Urteil des OLG Düsseldorf vom 05.06.2003

OLG Düsseldorf: lege artis, operation, spondylodese, behandlungsfehler, orthopädie, erneuerung, aids, merkblatt, gelbsucht, fusion

Oberlandesgericht Düsseldorf, I-8 U 48/02
Datum:
05.06.2003
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
8. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
I-8 U 48/02
Tenor:
hat der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf aufgrund der
mündlichen Verhandlung vom 3. April 2003 durch den Vorsitzenden
Richter am Oberlandesge-richt B., den Richter am Oberlandesgericht S.
und den Richter am
Oberlandesgericht T.
für R e c h t erkannt:
Auf die Berufung des Beklagten wird das am 19. März 2002 verkün-dete
Grund- und Teilurteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Kleve
abgeändert:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen hat der Kläger zu
tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von
110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages ab-wenden,
sofern nicht der Beklagte vor der Vollstreckung in gleicher Höhe
Sicherheit leistet.
T a t b e s t a n d
1
Bei dem am 10. Juni 1959 geborenen Kläger kam es seit etwa 1991 zu
Rückenschmerzen mit einer Schmerzausstrahlung in das linke Bein. Röntgenologisch
wurde ein Wirbelgleiten L 5/S 1 im Sinne einer Spondylolyse mit Spondylolisthese Grad
I bis II nach Meyerding diagnostiziert. Wegen einer Verstärkung der
Beschwerdesymptomatik empfahl der Beklagte, der der leitende Arzt des Bereiches
Wirbelsäulenorthopädie/-chirurgie des St. W. S. E.-R. ist, eine operative Versteifung der
unteren Lendenwirbelsäule. Ausweislich des am 23. Juni 1994 von ihm unterzeichneten
Merkblattes zum Aufklärungsgespräch wurde der Kläger über die Operationstechnik und
mögliche mit dem Eingriff verbundene Risiken aufgeklärt. Unter IV. des Merkblattes wird
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zu der Frage der Gewinnung von bei der Operation benötigtem Knochenmaterial
folgendes ausgeführt:
"Das zur Versteifung erforderliche Knochenmaterial kann vom gleichen Schnitt
oder von einem gesonderten Schnitt aus am vorderen oder hinteren Beckenkamm
entnommen werden. Es ist auch möglich, dass Knochenmaterial ausschließlich
oder zusätzlich aus der "klinikeigenen Knochenbank" verwendet wird".
3
Handschriftlich findet sich hierzu folgender Zusatz:
4
"Evtl. Fremdknochengabe (Aids, Gelbsucht, Geschlechtskrankheiten aufgeklärt)".
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Der Beklagte führte die Operation am 24. Juni 1994 im Wege einer Spondylodese von
dorsal unter Verwendung von Spongiosamaterial aus der Knochenbank der Klinik
durch. Zur Sicherung der Spondylodese nahm er eine Instrumentation mittels vier
Pedikelschrauben und zwei Metallplatten vor. Nachdem am 30. Oktober 1994 ein Bruch
der beiden Fusionsschrauben festgestellt wurde, empfahl der Beklagte dem Kläger eine
Revisionsoperation, bei der außer der von dorsal vorzunehmenden Entfernung des
gebrochenen Instrumentariums ventral (durch die Bauchdecke) eine Versteifung der
betroffenen Wirbelsäulensegmente mittels Einbringung von Cages (Distanzhaltern)
erfolgen sollte. Zwischen den Parteien ist umstritten, ob auch eine Auswechselung der
gebrochenen Schrauben geplant war. In dem von dem Kläger am 22. November 1994
unterzeichneten Merkblatt zum Aufklärungsgespräch wird die vorgesehene Operation
wie folgt beschrieben:
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"Revision Segmente L 5/S 1, Materialentfernung, ventral-transabdominal
Interbodyfusion (Cage) evtl. Materialwechsel, Spondylodese L 5/S 1."
