Urteil des OLG Düsseldorf vom 30.12.2010

OLG Düsseldorf (zertifizierung, unternehmen, bieter, forderung, angebot, ausschreibung des auftrags, anlage, tarifvertrag, ausdrücklich, preis)

Oberlandesgericht Düsseldorf, VII-Verg 24/10
Datum:
30.12.2010
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
Vergabesenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
VII-Verg 24/10
Tenor:
Die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss
der 3. Vergabekammer des Bundes vom 27. April 2010 (VK 3-33/20)
wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der notwendigen
Auf-wendungen der Antragstellerin werden der Antragsgegnerin
auferlegt.
Streitwert für das Beschwerdeverfahren: bis zu 125.000 Euro
(Hier Freitext: Tatbestand, Gründe etc.)
1
I.
2
Die Antragsgegnerin führt eine beschränkte Ausschreibung des Auftrags "Bewachungs-
und Objektsschutzdienstleistung für die Liegenschaft … des Bundesministerium für
Arbeit und Soziales in Bonn" durch. Der abzuschließende Dienstleistungsauftrag soll
eine Laufzeit von max. fünf Jahren haben. Einziges Zuschlagskriterium soll der Preis
sein.
3
Die Antragsgegnerin forderte am 27. Oktober 2009 ausschließlich solche Anbieter zur
Angebotsabgabe auf, welche in diesem Zeitpunkt von der VdS Schadenverhütung
GmbH, einem Unternehmen des Gesamtverbandes der Deutschen
Versicherungswirtschaft e.V., nach DIN 77200, Leistungsstufe 3, zertifiziert waren.
4
Insgesamt schrieb sie 18 Unternehmen an, darunter die Antragstellerin.
5
In dem Anschreiben heißt es:
6
"Ihrem Angebot sollte möglichst das als Anlage 1 beigefügte Formblatt für
Angebote ausgefüllt und unterzeichnet vorangestellt werden. Dort sind alle dem
Angebot beigefügten Anlagen aufgeführt.
7
8
Die zur Prüfung der Geeignetheit der Bieter geforderten Angaben, Nachweise und
Unterlagen sind der Anlage 4 zu entnehmen."
9
Die allgemeine Leistungsbeschreibung (Anlage 3) enthält u.a. folgende Maßgaben:
10
"3. Anforderungen an das Unternehmen
11
Der Auftragnehmer muss folgende Anforderungen erfüllen:
12
Zertifizierung gemäß DIN 77200 in der Leistungsstufe 3 für Objektsicherung."
13
14
In der Anlage 4 (Geeignetheit) ist bestimmt:
15
"Der Bieter hat folgende Nachweise zu erbringen:
16
17
Zertifizierung durch die VdS Schadenverhütung GmbH Köln, zertifiziert nach
Leistungsstufe 3, die Zertifizierung muss mindestens bis zum 31.Dezember 2009
gültig sein. Im Falle einer kürzeren Gültigkeit muss nachgewiesen werden, dass
eine Rezertifizierung beantragt ist und im Falle einer Zuschlagserteilung vorliegt."
18
Mit der im Juni 2002 veröffentlichten DIN 77200 werden erstmals einheitliche
Mindeststandards für Sicherungs-Dienstleistungen (SDL) definiert. Die DIN 77200
formuliert grundlegende Anforderungen an die Organisation, Personalführung und
Arbeitsweisen von Sicherungs-Dienstleistern. Sie beinhaltet ein dreistufiges
Leistungskonzept, das dem Auftraggeber ermöglicht, das Preis- und Leistungsniveau
der benötigten Dienstleistung vorzugeben. Ausweislich der Anlage A zur DIN werden
Unternehmen mit der Leistungsstufe 3 zertifiziert, wenn die Qualität von höchster
Bedeutung ist und der Preis zweitrangig ist.
19
Unter "1. Anwendungsbereich" der DIN 77200 heißt es:
20
Sicherheitsdienstleistungen, bei denen die Vergabekriterien so ausgestaltet sind,
dass der Preis wichtiger ist als die Qualität bzw. der Preis von höchster Bedeutung
und die Qualität von zweitrangigem Belang ist, werden durch diese Norm nicht
erfasst.
21
Ferner ist unter 4.11.3 "Beschäftigungsbedingungen" bestimmt:
22
Der Arbeitnehmer muss bei Angebotsabgabe seinen Offenlegungspflichten
nachkommen und sicherstellen, dass die Beschäftigten mindestens gemäß den
jeweils für den Erfüllungsort anzuwendenden Mantel-, Lohn- und Gehalts-
23
Flächentarifverträgen zwischen Arbeitgeberverband und einer Gewerkschaft nach
dem Günstigkeitsprinzip eingesetzt werden.
Bis zum Ablauf der Angebotsfrist am 16. Dezember 2009 gingen drei Angebote bei der
Antragsgegnerin ein.
