Urteil des OLG Düsseldorf vom 10.02.2005

OLG Düsseldorf: brustkrebs, medikament, nichtigkeitsklage, gewebe, tierart, therapie, diagnose, erfindung, vollstreckung, gentechnik

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
1
2
Aktenzeichen:
Oberlandesgericht Düsseldorf, I-2 U 80/02
10.02.2005
Oberlandesgericht Düsseldorf
2. Zivilsenat
Urteil
I-2 U 80/02
1.
Die Berufung der Klägerin gegen das am 14. Mai 2002 verkündete Urteil
der 4a. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf wird zurückgewiesen.
2.
Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung
der Beklagten durch Sicherheitsleistung von 270.000,-- EUR abwenden,
wenn nicht die Beklagte ihrerseits vor der Vollstreckung Sicherheit in
gleicher Höhe leistet.
4.
Die Revision wird zugelassen.
5.
Streitwert für das Berufungsverfahren: 10.225.837,-- EUR (= 20 Mio. DM).
a.
I.
Die Klägerin ist Inhaberin des in englischer Sprache abgefassten, u.a. auch mit Wirkung für
die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 0 153 114 (im Folgenden:
Klagepatent), das auf einer am 8. Februar 1985 unter Inanspruchnahme zweiter US-
amerikanischer Prioritäten vom 8. Februar 1984 und vom 11. Januar 1985 eingegangenen
und am 20. August 1985 offengelegten Anmeldung beruht. Veröffentlichungstag der
Patenterteilung war der 19. Juli 1989. Anmelderin und ursprüngliche Inhaberin des
Klagepatents war die C. C., die das Patent später auf die Klägerin übertragen hat, welche
seit dem 22. Mai 1998 als Patentinhaberin eingetragen ist. Nach der erteilten Fassung des
Klagepatents lauteten seine Ansprüche 1 und 3 in der in der Klagepatentschrift enthaltenen
deutschen Übersetzung: 1. Monoclonaler Maus-Antikörper, der a) ein menschliches
Brustkrebs-Antigen bindet, das von einem Vergleichs-antikörper ebenfalls gebunden wird,
der von einem der unter ATCC HB8488, HB8490, HB8486, HB8484, HB8697, HB8485,
HB8696 und HB8662 erhältlichen Hybridome gebildet wird; b) einen G- oder M-Isotyp
aufweist und c) nach Konjugation mit der Ricin-A-Kette zumindest gegen eine der Zellen
MCF-7, CAmA-1, SKBR-3 oder BT-20 einen TCID 50 %-Wert von weniger als 10 nM
aufweist. ... 3. Monoclonaler Antikörper nach Anspruch 1, der durch eines der
nachstehenden Hybridome a) HB8488; b) HB8490; c) HB8486; d) HB8697; e) HB8484; f)
HB8485; g) HB8696; h) HB8662 gebildet wird, oder ein monoclonaler Antikörper, der mit
einem der vorstehend genannten Antikörper funktionell äquivalent ist. Im März 2002 hat die
Muttergesellschaft der Beklagten Nichtigkeitsklage gegen den deutschen Teil des
Klagepatents mit dem Antrag erhoben, diesen in vollem Umfang für nichtig zu erklären. Mit
Urteil vom 9. März 2004 hat das Bundespatentgericht unter Abweisung der weitergehenden
Nichtigkeitsklage den deutschen Teil des Klagepatents dadurch teilweise für nichtig erklärt,
dass u.a. die Patentansprüche 1 und 3 folgende Fassung erhalten haben: 1. Monoklonaler
Maus-Antikörper, der a) ein menschliches Brustkrebs-Antigen bindet, das von einem
Vergleichsantikörper ebenfalls gebunden wird, der von einem der unter ATCC HB8484 und
HB8696 erhältlichen Hybridome gebildet wird; b) einen G- oder M-Isotyp aufweist; c) nach
Konjugation mit der Ricin-A-Kette zumindest gegen eine der Zellen MCF-7, CAmA-1,
SKBR-3 oder BT-20 einen TCID 50 %-Wert von weniger als etwa 10 nM aufweist; d) der an
ein im Brustkrebs-Gewebe gefundenes Protein von annähernd 210.000 Dalton bindet und
e) menschliche Brustkrebszellen selektiv bindet. ... 3. Monoklonaler Antikörper nach
Anspruch 1, der durch das Hybridom HB8696 gebildet wird, oder ein monoklonaler
Antikörper, der mit dem vorstehend genannten Antikörper oder mit dem Antikörper gemäß
Anspruch 2 funktionell äquivalent ist. Die Muttergesellschaft der Beklagten hat gegen das
Urteil des Bundespatentgerichts, soweit es die Nichtigkeitsklage abgewiesen hat, Berufung
zum Bundesgerichtshof eingelegt, über die noch nicht entschieden ist. Die Beklagte
vertreibt in Deutschland unter der Bezeichnung "H. T." ein Medikament zur Behandlung