7
Die Revisionsoperation führte der Beklagte am 23. November 1994 durch. In
Rückenlage des Patienten wurde von ventral zunächst die Bandscheibe zwischen dem
5. Lendenwirbel und dem Kreuzbein entfernt und zur Stabilisierung ein mit
Fremdknochen gefüllter Carbon-Cage implantiert. Anschließend wurden von dorsal die
beiden Metallplatten nebst Schrauben entfernt. Hierbei ergaben sich Probleme, die in
dem Operationsbericht (GA 54, 55) wie folgt beschrieben werden:
8
"Entfernung der Platten und der beiden Schrauben bei L 5. Bei S 1 gelingt es
jeweils nur, etwa 1/3-el der beiden Schrauben - die dorsal placiert sind - zu
entfernen. 2/3-el stecken noch unterhalb des Pedikels im Wirbel S 1. Mittels
Spezialfräsen wird vorsichtig um die Schraube herum beidseits eine Fräsung
vorgenommen und mit erneuten Spezialinstrumenten kann die
Schraubenentfernung durchgeführt werden ...."
9
Eine erneute Stabilisierung mittels Schrauben und Plattenmaterial unterblieb.
10
Die postoperativen Verhältnisse gestalteten sich komplikationslos. Der Kläger konnte
am 3. Dezember 1994 aus der stationären Behandlung entlassen werden. In einem
Arztbrief des Beklagten vom 16. Dezember 1994 werden reizlose Wundverhältnisse
beschrieben und es wird empfohlen, ein angelegtes Korsett noch etwa drei Monate zu
tragen. Im weiteren Verlauf kam es zu einer Ventralverschiebung der stabilisierten
Wirbelkörper mit einer erneuten Schmerzsymptomatik bei dem Kläger.
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Der Kläger macht Ersatzansprüche geltend. Er wirft dem Beklagten Behandlungsfehler
und Aufklärungsversäumnisse vor: Unter Berufung auf die Stellungnahme der von ihm
eingeschalteten Gutachterkommission für ärztliche Behandlungsfehler hat er behauptet,
es sei fehlerhaft gewesen, dass der Beklagte die zur Stabilisierung der Wirbel
eingebrachten Schrauben und Platten bei der Revisionsoperation lediglich entfernt
habe. Richtig wäre es gewesen, eine erneute Verblockung durch Schraubenmaterial
vorzunehmen. Das Vorgehen des Beklagten widerspreche auch dem verabredeten
Operationsverlauf, bei dem ausdrücklich von einer Auswechselung des gebrochenen
Materials die Rede gewesen sei. Dem Beklagten sei ferner vorzuwerfen, dass er nicht
autologes (eigenes) Knochenmaterial verwendet habe. Über die Risiken der
Verwendung von allogenem (fremdem) Knochenmaterial sei er vor der zweiten
Operation nicht aufgeklärt worden. Der Kläger hat behauptet, dass es im Falle einer
weiteren dorsalen Verblockung durch Schraubenmaterial zu einer besseren Stabilität
der Wirbelsäule gekommen wäre. Die Verwendung von körpereigenem
Knochenmaterial hätte zu einer zügigeren Knochendurchbauung und damit zu einem
besseren postoperativen Ergebnis geführt. Der Kläger hat behauptet, er leide infolge der
dem Beklagten vorgeworfenen Operations- und Behandlungsfehler an erheblichen
Beeinträchtigungen. Aufgrund der eingetretenen Bewegungseinschränkungen könne er
weder Sport treiben noch selbst einfachere Arbeiten erledigen. Aus diesem Grunde sei
er auch nicht in der Lage, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Mit seiner Klage hat der
Kläger neben der Feststellung der Ersatzpflicht des Beklagten die Zahlung eines
angemessenen Schmerzensgeldes in Höhe von mindestens 100.000 DM, die Zahlung
eines Verdienstausfallschadens für die Zeit von Februar 1995 bis März 2000 in Höhe
von 53.700,62 DM sowie ab April 2000 die Zahlung einer monatlichen
Verdienstausfallrente von 1.142,47 DM verlangt.
