Urteil des OLG Düsseldorf vom 17.09.2008

OLG Düsseldorf: befreiung, beherrschende stellung, unternehmen, öffentliche aufgabe, rechtswidrigkeit, zwang, amt, ausschreibung, rechtssicherheit, verfassungsrecht

Oberlandesgericht Düsseldorf, VI-Kart 4/08 (V)
Datum:
17.09.2008
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
Kartellsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
VI-Kart 4/08 (V)
Leitsätze:
A. Leitsätze
OLG Düsseldorf, 1. Kartellsenat
Beschluss vom 17.9.2008, VI – Kart 4/08(V)
§ 41 Abs. 2 GWB, § 25 Abs. 1 und 2 GlüStV, § 5 Abs. 1 und 2 LGlüG RP
1. Zweck der Befreiung vom gesetzlichen Vollzugsverbot ist es, schwere
Schä-den für die Fusionsbeteiligten oder Dritte abzuwenden, die für die
Dauer des fusi-onsrechtlichen Prüfverfahrens drohen und auf andere
Weise nicht zu vermeiden sind. Nachteile, die sich üblicherweise aus
dem Vollzugsverbot ergeben, rechtfer-tigen deshalb in keinem Fall, den
Zusammenschlussbeteiligten die Durchführung der Fusion einstweilen
zu gestatten.
2. Ebenso wenig ermöglicht die Rechtswidrigkeit der kartellbehördlichen
Unter-sagungsentscheidung als solche eine Befreiung vom
Vollzugsverbot nach § 41 Abs. 2 GWB.
3. Bei der Beurteilung, ob wichtige Gründe für eine Befreiung im Sinne
von § 41 Abs. 2 Satz 1 GWB vorliegen, können freilich die
Erfolgsaussichten einer gegen die kartellbehördliche
Untersagungsentscheidung eingelegten Beschwerde nicht gänzlich
unberücksichtigt bleiben. Führt bereits eine summerische Kontrolle zu
durchgreifenden Bedenken an der Rechtmäßigkeit des kartellbehördlich
ausge-sprochenen Fusionsverbots, sind tendenziell geringere
Anforderungen an den wichtigen Grund und den schweren Schaden im
Sinne von § 41 Abs. 2 Satz 1 GWB zu stellen.
Tenor:
I. Die Beschwerden der Beteiligten zu 1. und zu 2. gegen den Beschluss
des Bundeskartellamtes vom 25. Februar 2008 (B 6 – 92763 – Fa –
158/07) werden zurückgewiesen.
II. Die Beteiligten zu 1. und zu 2. haben die Kosten des Be-
schwerdeverfahrens sowie die zur zweckentsprechenden Er-ledigung
der Angelegenheit entstandenen notwendigen Kos-ten des
Bundeskartellamts und der Beigeladenen zu 1. zu tragen.
III. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 500.000,00 €
festgesetzt.
G r ü n d e
1
I.
2
Die Beschwerdeführerin zu 2. (nachfolgend: Lotto GmbH) betreibt im Bereich der
Gebietskörperschaft des Beschwerdeführers zu 1. (nachfolgend Land RP) als von
diesem betrautes Unternehmen nach dem Landesglücksspielgesetz des Landes RP
unter anderem verschiedene Glücksspiellotterien. Derzeit betreibt sie aufgrund
staatlicher Konzessionsbescheide des Landes RP die Lotterien und Wettspiele
GlücksSpirale, Zahlenlotterie 6 aus 49, Super 6, Spiel 77, Zahlenlotterie Keno, Plus 5,
Losbrieflotterie (Rubbellose), Fußballtoto-Auswahlwette, Fußballtotoergebniswette und
Oddset-Sport-wette. Gesellschafter der Lotto GmbH sind die Beteiligten zu 3. bis 5.
