachtet hat.
Dabei trägt der Beklagte das Risiko fallender, die Klägerin das steigender
44
Wechselkurse (vgl. § 244 Abs. 2 BGB).
VI. Der Klägerin steht aus Verzugsgesichtspunkten (§§ 284, 286 BGB) auch
Schadensersatz in Höhe von jedenfalls 1.481,00 EUR wegen der durch die
vorgerichtliche Rechtsverfolgung ausgelösten Kosten zu. Die Ansicht des Landgericht,
der Anspruch sei nicht schlüssig dargelegt worden, trifft nicht zu.
45
a) Die Prozessbevollmächtigte der Klägerin hatte, nachdem sie zuvor eine
(gebührenrechtlich nach Nr. 3309 VV RVG a.F. nicht berechnete) Zwangsvollstreckung
zu Lasten der Klägerin zu verhindern gesucht hatte, den Beklagten auftragsgemäß mit
dem außergerichtlichen Schreiben vom 09. November 2005 aufgefordert, den
unberechtigt beigetriebenen Klagebetrag zurückzuzahlen. Durch diese
außergerichtliche Tätigkeit ist zu Lasten der Klägerin (Mandantin) eine 1,3-Gebühr nach
Nr. 2400 VV RVG a.F. (ab 01. Juli 2006 Nr. 2300 VV RVG) angefallen, und zwar nach
einem Gegenstandswert von bis zu 50.000 EUR. Der Gegenstandswert richtet sich nach
dem Wechselkurs, der zum Zugangszeitpunkt der außergerichtlichen
Zahlungsaufforderung maßgeblich gewesen ist. Das ergibt sich aus § 23 Abs. 1 S. 1
RVG in Verbindung mit § 40 GKG sowie aus § 3 ZPO in Verbindung mit § 244 Abs. 2
BGB. Am 11. November 2005, dem Tag, an dem das in Rede stehende Schreiben dem
Beklagten spätestens zugegangen ist, entsprach der der Klägerin zugefügte Schaden
(72.400 YTL) bei dem damals aktuellen Wechselkurs von 1,59266 YTL/EUR (vgl. dazu
http://www.bankenverband.de/html/reisekasse/waehrungsrechner.asp) einem Betrag
von 45.458,54 EUR. Der der Klägerin entstandene Kostenschaden beträgt demnach
1.600,57 EUR, wovon sie aber nur 1.481,00 EUR geltend macht.
46
Tabelle 4
47
Zeile Position
Betrag/EUR
01
1,3-Geschäftsgebühr, Nr. 2400 VV RVG a.F., Anlage 2 zu § 13 I
RVG
1.359,80
02
Post- und Telekommunikationspauschale Nr. 7001 VV RVG
20,00
03
Zwischensumme
1.379,80
04
16% Mehrwertsteuer, Nr. 7008 VV RVG
220,77
05
Gesamthonorar
1.600,57
48
b) Die Klägerin macht den vorgerichtlich entstandenen Kostenschaden zu Recht
klageweise geltend. Er kann nämlich nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung, der
der Senat folgt, nicht gemäß §§ 91, 103f ZPO als Erstattungsanspruch im
Kostfestsetzungsverfahren zur Festsetzung angemeldet werden (BGH NJW 2006,
2560f). Vorgerichtliche Kosten sind keine Prozesskosten.
49
c) Die Geschäftsgebühr ist auch nicht in Anwendung der einschlägigen
Anrechnungsvorschrift (vgl. Vorbemerkung 3 Absatz 4 VV RVG a.F.) um die Hälfte auf
eine 0,65-Gebühr zu kürzen. Die in Rede stehende Anrechnungsvorschrift ist bei
außergerichtlicher Vorbefassung in derselben Angelegenheit nicht auf die
Geschäftsgebühr nach Nr. 2400 VV RVG a.F. (= Nr. 2300 VV RVG n.F.), sondern nach
50
ihrem eindeutigen Wortlaut auf die Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG
anzuwenden (vgl. zuletzt BGH, Beschl. v. 22.01.2008, Az VIII ZB 57/07 sub II 2 unter
Hinweis auf die vorangegangenen Entscheidungen BGH NJW 2007, 2049 sub II.2a;
2007, 2050 sub II.2d und 2007, 3500 sub II.2). Dieser Rechtsprechung folgt der Senat.
VII. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 92 Abs. 2, 97 ZPO. Die Klägerin ist mit
keinem Streitteil unterlegen. Soweit sie im ersten Rechtszug statt 72.400 YTL einen
Betrag in Höhe von 44.439,58 EUR geltend gemacht hatte, handelte es sich wertmäßig
um keine Zuvielforderung. Dieser Betrag entsprach dem bei Klageeinreichung gemäß §
23 Abs. 1 S. 1 RVG in Verbindung mit § 40 GKG, § 3 ZPO maßgeblichen Schaden, der
nach § 244 Abs. 2 BGB auf der Grundlage des bei Klageeinreichung geltenden
Wechselkurses von 1,6325 YTL/EUR
(http://www.bankenverband.de/html/reisekasse/waehrungsrechner.asp) zu ermitteln ist.
Spätere wechselkursbedingte Wertveränderungen bleiben ohne Einfluss auf den
Gegenstandswert und damit auch auf das Obsiegen und Unterliegen der
Prozessparteien. Ohne Einfluss auf die Kostenentscheidung bleibt im Ergebnis auch die
Zurückweisung der selbständigen Berufung der Klägerin durch Senatsbeschluss vom
16. Januar 2007, weil die Klägerin anschließend durch die zulässige Einlegung der
unselbständigen Anschlussberufung denselben Streitgegenstand kostenneutral zur
Entscheidung des Berufungsgerichts gestellt hat. Die Entscheidung zur vorläufigen
Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Der Rechtsstreit gibt dem Senat
keinen Anlass, die Revision zuzulassen, § 543 Abs. 2 ZPO.
51
Berufungsstreitwert : 44.439,58 EUR, davon entfallen auf die Berufung 38.418.67 Euro
und auf die Anschlussberufung 6.020,91 EUR.
52