12
Der Kläger hat beantragt,
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1. den Beklagten zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld für die
Zeitraum bis zur letzten mündlichen Verhandlung nebst 4 % Zinsen seit dem
20.6.2000 zu zahlen;
2. den Beklagten zu verurteilen, an ihn 53.700,62 DM nebst 4 % Zinsen daraus seit
dem 20.6.2000 zu zahlen;
3. den Beklagten zu verurteilen, an ihn von April 2000 bis einschließlich Juni 2024
monatlich, fällig zum erste Werktag eines jeden Monats, 1.142,47 DM zu zahlen;
4. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, ihm sämtliche materiellen und
immateriellen Schäden, letztere soweit sie nach der letzten mündlichen
Verhandlung entstehen, zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf
Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen.
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Der Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Der Beklagte hat Operations- und Aufklärungsfehler bestritten. Er hat geltend gemacht,
nach dem eingetretenen Bruch der implantierten Schrauben habe die Indikation zu einer
ventralen Interbodyfusion bestanden. Darüber sei der Kläger aufgeklärt worden. Er sei
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auch auf die eventuelle Möglichkeit eines Materialwechsels hingewiesen worden. Eine
Erneuerung der operativ entfernten Schrauben sei allerdings nicht möglich gewesen.
Intraoperativ habe sich gezeigt, dass die nach der Entfernung des Schraubenmaterials
in den Wirbelknochen verbliebenen Löcher in den Wirbelknochen so groß waren, dass
neue Schrauben nicht mehr eingebracht werden konnten. Die Entscheidung zu einem
Verzicht auf eine erneute dorsale Plattenanlage sei unter diesen Umständen
sachgerecht gewesen. Im übrigen hat der Beklagte geltend gemacht, der Kläger sei
ausreichend über die Verwendung von allogenem Knochenmaterial aufgeklärt worden.
Der bei ihm zwischenzeitlich eingetretene Zustand sei schicksalbedingt und nicht auf
die Operation zurückzuführen. Im übrigen hat er die von dem Kläger behaupteten
Beeinträchtigungen und die geltend gemachten Schäden bestritten.
Die 3. Zivilkammer des Landgerichts Kleve hat Beweis erhoben durch Einholung eines
fachorthopädischen und fachchirurgischen Gutachtens sowie eines
Ergänzungsgutachtens des leitenden Oberarztes der orthopädischen Universitätsklinik
Essen Prof. Dr. M.. Ferner hat das Landgericht den Zeugen Dr. J. zur Frage der
präoperativen Aufklärung des Klägers vernommen.
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Durch das am 19. März 2002 verkündete Grund- und Teilurteil (GA 177) hat das
Landgericht die Klageanträge zu 1. bis 3. dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt und
festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger die weiteren materiellen und
immateriellen Schäden - letztere soweit sie nach dem Schluss der letzten mündlichen
Verhandlung durch das Ereignis der Operation vom 23.11.1994 entstehen - zu ersetzen,
soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte
übergehen. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, dass der Beklagte für ein
Aufklärungsversäumnis haftungsrechtlich einzustehen hat, weil die - nach dem
Sachverständigen erforderliche - Aufklärung über Operationsalternativen vor
Durchführung der Revisionsoperation unterblieben sei.
19
Gegen die Entscheidung wendet sich der Beklagte mit der Berufung. Er behauptet, es
habe entgegen der Darstellung des Sachverständigen keine Alternative zu der von ihm
gewählten Operationstechnik gegeben. Eine erneute Einbringung von Schrauben nach
der Entfernung des gebrochenen Materials sei nicht möglich gewesen, weil die in den
Wirbelknochen entstandenen Löcher hierfür zu groß gewesen seien. Schraubenmaterial
in der danach erforderlichen Größe sei auf dem Markt nicht verfügbar. Darüber hinaus
hätte eine erneute Verschraubung die Gefahr einer Knochenfraktur und einer Verletzung
von Nerven mit sich gebracht. Im übrigen hat sich der Beklagte darauf berufen, dass von
vorneherein eine ventrale transabdominelle Spondylodese geplant gewesen sei; eine
Erneuerung der Schrauben sei hingegen nur für den Fall vorgesehen gewesen, dass
sich das gebrochene Material komplikationslos würde entfernen lassen, was letztlich
nicht der Fall gewesen sei.
20
Der Beklagte beantragt,
21
unter Abänderung der angefochtenen Entscheidung die Klage abzuweisen.