3
Das Land RP beabsichtigt, von den Beteiligten zu 3. bis 5. insgesamt 51 % der Anteile
der Lotto GmbH zu übernehmen, um darüber einen maßgeblichen Einfluss auf das
Glücksspiel in Rheinland-Pfalz nehmen zu können.
4
Hintergrund für das Übernahmevorhaben sind Regelungen im Staatsvertrag der
Bundesländer zum Glücksspielwesen in Deutschland aus dem Jahr 2007 (GlüStV) und
des Ratifizierungsgesetzes des Landes RP zu diesem Vertrage
(Landesglücksspielgesetz – LGlüG). Ziel des Glückspielstaatsvertrages sind gemäß
seines § 1 unter anderem, "das Entstehen von Glücksspielsucht und Wettsucht zu
verhindern und die Voraussetzungen für eine wirksame Suchtbekämpfung zu schaffen"
und "das Glücksspielangebot zu begrenzen und den natürlichen Spieltrieb der
Bevölkerung in geordnete und überwachte Bahnen zu lenken, insbesondere das
Ausweichen auf nicht erlaubte Glücksspiele zu verhindern".
5
In § 10 GlüStV heißt es hierzu weiter:
6
"(1) Die Länder haben zur Erreichung der Ziele des § 1 die ordnungsrechtliche
Aufgabe, ein ausreichendes Glücksspielangebot sicherzustellen.(...)
7
(2) Auf gesetzlicher Grundlage können die Länder diese öffentliche Aufgabe selbst,
durch juristische Personen des öffentlichen Rechts oder durch privatrechtliche
Gesellschaften, an denen juristische Personen des öffentlichen Rechts unmittelbar
oder mittelbar maßgeblich beteiligt sind, erfüllen."
8
§ 25 GlüStV ergänzt diese Regelung wie folgt:
9
"(1) Die bis zum 1. Januar 2007 erteilten Konzessionen, Genehmigungen und
Erlaubnisse der Veranstalter im Sinne des § 10 Abs. 2 und die ihnen nach
Landesrecht gleichstehenden Befugnisse gelten – soweit nicht im Bescheid eine
kürzere Frist festgelegt ist – bis zum 31. Dezember 2008 als Erlaubnis mit der
Maßgabe fort, dass die Regelungen dieses Staatsvertrages (...) Anwendung finden.
(...)
10
"(2) Abweichend von § 10 Abs. 2 kann das Land Rheinland-Pfalz seine Aufgabe
nach § 10 Abs. 1 durch ein betrautes Unternehmen wahrnehmen."
11
In § 5 des Landesglücksspielgesetzes hat das Land RP zur Umsetzung vorgenannter
Bestimmungen folgende Regelungen getroffen:
12
"(1) Die in Rheinland Pfalz zur Sicherstellung eines ausreichenden
Glücksspielangebots im Sinne des § 10 Abs. 1 Satz 1 GlüStV erforderlichen
öffentlichen Glücksspiele werden vom Land selbst unmittelbar oder mittelbar über
die Süddeutsche Klassenlotterie veranstaltet. Die Erfüllung dieser öffentlichen
Aufgabe obliegt dem für das Lotteriewesen zuständigen Ministerium; dieses kann
sich zur Durchführung der unmittelbar vom Land veranstalteten öffentlichen
Glücksspiele einer privatrechtlichen Gesellschaft bedienen, die vom Land
beherrscht wird.
13
(2) Das Land wird ermächtigt, ... einen geeigneten Dritten mit der Durchführung der
unmittelbar vom Land veranstalteten öffentlichen Glücksspiele hoheitlich zu
beleihen.
14
(5) Bei Vorliegen der Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 2 Halbsatz 2 werden
die vom Land unmittelbar veranstalteten öffentlichen Glücksspiele von der Lotto
Rheinland-Pfalz GmbH durchgeführt. § 25 GlüStV bleibt unberührt."
