Urteil des OLG Düsseldorf vom 03.04.2008

OLG Düsseldorf: transportkosten, altpapier, bekanntmachung, rüge, juristische person, verwertung, kaufpreis, vergabeverfahren, unternehmen, verfügung

Oberlandesgericht Düsseldorf, VII-Verg 54/07
Datum:
03.04.2008
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
Vergabesenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
VII-Verg 54/07
Tenor:
Auf die Beschwerden der Antragsgegnerin und der Beigeladenen wird
der Beschluss der Vergabekammer bei der Bezirksregierung Münster
vom 21. November 2007 (VK 24/07) aufgehoben.
Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens (Gebühren und Auslagen) vor der Vergabe-
kammer hat die Antragstellerin zu tragen. Die zur zweckentsprechen-den
Rechtsverfolgung erforderlichen Aufwendungen der Antragsgegne-rin
und der Beigeladenen werden der Antragstellerin auferlegt.
Die Hinzuziehung jeweils eines Verfahrensbevollmächtigten durch die
Antragsgegnerin und die Beigeladene war im Verfahren vor der Verga-
bekammer notwendig.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Antragstellerin zu tra-
gen.
(Hier Freitext: Tatbestand, Gründe etc.)
1
I.
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Die Antragsgegnerin schrieb mit Bekanntmachung vom 15. Juni 2007 die Übernahme,
den Umschlag und die Verwertung von Altpapier aus Haushalten des Kreises C...
europaweit im offenen Verfahren aus. Die Laufzeit des Vertrages sollte zwei Jahre
betragen.
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In der Vergabebekanntmachung waren als Zuschlagskriterien vorgesehen:
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Wirtschaftlich günstigstes Angebot in Bezug auf die nachstehenden Kriterien:
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1. Angebotspreise. Gewichtung: 1
2. Transportkosten bei den Städten und Gemeinden. Gewichtung: 1.
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In der Aufforderung zur Angebotsabgabe im Abschnitt 4.3 war ausgeführt:
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Zuschlagskriterien unabhängig von der Reihenfolge ihrer Nennung
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Das wirtschaftlich günstigste Angebot bezüglich:
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Preis
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Transportkosten bei den Städten und Gemeinden gem. 1.3 der
Leistungsbeschreibung
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Die Ziffer 1.3 der Leistungsbeschreibung lautet wie folgt:
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Das für die Gesamtsituation gesehen wirtschaftlichste Angebot soll den Zuschlag
erhalten. Zur Ermittlung werden der Angebotspreis und Transportkosten jeweils in
vollem Umfang herangezogen; das heißt, dass von der Angebotssumme (Erlöse)
die sich bei den Städten und Gemeinden ergebenden Transportkosten aufgrund
der Entfernung zur jeweiligen Umladeanlage abgezogen werden.
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Die Besonderen Vertragsbedingungen sahen unter § 2 vor, dass der Auftragnehmer den
Städten und Gemeinden eine Umladeanlage zur Verfügung stellt. Unter Ziffer 1.1.3. der
Leistungsbeschreibung war vorgesehen, dass als Übernahmeort grundsätzlich die
Aufbereitungsanlage vorgesehen werden sollte. Andere Übernahmeorte (z.B.
Umschlaganlagen) seien jedoch möglich. In der Leistungsbeschreibung unter Ziffer
1.2.1 hieß es wie folgt:
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Der Auftragnehmer hat das gesamte erfasste Altpapier zunächst wie gesammelt an
seiner genehmigten Aufbereitungs- bzw. Verwertungsanlage oder an
einem/mehreren vom Auftragnehmer vorgehaltenen Umschlagplatz/-plätzen über
eine geeichte Waage mit Erfassung aller abrechnungsrelevanten Angaben zu
verwiegen. Dabei darf die jeweilige Übernahmestelle nicht weiter als 20 km
(Luftlinie) außerhalb des Kreises C... liegen.
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Sofern die Übernahme an einem Umschlagsplatz erfolgt, muss das Grundstück
ebenfalls über eine entsprechende Genehmigung verfügen.
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Alternativ stellt der Auftraggeber eine entsprechend genehmigte Fläche auf dem
Gelände der ehemaligen Hausmülldeponie C... inklusive Fahrzeugwaage und
Sanitäranlagen zur Verfügung. ….. Für die Nutzung der Fläche, Sanitäranlagen
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und Waage würde im Rahmen eines gesonderten Pachtvertrages ein pauschales
Entgelt in Höhe von 2.000 € pro Jahr erhoben.
In der Leistungsbeschreibung unter Ziffern 1.3.2. finden sich zu den Transportkosten
und ihrer Gewichtung, zur Berechnung der Transportkilometer sowie zur Höhe der
anzusetzenden Transportkosten in Anlage 1 der Leistungsbeschreibung detaillierte
Ausführungen.
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Nach § 5 (Vergütung) des "Entsorgungsvertrags über die Verwertung von Altpapier"
sollte der Bieter einen Festpreis je Gewichtstonne zuzüglich der gesetzlichen
Mehrwertsteuer für das von den Städten und Gemeinden des Kreises C... gesammelte
Altpapier an die Antragsgegnerin zahlen. In § 3 "Entsorgungspflichten" Absatz 2 des
Vertragsentwurfs verpflichtete sich der Bieter zur Verwertung und gegebenenfalls zur
umweltgerechten Entsorgung des von den Städten und Gemeinden übergebenen
Altpapiers. Die Sammlung und der Transport des anfallenden Altpapiers zur
Behandlungs- und Umladeanlage oblagen nach § 3 Abs. 1 den jeweiligen
kreisangehörigen Gemeinden und Städten. Der Antragsgegnerin und dem Bieter sollten
hierdurch keine zusätzlichen Kosten entstehen.
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Insgesamt fünf Bieter gaben ein Angebot ab. Nach Berechnung der anfallenden
Transportkosten für die Gemeinden und Städte des Kreises C... lag das Angebot der
Antragstellerin auf dem zweiten Platz, die Beigeladene auf dem ersten Platz der
Bieterrangliste. Die Beigeladene bot sowohl den höchsten Angebotspreis für das
Altpapier als auch die niedrigsten Transportkosten, mithin das wirtschaftlich günstig-ste
Angebot an.