22
Der Kläger beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
24
Der Kläger verteidigt das Urteil des Landgerichts.
25
Der Senat hat ergänzend Beweis erhoben durch Anhörung des Sachverständigen Prof.
Dr. H. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den
Berichterstattervermerk vom 3. April 2003 (GA 290 ff.) verwiesen.
26
Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze
nebst Anlagen sowie auf die beigezogenen Behandlungsunterlagen Bezug genommen.
27
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
28
A.
29
Die zulässige Berufung ist begründet. Dem Kläger stehen gegen den Beklagten keine
Ansprüche auf Ersatz behandlungsbedingt entstandener materieller oder immaterieller
Schäden. Die vor dem Senat ergänzend durchgeführte Beweisaufnahme hat ergeben,
dass dem Beklagte Fehler im Zusammenhang mit der am 23. November 1994 erfolgten
Revisionsoperation nicht vorzuwerfen sind; der Kläger kann die geltend gemachten
Ansprüche auch nicht auf ein von dem Landgericht angenommenes
Aufklärungsversäumnis stützten.
30
I.
31
1. Dass die am 24. Juni 1994 zur operativen Versteifung der unteren Wirbelsäule
erfolgte Spondylodese indiziert war und lege artis ausgeführt worden ist, hat die
erstinstanzliche Beweiserhebung bestätigt und wird von dem Kläger auch nicht in Frage
gestellt. Dieser Eingriff war im Ergebnis auch erfolgreich; denn es war danach -
zunächst - zu einer kompletten Reposition der Wirbel gekommen.
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2. Auch die wegen des schicksalhaft postoperativ eingetretenen Schraubenbruches
notwendig gewordene Revisionsoperation hat der Beklagte durch die Entfernung der
Instrumentierung sowie durch eine ventral vorgenommene zusätzliche Stabilisierung in
jeder Hinsicht einwandfrei durchgeführt. Dies hat die Erörterung des medizinischen
Sachverhaltes mit dem Sachverständigen Prof. Dr. H., der als ehemaliger Direktor einer
Universitätsklinik für Orthopädie über umfassende wissenschaftliche und praktische
Erfahrung zur Klärung der streitgegenständlichen medizinischen Fragen verfügt und
dessen herausragende Kenntnisse auf dem Gebiet der Orthopädie dem Senat aus
mehreren Begutachtungen bekannt sind, ergeben.
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a)
34
Prof. Dr. H. hat - insoweit in Übereinstimmung mit dem erstinstanzlich beauftragten
Sachverständigen Prof. Dr. M. - zunächst deutlich gemacht, dass die Revisionsoperation
aufgrund des eingetretenen Schraubenbruches indiziert war, weil die aufgrund des
Defektes eingetretene, mit einem leichten Rezidiv der Wirbelverschiebung verbundene
Instabilität behoben werden musste. Hierzu bedurfte es einer Entfernung des
Schraubenmaterials und - soweit möglich - einer erneuten Stabilisierung der Wirbel.
35
b)
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Prof. Dr. H. hat - auch insoweit in Übereinstimmung mit Prof. Dr. M. sowie mit der
Gutachterkommission für ärztliche Behandlungsfehler - darauf hingewiesen, dass neben
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der von dem Beklagten vorgenommenen ventralen Stabilisierung durch Implantierung
eines mit Knochenspan gefüllten sog. Cages (Platzhalters) eine dorsale Fixierung durch
eine erneute Verschraubung grundsätzlich wünschenswert war, weil hierdurch eine
größere Stabilität der Wirbelsäule hätte erreicht werden können. Im Falle des Klägers
ließ der aufgrund der Entfernung der implantierten Schrauben eingetretene
Knochensubstanzverlust allerdings eine erneute Verschraubung nicht zu. Dem
Beklagten kann daher entgegen der Beurteilung der Gutachterkommission nicht als
Fehler vorgeworfen werden, eine erneute Verschraubung unterlassen und lediglich das
gebrochene Material entfernt zu haben. Nachvollziehbar und überzeugend hat Prof. Dr.