15
Das Bundeskartellamt hat die Übernahme der Anteile mit Beschluss vom 29.11.2007
untersagt, da durch sie eine marktbeherrschende Stellung der Lotto GmbH auf dem
Markt für Lotterien in Rheinland-Pfalz verstärkt werde. Es stützt sich zur Begründung im
Wesentlichen darauf, dass das Land RP an dem größten Wettbewerber der von der
Lotto GmbH veranstalteten Lotterien, der Süddeutsche Klassenlotterie (nachfolgend
SKL), beteiligt sei. Die SKL wird von den Bundesländern Bayern, Baden-Württemberg,
Hessen, Sachsen, Thüringen und Rheinland-Pfalz gemeinsam betrieben. Der Anteil des
Landes RP an der SKL beträgt nominal 6 %, in dem für die SKL zuständigen
Staatslotterieausschuss beträgt er nach dem Stimmverhältnis im Bundesrat gewichtete
13,8 %. Das Bundeskartellamt nimmt neben dem Anwachsen der Marktmacht der Lotto
GmbH in Rheinland-Pfalz durch die Beteiligung des Landes RP als Anteilseigner der
SKL des weiteren eine Verstärkung der marktbeherrschenden Stellung deshalb an, weil
mit dem Land RP die Aufsichts- und Genehmigungsbehörde für das Lotteriewesen
sowie ein Gesellschafter mit großer Finanzkraft Mehrheitsgesellschafter der Lotto GmbH
würde. Zudem erwartet das Amt, dass die Koordinierung der Tätigkeiten der
Landeslottogesellschaften der an der SLK beteiligten Bundesländer über die SKL
zunehmen werde, da nach dem Zusammenschluss auch die Lotto GmbH einbezogen
werden könnte.
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Das Land RP und die Lotto GmbH haben gegen diesen Beschluss Beschwerde
eingelegt, die in dem Parallelverfahren, Az. VI – Kart 19/07, beim Senat anhängig ist.
Darüber hinaus haben die Beschwerdeführer beim Bundeskartellamt beantragt, ihnen
gemäß § 41 Abs. 2 Satz 1 GWB eine Befreiung vom gesetzlichen Vollzugsverbot zu
erteilen. Das Amt hat die Erteilung eines solchen Dispenses mit Beschluss vom
25.02.2008 abgelehnt. Hiergegen wenden sich das Land Rheinland Pfalz und die Lotto
GmbH mit ihren Beschwerden.
17
Sie machen geltend, wichtige Gründe für die Erteilung eines Dispenses nach § 41 Abs.
2 GWB lägen bereits darin, dass die Verfügung, mit der das Bundeskartellamt den
Zusammenschluss untersagt habe, offensichtlich rechtswidrig sei. Die Übernahme der
Anteile an der Lotto GmbH durch das Land RP sei hoheitlich, nämlich durch den
zwischen allen Bundesländern geschlossenen Glücksspielstaatsvertrag und das
Landesglücksspielgesetz des Landes RP vorgegeben. Die Regelungen des
Staatsvertrages und des Landesgesetzes ihrerseits beruhten auf Vorgaben sowohl des
Bundesverfassungsgerichts als auch des Gerichtshofes der Europäischen
Gemeinschaften (EuGH). Diese hätten ein staatliches Glücksspielmonopol nur bei einer
konsistenten und an den Zielen der Spielsuchtbekämpfung ausgerichteten Organisation
für zulässig erachtet. Einzig in Rheinland-Pfalz sei mit der Lotto GmbH noch ein rein
privatrechtliches Unternehmen mit der Ausrichtung von Glücksspielen betraut. Nur der
vom Amt untersagte Anteilserwerb könne vor diesem Hintergrund eine einheitliche
bundesweite Organisation sicher stellen, die den Anforderungen der Gerichte an ein
Glücksspielmonopol genügten.