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Mit Schreiben vom 13. September 2007 teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin
mit, der Zuschlag solle dem Angebot der Beigeladenen erteilt werden, weil es das
wirtschaftlichste sei.
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Dies rügte die Antragstellerin mit Schreiben vom 19. September 2007 als
vergaberechtsfehlerhaft. Sie hat geltend gemacht, das Angebot der Beigeladenen sei
von der Wertung auszuschließen. Die Übernahmeplätze der Beigeladenen entsprächen
nicht den Anforderungen der Ausschreibung. Es liege ein nicht auskömmliches Angebot
der Beigeladenen vor und es fehle der Wirtschaftlichkeitsentscheidung an Transparenz.
Dem ist die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 24. September 2007 entgegengetreten.
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Daraufhin hat Antragstellerin die Vergabekammer angerufen und ihre Rügen
aufrechterhalten. Die Vergabekammer hat mit Beschluss vom 21. November 2007 der
Antragsgegnerin aufgegeben, das Vergabeverfahren entweder ab Veröffentlichung der
Bekanntmachung oder ab Versendung der Aufforderung zur Angebotsabgabe zu
wiederholen. Sie vertrat die Auffassung, der Nachprüfungsantrag sei begründet. Die
Antragsgegnerin habe gegen § 25 a Nr. 1 Abs. 1 VOL/A verstoßen. Eine
nachvollziehbare Gewichtung der beiden Zuschlagskriterien ergebe sich weder aus der
Bekanntmachung noch aus den Verdingungsunterlagen. Auch wenn es sich bei dem
Preis und den Folgekosten um zwei monetäre Zuschlagskriterien handele, müssten
diese gewichtet und den Bietern die Gewichtung mitgeteilt werden. Nach dem Wortlaut
der Bekanntmachung sollten beide Zuschlagskriterien möglicherweise mit dem Faktor
eins gewichtet werden.
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Weder aus der Bekanntmachung noch aus dem Angebotsaufforderungsschreiben
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ergebe sich, dass die Transportkosten als Berechnungsparameter bei der Ermittlung der
Wirtschaftlichkeit dienen sollten. Dies ergebe sich erst aus der Leistungsbeschreibung.
Die Antragsgegnerin habe die Transportkosten – im Widerspruch zum eindeutigen
Wortlaut der Bekanntmachung - nicht als ein selbständiges Zuschlagskriterium
behandelt, sondern nur als einen Berechnungsposten im Rahmen der
Wirtschaftlichkeitsprüfung. Während die Vergabebekanntmachung und die Aufforderung
zur Angebotsabgabe eindeutig gewesen seien, widerspreche die Ziffer 1.3 der
Leistungsbeschreibung dieser Zielsetzung. Möglicherweise könne der Bieter aus der
Bekanntmachung noch schließen, dass die zusätzlichen Transportkosten lediglich bei
der Wirtschaftlichkeitsberechnung einbezogen werden sollten. Dies widerspreche aber
dem Wortlaut der Bekanntmachung, nach dem beide Kriterien als Zuschlagskriterien
benannt wurden und beide die Gewichtung 1 erhielten. Von den verbindlich bekannt
gemachten Zuschlagskriterien sei die Antragsgegnerin im Nachhinein abgewichen.
Hiergegen richten sich die Beschwerden der Antragsgegnerin und der Beigeladenen,
die einen Verstoß der Antragsgegnerin gegen das Transparenzgebot in Abrede stellen.
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Die Beigeladene macht geltend: Die Vergabekammer erblicke einen Verstoß allein
darin, dass eine Gewichtung der beiden Kriterien "Angebotskosten" und
"Transportkosten" in der Bekanntmachung nicht mit einer in Prozentsätzen
ausgedrückten Gewichtung erfolgt sei. Tatsächlich habe die Antragsgegnerin jedoch nur
e i n Kriterium einstellen wollen, nämlich den niedrigsten Preis, ermittelt anhand des
Angebotspreises und den Transportkosten der Städte und Gemeinden. Eine
prozentuale Gewichtung sei deshalb nicht erforderlich gewesen, da eine solche nur bei
Berücksichtigung mehrerer Zuschlagskriterien notwendig sei.
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Selbst wenn man aber annehme, dass die von der Antragsgegnerin vorgegebenen
Kriterien "Angebotspreis" und "Transportkosten" mehrere Zuschlagskriterien darstellen
würden, läge ein Verstoß nicht vor, denn die Gewichtung sei in der Bekanntmachung mit
eins angegeben worden. Damit sei klargestellt, dass beide Kriterien jeweils voll (also zu
100% und nicht nur anteilig) in die Wertung einfließen sollten. Eine Gewichtung im
Sinne des Art. 53 Abs. 2 der Richtlinie 2004/18/EG verlange nicht zwingend die Angabe
einer prozentualen Größe, sondern nur die Angabe, in welchem Umfang (hier in vollem
Umfang) die einzelnen Kriterien in die Gewichtung einflössen. Dies könne auch über die
Angabe eines Berechnungsweges geschehen. Die Gewichtung habe nicht in der
Bekanntmachung mitgeteilt werden müssen, sondern so rechtzeitig, dass sie bei der
Erstellung der Angebote noch berücksichtigt werden könne.
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Die Antragsgegnerin macht geltend: Der Nachprüfungsantrag sei unzulässig, jedenfalls
aber unbegründet. Sie habe beabsichtigt, den Zuschlag auf das wirtschaftlich günstigste
Angebot zu erteilen, nämlich auf das höchste für das Altpapier angebotene Entgelt. Von
diesem seien die Transportkosten in Abzug zu bringen.