24
Das Angebot der Antragstellerin war das preisgünstigste; das entsprechend der
Aufforderung in Anlage 4 beigefügte VDS-Zertifikat nach DIN 77200 galt aber nur bis
zum 12. Dezember 2009. Zum Nachweis der beantragten Rezertifizierung hatte die
Antragstellerin zwei Auditpläne eingereicht, von denen der eine jedoch als
Zertifikationsgrundlage nicht die DIN 77200 und der andere als zertifizierendes
Unternehmen nicht die Antragstellerin, sondern die S… GmbH mit Niederlassung in
Berlin auswies.
25
Mit Schreiben vom 29. Januar 2010 wies die Antragsgegnerin die Antragsstellerin
darauf hin, dass sie dem Angebot kein aktuelles Zertifikat beigelegt habe. Die
Antragstellerin erwiderte mit Schreiben vom 2. Februar 2010, dass sie gegenwärtig von
der VdS rezertifiziert werde und das Zertifikat rückwirkend zum 13. Dezember 2009 in
Kraft treten könne, damit eine lückenlose Zertifizierung gewährleistet werde.
26
Mit Schreiben vom 24. Februar 2010 setzte die Antragsgegnerin der Antragstellerin eine
Frist bis zum 2. März 2010 zur Vorlage eines gültigen Zertifikats und wies darauf hin,
dass ihr Angebot anderenfalls nach § 25 Nr. 2 Abs. 1 VOL/A ausgeschlossen werde. Am
15. März 2010 übersandte die Antragstellerin schließlich ein Zertifikat, das eine
Gültigkeitsdauer vom 13.Dezember 2009 bis zum 12. Dezember 2012 aufwies.
27
Die Antragsgegnerin informierte die Antragstellerin am 16. März 2010, dass sie den
Zuschlag an die Beigeladene erteilen wolle. Das Angebot der Antragstellerin werde
wegen des nicht rechtzeitigen Nachweises einer gültigen Zertifizierung nach DIN 77200
gem. § 25 Nr. 2 Abs.1 VOL/A ausgeschlossen.
28
Nachdem sie die getroffene Vergabeentscheidung erfolglos gerügt hatte, leitete die
Antragstellerin ein Nachprüfungsverfahren ein. Sie hat geltend gemacht, den Nachweis
über die Zertifizierung durch Vorlage des Auditplans der VdS bereits zum Zeitpunkt der
Angebotsabgabe erbracht zu haben. Lediglich aufgrund eines Versehens auf Seiten der
VdS sei die Zertifizierung erst im März 2010 abgeschlossen worden.
29
Nach einem entsprechenden Hinweis der Vergabekammer hat sie ihren Vortrag
dahingehend ergänzt, dass die DIN 77200, der zufolge Mitarbeiter mindestens gemäß
den jeweils für den Erfüllungsort anzuwendenden Mantel-, Lohn- und
Gehaltsflächentarifverträgen zu entlohnen sind, gegen Vergaberecht verstoße.
Demnach hätte ihr Angebot nicht von der Wertung ausgeschlossen werden dürfen.
30
Die Antragsgegnerin ist dem Nachprüfungsantrag entgegen getreten. Sie hat sich darauf
berufen, dass der Ausschluss des Angebots der Antragstellerin rechtmäßig sei, da diese
die erforderlichen Eignungsnachweise im Zeitpunkt der Angebotsabgabe nicht habe
vorweisen können.
31
Mit dem Einwand, die DIN 77200 sei vergaberechtswidrig, sei die Antragstellerin
jedenfalls gem. § 107 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 GWB präkludiert, da der behauptete Verstoß
bereits aus den Vergabeunterlagen erkennbar gewesen sei. Desweiteren sei die
32
Vergabekammer nicht befugt gewesen, diese Frage zu klären, da das
Nachprüfungsverfahren nicht einer allgemeinen Rechtmäßigkeitskontrolle, sondern nur
dazu diene, den Schaden des Antragstellers zu beseitigen. Zudem sei die DIN 77200
mit Vergaberecht vereinbar. Die Anwendung der DIN 77200 sei nicht gleichzusetzen mit
der Vorgabe, einen nicht für allgemeinverbindlich erklärten Tariflohn zu zahlen.
Die angerufene Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag für zulässig und
begründet gehalten. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen darauf abgestellt: Die
Antragstellerin sei mit dem Einwand der Vergaberechtswidrigkeit der DIN 77200 nicht
gem. § 107 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 GWB präkludiert. Es sei für sie nicht erkennbar gewesen,
dass die Tariftreueforderungen der DIN 77200 nicht mit Vergaberecht vereinbar seien.
Bei der DIN 77200 handele es sich nicht um ein vergaberechtskonformes Regelwerk.
Die Bindung an nicht allgemeinverbindliche Tarifverträge stelle die Bieter aus dem
europäischen Ausland schlechter, da sie Gefahr laufen würden, mit günstigeren
Personalkosten einen wichtigen Wettbewerbsfaktor zu verlieren.