von Brustkrebs. Dieses Medikament, wegen dessen Einzelheiten auf den von der Klägerin
als Anlage K 3 überreichten Prospekt der Beklagten sowie auf die von der Beklagten als
Anlage B 8 (deutsche Übersetzung: Anlage B 8 a) überreichte Produktinformation
verwiesen wird, enthält rekombinante humanisierte monoklonale Antikörper (von der
Beklagten als "T." bezeichnet), deren hypervariable Regionen aus einem murinen (= Maus-
) Antikörper mit der Bezeichnung mu4D5 abgeleitet sind. Die Klägerin sieht in dem Vertrieb
von "H." eine Verletzung des Klagepatents und hat die Beklagte deswegen auf
Unterlassung, Rechnungslegung und Feststellung der Schadensersatzpflicht in Anspruch
genommen, während die Beklagte um Klageabweisung und hilfsweise um Aussetzung der
Verhandlung des vorliegenden Rechtsstreits bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die
gegen das Klagepatent gerichtete Nichtigkeitsklage gebeten hat. Sie hat eingewendet: Das
- nicht rechtsbeständige - Klagepatent schütze allein Maus-Antikörper, d.h. solche, die
ausschließlich aus von der Maus stammenden Sequenzen bestünden, nicht aber auch
solche Antikörper, die - wie "H." - zum weitaus überwiegenden Teil menschliche
Sequenzen aufwiesen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf das Urteil vom 14.
Mai 2002 wird Bezug genommen. Die Klägerin hat Berufung eingelegt, mit der sie geltend
macht, das angegriffene Medikament der Beklagten mache von der Lehre der Ansprüche 1
und 3 des Klagepatents wortsinngemäß, jedenfalls aber äquivalent Gebrauch; das
Klagepatent nenne Maus-Antikörper nur beispielhaft und umfasse auch andere
monoklonale Antikörper, z.B. solche, die Sequenzen anderer Spezies als der Maus
aufwiesen und mit Hilfe einer anderen Technik hergestellt worden seien als der im
Klagepatent genannten Hybridom-Technik. Sie stützt ihre Klage in erster Linie auf
Anspruch 1 des Klagepatents in der Fassung, die dessen deutscher Teil durch das Urteil
des Bundespatentgerichts vom 9. März 2004 erhalten hat, hilfsweise auf die zweite
Alternative des (neu gefassten) Anspruchs 3 und äußerst hilfsweise auf das Klagepatent in
der zunächst erteilten Fassung. Die Klägerin beantragt, unter Abänderung des
angefochtenen Urteils I. die Beklagte zu verurteilen, 1. es bei Meidung der gesetzlichen
Ordnungsmittel zu unterlassen, im Geltungsbereich des deutschen Teils des europäischen
Patents 0 153 114 rekombinante, humanisierte monoklonale Antikörper, deren sechs
Komplementarität bestimmende Regionen (CDRs) (die hypervariablen, Antigen bindenden
Teile) von dem murinen Antikörper mu4 D 5 abgeleitet sind, anzubieten, in Verkehr zu
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bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu
besitzen, a) die ein menschliches Brustkrebs-Antigen binden, das auch von dem
Vergleichsantikörper gebunden wird, der von dem unter ATCC HB8696 erhältlichen
Hybridom gebildet wird, b) die einen G-Isotyp aufweisen, c) die, wenn mit der Ricin-A-Kette
konjugiert, zumindest gegen eine der Zellen MCF-7, CAmA-1, SKBR-3 oder BT-20 einen
TCID 50 %-Wert von weniger als etwa 10 nM aufweisen, d) die an ein im Brustkrebs-
Gewebe gefundenes Protein von annähernd 210.000 Dalton, nämlich den HER2-Rezeptor,
binden und e) die menschliche Brustkrebszellen selektiv binden, insbesondere wenn die
Antikörper mit dem durch das Hybridom HB8696 gebildeten Antikörper funktionell
äquivalent sind, nämlich die vorstehend unter a) bis e) genannten Merkmale aufweisen und
zusätzlich den zuvor genannten Vergleichsantikörper kreuzblockieren; 2. ihr - der Klägerin -
unter Vorlage eines einheitlichen, geordneten Verzeichnisses darüber Rechnung zu legen,
in welchem Umfang sie die zu I. 1. bezeichneten Handlungen seit dem 22. Mai 1998
begangen habe, und zwar unter Angabe a) der Menge der erhaltenen oder bestellten
Erzeugnisse sowie der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderen
Vorbesitzer, b) der Menge der die Antikörper gemäß Ziff. 1 enthaltenden Arzneimittel,