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Die Festlegung eines 20-km-Radius habe dazu gedient, die Transportkosten, die von
den Kommunen zu zahlen seien, nicht über Gebühr hoch ausfallen zu lassen. Die
Grenzwertentfernung von 20 km liege durchaus im Bereich des Üblichen. In anderen
Gemeinden/Kreisen sei sogar die Forderung nach einer Übergabestelle innerhalb des
Kreis- oder Gemeindegebiets üblich. Durch die Festlegung des Radius von 20 km solle
es Bietern mit Übergabestellen außerhalb des Kreisgebietes ermöglicht werden, sich an
dem Vergabeverfahren zu beteiligen. Alternativ habe sie ihre ehemalige
Hausmülldeponie, über eine andere geeignete Fläche verfüge sie nicht, den Bietern zur
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Verfügung gestellt. Die Beigeladene selbst schlage das Altpapier als
Altauftragnehmerin auf einem nur 100 Meter entfernten Gelände um. Dies spreche dafür,
dass dieser Ort nicht "strategisch ungünstig" gelegen sei. Ein Indiz für die Richtigkeit
dieser Annahme bilde die Tatsache, dass die weiteren Bieter ebenfalls diesen
Umschlagsplatz in ihren Angeboten benannt haben.
Die Beigeladene und die Antragsgegnerin beantragen,
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den Beschluss der Vergabekammer aufzuheben und den Nachprüfungsantrag
(als unzulässig, hilfsweise als unbegründet, so die Antragsgegnerin)
zurückzuweisen.
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Die Antragstellerin beantragt,
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die Beschwerden der Antragsgegnerin und Beigeladenen zurückzuweisen.
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Die Antragstellerin trägt vor: Das Wertungskriterium "Transportkosten" sei faktisch auf
die Beigeladene zugeschnitten gewesen. Die Angabe der Umladestelle in C..., die
strategisch sehr ungünstig gelegen sei, belege dies. Es liege auf der Hand, dass
mittelständisch organisierte Unternehmen, die Umschlagstellen im relevanten Gebiet
unterhielten, für überregional tätige Entsorger eine sehr wichtige Position einnähmen.
Es bestehe die Gefahr wettbewerbswidriger Absprachen zwischen den regional
ansässigen kleinen und mittelständischen Entsorgern und den regional ansässigen
großen Entsorgern. Die kleineren Entsorger trauten es sich nicht zu, anderen
überregional tätigen Entsorgern Angebote für Umschlagstellen zu unterbreiten. Der
Antragstellerin sei es nicht möglich gewesen, mit einer Vielzahl von ortsansässigen
regionalen Anbietern von Umschlagstellen Kooperationen einzugehen.
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Die bekannt gegebenen Zuschlagskriterien habe die Antragsgegnerin im weiteren
Verfahren nicht eingehalten. Sie habe den Zuschlag nicht auf das wirtschaftlichste,
sondern auf das preisgünstigste Angebot (hier das höchste Entgelt) erteilt.
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Die Vorgabe der Transportentfernung verstoße gegen das Gebot der
Ausschreibungsneutralität (§ 8 Nr. 3 Abs. 3 VOL/A). Die Konzeption hinsichtlich der
Umladestellen und der in diesem Zusammenhang vorgegebenen Transportkilometer sei
nicht nachvollziehbar. Üblicherweise werde von den Auftraggebern im Rahmen von
Altpapierentsorgungen für alle Bieter e i n definierter Übergabeort festgelegt. Die Gefahr
wettbewerbswidriger Absprachen, insbesondere auf der Ebene der Umladestellen,
bestehe bei Vorgabe nur eines Übergabeortes nicht. Durch die konkrete maximale
Transportentfernung werde die Beigeladene bevorzugt, die im relevanten Gebiet über
attraktive Umladestellen verfüge. Die Festsetzung der maximalen Transportentfernung
schränke den relevanten Markt in ganz erheblichem Umfang ein. Die maximale
Transportentfernung sei bewusst so gewählt worden, dass allein die Beigeladene mit
ihren Umladestellen in der Lage gewesen sei, ein wirtschaftliches Angebot vorzulegen.
Außerdem sei die maximale Transportentfernung von 20 km von der Antragsgegnerin
willkürlich festgelegt worden.
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Die diesbezügliche Rüge der Antragstellerin sei – entgegen der Auffassung der
Vergabekammer - nicht gemäß § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB präkludiert. Die Willkürlichkeit
der Festsetzung der maximalen Transportentfernung habe sich der Antragstellerin erst
durch die Akteneinsicht und die Einlassung der Antragsgegnerin und der Beigeladenen
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in der mündlichen Verhandlung erschlossen.
Unzulässigerweise habe ein Wettbewerber als Projektant bei der Vorbereitung der
Ausschreibung mitgewirkt. Das gesamte Vergabeverfahren sei zudem unzureichend
dokumentiert worden. Insbesondere sei eine Dokumentation der Gründe erforderlich, die
eine Umladestelle in C... und gleichzeitig die Bestimmung der konkreten maximalen
Transportentfernung festschreiben.
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Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zu den Akten
gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
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II. Die sofortigen Beschwerden der Beigeladenen und der Antragsgegnerin haben
Erfolg.
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Der Nachprüfungsantrag ist zulässig, aber unbegründet.
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1. Der Nachprüfungsantrag ist statthaft und zulässig.
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a. Der Rechtsweg zu den Vergabenachprüfungsinstanzen ist eröffnet. Die
Antragsgegnerin ist als juristische Person des privaten Rechts öffentliche
Auftraggeberin im Sinne des § 98 Nr. 2 GWB. Der Vertragsentwurf stellt einen
Dienstleistungsauftrag im Sinne des § 99 Abs. 1 GWB dar. Er hat Dienstleistungen
im Sinne des § 99 Abs. 4 GWB zum Gegenstand. Nach der Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs (vgl. BGH, Beschl. v. 1.2.2005, X ZB 27/04, NZBau 2005, 290
= VergabeR 2005, 328) unterliegt ein Vertrag, der (auch) den Verkauf von
Altpapier zum Gegenstand hat, dem Vierten Teil des Gesetzes gegen
Wettbewerbsschränkungen, wenn der Vertrag dazu dient, die Beschaffung von
Dienstleistungen durch öffentliche Auftraggeber zu erfassen. Um das Altpapier zu
entsorgen, bedarf es zuvor weiterer Behandlung, sei es in Form von Handlungen,
die bestimmt und geeignet sind, das Altpapier einer stofflichen Verwertung
zuzuführen, sei es in Form von Handlungen, die der Beseitigung des Altpapiers
dienen. Dies erfordert Dienstleistungen im Sinne von § 97 Abs. 4 GWB. Die von
den Gemeinden und Städten des Kreises C... (oder durch einen Dritten) auf einem
oder mehreren Umschlagsplätzen angelieferten Mengen müssen sortiert und vom
Umschlagsplatz entfernt zu einer Aufbereitungsanlage gebracht werden. Ist, wie
nach Ziffer 1.1.3. der Leistungsbeschreibung vorgesehen, Übernahmeort
grundsätzlich die Aufbereitungsanlage, entfällt zwar ein Abtransport zu einer
Aufbereitungsanlage. Da aber auch andere Übernahmeorte vom Bieter
vorgesehen werden konnten, insbesondere der Standort C..., kam der Transport zu
einer Aufbereitungs- und Verwertungsanlage als eine mögliche Dienstleistung
jedenfalls in Betracht. Der Vertragsentwurf verpflichtete zudem in § 3 Abs. 2 zu
einer Aufbereitung des Altpapiers in verwertbare Fraktionen, die geeigneten
Verwertungsanlagen zuzuführen sind, und in nicht verwertbare Fraktionen, die
umweltgerecht zu beseitigen sind, und damit zur Erbringung von Dienstleistungen.