33
Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin. Unter
Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens macht sie weiterhin
geltend, die Antragstellerin sei mit ihrem Vorbringen, die Forderung nach einer
Zertifizierung gemäß der DIN 77200 sei vergaberechtswidrig, gemäß § 107 Abs. 3 S. 1
Nr. 3 GWB präkludiert. Da die Antragstellerin das Zertifizierungsverfahren nach DIN
77200 bereits mehrfach durchlaufen habe, sei sie mit dessen Umfang vertraut und ihr
sei bekannt, dass im Rahmen eines solchen Zertifizierungsverfahrens auch die Vorgabe
gemäß Ziffer 4.11.3 der DIN 77200 überprüft werde. Da anzunehmen sei, dass die
Antragstellerin die Diskussion um die Zulässigkeit von Tariftreueforderungen bei
öffentlichen Aufträgen kenne, habe sie die Vorgabe gem. Ziffer 4.11.3 der DIN 77200
auch rechtlich hinreichend einordnen können.
34
Zudem sei mit der Zertifizierungsanforderung in der Sache keine vergaberechtswidrige
Vorgabe zur Zahlung von nicht für allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträgen
verbunden. Die Zertifizierung nach DIN 77200 beziehe sich auf die Vorgabe, Lohn nach
allgemeinverbindlichen Tarifverträgen zu zahlen und sei daher vergaberechtlich
zulässig.
35
Unabhängig davon könne die Auswahl des Eignungskriteriums "Nachweis der
Zertifizierung nach DIN 77200" nicht beanstandet werden. Hinter der
Zertifizierungsanforderung stehe die Überlegung, dass ein für den konkreten Auftrag
geeignetes Unternehmen bestimmte Qualitätsstandards erfüllen müsse. Da die
Qualitätsstandards der DIN 77200 im Rahmen des DIN-Ausschusses einvernehmlich
unter Beteiligung des Branchenverbandes BDWS sowie unter Beteiligung des
Bundesministeriums des Innern geschaffen worden seien, von der Mehrzahl der
Unternehmen der Bewachungsbranche und auch der Antragstellerin mitgetragen
würden, überschreite es die Grenzen der ordnungsgemäßen Ermessensausübung nicht,
wenn die Antragsgegnerin nur solche Bieter als geeignet ansehe, die ihr Unternehmen
nach diesen hohen Qualitätsstandards organisierten. Dem stehe auch nicht entgegen,
dass zu den Qualitätsstandards u.a. auch die tarifvertragliche Bezahlung gehöre. Die
Bereitschaft, Tariflöhne zu zahlen, gebe nicht nur Aufschluss über die Zuverlässigkeit
eines Bieters, sondern betreffe auch seine Leistungsfähigkeit. Bei Unternehmen, die
ihre Wachleute unterhalb des üblichen Lohnniveaus bezahlten, sei zu besorgen dass
sie die notwendige Qualität der Bewachung nicht sicherstellen könnten.
36
Die Antragsstellerin beantragt,
37
den Beschluss der 3.Vergabekammer des Bundes vom
27.04.10, Az.: VK 3-33/10 aufzuheben und den
Nachprüfungsantrag zurückzuweisen.;
38
Die Antragstellerin beantragt,
39
den Antrag zurückzuweisen.
40
Sie tritt der Beschwerde unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen
Vorbringens entgegen.
41
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zu den Akten
gereichten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
42
II.
43
Die sofortige Beschwerde ist zulässig. Insbesondere wurde sie entgegen den
Ausführungen der Antragstellerin form- und fristgerecht unter Beachtung der
Anforderungen des § 117 Abs. 2 GWB eingelegt.
44
Sie hat aber in der Sache keinen Erfolg. Die Vergabekammer hat dem
Nachprüfungsantrag der Antragstellerin zu Recht stattgegeben. Die
Zertifizierungsanforderung in Ziff. III 1.2 der Anlage 4 der Verdingungsunterlagen ist
vergaberechtswidrig, so dass der von der Antragstellerin nicht erbrachte
Zertifizierungsnachweis nicht zum Ausschluss ihres Angebots führt.
45
1.
46
Der Nachprüfungsantrag ist zulässig. Insbesondere hat die Vergabekammer es im
Ergebnis zu Recht und mit zutreffender Begründung abgelehnt, den Einwand der
Antragstellerin, die Zertifizierungsanforderung sei vergaberechtswidrig, gemäß § 107
Abs.3 S. 1 GWB als präkludiert zurückzuweisen.