18
Auch habe die EU-Kommission § 25 Abs. 3 des Glücksspielstaatsvertrages der Länder,
der dem Land RP zugestehe, die Aufgaben des Staatsvertrages (weiterhin) durch ein
betrautes Unternehmen durchführen zu lassen, mehrfach, zuletzt mit Brief an die
Bundesregierung vom 1. Februar 2008, als europarechtswidrig beanstandet, da diese
Regelung einem privaten Unternehmen ohne Ausschreibung ein Monopol zuweise.
Dieser Rüge könne ebenfalls allein durch eine Übernahme der Anteilsmehrheit an der
Lotto GmbH durch das Land RP begegnet werden.
19
Neben der Rechtswidrigkeit der Untersagungsverfügung liege – so meint die
Beschwerde weiter – der für eine Befreiung vom Vollzugsverbot nach § 41 Abs. 2 Satz 1
GWB erforderliche wichtige Grund darin, dass die der Lotto GmbH erteilten
Konzessionen nach § 25 Abs. 1 des GlüStV am 31.12.2008 endeten. Dem Land RP sei
es aus Gründen der Rechtssicherheit nicht zumutbar, trotz der offensichtlichen
Rechtswidrigkeit der Untersagungsverfügung von dem landesgesetzlich angeordneten
staatlichen Glücksspielmonopol einstweilen Abstand zu nehmen und die Veranstaltung
und Durchführung der öffentlichen Glücksspiele übergangsweise in anderer Form
auszugestalten, als sie das geltende rheinland-pfälzische Glücksspielrecht vorsehe.
Zudem seien hierfür Gesetzesänderungen erforderlich, die bis zum Jahresende nicht
durchzuführen seien.
20
Die gerichtliche Kontrolle der angefochtenen Entscheidung beschränke sich nicht auf
eine bloße Prüfung der Ermessensausübung des Bundeskartellamtes beschränkt. Dem
Beschwerdegericht obliege vielmehr eine vollständige Sachprüfung anhand der
Kriterien des § 41 Abs. 2 Satz 1 GWB, wozu auch eine – jedenfalls summarische –
Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Untersagungsverfügung gehöre.
21
Die Beschwerdeführer beantragen,
22
1. den Beschluss des Bundeskartellamtes vom 25. Februar 2008 aufzuheben und
2. ihnen und den Beteiligten zu 3. bis 5. zu gestatten, den mit Beschluss des
Bundeskartellamtes vom 29. November 2007 untersagten Zusammenschluss zu
vollziehen.
23
24
Das Bundeskartellamt und die Beigeladenen zu 1. und zu 2. beantragten,
25
die Beschwerde zurückzuweisen.
26
Das Amt verteidigt den angefochtenen Beschluss und tritt den Ausführungen der
Beschwerde im Einzelnen entgegen.
27
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den
angefochtenen Beschluss sowie auf die Schriftsätze der Verfahrensbeteiligten nebst
Anlagen Bezug genommen.
28
II.
29
Die zulässigen Beschwerden sind unbegründet.
30
1.
31
Der Beschwerde fehlt nicht bereits das Rechtsschutzbedürfnis, nachdem der Senat mit
Beschluss vom selben Tag in dem Verfahren VI – U 19/07 (V) die Untersagung des
Zusammenschlussvorhabens durch das Bundeskartellamt aufgehoben hat. Die
Entscheidung des Beschwerdegerichts auf eine Anfechtungsbeschwerde gegen eine
kartellbehördliche Verfügung hin entspricht einem verwaltungsgerichtlichen Urteil
(Kollmorgen in Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen
Kartellrecht, Bd. 1, § 71, RdNr. 1 m.w.N.; Schmidt in Immenga/Mestmäcker,
Wettbewerbsrecht, 4. Aufl., § 71, RdNr. 5). Sie erlangt deshalb ebenso wie ein
verwaltungsgerichtliches Anfechtungsurteil Wirksamkeit erst mit formeller Rechtskraft,
sodass die fusionskontrollrechtliche Untersagungsentscheidung erst nach Ablauf der
Rechtsmittelfrist bzw. mit höchstgerichtlicher Letztentscheidung als aufgehoben gilt
(Kopp, VwGO, § 121, Rdnr. 2).