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Der Dienstleistungsauftrag ist auch entgeltlich im Sinne des § 99 Abs. 1 GWB, weil die
Antragsgegnerin sich zur Überlassung des von den Städten und Gemeinden des
Kreises C... gesammelten Altpapiers gegenüber dem Bieter verpflichtet hat und sie
daher ihrerseits eine Verpflichtung zur Erbringung einer geldwerten Leistung
(Übereignung) eingegangen ist (vgl. BGH, aaO, Umdruck S. 18, 19). Dem steht nicht
entgegen, dass bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise die Zahlung des Kaufpreises für
das Altpapier durch den Bieter im Vordergrund steht. Die Leistungen, die der Bieter
nach dem Vertrag zu erbringen hat, lassen sich nämlich nicht von den kaufvertraglichen
Komponenten trennen, welche die Antragsgegnerin und der Bieter hinsichtlich des
Altpapiers vereinbart haben. Der Kaufvertragsentwurf ist mithin das wesentliche Mittel
(das rechtliche Gewand), dessen sich die Antragsgegnerin bedient, um die
gewünschten Dienstleistungen zu erhalten.
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Eine Dienstleistungskonzession ist nach der Rechtsprechung des EuGH (vgl. zuletzt
Urt. v.18.7.2007, Rs. C –382/05, Tz. 34 – Kommission vs. Italienische Republik) nicht
anzunehmen, da eine solche nur dann vorliegt, wenn die vereinbarte Vergütung im
Recht des Dienstleistungserbringers zur Verwertung seiner eigenen Leistung besteht
und impliziert, dass er das mit den Dienstleistungen verbundene Betriebsrisiko
übernimmt. Die Dienstleitung als solche (hier Sortierung des Altpapiers in verwertbare
und nicht verwertbare Fraktionen sowie Transport zur Aufbereitungs- und
Verwertungsanlage) steht nicht im Vordergrund, denn im Vordergrund steht die
Verwertung des Altpapiers.
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b. Die Antragstellerin ist antragsbefugt im Sinne des § 107 Abs. 2 GWB. Sie hat ihr
Interesse am Erhalt des Auftrags dadurch bekundet, dass sie ein Angebot
abgegeben hat. Ihr Angebot hat auch Aussichten auf Erhalt des Zuschlags. Sie
bietet den zweithöchsten Angebotspreis an. Es ist nicht auszuschließen, dass ihr
durch die Erteilung des Zuschlags auf das Angebot der Beigeladenen ein
Schaden entstehen könnte, der in dem entgangenen Gewinn aus der
Weiterverwertung des Altspapiers zu sehen sein könnte.
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c. Die Rüge von Vergaberechtsverstößen (z.B. Standorte der Übernahmestellen der
Beigeladenen lägen nicht im 20-km–Radius gerechnet von der
Gemarkungsgrenze, Unauskömmlichkeit des Angebots der Beigeladenen,
fehlende Transparenz und Rüge der Unzulänglichkeit des
Bieterinformationsschreiben nach § 13 VgV) ist nicht nach § 107 Abs. 3 Satz 1
GWB verspätet erfolgt. Zwischen der Rüge am Mittwoch, dem 19. September 2007
und der Absendung der Mitteilung am Donnerstag, den 13. September 2007 nach
§ 13 VgV liegen zwar sechs Tage. Unter der Annahme, dass das
Bieterinformationsschreiben am dritten Tage der Antragstellerin als zugegangen
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gilt (vgl. § 4 Abs. 2 VwZG), ist der Antragstellerin, die bei Abfassung des
Rügeschreibens anwaltlich nicht vertreten war, eine Prüfungs- und
Überlegungsfrist von zwei Werktagen bis zur Erhebung der Rüge am dritten Tag
zuzugestehen. Dies hat insbesondere deshalb zu gelten, weil das
Bieterinformationsschreiben nur die Aussage enthielt, das Angebot der
Antragstellerin sei nicht das wirtschaftlichste Angebot gewesen und die
Beigeladene habe das wirtschaftlichste Angebot abgegeben. Dem konnte die
Antragstellerin nur entnehmen, dass ihr Angebot in der letzten Wertungsstufe
gescheitert war. Sie musste anhand der Verdingungsunterlagen und ihres eigenen
Angebots prüfen, welche Gründe dafür ausschlaggebend sein gewesen konnten.