47
a. Es ist nicht feststellbar, dass die Antragstellerin vor dem entsprechenden rechtlichen
Hinweis durch die Vergabekammer wusste, dass die Vorgabe eines öffentlichen
Auftraggebers an die Bieter, auch dann Tariflöhne zu zahlen, wenn diese nicht auf
einem für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrag beruhen, nur unter den engen
Voraussetzungen des § 97 Abs. 4 S. 2 GWB, die hier nicht vorliegen, vergaberechtlich
zulässig ist. Eine entspreche positive Kenntnis der Antragstellerin um die
Vergaberechtswidrigkeit der mit der Zertifizierungsanforderung verbundenen Vorgabe
nach Zahlung der jeweils geltenden, nicht für allgemeinverbindlich erklärten Tariflöhne
ist ausweislich der Aussage des Zeugen M... auch im Rahmen des
Zertifizierungsverfahrens nicht zu Tage getreten.
48
Zwar war der Antragstellerin durchaus bewusst, eine Zertifizierung nach der DIN 77200
nur erreichen zu können, wenn sie den am jeweiligen Erfüllungsort geltenden Tariflohn
auch bei fehlender Allgemeinverbindlichkeitserklärung des zugrunde liegenden
Tarifvertrages zahlt. Eine entsprechende Kenntnis folgt bereits daraus, dass die
Antragstellerin das Zertifizierungsverfahren mehrfach durchlaufen hat. Auch ihren
49
Einlassungen in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat war mit hinreichender
Deutlichkeit zu entnehmen, dass der Antragstellerin bekannt war, dass die Zertifizierung
von der Zahlung der geltenden Tariflöhne abhängt, unabhängig davon, ob die zugrunde
liegenden Tarifverträge für allgemeinverbindlich erklärt worden sind oder nicht. Die
Antragstellerin hat in diesem Zusammenhang ausdrücklich betont, dass diese
Anforderung von ihr ohnehin erfüllt werde, da die Vorgabe, Tariflohn zu zahlen,
Unternehmen, die Lohndumping betrieben, von der Zertifizierung ausnehmen solle und
somit auch ihrem Interesse diene. Die tatsächliche Kenntnis vom Umfang und Inhalt der
Zertifizierungsanforderungen ist aber – worauf die Vergabekammer zu Recht abgestellt
hat – nicht gleichzusetzen mit der Kenntnis und inhaltlichen Durchdringung des damit
verbundenen rechtlichen Problems, so dass eine Präklusion nach § 107 Abs. 3 Nr. 1
GWB ausscheidet.
b. Mit ihrem Einwand, die Zertifizierungsanforderung sei vergaberechtswidrig, ist die
Antragstellerin auch nicht nach § 107 Abs. 3 Nr. 3 GWB präkludiert. Die Antragstellerin
konnte die Rechtswidrigkeit der Anforderung in rechtlicher Hinsicht nicht erkennen. Es
kann dahinstehen, ob insoweit ein objektiver, auf den durchschnittlichen, verständigen
Bieter abstellender (vgl. OLG Stuttgart, NZBau 2001, 462; BayObLG Beschluss vom
23.11.2000 - Verg 12/00) oder ein subjektiver, auf die individuellen Verhältnisse des
Antragstellers abstellender Maßstab (so OLG Düsseldorf, Beschluss vom 18.10.2006 -
VII-Verg 35/06) anzuwenden ist. Die Antragstellerin hatte zunächst keinerlei Anlass, die
Frage der Rechtmäßigkeit der Vorgabe, nach dem am Erfüllungsort geltenden
Tarifvertrag zu entlohnen, zu problematisieren. Da sie ohnehin - wie in den
Zertifizierungsbedingungen gefordert - Tariflöhne zahlt, brauchte sie sich über die
Rechtmäßigkeit einer entsprechenden Forderung keine Gedanken zu machen. Zudem
erschließt sich die Frage, ob und in welcher Form ein öffentlicher Auftraggeber die
Zahlung von bestimmten Lohnuntergrenzen oder Tariflöhnen vorgeben darf, nicht durch
einen Blick in eine Rechtsnorm, die jedenfalls den mit Vergaben befassten Kreisen
bekannt ist. Vielmehr ist die Rechtslage komplex und unübersichtlich. Sie wird
einerseits geprägt durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes sowie
des hiesigen Senats. Andererseits existieren mit der durch das
Vergaberechtsmodernisierungsgesetz von April 2009 neu gefassten Vorschrift des § 97
Abs. 4 GWB gesetzliche Vorgaben, die ihrerseits keine eindeutigen, aus sich heraus
verständlichen Vorgaben beinhalten, sondern für deren Interpretation und Verständnis
Kenntnisse der historischen Entwicklung der Gesetzgebung sowie der Rechtsprechung
zu den sog. Tariftreueforderungen unabdingbar sind. Die Erkennbarkeit der
Vergaberechtswidrigkeit der mit der Zertifizierungsanforderung verbundenen Forderung,
auch nicht für allgemeinverbindlich erklärte Tariflöhne zu zahlen, setzt demnach eine
Durchdringung dieser komplexen Rechtsproblematik voraus. Selbst unter
Berücksichtigung des Umstandes, dass die sog. Rüffert-Entscheidung des
Europäischen Gerichtshofs Anlass für eine lebhafte brancheninterne Diskussion der
damit verbundenen Auswirkungen war, kann weder bei Zugrundelegung eines objektiv-
abstrakten, noch eines subjektiven Maßstabs angenommen werden, dass ein Bieter
bzw. die Antragstellerin die Vergaberechtswidrigkeit der Zertifizierungsanforderung
hätte erkennen können. In diesem Zusammenhang sei zudem angemerkt, dass der
Bundesgerichtshof jüngst ausdrücklich vor überzogenen Anforderungen an die
Rechtskenntnisse eines Bieters (NZBau 2008, 592 Rdnr. 12) gewarnt hat.