32
2.
33
In der Sache ist den Beschwerden allerdings der Erfolg versagt, weil das
Bundeskartellamt die beantragte Befreiung vom Vollzugsverbot nach § 41 Abs. 2 Satz 1
GWB ermessensfehlerfrei abgelehnt hat.
34
a)
35
Gemäß § 41 Abs. 2 Satz 1 GWB kann das Bundeskartellamt auf Antrag Befreiung vom
gesetzlichen Vollzugsverbot erteilen, wenn die zusammenschlussbeteiligten
36
Unternehmen hierfür wichtige Gründe geltend machen, insbesondere um schweren
Schaden von einem beteiligten Unternehmen oder von Dritten abzuwenden.
Die Befreiung vom Vollzugsverbot stellt eine Ausnahme vom Grundsatz der präventiven
Fusionskontrolle dar und läuft überdies dem in § 41 Abs. 1 GWB zum Ausdruck
gekommenen Willen des Gesetzgebers zuwider, auch eine nur zeitweilige Entstehung
oder Verstärkung marktbeherrschender Stellungen zu verhindern sowie die
Schwierigkeiten der Entflechtung vollzogener Zusammenschlüsse zu verhindern. Aus
diesem Grund muss die Befreiungsmöglichkeit des § 41 Abs. 2 GWB nach der
Rechtsprechung de Senats (Wuw/E DE-R 2069 – Phonak/ReSound; Beschluss vom
03.03.2008, VI – Kart 19/07 (V), Umdruck Seite 14) auf besondere Ausnahmesituationen
beschränkt bleiben. Nachteile, die sich üblicherweise aus dem gesetzlichen
Vollzugsverbot ergeben, rechtfertigen deshalb in keinem Fall die einstweilige
Gestattung zum Vollzug des Zusammenschlusses. Ebenso wenig ermöglicht alleine die
Rechtswidrigkeit der kartellbehördlichen Untersagungsentscheidung als solche eine
Freistellung vom Vollzugsverbot. Anders als § 65 Abs. 3 Satz3, Satz 1 Nr. 2 GWB, der
einstweiligen Rechtsschutz gegen kartellbehördliche Verfügungen auch dann vorsieht,
wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung
bestehen, enthält das Kartellgesetz für den Bereich der Zusammenschlusskontrolle
keine vergleichbare Bestimmung. Insbesondere § 41 Abs. 2 GWB lässt es für eine
Befreiung vom Vollzugsverbot nicht genügen, dass die Untersagungsentscheidung des
Bundeskartellamtes begründeten rechtlichen Zweifeln begegnet. Zweck der Befreiung
ist es vielmehr alleine, schwere Schäden für die Fusionsbeteiligten oder Dritte
abzuwenden, die für die Dauer des fusionsrechtlichen Prüfverfahrens drohen und auf
andere Weise nicht zu vermeiden sind (vgl. Mestmäcker/Veelken in
Immenga/Mestmäcker, a.a.O., § 41, Rdnr. 27; Rieger in Frankfurter Kommentar, GWB
2005, § 41 Rdnr. 49; Ruppelt in Langen/Bunte, a.a.O., § 41, Rdnr. 4; Riesenkampff/Lehr
in Loewenheim/Meessen/ Riesenkampff, Kartellrecht, Band 2, § 41 Rdnr. 7). Die
Begründung zum Regierungsentwurf der 6. GWB-Novelle nennt als Beispiele einer die
Befreiung vom Vollzugsverbot rechtfertigenden Ausnahmesituation zum einen die
Sanierungsfusion - also den Fall, dass ohne die Befreiung vom Vollzugsverbot der
Zusammenbruch eines Unternehmens und dessen Ausscheiden aus dem Markt droht -
und zum anderen den Auslandszusammenschluss, bei dem die nach § 39 Abs. 3 GWB
erforderlichen Angaben unvollständig sind und der Anmeldende bei der Anmeldung
glaubhaft macht, dass er aufgrund der für die Fusion geltenden ausländischen
Rechtsvorschriften oder sonstiger Umstände daran gehindert ist, die erforderlichen
Angaben vor dem Vollzug des Zusammenschlusses zu machen (BT-Drucksache
13/9720, Abschnitt II zu § 41, abgedr. in WuW-Sonderheft 1998 Seite 105).