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d. Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin vom 25. September 2007 entspricht
den Formerfordernissen des § 108 Abs. 2 GWB. Nach dieser Vorschrift muss die
Begründung eines Nachprüfungsantrags die Bezeichnung des Antragsgegners,
eine Beschreibung der behaupteten Rechtverletzung mit Sachverhaltsdarstellung
und die Bezeichnung der verfügbaren Beweismittel enthalten sowie darlegen,
dass eine Rüge gegenüber dem Auftraggeber erfolgt ist. Sinn und Zweck der
Formvorschrift ist es das Verfahren zu beschleunigen. Mit den geforderten
Angaben soll eine möglichst zügige Herbeiführung der Entscheidungsreife erzielt
werden. Die Anforderungen an die Bieter dürfen nicht überspannt werden. Es ist
ein großzügiger Maßstab anzulegen. Allerdings ist ebenso wie bei den
Anforderungen an die Rüge ein Mindestmaß an Substantiierung einzuhalten; reine
Vermutungen zu eventuellen Vergabeverstößen reichen nicht aus. Der
Antragsteller hat zumindest Indizien oder tatsächliche Anhaltspunkte aufzuzeigen,
die ihn zu dem Schluss bewogen haben, die Vergabestelle habe sich rechtswidrig
verhalten (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 23.1.2008, VII-Verg 36/07, Umdruck S.
9). Die Anforderungen richten sich im Wesentlichen danach, welche Kenntnisse
der Bieter bezüglich der gerügten Vergabeverstöße haben kann (vgl. OLG
München, Beschl. v. 7.8.2007, Verg 8/07, VergabeR 2007, 802, 803).
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Zu Recht hat die Vergabekammer die Voraussetzungen an die Begründung des
Nachprüfungsantrags bzw. an die Substantiiertheit der Rügen als erfüllt angesehen. Mit
ihrem Nachprüfungsantrag hat die Antragstellerin unter anderem eine zulässige
Positionierung der Übernahmestellen der Beigeladenen in Frage gestellt (also die
richtige Berechnung der Entfernungskilometer zu den Standorten der Beigeladenen)
und Wertungsfehler bei der Berechnung des wirtschaftlich günstigsten Angebots geltend
gemacht. Diese Begründungen sind weder unsubstantiiert noch ins Blaue hinein erfolgt.
In der Tat schien es möglich zu sein, dass die entfernungsabhängigen Transportkosten
– entgegen der anders lautenden Leistungsbeschreibung (Ziffer 1.3) – von der
Antragsgegnerin nicht erlösmindernd berücksichtigt wurden. Im Schreiben der
Antragsgegnerin vom 24. September 2007 wurde lediglich pauschal zum Ausdruck
gebracht, dass die Beigeladene sowohl im Hinblick auf den Preis als auch im Hinblick
auf die Transportkosten das günstigste Angebot abgegeben hatte. Da die Antragstellerin
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die Wertung und den Vergabevermerk nicht kannte, musste sie in Anbetracht der
Erkenntnisse aus dem Schreiben der Antragsgegnerin vom 24. September 2007 auch
zu einem möglichen Wertungsfehler nicht mehr vortragen. Gleiches gilt für die Rüge der
unzulässigen Positionierung der Übergabestellen der Beigeladenen. Auch insoweit
kannte die Antragstellerin weder die Standorte noch die Berechnungen der
Antragsgegnerin. Mit Schreiben vom 24. September 2007 teilte die Antragsgegnerin
lediglich mit, die drei angebotenen Übergabestellen lägen sämtlich im geforderten 20-
km-Radius um den Kreis C....
2. Der Nachprüfungsantrag ist unbegründet.
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a) Die Antragsgegnerin hat weder gemäß § 25 a Nr. 1 Abs. 1 Satz 2 VOL/A gegen das
Gebot verstoßen, die Zuschlagskriterien zu gewichten, noch ist sie in der Wertung
nachträglich von den bekannt gegebenen Zuschlagskriterien abgewichen. § 25 a Nr. 1
Abs. 1 Satz 1 VOL/A besagt, dass der Auftraggeber bei der Entscheidung über den
Zuschlag verschiedene durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigte Kriterien,
beispielsweise Qualität, Preis, technischer Wert, Ästhetik, Zweckmäßigkeit,
Umwelteigenschaften, Betriebskosten, Rentabilität, Kundendienst und technische Hilfe,
Lieferzeitpunkt, und Lieferungs- und Ausführungsfrist berücksichtigten darf, um das
wirtschaftlichste Angebot zu ermitteln. Die Aufzählung ist nicht abschließend. Auch
Folgekosten wie die Transportkosten dürfen, da sie mit dem Auftraggegenstand
unmittelbar zusammenhängen, zu Zuschlagskriterien bestimmt werden. Dem
Auftraggeber steht bei der Auswahl der Zuschlagskriterien, die der Ermittlung des
wirtschaftlichsten Angebots zu dienen bestimmt sind, ein Ermessen zu. Im Ansatz
zutreffend geht die Vergabekammer davon aus, dass die Antragsgegnerin zwei
Zuschlagskriterien festgelegt hat, den Angebotspreis (Kaufpreis pro Tonne Altpapier)
und die Transportkosten (Folgekosten). Aus Sicht eines verständigen Bieters konnte die
Angabe des Angebotspreises (Kaufpreis pro Tonne Altpapier) als Zuschlagskriterium in
der Bekanntmachung nur bedeuten, dass das für den Auftraggeber günstigste Angebot
(das höchste Angebot) den Zuschlag erhalten sollte. Jedem mit der Altpapierentsorgung
vertrauten und verständigen Bieter ist bekannt, dass Altpapier ein Wirtschaftsgut ist, dem
ein bestimmter Wert zukommt, also der Bieter einen Kaufpreis pro Tonne Altpapier an
den öffentlichen Auftraggeber zu entrichten haben wird. Die Angabe der
Transportkosten als zweites Zuschlagskriterium in der Bekanntmachung bedeutet aus
der Sicht des verständigen Bieters ferner, dass die den Gemeinden bis zum
Übergabeplatz/Entsorgungsanlage entstehenden Transportkosten (vom zu
entrichtenden Kaufpreis) bei der Zuschlagsentscheidung berücksichtigt werden sollten,
da dieser Transport von den einzelnen Gemeinden selbst oder von ihnen beauftragten
Dritten erbracht werden sollte.