50
c. Eine Rüge der Antragstellerin im Vergabenachprüfungsverfahren ist - anders als die
Antragsgegnerin meint - nicht notwendig. Vergaberechtsfehler können (unter der
Voraussetzung, dass sie den Bieter in seinen Rechten verletzen und nicht präkludiert
51
sind) auch von Amts wegen berücksichtigt werden. Im Übrigen sei bemerkt, dass die
von der Antragsgegnerin gezogenen Schlüsse aus einer Präklusion nicht zutreffen, die
zitierte Rechtsprechung des OLG Koblenz ist durch die Rechtsprechung des EuGH
überholt (vgl. zutreffende Anm. dazu von Goede in VergabeR 2008, 264, 268).
2.
52
Der Nachprüfungsantrag ist auch begründet.
53
Die Antragsgegnerin hat das Angebot der Antragstellerin zu Unrecht wegen des
fehlenden Nachweises einer Zertifizierung nach der DIN 77200 von der Wertung
ausgeschlossen.
54
Die Antragstellerin hat den in den Verdingungsunterlagen eindeutig geforderten
Nachweis einer bis Ende 2009 geltenden Zertifizierung bzw. einer beantragten
Nachzertifizierung nicht mit dem Angebot erbracht. Das dem Angebot beigefügte
Zertifikat genügte den Anforderungen nicht, weil es nicht bis Ende 2009 gültig war. Eine
Rezertifizierung hat die Antragstellerin erst im Februar 2010 beantragt. Soweit sie
geltend macht, ihrem Angebot Auditpläne vom 1. Oktober 2009 beigefügt zu haben,
entsprechen diese einem Antrag auf Rezertifizierung nach der DIN 77200 nicht, worauf
die Vergabekammer bereits in zutreffender Weise abgestellt hat.
55
Jedoch stellt sich die Forderung der Antragsgegnerin, eine Zertifizierung nach DIN
77200 nachzuweisen, als nicht vergaberechtskonform dar, so dass der fehlende
Nachweis den Ausschluss des Angebots nicht rechtfertigen kann.
56
a. Indem die Antragsgegnerin in Ziff. III.1.2 der Anlage 4 die Einreichung eines
Nachweises darüber verlangte, dass die Bieter durch die VdS Schadenverhütung
GmbH Köln nach Leistungsstufe 3 der DIN 77200 zertifiziert worden sind, hat sie zwar
nicht ausdrücklich die Forderung gestellt, dass die Bieter ihren Arbeitnehmern auch
dann Tariflöhne zahlen, wenn kein für allgemeinverbindlich erklärter Tarifvertrag
besteht.
57
Da eine Zertifizierung durch den VdS auf der nachzuweisenden Sicherheitsstufe 3 aber
die Prüfung einschließt, ob ein die Zertifizierung beantragendes Unternehmen im
Zeitpunkt der Antragstellung sowie bei auch bei zurückliegenden Aufträgen, die nach
der DIN vergeben worden waren, die am jeweiligen Erfüllungsort geltenden
Tarifverträge beachtet hat, unabhängig davon, ob sie für allgemeinverbindlich erklärt
worden sind, hat die Antragsgegnerin den Zuschlag in der Sache von der Erfüllung auch
nicht für allgemeinverbindlich erklärter Tarifverträge abhängig gemacht.
58
Diese Forderung ist in der im streitgegenständlichen Vergabeverfahren gewählten Form
eines Eignungsnachweises auch unter der Geltung des durch das Gesetz zur
Modernisierung des Vergaberechts neu gefassten § 97 Abs. 4 GWB nicht zulässig.
59
Der Einwand der Antragsgegnerin, eine derartige Forderung sei mit der
Zertifizierungsanforderung nicht verbunden, weil im Rahmen des
Zertifizierungsverfahrens ausschließlich die vergaberechtlich zulässige Vorgabe, dass
allgemeinverbindliche Tarifverträge von den Bietern zu erfüllen seien (s. sogleich unter
b), überprüft würden, ist unzutreffend.
60
Der Zeuge M..., der für die VdS die Zertifizierungsverfahren durchführt, hat bekundet,
dass stichprobenartig überprüft werde, ob das die Zertifizierung beantragende
Unternehmen seine Mitarbeiter nach den jeweils gültigen Tarifverträgen bezahlt habe.