37
Bei der Beurteilung, ob wichtige Gründe für eine Befreiung im Sinne von § 41 Abs. 2
Satz 1 GWB vorliegen, können freilich die Erfolgsaussichten einer gegen die
kartellbehördliche Untersagungsentscheidung eingelegten Beschwerde nicht gänzlich
unberücksichtigt bleiben. Führt bereits eine summerische Kontrolle zu durchgreifenden
Bedenken an der Rechtmäßigkeit des vom Bundeskartellamt ausgesprochenen
Fusionsverbots, sind tendenziell geringere Anforderungen an den wichtigen Grund und
dem schweren Schaden im Sinne von § 41 Abs. 2 Satz 1 GWB zu stellen.
38
b)
39
Das Gesetz räumt der Kartellbehörde in § 41 Abs. 2 GWB bei der Entscheidung, ob die
von ihr festgestellten gewichtigen Gründe zu einem Dispens vom Vollzugsverbot führen
40
oder nicht, überdies Ermessen ein. Unter Anwendung des
Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes hat die Behörde die von den Fusionsbeteiligten
geltend gemachten Individualinteressen mit dem öffentlichen Interesse an der
Aufrechterhaltung des gesetzlichen Vollzugsverbots gegeneinander abzuwägen
(Mestmäcker/Veelken, a.a.O. Rdnr. 27 m.w.N.). Das Beschwerdegericht ist in diesem
Zusammenhang gemäß § 71 Abs. 2 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 GWB auf die Überprüfung
beschränkt, ob die Kartellbehörde ihr Ermessen pflichtgemäß ausgeübt hat, d.h. die
Behörde von dem ihr zustehenden Ermessen überhaupt Gebrauch gemacht (sog.
Ermessensnichtgebrauch) und die gesetzlichen Zielvorstellungen beachtet sowie alle
für die Ermessensausübung maßgebenden Gesichtspunkte hinreichend in ihre
Erwägungen einbezogen hat (sog. Ermessensfehlgebrauch). Stellt es Ermessensfehler
fest, hat es die Sache zur Neubescheidung an die Kartellbehörde zurückzugeben; eine
eigene Ermessensentscheidung ist dem Beschwerdegericht verwehrt. Etwas anderes
gilt nur dann, wenn aufgrund der besonderen Umstände des Falles alleine eine
Entscheidung ermessensfehlerfrei ist. Ausschließlich bei einer solchen
Ermessensreduzierung auf Null darf das Beschwerdegericht die Kartellbehörde zum
Erlass dieser - rechtlich einzig fehlerfreien - Entscheidung verpflichten (Senat, a.a.O.;
Karsten Schmidt in Immenga/Mestmäcker, a.a.O., § 71, Rdnr. 19 m.w.N.; vgl. allgemein
auch: Kopp/Schenke, VwGO, 14. Aufl., § 114 Rdnr. 4 bis 6 m.w.N.) oder selbst die
Befreiung aussprechen.
3.
41
Das Bundeskartellamt hat vorliegend fehlerfrei wichtige Gründe im Sinne von § 41 Abs.
2 Satz 1 GWB verneint und daher zu Recht einen Dispens verweigert.
42
a)
43
Die Beschwerde beruft sich zur Begründung ihres Begehrens zum einen auf einen
Zwang zur Fusion, den es aus den Bestimmungen des rheinland-pfälzischen
Glücksspielrechts sowie aus bundesdeutschem Verfassungsrecht und Europarecht
herleitet. Zum anderen – so meint sie – sei eine interimsweise Umgestaltung des
Glücksspielwesens, die ohne eine Befreiung vom Vollzugsverbot erforderlich wurde,
nicht zumutbar. Diese würde insbesondere die Rechtssicherheit bei den betroffenen
Personenkreisen – namentlich den Spielern – erheblich beeinträchtigen.