aufgeschlüsselt nach Produktbezeichnung, Darreichungsform und Packungsgröße, c) der
einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und -preisen sowie den
Namen und Anschriften der Abnehmer, d) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach
Angebotsmengen, -zeiten und -preisen sowie den Namen und Anschriften der
Angebotsempfänger, e) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern,
deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet, f) der nach den
einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten
Gewinns; sowie II. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet sei, ihr - der Klägerin - allen
Schaden zu ersetzen, der ihr durch die zu I. 1. bezeichneten, seit dem 22. Mai 1998
begangenen Handlungen entstanden sei und noch entstehen werde; hilfsweise: die
Verhandlung des vorliegenden Rechtsstreits auszusetzen bis zur rechtskräftigen
Entscheidung über die gegen den deutschen Teil des Klagepatents anhängige
Nichtigkeitsklage. Die Beklagte bittet um Zurückweisung der Berufung und hilfsweise um
Aussetzung der Verhandlung des vorliegenden Rechtsstreits bis zur rechtskräftigen
Entscheidung über die oben genannte Nichtigkeitsklage. Die Parteien wiederholen und
ergänzen ihr bisheriges Vorbringen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und
Streitstandes wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug
genommen.
a.
II.
Die Berufung ist nicht begründet.
Das Landgericht hat die Klage mit Recht abgewiesen, weil die Beklagte von der Lehre des
Klagepatents keinen Gebrauch macht, so dass sie dieses Schutzrecht nicht verletzt.
1.
Das Klagepatent betrifft monoklonale Maus-Antikörper gegen menschlichen Brustkrebs,
des weiteren Hybridome, die diese Antikörper produzieren, und schließlich aus diesen
Antikörpern hergestellte Immunochemikalien sowie diagnostische und therapeutische
Verfahren, bei denen diese Immunochemikalien verwendet werden.
Antikörper (auch Immunglobuline genannt) sind Serum-Proteine, die als Bestandteil des
Immunsystems aller höheren Organismen, u.a. auch bei Wirbeltieren, eingedrungene
körperfremde Agenzien (sog. Antigene, z.B. Viren, Bakterien usw.) erkennen und binden
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können. Das Immunsystem hat primär die Aufgabe, den Organismus vor Antigenen zu
schützen. Jeder Antikörper hat eine hohe Bindungsspezifität für jeweils ein bestimmtes
Antigen. Antikörper werden als Reaktion auf das Eindringen eines Antigens von B-
Lymphozyten bzw. Plasmazellen synthetisiert, wobei jeder B-Lymphozyt nur Antikörper
einer einzigen Spezifität produziert. Ein Antikörper besteht aus zwei identischen schweren
(H-)Ketten und zwei identischen leichten (L-)Ketten. Die schweren Ketten enthalten mehr
Aminosäuren als die leichten und sind deshalb länger als diese. Sowohl die schweren als
auch die leichten Ketten eines Antikörpers weisen konstante Regionen und variable
Regionen auf.
Die konstanten Regionen, die bei allen von dem betreffenden Organismus produzierten
Antikörpern gleich sind, sind jeweils Spezies-spezifisch, d.h. sie sind z.B. bei menschlichen
Antikörpern anders als bei solchen, die von einer bestimmten Tierart, etwa der Maus,
gebildet werden. Die Funktion der konstanten Regionen besteht darin, dann, wenn der
Antikörper an ein Antigen gebunden hat, Prozesse im Körper zu mobilisieren, die das
Antigen zerstören.
Die variablen Regionen haben die Funktion, Moleküle gerade desjenigen Antigens zu
binden, gegen das sich der jeweilige Antikörper richtet. Sie bestehen aus sogenannten
Gerüstregionen (Framework-Regionen) und sogenannten hypervariablen Regionen (CDR-
Regionen), welche die Bindung an das jeweilige Antigen vermitteln. Die hypervariablen
Regionen sind nicht Spezies-spezifisch, sondern Antigen-spezifisch, nämlich je nach dem
Antigen, gegen welches der jeweilige Antikörper gerichtet ist; sie sind also - jedenfalls im
Wesentlichen - unabhängig davon identisch, von welchem Säugerorganismus (z.B.