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Entgegen der Auffassung der Vergabekammer bedurfte es aber der Angabe einer
prozentualen Gewichtung der beiden Zuschlagskriterien in der Bekanntmachung oder
spätestens in den Verdingungsunterlagen nicht. Das in § 25 a Nr. 1 Abs. 1 Satz 2 VOL/A
an den Auftraggeber gerichtete Gebot, die Zuschlagskriterien zu gewichten, gilt nicht
einschränkungslos. Das Gebot zur Gewichtung besteht nach § 25 a Nr. 1 Satz 3 VOL/A
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nämlich dann nicht, wenn der Auftraggeber die Gewichtung aus nachvollziehbaren
Gründen in der Bekanntmachung oder den Verdingungsunterlagen nicht angeben kann
(vgl. Art. 53 Abs. 2 Unterabsatz 3 der Richtlinie 2004/18/EG und Erwägungsgrund 46
und dazu Senat, Beschl. v. 23.1.2008, Verg 31/07, Umdruck S. 14).
Eine sachgerechte Auslegung des Tatbestandsmerkmals "Angabe einer Gewichtung in
der Bekanntmachung" führt dazu, dass im vorliegenden Sachverhalt die Angabe der
Zuschlagskriterien ausreicht. In der Regel gibt der Auftraggeber zwar in Prozentzahlen
an, wie hoch er das jeweilige Wertungskriterium gewichten will. Im Streitfall bedurfte es
weder einer prozentualen Gewichtung noch einer Festlegung der Kriterien in der
absteigenden Reihenfolge ihrer Bedeutung, da sowohl der Kaufpreis als auch die
Transportkosten in Euro (monetäre Zuschlagskriterien) berechnet werden und vom
Bieter in einheitlicher Währung anzugeben waren, um festzustellen, welches Angebot
das wirtschaftlich günstigste (das höchste) für den öffentlichen Auftraggeber war. Eine
prozentuale Gewichtung oder auch nur ein "ins Verhältnis Setzen (1:2; 1:3, etc.) waren
damit aufgrund der einheitlichen Berechnungsgröße, in der beide Zuschlagskriterien
üblicherweise ausgedrückt werden, entbehrlich. Der Umstand, dass zum Zwecke der
Feststellung des wirtschaftlichsten Angebots die Transportkosten vom Angebotspreis
subtrahiert wurden, ändert nichts daran, dass zwei Zuschlagskriterien angewandt
wurden. Dieser weitere Rechenschritt (die Saldierung) diente nur dazu, zur Feststellung
des wirtschaftlichsten (=höchsten) Angebots e i n e n (Angebots-)Preis zu errechnen und
damit in jeder Hinsicht miteinander vergleichbare Angebote zu erhalten. Eine
nachträgliche Abstandnahme von einem bekannt gemachten Zuschlagskriterium und
seiner Gewichtung liegt darin nicht.
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Aus Sicht eines verständigen Bieters liegt eine (Einzel-)Gewichtung der beiden
Zuschlagskriterien darin, dass ausweislich des Wortlauts der Vergabebekanntmachung
die ermittelten Transportkosten und der Kaufpreis jeweils mit dem Faktor "eins"
multipliziert werden sollten ("Gewichtung: 1"). Daraus ergab sich, dass die Kosten
jeweils in voller Höhe angesetzt werden sollten. Die Antragsgegnerin hat die beiden
Zuschlagskriterien auch ermessensfehlerfrei ausgewählt. Da die Sortierung von
Altpapier kaum messbare Qualitätsunterschiede aufweisen dürfte, die zudem noch
durch Zu- oder Abschläge auf den Angebotspreis bepreist werden könnten (vgl. BGH,
Urt.v.1.8.2006, X ZR 115/04, Umdruck S. 13), war die Entscheidung der
Antragsgegnerin, nur zwei Zuschlagskriterien zur Ermittlung des wirtschaftlich
günstigsten Angebots vorzusehen, vertretbar. Ermessenfehler bei der Auswahl der
Zuschlagskriterien hat die Antragstellerin auch nicht aufgezeigt.
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b) Die Antragsgegnerin hat auch nicht gegen § 8 Nr. 3 Abs. 3 VOL/A verstoßen, indem
sie eine maximale Entfernung der Übergabeplätze festgelegt hat. Mit der Rüge eines
Verstoßes gegen § 8 Nr. 3 Abs. 3 VOL/A ist die Antragstellerin im Beschwerdeverfahren
allerdings nicht nach § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB präkludiert. Die Antragsgegnerin, die
insoweit darlegungspflichtig ist, hat nicht eingewandt, dass die Antragstellerin über die
erforderlichen Rechtskenntnisse verfügt und sie einen Vergaberechtsverstoß zu einem
früheren Zeitpunkt als dem Zeitpunkt des Zugangs der Bieterinformation positiv erkannt
hat. In der Sache liegt jedoch ein Vergabefehler nicht vor. Die Entscheidung, welcher
Gegenstand mit welcher Beschaffenheit und mit welchen Eigenschaften oder welche
Dienstleistung an welchem Ort im Vergabeweg beschafft werden soll, obliegt dem
(öffentlichen) Auftraggeber. Die an einer Auftragsvergabe interessierten Unternehmen
sind im Rahmen eines Vergabenachprüfungsverfahrens nicht dazu berufen, dem
Auftraggeber eine von seinen Vorstellungen abweichende Beschaffung von Waren oder
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Leistungen, d.h. von solchen mit anderen Beschaffenheitsmerkmalen und
Eigenschaften oder anderer Art und Individualität, vorzuschreiben oder gar
aufzudrängen. Vielmehr sind die diesbezüglichen Anforderungen, die der Auftraggeber
stellt, als zulässige Vergabebedingungen von den am Auftrag interessierten
Unternehmen grundsätzlich hinzunehmen. Diese Wertung hat in den
Verdingungsordnungen Ausdruck gefunden. So regelt § 8 Nr. 3 Abs. 3 VOL/A:
Bestimmte Erzeugnisse oder Verfahren sowie bestimmte Ursprungsorte und
Bezugsquellen dürfen nur dann ausdrücklich vorgeschrieben werden, wenn dies durch
die Art der zu vergebenden Leistung gerechtfertigt ist.