44
b)
45
Keiner dieser vorgebrachten Gründe ist stichhaltig und trägt die Annahme eines
wichtigen Grundes gemäß § 41 Abs. 2 Satz 1 GWB.
46
(1)
47
Nachteile rechtlicher Art bestehen nicht. Weder aus bundesdeutschem
Verfassungsrecht noch aus Europarecht oder rheinland-pfälzischem Glücksspielrecht
ergibt sich ein Zwang zur Umsetzung der streitbefangenen Fusion. Das hat der Senat
bereits mit Beschluss vom 03.03.2008 (Umdruck Seite 16 ff.) im Einzelnen dargelegt.
Zur Vermeidung von Wiederholungen wird hierauf Bezug genommen. Kurz
zusammengefasst gilt, dass keine der drei vorgenannten Rechtsmaterien für das Land
RP die unabdingbare Notwendigkeit begründet, sich zur Durchführung der von ihm
veranstalteten öffentlichen Glücksspiele der Lotte GmbH zu bedienen, nachdem dort ein
48
beherrschender Einfluss erlangt worden ist. Es besteht daneben - insbesondere für eine
Übergangszeit - auch die Möglichkeit, die Lotto GmbH als betrautes Unternehmen im
Sinne von § 25 Abs. 2 GlüStV oder als Beliehene im Sinne von § 5 Abs. 2 LGlüG mit der
Durchführung der öffentlichen Glücksspiele zu beauftragen, wobei durch entsprechende
gesetzliche Rahmenbestimmungen oder Auflagen die wirksame Durchsetzung der
Gemeinwohlbelange, denen ein staatliches Glücksspielmonopol dienen muss,
gewährleistet werden kann.
(2)
49
Ebenso wenig ist festzustellen, dass es zu schweren Nachteilen führen würde, wenn die
Lotto GmbH in der Übergangszeit bis zur rechtkräftigen Klärung der
fusionskontrollrechtlichen Lage beispielsweise im Rahmen einer Beleihung mit der
Durchführung der vom Land RP veranstalteten öffentlichen Glücksspiele befasst würde.
Die von der Beschwerde in diesem Zusammenhang reklamierte Gefahr einer
erheblichen Rechtsunsicherheit und Verunsicherung der Spielteilnehmer liegt fern, weil
die hinter dem Glücksspielbetrieb stehende rechtliche Konstruktion für die Teilnahme an
der Lotterie aus Spielersicht ohne Bedeutung ist.
50
(3)
51
Einen Zwang zur Übernahme einer beherrschenden Mehrheit an der Lotto GmbH lässt
sich weder den Bestimmungen des GlüStV noch den landesrechtlichen Vorschriften des
LGlüG entnehmen.
52
Zwar tritt entgegen der Konzeption in § 5 Abs. 1 LGlüG derzeit nicht das Land RP als
Veranstalter der staatlichen Glücksspiele auf. Die der Lotto GmbH insoweit erteilte
Konzession besteht nämlich nach § 25 Abs. 1 Satz 1 GlüStV noch fort und erlischt erst
zum 31.12.2008. Spätestens zu diesem Zeitpunkt kann das Land RP die
Veranstaltungshoheit – und damit die rechtliche Verantwortung – über die Lotterien
übernehmen. Dass das Land RP aber für diesen Konflikt zwischen Gesetzes- und
Konzessionslage keine Regelung getroffen hat, kann nicht dazu führen, dass ihm ein
vorzeitige Befreiung vom Vollzugsverbot zuzubilligen ist. Insbesondere war zum
Zeitpunkt der Ausfertigung des Gesetzes durch den Ministerpräsidenten am 03.12.2007
die Untersagungsverfügung bereits erlassen (Beschlussdatum: 29.11.2007). Das Land
RP durfte daher bereits während der Gesetzgebung nicht davon ausgehen, dass es bis
zum Inkrafttreten des LGlüG am 01.01.2008 eine beherrschende Stellung über die Lotto
GmbH erlangt haben würde. Es hätte für diesen Fall durch die Reglung von
Übergangsvorschriften Vorsorge treffen müssen, um den Anforderungen des GlüStV
Rechnung zu tragen. Dass solche Vorkehrungen mit schweren, nicht zumutbaren
Nachteilen verbunden gewesen wären, ist weder nachvollziehbar dargelegt noch sonst
ersichtlich.