Mensch, Maus, Ratte oder dergleichen) sie gebildet worden sind.
Anhand der konstanten Regionen lassen sich Antikörper verschiedenen Klassen (Isotypen)
zuordnen, nämlich den Isotypen A, G, M, D und E. Antikörper der Klassen M und G (sog.
Immunglobuline M und G = "IgM" und "IgG") werden bei Säugern in das Blut abgesondert,
wo sie zirkulierende Antigene erkennen.
Die Klagepatentschrift führt aus:
Seit Mitte der siebziger Jahre gebe es zahlreiche Berichte über monoklonale Maus-
Antikörper, die mit Antigenen in Wechselwirkung träten, welche mit menschlichem
Brustkrebs verbunden seien. Nach diesen Berichten seien Mäuse immunisiert und
wiederholt mit menschlichen globulären Milchfettproteinen, Brustkrebs-Zelllinien oder
Brustkrebs-Membranextrakten gespritzt worden. Milzzellen der immunisierten Mäuse seien
mit Maus-Myelomzellen fusioniert worden; die so erhaltenen Hybridome seien auf der
Basis besonderer Merkmale des Kulturmediums auf Brustkrebs oder Brustkrebs-Antigene
selektiert worden. Das Verhalten dieser früheren Antikörper unterscheide sich von dem
Verhalten der erfindungsgemäßen Antikörper gegen normales Gewebe. Monoklonale
Antikörper gegen menschliche Brustkrebszellen und ihre Verwendung in der Diagnose und
der Therapie seien auch in der EP-A-118 365 beschrieben worden.
Zahlreiche Wissenschaftler hätten in früherer Zeit vermutet oder darüber berichtet, zur
Herstellung von "Immuntoxinen" cytotoxische Mittel an Antikörper zu binden. Jüngstes
Interesse habe sich auf Immuntoxine konzentriert, bei denen monoklonale Antikörper über
heterodoppelfunktionelle Mittel an die enzymatisch wirksamen Teile (A-Ketten) von
bakteriellen oder pflanzlichen Toxinen gebunden seien.
Dem Klagepatent liegt das technische Problem zugrunde, monoklonale Antikörper zur
Verfügung zu stellen, die eine Bindungsspezifität für bestimmte menschliche
Brustkrebszellen aufweisen und zur Herstellung von Immuntoxinen gegen menschliche
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Brustkrebszellen geeignet sind.
Zur Lösung dieses Problems schlagen die Ansprüche 1 und 3 des Klagepatents in der
Fassung, die dessen deutscher Teil durch das Urteil des Bundespatentgerichts vom 9.
März 2004 erhalten hat, vor:
Anspruch 1: 1. Monoklonaler Maus-Antikörper, der
1.1 ein menschliches Brustkrebsantigen bindet, das von einem
Vergleichsantikörper ebenfalls gebunden wird, der von einem der unter ATCC HB8484 und
HB8696 erhältlichen Hybridome gebildet wird,
1.2 einen G- oder M-Isotyp aufweist,
1.3 nach Konjugation mit der Ricin-A-Kette zumindest gegen eine der Zellen
MCF-7, CAmA-1, SKBR-3 oder BT-20 einen TCID 50 %-Wert von weniger als etwa 10 nM
aufweist,
1.4 der an ein im Brustkrebs-Gewebe gefundenes Protein von annähernd 210.000
Dalton bindet
und
1.5 menschliche Brustkrebszellen selektiv bindet.
...
Anspruch 3: 1. Monoklonaler Antikörper nach Anspruch 1,
1.1 der durch das Hybridom HB8696 gebildet wird
oder
2. ein monoklonaler Antikörper,
2.1 der mit dem vorstehend genannten Antikörper oder mit dem Antikörper gemäß
Anspruch 2 funktionell äquivalent ist.
Die Klagepatentschrift erläutert :
Der Ausdruck "monoklonaler Antikörper" bedeute eine aus einer homogenen
Antikörperpopulation bestehende Antikörperzusammensetzung; eine Beschränkung des
Antikörpers hinsichtlich seines Ursprungs oder seiner Herstellungsart sei nicht
beabsichtigt.