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Die für Aufträge im Sektorenbereich geltende Vorschrift des § 6 Nr. 5 Abs. 1 VOL/A-SKR
(Abschnitt 4) und § 9 Nr. 5 Abs. 1 VOB/A – dieser für Bauaufträge – beinhalten im
Wortlaut identische Bestimmungen. Zwar treffen die genannten Normen unmittelbar nur
Regelungen über den Inhalt der Leistungsbeschreibung, die der Auftraggeber den am
Auftrag interessierten Unternehmen stellen darf. Sie bestätigen jedoch mittelbar den
Grundsatz, dass Art und Inhalt der zu beschaffenden Waren oder Leistungen der
Bestimmung des Auftraggebers unterliegen. Denn was den am Auftrag interessierten
Unternehmen für ihre Angebote durch die Leistungsbeschreibung zulässig vorgegeben
werden darf, darf der Auftraggeber beanstandungsfrei auch zum Gegenstand seiner
vorgelagerten Entschließung machen, welche Waren oder Leistungen welcher Art und
Individualität und mit welchen Eigenschaften beschafft werden sollen. Die Vorschriften
der Verdingungsordnungen schränken die in der Leistungsbeschreibung
vorgenommene Festlegung auf ein bestimmtes Produkt oder eine bestimmte Leistung
lediglich dahin ein, dass es dafür einer sachlichen Rechtfertigung durch die Art der zu
vergebenden Leistung bedarf. Nur diese Einschränkung hat auch für die vom
Auftraggeber zu treffende und der Leistungsbeschreibung vorgelagerte Bestimmung der
Leistung zu gelten. Zugleich können damit jene Grundsätze, die zur Zulässigkeit
bestimmter Leistungsanforderungen in der Leistungsbeschreibung entwickelt worden
sind, zur rechtlichen Beurteilung der vom Auftraggeber getroffenen
Leistungsbestimmung entsprechend herangezogen werden (vgl. Senat, Beschl. v.
14.4.2005, VII-Verg 93/04, Umdruck S. 9/10, VergabeR 2005, 513, 515).
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Die Antragstellerin vertritt die Ansicht, in der Festlegung einer Transportentfernung von
der Gemarkungsgrenze liege die Vorgabe eines Ursprungsortes im Sinne des § 8 Nr. 3
Abs. 3 VOL/A. Ein solcher Radius dürfe vom Auftraggeber nicht vorgegeben werden, da
dies zu einer Einschränkung des Wettbewerbs führe. Eine wettbewerbsbeschränkende
Wirkung kommt der Vorgabe einer maximal zulässigen Entfernung der Übergabeplätze
von der Gemarkungsgrenze jedenfalls nicht ausschließlich zu. Mit der Festlegung eines
20 km-Radius jeweils berechnet von der Gemarkungsgrenze sollte es insbesondere
Bietern, die Übergabestellen in angrenzenden Kreisen oder kreisfreien Städten
unterhalten, ermöglicht werden, am Vergabeverfahren teilzunehmen. Der Kreis der sich
am Vergabeverfahren beteiligenden Bieter sollte durch diese Vorgabe erweitert werden.
Dass diese Regelung sich (auch) auf die Beigeladene positiv auswirkt, weil diese in
C..., S... und M... Umschlagsplätze zum Teil in der Nähe von Verwertungsanlagen
unterhält, ist aus vergaberechtlicher Sicht hinzunehmen. Die Lage der zwei zusätzlichen
Übergabestellen in unmittelbarer Nähe von Verwertungsanlagen wirkte sich gleich
doppelt aus, nämlich mindernd auf die eigenen Transportkosten vom Übergabeplatz zur
Verwertungsanlage bei der Kalkulation des Angebotspreises und auf die
Transportkosten der Städte und Gemeinden.
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Entgegen der Auffassung der Antragstellerin ist die Festlegung eines derartigen 20-km-
Radius von der Gemarkungsgrenze durch die Antragsgegnerin, soweit ihm auch eine
wettbewerbsbeschränkende Wirkung innewohnt, nämlich Angebote mit weiter als 20 km
von der Gemarkungsgrenze entfernt liegenden Umschlagsplätzen ausgeschlossen
werden sollen, durch die Art der zu vergebenden Leistung (umweltgerechte Entsorgung
und Verwertung des Altpapiers) gerechtfertigt. Die Festlegung einer Entfernung von 20-
km-Luftlinie von der Gemarkungsgrenze des Kreises C... ist vor dem Hintergrund einer
möglichst hohen Auslastung der Sammelfahrzeuge und geringer wirtschaftlicher
Transportentfernungen für die Städte und Gemeinden zu sehen. Mit der Vorgabe der 20-
km-Grenze sollten die den Gemeinden und Städten des Kreises C... entstehenden
Transportkosten (Folgekosten) und die Fahrzeiten für die Sammelfahrzeuge gering
gehalten werden. Nach § 3 Abs. 1 des Entsorgungsvertragsentwurfs sollen die
Sammlung des in den Städten und Gemeinden anfallenden Altpapiers und der
Transport zur Behandlungs- und Umladeanlage den jeweiligen Städten und Gemeinden
des Kreises C... obliegen. Sie tragen hierfür die Kosten, nicht die Antragsgegnerin oder
der Bieter. Es soll also eine Bringschuld (§ 270 Abs. 1 BGB) zu Lasten der Städte und
Gemeinden vereinbart werden. Ohne die Vorgabe in der Leistungsbeschreibung unter
Ziffer 1.2.1., dass die Übernahmestelle nicht weiter als 20 km (Luftlinie) außerhalb des
Kreises C... liegen darf, könnte ein Bieter sich auf den Standpunkt stellen, er genüge
seiner vertraglichen Pflicht, einen Umschlagsplatz zur Verfügung zu stellen, indem er
irgendwo in Deutschland oder Europa eine oder mehrere Übernahmestellen
(Niederlassungen) unterhalte. Bei einer derartigen Vertragsgestaltung müssten die
Städte und Gemeinden das Altpapier an jeden anderen Ort außerhalb des Kreises C...
auf eigene Kosten transportieren lassen. Es liegt auf der Hand, dass dies kein
wirtschaftlich günstiges Geschäft für die Gemeinden und Städte des Kreises C... wäre.
Ermessensfehler der Antragsgegnerin sind mithin nicht erkennbar. Hinsichtlich der
konkret zulässigen Kilometerzahl zeigt die Antragstellerin keine Ermessensfehler der
Antragsgegnerin auf. Es sind auch keine ersichtlich, denn die Antragsgegnerin stützt
ihre km-Vorgabe auf Angaben von 15- bis 25 km in entsprechender Fachliteratur.