53
(4)
54
Ein Zwang zur Übernahme einer beherrschenden Anteilsmehrheit an der Lotto GmbH
ergibt sich auch nicht aus den europäischen Vergabevorschriften. Es bedarf an dieser
Stelle keiner Prüfung, ob die Übertragung der Durchführung der staatlichen Lotterien in
Rheinland-Pfalz auf die Lotto GmbH den einschlägigen Bestimmungen zuwiderläuft und
wie sich die Übernahme der Anteilsmehrheit durch das Land RP hierauf auswirken
würde. Denn selbst wenn nur die weitere Durchführung der Lotterien durch eine nicht
55
staatlich beherrschte private Gesellschaft der Ausschreibung bedürfte, fehlt es an
jeglichen Darlegungen, welche schweren Schäden sich aus einer solchen
Ausschreibung für die Zusammenschlussbeteiligten oder Dritte ergeben sollten. So ist
es ohne Weiteres denkbar, den ausgeschriebenen Leistungsumfang dergestalt zu
begrenzen, dass er zunächst nur bis zu einem rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens
über die Beschwerde gegen die Untersagungsverfügung reicht.
c)
56
Fehlt es nach alledem schon an einem wichtigen Grund im Sinne von § 41 Abs. 2 GWB,
kommt es auf die Rechtmäßigkeit der kartellbehördlichen Untersagungsentscheidung
nicht mehr an.
57
4.
58
Die Kostenentscheidung beruht auf 78 GWB. Eine Kostenerstattungspflicht zugunsten
der Beigeladenen zu 2. entspricht nicht der Billigkeit (§ 78 Satz 1 GWB), weil diese das
Verfahren weder durch schriftlichen Vortrag noch in der mündlichen Verhandlung des
Senats wesentlich gefördert hat.
59
5.
60
Anlass, die Rechtsbeschwerde zuzulassen, bestand nicht, § 74 Abs. 2 GWB.
61
Kühnen Dr. Maimann Ausetz
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Rechtsmittelbelehrung:
63
Die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde kann durch Nichtzulassungsbeschwerde
angefochten werden. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist binnen einer Frist von einem
Monat schriftlich beim Oberlandesgericht Düsseldorf einzulegen. Die Frist beginnt mit
der Zustellung dieser Beschwerdeentscheidung. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist
schriftlich zu begründen, und die Begründung ist bei dem Oberlandesgericht Düsseldorf
oder beim Bundesgerichtshof einzureichen. Die Frist für die Einreichung der
Begründung beträgt einen Monat; sie beginnt mit der Einlegung der
Nichtzulassungsbeschwerde und kann auf Antrag vom Vorsitzenden des
Rechtsbeschwerdegerichts (Bundesgerichtshof) verlängert werden. Die Begründung
muss die Erklärung enthalten, inwieweit die Beschwerdeentscheidung angefochten und
ihre Abänderung oder Aufhebung beantragt wird. Die
Nichtzulassungsbeschwerdeschrift und die – begründung müssen durch einen bei
einem deutschen Gericht zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichnet sein, sofern nicht
die Kartellbehörde die Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt hat.
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