Der hinsichtlich des als Beispiel angeführten monoklonalen Maus-Antikörpers gegen
menschlichen Brustkrebs verwendete Ausdruck "funktionelles Äquivalent" bedeute einen
monoklonalen Antikörper, der
(a) den als Beispiel angeführten monoklonalen Antikörper kreuzblockiere,
(b) selektiv an menschliche Brustkrebszellen binde,
(c) einen G- oder M-Isotyp aufweise,
(d) an das gleiche Antigen binde, wie durch Immunpräzipitation oder durch einen aus
mehreren Schichten bestehenden Immuntest bestimmt,
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und
(e) nach Konjugation mit der Ricin-A-Kette in einer Konzentration von weniger als 10 nM
bei zumindest einer der Zelllinien MCF-7, CAmA-1, SKBR-3 oder BT-20 eine TCID von 50
% aufweise.
Die wichtigen Eigenschaften der patentgemäßen monoklonalen Antikörper seien ihre
Immunglobulinklasse, ihre Selektivität für menschliche Brustkrebszellen und der Bereich
von menschlichen Brustkrebszellen, die von ihnen gebunden würden, sowie ihre
Verwendbarkeit zur Herstellung von wirksamen Immuntoxinen gegen menschlichen
Brustkrebs.
Angesichts des Streites der Parteien bedürfen vor allem das Merkmal 1 des
Patentanspruchs 1 sowie das Merkmal 2 des Patentanspruchs 3 näherer Erörterung.
Nach dem Gesamt-Offenbarungsgehalt der Klagepatentschrift versteht der vom
Klagepatent angesprochene Durchschnittsfachmann - nach den Ausführungen des
Bundespatentgerichts auf S. 13 seines Urteils vom 9. März 2004 ein promovierter
Wissenschaftler mit Erfahrung auf dem Gebiet der Immunologie und Biotechnologie - unter
einem "monoklonalen Maus-Antikörper" nur einen solchen, der ausschließlich Maus-
Sequenzen aufweist. Das ergibt sich aus folgenden Umständen:
Die Klagepatentschrift gibt nur einen einzigen Weg an, wie man die erfindungsgemäßen
Antikörper herstellen könne, nämlich das im Jahre 1975 von B. Kohler und C. Milstein
publizierte und im Jahre 1982 von D. W. Buck modifizierte Verfahren über die Herstellung
von Maus x Maus-Hybridomen, d.h. von Hybridomen, die durch die Fusion von Milzzellen
solcher Mäuse, die mit menschlichen Brust-krebszellen immunisiert worden waren, mit
Myelomzellen ebenfalls murinen (=Maus-)Ursprungs entstanden sind. Auf diese Weise
lassen sich nur Antikörper mit ausschließlich murinen Sequenzen herstellen.
Hinsichtlich der Verwendbarkeit der erfindungsgemäßen Antikörper erwähnt die
Klagepatentschrift, soweit es um Menschen geht, lediglich die in-vitro-Diagnose oder
Überwachung von menschlichem Brustkrebs sowie Verfahren zur in-vitro-Abtötung
menschlicher Brustkrebszellen, bei denen man die Zellen - und zwar außerhalb des
menschlichen Körpers, eben "in vitro" - mit einer zur Zellabtötung ausreichenden Menge
eines oder mehrerer der in der Klagepatentschrift beschriebenen Immuntoxine in Kontakt
bringt.
Der einzige in-vivo-Einsatz von patentgemäßen Immuntoxinen, den die Klagepatentschrift
erwähnt (vgl. S. 19 der deutschen Übersetzung der Klagepatentschrift, Anlage K 1 a),
betrifft die Anwendung an
Mäusen,
der die Antikörper stammten, bei denen also eine "HAMA-Antwort" (vgl. dazu die folgenden
Ausführungen) von vornherein ausgeschlossen ist.
Dem Durchschnittsfachmann am Prioritätstage der (neu gefassten) Ansprüche 1 und 3 des
Klagepatents - das ist, wie das Bundespatentgericht in seinem Urteil vom 9. März 2004
klargestellt hat, der zweite in der Klagepatentschrift genannte Prioritätszeitpunkt, nämlich
der 11. Januar 1985 - war bekannt, dass
Maus-
aus Maus-Sequenzen bestehen, zur (therapeutischen) Anwendung im menschlichen
Körper, also "in vivo", deshalb nicht geeignet sind, weil sie zum einen vom Immunsystem
des menschlichen Körpers als körperfremd erkannt werden, so dass er gegen sie gerichtete
Antikörper produziert (sogenannte "HAMA"-Antwort, wobei "HAMA" für "Human-Anti-
Mouse-Antibody" steht), die zu einer Neutralisierung und damit zur Unwirksamkeit der
Maus-Antikörper führen, und weil zum anderen die (Maus-spezifischen) konstanten
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Regionen der Maus-Antikörper nicht in der Lage sind, sogenannte Effektorfunktionen (d.h.
die Mobilisierung von Prozessen im Körper, die das Antigen zerstören, gegen welches sich
der Antikörper richtet) im menschlichen Organismus in einem therapeutisch relevanten
Umfang hervorzurufen.