Die Kontrolle beschränke sich nicht darauf, ob das Unternehmen sich an für
allgemeinverbindlich erklärte Tarifverträge halte und in der Vergangenheit gehalten
habe, sondern beziehe sämtliche Tarifverträge ein. Soweit der Zeuge ausgeführt hat, die
Zertifizierung eines Unternehmens, das sich nicht an Tarifverträge halte, würde
jedenfalls im Hinblick auf einen Auftrag, der nach den Bedingungen der DIN 77200
vergeben werde, verweigert, ergibt sich daraus nicht, dass die Zertifizierung eines
Unternehmens, das keine Tariflöhne zahlt, im Hinblick auf Aufträge, die – wie im
Streitfall – nicht nach den Bedingungen der DIN 77200 vergeben werden,
vorgenommen würde. Vielmehr ist davon auszugehen, dass Unternehmen, die keine
Tariflöhne zahlen – auch wenn dieser Fall, wie der Zeuge M... ausdrücklich betonte,
noch nicht vorgekommen ist - keine Zertifizierung durch die VdS erreichen können.
Dieses folgt bereits daraus, dass sowohl eine erstmalige als auch insbesondere eine
Re-Zertifizierung von den Unternehmen häufig unabhängig von einem konkreten
Vergabeverfahren oder Bewerbung um einen bestimmten Auftrag beantragt werden.
Somit kann die VdS die Zertifizierung jedenfalls in zahlreichen Fällen bereits rein
tatsächlich nicht davon abhängig machen, ob sie für eine Bewerbung um einen nach
den Bestimmungen der DIN vergebenen Auftrag erforderlich ist oder ohne derartigen
Anlass beantragt wird. Da aber zugleich anzunehmen ist, dass die VdS die
Zertifizierungsverfahren jeweils in gleicher Weise durchführt und auch im Hinblick auf
die in Ziff. 4.11.3 der DIN 77200 enthaltene Zertifizierungsbedingung keine
unterschiedlichen Maßstäbe anlegt, muss die Nichteinhaltung dieser Bedingung
zwangsläufig zu einer Versagung der Zertifizierung führen.
61
Der Umstand, dass im Streitfall gerade nicht nach den Bedingungen der DIN 77200
ausgeschrieben worden ist, weil abweichend davon der Preis das einzige
Zuschlagskriterium sein sollte, rechtfertigt demnach nicht den Schluss, dass ein
Unternehmen, das keine Tariflöhne zahlt, im Hinblick auf die in Rede stehende Vergabe
trotzdem zertifiziert worden und durch die Zertifizierungsanforderung nicht an einer
erfolgreichen Bewerbung gehindert worden wäre. Somit kann auch dahinstehen, ob
nicht in diesem Fall bereits wegen der mit der Zertifizierungsanforderung verbundenen
Abschreckungswirkung auf Unternehmen, die keine Tariflöhne zahlen, eine
Vergaberechtswidrigkeit zu bejahen wäre.
62
b. Die von der Antragsgegnerin durch das Verlangen nach einem
Zertifizierungsnachweis mittelbar erhobene Tariftreueforderung kann nicht auf § 97 Abs.
4 S. 1 GWB gestützt werden, wonach Aufträge an fachkundige, leistungsfähige und
gesetzestreue und zuverlässige Unternehmen vergeben werden. Für die Prüfung, ob ein
Bieter gesetzestreu und zuverlässig ist, ist zwar auch relevant, ob er die Vorgaben des
Tarifvertrages erfüllt. Die Forderung eines Auftraggebers, dass Bieter bestehende, für
allgemeinverbindlich erklärte Tarifverträge erfüllen und beachten müssen, ist somit
vergaberechtlich nicht zu beanstanden. Sie verlangt von dem Bieter lediglich ein
Verhalten, zu dem er ohnehin verpflichtet ist. Für allgemeinverbindlich erklärte
Tarifverträge sind Bestandteil der Arbeitsrechtsordnung und von den im sachlichen und
räumlichen Geltungsbereich des Tarifvertrages tätigen Unternehmen zu beachten. Eine
entsprechende Forderung des Auftraggebers stellt demnach lediglich eine
Konkretisierung der gesetzlichen Vorgabe dar, dass Aufträge – nur – an gesetzestreue
und zuverlässige Unternehmen zu vergeben sind (OLG Düsseldorf, Beschl. v.
9.12.2009, VII-Verg 38/09). Gegenwärtig gibt es für Sicherheitsleistungen keinen
63
bundesweiten, für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrag (vgl. www.bmas.de,
Verzeichnis allgemeinverbindlich erklärter Tarifverträge). Ob auch die Beachtung von
Tarifverträgen durch tarifgebundene Unternehmen im Sinne des § 3 Abs. 1 TVG unter
das Merkmal der Zuverlässigkeit zu subsumieren ist, kann dahinstehen. Ausweislich der
Aussage des Zeugen M... findet eine Überprüfung auf die Tariftreue auch unabhängig
von den Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 TVG statt; das steht mit dem Wortlaut der DIN
77200 in Einklang, der auf eine Tarifgebundenheit des Arbeitgebers nicht abstellt. Im
Übrigen besteht nach den insoweit unstreitigen Einlassungen der Antragstellerin in der
mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 24.11.2010 eine Tarifbindung nicht.