H. im Rahmen einer Gegenüberstellung der vor und nach der Revisionsoperation
gefertigten Röntgenaufnahmen von der Wirbelsäule des Klägers erläutert, dass eine
erneute Verschraubung der Wirbel aufgrund der sich nach der komplizierten Entfernung
der bisherigen Schrauben ergebenden knöchernen Verhältnisse entsprechend der
Darstellung des Beklagten tatsächlich nicht mehr durchführbar war: Aufgrund der im
Operationsbericht vom 23. November 1994 (GA 54)dargestellten, zur Entfernung der
Schrauben erforderlichen Umfräsung war es zu einem - nach Darstellung des
Sachverständigen nicht vermeidbaren - röntgenologisch erkennbaren
Knochensubstanzverlust gekommen, der eine erneute Verschraubung nicht zuließ, weil
die verbliebenen Bohrlöcher wegen ihrer Vergrößerung nicht mehr in der Lage waren,
einer weiteren Verschraubung den erforderlichen Halt zu geben. Überzeugend ist Prof.
Dr. H. der Auffassung des in erster Instanz tätigen Sachverständigen Prof. Dr. M.
entgegengetreten, wonach die Möglichkeit bestanden habe, eine neue Instrumentierung
mit Schrauben vorzunehmen, die als Sonderanfertigung mit einem größeren
Durchmesser hätten hergestellt werden müssen. Ungeachtet der Frage, ob solche
Schrauben - gegebenenfalls auf gesonderte Bestellung hin - tatsächlich verfügbar
waren - Prof. Dr. H. hat darauf hingewiesen, dass zertifizierte Implantate dieser Größe
seines Wissens nicht erhältlich sind - wäre ihre Verwendung aus medizinischer Sicht
nicht in Betracht gekommen: Prof. Dr. H. hat anhand der seinerzeit gefertigten
Röntgenbilder erläutert, dass die zu verschraubenden Wirbelkörper nicht groß genug
waren, um durch die Versenkung eines größeren Implantats eine stabile Fusion zu
erreichen. Unter diesen Umständen bestehen keine Zweifel daran, dass die
Entscheidung des Beklagten zur Vornahme einer bloß ventralen Fusion nachvollziehbar
und sinnvoll war.
c)
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Der anderslautende Beurteilung der Gutachterkommission in ihren Bescheiden vom 16.
März und 6. Dezember 1999 sowie des erstinstanzlich beauftragten Sachverständigen
Prof. Dr. M. kann insoweit nicht gefolgt werden:
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Soweit die Gutachterkommission darauf hinweist, die nach der Entfernung des
Schraubenmaterials verbliebenen Schraubenkanäle hätten mit Schrauben gleicher
Dicke und Länge besetzt werden können, berücksichtigt sie nicht den von Prof. Dr. H.
beschriebenen und aufgrund der Röntgenaufnahmen nachvollziehbar belegten
Knochensubstanzverlust, der zu einer Erweiterung der Schraubenkanäle mit der Folge
führte, dass Schrauben der ursprünglichen Größe von 7 mm eben keinen Halt mehr
gefunden hätten.
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Auch die Auffassung von Prof. Dr. M., der zufolge trotz vergrößerter Schraubenkanäle
eine Neuinstrumentierung mit im Durchmesser größeren Schrauben hätte erfolgen
können, überzeugt nicht. Er hat in seine Überlegungen ersichtlich nicht die nur
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beschränkte Größe der Wirbelkörper einbezogen, die - wie Prof. Dr. H. anhand der
Röntgenbilder plausibel erläutert hat - keine stabile Verankerung gestattete und daher
die Verwendung derartig großer Schrauben verbot.
Im übrigen hat Prof. Dr. H. deutlich gemacht, dass auch eine Fixierung durch Schrauben
in einem anderen als dem bisherigen Wirbelbereich wegen der Verschlankung des
entsprechenden Knochenmaterials nicht in Betracht kam.
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II.
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Eine Haftung des Beklagten ergibt sich entgegen der Ansicht des Landgerichts auch
nicht aus dem Gesichtspunkt eines Aufklärungsversäumnisses.