Der Durchschnittsfachmann entnimmt daher nicht zuletzt den Hinweisen in der
Klagepatentschrift auf die Verwendbarkeit der erfindungsgemäßen Antikörper - die danach,
soweit es um Menschen geht, nur in vitro (vor allem zur Diagnose) angewendet und die zur
Abtötung von Brustkrebszellen (und zwar ebenfalls in vitro) nur als Immuntoxine, also mit
Hilfe von cytotoxischen Mitteln, die mit dem eigentlichen Antikörper verbunden worden
sind, eingesetzt werden sollen -, dass es sich bei den in Anspruch 1 genannten "Maus-
Antikörpern" auch wirklich nur um "
Maus
handelt.
Allein der Satz auf S. 1, Zeile 54 f. der Klagepatentschrift (Anlage K 1) = S. 3, vorletzter
Absatz der deutschen Übersetzung der Klagepatentschrift (Anlage K 1 a), eine
"Beschränkung des Antikörpers hinsichtlich seines Ursprungs oder seiner Herstellungsart"
sei "nicht beabsichtigt" - ohne dass sich in diesem Zusammenhang irgendwelche
konkreten Ausführungen fänden, die sich auf andere als "Maus-Antikörper" in dem oben
dargelegten Sinne bezögen -, kann angesichts des genannten übrigen Inhalts der
Klagepatentschrift nicht zur der Auslegung führen, das Klagepatent nenne "Maus-
Antikörper" nur beispielhaft und erfasse auch Antikörper, die nur zum Teil Maussequenzen,
im übrigen aber Sequenzen anderer Spezies als der Maus, insbesondere menschliche
Sequenzen, aufwiesen.
In seiner oben dargelegten Auslegung des Klagepatents sieht sich der Senat bestätigt
durch die der Sache nach gleichlautenden Ausführungen des mit sachkundigen Mitgliedern
besetzten Bundespatentgerichts in dessen Urteil vom 9. März 2004 (Anlage ROP 30).
Merkmal 2 des Patentanspruchs 3 spricht zwar - anders als Merkmal 1 desselben
Patentanspruchs, der ausdrücklich einen monoklonalen Antikörper "nach Anspruch 1",
nach dem Vorgesagten also einen "Maus-Antikörper", nennt - nur von einem monoklonalen
"Antikörper". Diesen Begriff versteht der Durchschnittsfachmann aber angesichts des
gesamten Offenbarungsgehalts der Klagepatentschrift ebenfalls nur im Sinne von "Maus-
Antikörper" in dem oben dargelegten Sinne. Das ergibt sich nicht nur aus den soeben
gemachten Ausführungen zu Merkmal 1 des Patentanspruchs 1, sondern darüber hinaus
auch daraus, dass alle in der Beschreibung der Klagepatentschrift als funktionell äquivalent
zu den "monoklonalen Antikörpern nach Anspruch 1" des Klagepatents genannten
Antikörper reine Maus-Antikörper sind (vgl. S. 21 der deutschen Übersetzung der
Klagepatentschrift, Anlage K 1 a).
Auch hinsichtlich des Merkmals 2 des Patentanspruchs 3 sieht sich der Senat bei seiner
Auslegung des Klagepatents durch die Ausführungen des Bundespatentgerichts in dessen
Urteil vom 9. März 2004 bestätigt.
2.
Von der soeben erläuterten Lehre des Klagepatents macht das angegriffene Medikament
"H." der Beklagten keinen Gebrauch.
Entgegen dem Wortsinn des Merkmals 1 von Anspruch 1 und des Merkmals 2 von
Anspruch 3 des Klagepatents handelt es sich bei dem in "H." enthaltenen Antikörper
"Trastuzumab" nicht um einen monoklonalen
Maus
größte Teil der dort vorhandenen Aminosäure-Sequenzen nicht murinen, sondern
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humanen Ursprungs ist.
Die genannten Merkmale sind also jedenfalls nicht wortsinngemäß verwirklicht.