Die weitergehende Forderung eines öffentlichen Auftraggebers, auch nicht für
allgemeinverbindlich erklärte Tarifverträge zu beachten, kann dagegen nicht durch § 97
Abs. 4 S. 1 GWB, entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin auch nicht unter dem
Gesichtspunkt der Leistungsfähigkeit, gerechtfertigt werden. Die gesetzgeberischen
Motive zum Zusammenspiel der Regelungen in § 97 Abs. 4 S. 1 und S. 2 GWB lassen
mit hinreichender Deutlichkeit erkennen, dass über die Forderung nach der Beachtung
für allgemeinverbindlich erklärter Tarifverträge hinausgehende Vorgaben betreffend die
Zahlung von Tariflöhnen nur unter den Voraussetzungen des S. 2 zulässig sein sollen.
Der Gesetzgeber hat Vergabeverfahren durchaus für die Berücksichtigung sogenannter
soziale Aspekte und damit auch für die Zulassung weitergehender Anforderungen an
die Bezahlung von Arbeitnehmern öffnen wollen (vgl. BT-Drs. 16/10117 S. 16).
Derartige Vorgaben sollen aber nicht über das Eignungsmerkmal der Leistungsfähigkeit
in Vergabeverfahren implementiert werden können, sondern ausschließlich unter den in
S. 2 genannten Bedingungen möglich sein (vgl. dazu die Ausführungen unter c.).
64
c. Für ihre Forderung nach Beachtung auch nicht allgemeinverbindlich erklärter
Tarifverträge kann die Antragsgegnerin sich schließlich auch nicht auf § 97 Abs. 4 S. 2
GWB berufen.
65
aa. Die in dieser Vorschrift vorgesehene Möglichkeit, zusätzliche Anforderungen an
Auftragnehmer stellen zu können, stellt eine Umsetzung des Art. 26 der Richtlinie
2004/18/EG über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge,
Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge in deutsches Recht dar. Gemäß Art. 26
dieser Richtlinie können öffentliche Auftraggeber zusätzliche Bedingungen, die soziale
und umweltbezogene Aspekte betreffen, für die Ausführung des Auftrages vorgeben,
sofern diese mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sind und in der Bekanntmachung
oder den Verdingungsunterlagen angegeben werden. § 97 Abs. 4 S. 2 GWB ermöglicht
es dem Auftraggeber, für die Auftragsdurchführung zusätzliche Anforderungen sozialer,
umweltbezogener oder innovativer Natur an die Auftragnehmer zu stellen, wenn sie im
sachlichen Zusammenhang mit dem Auftragsgegenstand stehen und sich aus der
Leistungsbeschreibung ergeben. Durch die Neufassung der Vorschrift sollte den
Auftraggebern Rechtssicherheit in Bezug auf die Berücksichtigung weiterer, über die
Eignungsmerkmale der Fachkunde, Leistungsfähigkeit und Gesetzestreue
hinausgehender Anforderungen gegeben werden. Ausdrücklich wird in der
Gesetzesbegründung "eine angemessene Bezahlung zur Sicherstellung der
Qualifikation von Wach- oder Fahrdienstpersonal" beispielhaft genannt und die
Festlegung einer Lohnuntergrenze für zulässig gehalten. Die Vorschrift ergänze damit
das Merkmal der Zuverlässigkeit in den Fällen, in denen kein für allgemeinverbindlich
erklärter Tarifvertrag eingreife (BT-Drucksache 16/11428 v. 17.12.2008, S. 49).
66
Allerdings ist im Rahmen der Auslegung des § 97 Abs. 4 S. 2 GWB zu beachten, dass
67
die zusätzlichen Anforderungen mit Gemeinschaftsrecht vereinbar sein müssen (Art. 26
der Richtlinie 2004/18). Ob damit auch die sich aus der Entsenderichtlinie ergebenden
europarechtlichen Anforderungen zu berücksichtigen sind oder durch Art. 26 als neuere
und speziellere Bestimmung, die zusätzliche Anforderungen ausdrücklich zulässt, eine
Freistellung von den Vorgaben der Entsenderichtlinie erfolgt ist (zur Diskussion vgl.
Kirch/Leinemann, VergabeR 2009, 414 ff.), kann im Streitfall dahinstehen. Zum einen
findet Art. 26 der Richtlinie 2004/18 EG auf nichtprioritäre Dienstleistungen, zu denen
gemäß Art. 21 i.V.m. Anhang II Teil B Kategorie 23 auch Wachdienstleistungen zählen,
keine Anwendung. Zum anderen dienen die Grundfreiheiten des EG-Vertrages der
transnationalen Marktintegration und setzen ein grenzüberschreitendes Element voraus.