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1. Dabei geht das Landgericht im rechtlichen Ansatz zutreffend davon aus, dass bei
Durchführung einer bestimmten ärztlichen Behandlung eine Aufklärung des Patienten
über Behandlungs- bzw. Operationsalternativen im Einzelfall dann erforderlich werden
kann, wenn diese zu jeweils unterschiedlichen Belastungen des Patienten führen oder
wesentliche unterschiedliche Risiken bieten (Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 4. Aufl.,
C. II., Rdnr. 23). Nicht gefolgt werden kann dem Landgericht allerdings in seiner auf den
Ausführungen von Prof. Dr. M. beruhenden Auffassung, im Falle des Klägers hätten
durch Vornahme oder Weglassen einer dorsalen Neuinstrumentierung in diesem Sinne
verschiedene Operationsmethoden zur Verfügung gestanden. Prof. Dr. H. hat - wie
bereits dargestellt - in nachvollziehbarer Weise deutlich gemacht, dass angesichts des
durch die Schraubenentfernung entstandenen Knochensubstanzverlustes eine
Neuinstrumentierung aus medizinischer Sicht nicht mehr vertretbar war, so dass die von
dem Kläger gewählte bloße ventrale Stabilisierung verbunden mit einer der
Knochenanlagerung dienenden Auffrischung der Wirbelkörper im Bereich des
entnommenen Schraubenmaterials die einzig indizierte Operationsmethode darstellte.
Eine Aufklärung über mögliche Vorzüge einer hier tatsächlich nicht durchführbaren
erneuten Verschraubung bedurfte es - ungeachtet der Frage, ob der Beklagte sie
zunächst in Erwägung gezogen hatte - daher nicht.
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Daher kommt es für die Entscheidung auch nicht darauf an, ob der Beklagte den
Klägern vor der Revisionsoperation auf die Möglichkeit hingewiesen hatte, dass eine
Neuinstrumentierung unter Umständen nicht in Betracht kam. Denn es gab zu der
Vorgehensweise des Beklagten keine Alternative: Die gebrochenen Schrauben
mussten entfernt und es konnte kein neues Schraubenmaterial implantiert werden. Unter
diesen Umständen war die alleinige ventrale Stabilisierung, die nach der Beschreibung
von Prof. Dr. H. ein anerkanntes Verfahren darstellt, eine sinnvolle Maßnahme zur
Erreichung der gewünschten Stabilität.
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2. Der Kläger kann seine Ansprüche auch nicht auf eine vor der Revisionsoperation
unterbliebene Aufklärung über die Verwendung von körperfremdem Knochenmaterial
und die damit verbundenen Risiken stützen. Unstreitig war er vor der Erstoperation am
23. Juni 1994 entsprechend aufgeklärt worden, was auch aus dem von ihm
unterzeichneten "Merkblatt zum Aufklärungsgespräch mit dem Arzt über
Versteifungsoperationen an der Lendenwirbelsäule bei Instabilität, Gleitvorgängen und
engem Spinalkanal" hervorgeht. Dort sind als Risiken einer eventuellen
Fremdknochengabe ausdrücklich Aids, Gelbsucht und Geschlechtskrankheiten
genannt. Da die Zweitoperation nur rund 5 Monate später erfolgte, ist davon
auszugehen, dass dem Kläger die ihm genannten Risiken durchaus noch bewusst
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waren, so dass es insoweit einer erneuten Aufklärung nicht bedurfte. Ungeachtet
dessen kommt eine Haftung des Beklagten aus dem Gesichtspunkt des
Aufklärungsversäumnisses insoweit bereits deshalb nicht in Betracht, weil sich die
erfolgte Fremdknochengabe nicht nachteilig ausgewirkt hat. Prof. Dr. M. hat in seinem
erstinstanzlichen erstellten Gutachten darauf hingewiesen, dass es keinerlei Hinweise
darauf gibt, dass sich die damit verbundenen Risiken einer viralen oder bakteriellen
Transmission oder das Risiko einer ausbleibenden knöchernden Überbauung
verwirklicht hätten.
B.
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Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91, 708 Nr. 10, 711 Satz 1 ZPO.
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Die Beschwer des Klägers liegt über 20.000 EUR.
50
Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
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a.
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