Allerdings kann eine Patentverletzung auch dann vorliegen, wenn die zu beurteilende
Ausführungsform nicht von allen Merkmalen des jeweiligen Klagepatents wortsinngemäß
Gebrauch macht, weil der Schutzbereich eines Patents grundsätzlich auch sogenannte
Äquivalente einschließt.
Bei einer vom Sinngehalt der Ansprüche eines Patents abweichenden Ausführung kann
eine (äquivalente) Benutzung der patentgemäßen Lehre dann vorliegen, wenn der
Fachmann aufgrund von Überlegungen, die an den Sinngehalt der in den Ansprüchen des
Patents unter Schutz gestellten Erfindung anknüpfen, die bei der angegriffenen
Ausführungsform eingesetzten abgewandelten Mittel mit Hilfe seiner Fachkenntnisse als für
die Lösung des der patentgeschützten Erfindung zugrundeliegenden Problems
gleichwirkend auffinden konnte. Dabei erfordert es das gleichgewichtig neben dem
Gesichtspunkt eines angemessenen Schutzes der erfinderischen Leistung stehende Gebot
der Rechtssicherheit, dass der durch Auslegung zu ermitteltende Sinngehalt der
Patentansprüche nicht nur den Ausgangspunkt, sondern die maßgebliche Grundlage für
die Bestimmung des Schutzbereiches bildet, welche sich an den Patentansprüchen
auszurichten hat (ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, vgl. etwa GRUR
2002, 511, 512 - Kunststoffrohrteil; GRUR 2002, 515, 517 - Schneidmesser I; GRUR 2002,
519, 521 - Schneidmesser II; GRUR 2002, 523, 524 - Custodiol I; GRUR 2002, 527, 529 -
Custodiol II).
Demnach ist es, um eine Benutzung der Lehre eines Patents unter dem Gesichtspunkt der
Äquivalenz bejahen zu können, nicht nur erforderlich, dass die vom Wortsinn des
Patentanspruchs abweichende Ausführungsform das der Erfindung zugrundeliegende
Problem mit zwar abgewandelten, aber objektiv gleich
wirkenden
Durchschnittsfachmann mit den Fachkenntnissen des Prioritätstages des Patents ohne
erfinderische Bemühungen in der Lage war, die abgewandelten Mittel als gleichwirkend
aufzufinden, sondern darüber hinaus auch, dass die vom Fachmann dafür anzustellenden
Überlegungen derart am Sinngehalt der in den Patentansprüchen unter Schutz gestellten
technischen Lehre orientiert sind, dass der Fachmann die abweichende Ausführungsform
mit ihren abgewandelten Mitteln als der gegenständlichen gleich
wertige
Betracht zieht (vgl. BGH, a.a.O.).
Zwar mag es sein, dass die in dem angegriffenen Medikament vorhandenen Antikörper
"Trastuzumab", bei denen im wesentlichen nur die hypervariablen Regionen aus
Sequenzen bestehen, die aus von Mäusen hergestellten Antikörpern stammen, während
sie im übrigen menschliche Sequenzen aufweisen, den patentgemäß gelehrten Maus-
Antikörpern gleichwirkend sind und dass der Durchschnittsfachmann mit den Kenntnissen
des zweiten Prioritätstages des Klagepatents (11. Januar 1985) sie ohne erfinderische
Bemühungen aufgrund seiner allgemeinen Fachkenntnisse auffinden konnte.
Er hätte dazu aber jedenfalls Überlegungen anstellen müssen, die gerade
nicht
Sinngehalt der in den Ansprüchen des Klagepatents unter Schutz gestellten technischen
Lehre orientiert gewesen wären.
Diese Lehre geht dahin, gegen menschlichen Brustkrebs Antikörper einzusetzen, die von
Zellen nur
einer
Spezies Maus nennt. Bei einer Orientierung an dieser Lehre hätte der
Durchschnittsfachmann an dem genannten Prioritätstage des Klagepatents zwar
möglicherweise daran denken können, zur Herstellung von Antikörpern anstelle der im
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Klagepatent genannten Mäuse andere Tierarten einzusetzen, aber nicht, von Zellen
einer
Tierart stammende Antikörper mit Hilfe der Gentechnik so zu verändern, dass ein größerer
Teil der ursprünglichen - tierischen - Sequenzen durch menschliche Sequenzen ersetzt
würde. Denn damit hätte er den vom Klagepatent gewiesenen Weg, Antikörper zu
gewinnen, die solche
einer
Abweichen von dem durch das Klagepatent gewiesenen Weg hätte der
Durchschnittsfachmann an dem genannten Prioritätstage nicht zuletzt deshalb Vorbehalte
gehabt, weil es ihm nach dem damaligen Kenntnisstand zumindest ungewiss erschienen
wäre, ob nicht durch Veränderungen auch bei anderen als den hypervariablen Regionen
eines Antikörpers dessen Fähigkeit zur Bindung an das Ziel-Antigen beeinträchtigt werden
könnte.