Das grenzüberschreitende Element muss eindeutig sein (EuGH, Urteil vom 23.12.2009
– C-376/08, Serrantoni Srl u.a. ./. Commune die Milnao, Rdnrn. 24 m.w.N.). Auf einen
rein innerstaatlichen Sachverhalt sind sie nicht anwendbar. Im Streitfall ist aber weder
ersichtlich noch von den Verfahrensbeteiligten vorgetragen, dass die Ausschreibung,
deren Teilnehmerkreis auf nationale Unternehmen beschränkt war, auch für andere als
Unternehmen mit Niederlassung in Deutschland von Interesse war. Der
ausgeschriebenen Wach- und Sicherheitsdienstleistung fehlt das Marktpotenzial für
grenzüberschreitende Aktivitäten.
bb. Auch bei einer rein auf das nationale Recht beschränkten Prüfung liegen die
tatbestandlichen Voraussetzungen des § 97 Abs. 4 S. 2 GWB nicht vor. Danach können
zusätzliche Anforderungen nur für die Auftragsdurchführung gestellt werden und
müssen in einem sachlichen Zusammenhang mit dem Auftragsgegenstand stehen.
Nach dem Willen des Gesetzgebers sollen nur solche Anforderungen
berücksichtigungsfähig sein, die sich auf die Ausführung des konkreten Auftrags und
nicht auf das allgemeine Geschäftsgebaren eines Bieters beziehen (BT-Drucksache
16/11428 v. 17.12.2008, S. 49). Die Vorgabe, das die sich um einen Auftrag
bewerbenden Bieter grundsätzlich und unabhängig von dem konkret in Aussicht
gestellten Vertragsschluss Tariflöhne zahlen, die nicht auf einem für
allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrag beruhen, wird nicht von § 97 Abs. 4 S.2 GWB
erfasst. Zulässig könnte danach ausschließlich die Forderung sein, dass der Bieter bei
der Durchführung des ausgeschriebenen Auftrags die zur Leistungserbringung
eingesetzten Mitarbeiter nach bestimmten Tarifen entlohnt (vgl. BT-Drs. 16/11428 S. 32;
Kirch/Leinemann, aaO; Gesterkamp/Laumann, VergabeR 2007, 477 ff.; Frenz, NZBau
2007, 17 ff.). Die sich im Streitfall durch die Forderung nach Vorlage des
Zertifizierungsnachweises ergebende Beschränkung des Wettbewerbs auf solche
Unternehmen, die losgelöst von dem konkret in Aussicht gestellten Vertragsschluss
Tariflöhne bezahlen, kann demnach nicht auf § 97 Abs. 4 S. 2 GBW gestützt werden.
68
cc. Vor diesem Hintergrund kann offen bleiben, ob eine Tariftreueforderung der
Auftraggeberin durch den bloßen Verweis auf die DIN 77200 sich hinreichend deutlich
im Sinne des § 97 Abs. 4 S. 2 GWB "aus der Leistungsbeschreibung er[gibt]".
69
d. Durch diese Vorgabe ist die Antragstellerin in ihrem Recht auf Durchführung eines
rechtmäßigen Vergabeverfahrens verletzt worden. Ihr droht durch den auf die
Nichterfüllung der Anforderung nach Vorlage eines Zertifizierungsnachweises
gestützten Ausschluss ihres Angebots auch ein Nachteil. Verbleibt ihr Angebot in der
Wertung, besteht eine Zuschlagschance, da die Antragstellerin das preisgünstigste
Angebot abgegeben hat.
70
Der Mangel des Vergabeverfahrens konnte auch ohne einen dahin gerichteten Angriff
71
der Antragstellerin in ihrem Nachprüfungsantrag berücksichtigt werden. An der
Berücksichtigung des Vergaberechtsverstoßes von Amts wegen ist der Senat nicht
dadurch gehindert, dass die Antragstellerin mit einer entsprechenden Rüge nach § 107
Abs. 3 GWB präkludiert wäre. Allerdings darf nach der Rechtsprechung des Senats
(Beschluss vom 15.06.2005 – VII-Verg 5/05) auch bei einer Berücksichtigung von
Vergaberechtsfehlern von Amts wegen die Vorschrift des § 107 Abs. 3 GWB nicht
unterlaufen werden. Wie sich aus den voranstehenden Ausführungen unter Ziff. 1 der
Gründe ergibt, ist der Verstoß nicht erkennbar gewesen und die Antragstellerin mit
diesem Einwand nicht präkludiert.
3.
72
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 78, 120 Abs. 2 GWB, die Streitwertfestsetzung
auf § 50 Abs. 2 GKG.
73
Schüttpelz Frister Offermanns
74