Den Schutzbereich des Klagepatents, das ausschließlich Maus-Antikörper nennt - also
solche, die nur Sequenzen einer einzigen Spezies aufweisen -, auch auf rekombinant
hergestellte Antikörper auszudehnen, bei denen im wesentlichen nur noch die
hypervariablen Regionen von einer bestimmten Tier-Spezies stammen, während sie im
übrigen menschliche Sequenzen aufweisen, wäre auch mit dem - wie ausgeführt, bei
Äquivalenzüberlegungen ebenfalls zu beachtenden - Gebot der Rechtssicherheit nicht
vereinbar.
Die Klägerin macht selbst geltend, es sei dem Durchschnittsfachmann um die
Jahreswende 1984/85 nicht nur bekannt gewesen, dass und warum Antikörper, die
ausschließlich von einer einzigen Tier-Spezies stammen, zum in-vivo-Einsatz bei der
Therapie menschlicher Brustkrebserkrankungen nicht geeignet sind, sondern dieser habe
auch die seit dem Herbst 1984 erschienenen Veröffentlichungen über mit Hilfe der
Gentechnik zu gewinnende monoklonale Antikörper gekannt, bei denen die nicht für die
Bindung an das Ziel-Antigen notwendigen Regionen eines murinen Antikörpers durch
humane Sequenzen ersetzt würden, um die so veränderten Antikörper dann mit besseren
Erfolgsaussichten in vivo bei der Therapie menschlicher Brustkrebserkrankungen
einsetzen zu können.
Gerade dann aber hätte der genannte Durchschnittsfachmann erwartet, dass die
Klagepatentschrift, falls sich der mit ihr erstrebte Schutz auch auf derartige Antikörper hätte
beziehen sollen, dahingehende Hinweise enthalten hätte. Da solche jedoch fehlen, konnte
der Durchschnittsfachmann darauf vertrauen, der Schutzbereich des Klagepatents beziehe
sich allein auf monoklonale Antikörper, welche Sequenzen lediglich
einer
Spezies aufwiesen.
Sind damit bei dem angegriffenen Medikament das Merkmal 1 des Patentanspruchs 1 und
das Merkmal 2 des Patentanspruchs 3 - und zwar sowohl in der ursprünglichen Fassung
der genannten Ansprüche als auch in der, die sie durch das Urteil des
Bundespatentgerichts vom 9. März 2004 erhalten haben - weder wortsinngemäß noch
äquivalent verwirklicht, so war die Berufung zurückzuweisen, ohne dass es noch
irgendwelcher Erörterungen darüber bedurft hätte, ob es auch an der Verwirklichung
weiterer Merkmale der genannten Ansprüche fehle.
3.
Dem Hilfsantrag der Klägerin zu entsprechen und die Verhandlung des vorliegenden
Rechtsstreits bis zum rechtskräftigen Abschluss des gegen den deutschen Teil des
Klagepatents anhängigen Nichtigkeitsverfahrens auszusetzen, besteht kein Anlass. Wie
sich aus den obigen Ausführungen ergibt, kann nicht angenommen werden, nach der noch
ausstehenden Entscheidung des Bundesgerichtshofes über die Berufung gegen das Urteil
des Bundespatentgerichts vom 9. März 2004 - falls diese nicht zu einer vollständigen
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Nichtigerklärung des deutschen Teils des Klagepatents führt - müsse das Klagepatent
anders ausgelegt werden, als der Senat es in diesem Urteil getan hat, nämlich in einer
Weise, dass dann eine Verletzung des Klagepatents durch den Vertrieb des angegriffenen
Medikaments zu bejahen wäre.
4.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige
Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711, 108 ZPO.
Der Senat hat die Revision zugelassen, weil der Bundesgerichtshof, soweit ersichtlich,
bisher noch keine Gelegenheit hatte, sich mit der Auslegung von Patenten zu befassen, die
Erfindungen der hier gegebenen Art oder gentechnische Erfindungen zum Gegenstand
haben, so dass die vorliegende Sache von rechtsgrundsätzlicher Bedeutung ist (§ 543 Abs.
2 Nr. 1 ZPO).