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c) Soweit die Antragstellerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vorgetragen
hat, es müsse vom öffentlichen Auftraggeber zwingend ein einziger Übergabeplatz in
der Leistungsbeschreibung vorgegeben werden, um die Chancengleichheit aller Bieter
zu gewährleisten, hat diese Rüge keinen Erfolg. Zwar hätte die zwingende Vorgabe
eines Übergabeplatzes am Standort C... zur Folge, dass die von den Städten und
Gemeinden zu tragenden Transportkosten nicht von den Bietern durch die Wahl eines
anderen oder mehrerer Übergabeplätze beeinflusst werden könnten. Standortvorteile,
die ein Bieter durch den Unterhalt von mehreren Übergabestellen in strategisch
günstiger Entfernung zu den Gemeinden und den Kreisen sowie zu den
Verwertungsanlagen erzielen kann, könnten sich nicht auf die Transportkosten der
Gemeinden auswirken. Indes kann es nicht Aufgabe des Vergaberechts sein,
Standortvorteile einzelner Beter in jeder Hinsicht auszugleichen. Dies würde die Bieter
benachteiligen, die bereits über Standorte im Kreisgebiet verfügen. Durch die
unterlassene Festlegungen eines Übergabeplatzes wird die Antragstellerin nicht
benachteiligt. Nach der Leistungsbeschreibung stand es allen Bietern frei, einen
anderen Standort als C... oder mehrere Standorte für die Umschlagsplätze
auszuwählen. Die Bieter konnten nach der Leistungsbeschreibung entweder durch die
Nähe der Umschlagsplätze zu den Aufbereitungsanlagen eigene Transportkosten
minimieren und diesen Vorteil durch einen höheren Kaufpreis an den Kreis C...
weitergeben – so ist möglicherweise die Beigeladene vorgegangen – oder aber durch
die Wahl von mehreren für die Gemeinden und Städten günstiger gelegenen
69
Umschlagsplätzen deren Transportkosten unmittelbar beeinflussen.
Die Antragstellerin hat auch nicht behauptet, die Einrichtung eigener Umschlagsplätze
sei ihr rechtlich unmöglich oder wirtschaftlich nicht zumutbar. Für die Einrichtung von
Umschlagsplätzen bedarf es weder einer Genehmigung nach dem
Bundesimmissionsschutzgesetz, noch sind die Pacht- und Unterhaltskosten für ein
geeignetes Gelände in der Nähe einer Verwertungsanlage unwirtschaftlich hoch. Die
Antragstellerin war nicht auf die Übergabestelle C... angewiesen, sondern konnte nach
der Leistungsbeschreibung geeignetere Grundstücke im Kreisgebiet oder außerhalb
des Kreisgebiets im Falle der Zuschlagserteilung selbst erwerben oder pachten und die
für den Betrieb einer Umschlagsstelle erforderlichen Genehmigungen einholen. Der
Antragsgegnerin kann mithin nicht vorgeworfen werden, sie benachteilige "Newcomer"
wie die Antragstellerin. Das Gegenteil ist der Fall. Durch die Bereitstellung der
kreiseigenen Deponie in C... als Umschlagplatz gegen eine Pacht von 2.000 € jährlich
sollten gerade Newcomer wie die Antragstellerin gefördert werden. Auch die
Beigeladene unterhält einen Umschlagsplatz 100 m entfernt von der Deponie C...,
weshalb die Behauptung der Antragstellerin, es handele sich um einen für die
Gemeinden und Städte strategisch ungünstigen Platz, nicht zutreffend sein kann.
70
d) Soweit die Antragstellerin schließlich geltend gemacht hat, die Betreiber von
Übergabestellen seien nicht bereit, auswärtigen Entsorgungsunternehmen ihre Plätze
zur Verfügung zu stellen, mögen in derartigen, möglicherweise mit größeren
Entsorgungsunternehmen (abgestimmten) Verhaltensweisen kartellrechtliche Verstöße
im Sinne des § 1 GWB liegen. Das Vergabenachprüfungsverfahren ist jedoch nicht das
geeignete Verfahren, um derartige außerhalb des eigentlichen Vergabeverfahrens
liegende kartellrechtliche Verstöße abzuwehren (vgl. Senat, Beschl. v. 22.5.2002, Verg
6/02, VergabeR 2002, 668).
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e) Es bestehen aufgrund der Vergabeakte keine Anhaltspunkte dafür, dass die
vorliegende Ausschreibung unter Beteiligung von Projektanten vorbereitet worden wäre
(vgl. Senat, Beschl. v. 25.10.2005, Verg 67/05, VergabeR 2006, 137; EuGH, VergabeR
2005, 319-Fabricom). Aus diesem Grunde bestand für den Senat kein Anlass, dem
diesbezüglichen Vorbringen der Antragstellerin nachzugehen.
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f) Dokumentationsmängel, die die Antragstellerin gehindert hätten, ihre Rechte im
Vergabenachprüfungsverfahren geltend zu machen, hat sie nicht aufgezeigt. Ein Bieter
kann seinen Nachprüfungsantrag nur dann auf eine fehlende oder unzureichende
Dokumentation stützen, wenn sich die diesbezüglichen Mängel gerade auch auf seine
Rechtsstellung im Vergabeverfahren nachteilig ausgewirkt haben können (vgl. OLG
Düsseldorf, Beschl. v. 13.9.2001 – Verg 4/01; BayObLG, VergabeR 2002, 63, 69;
VergabeR 2001, 65, 68).
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g) Dass die Antragsgegnerin die Entfernungskilometer von den Gemarkungsgrenzen bis
zu den Übergabestellen der Beigeladenen zutreffend ermittelt hat, hat die
Vergabekammer geprüft und bejaht. Einwände hiergegen hat die Antragstellerin im
Beschwerdeverfahren nicht erhoben.
74
3.
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Die Kostenentscheidung für das Verfahren vor der Vergabekammer beruht auf § 128
Abs. 1, Abs. 3, Abs. 4 GWB. Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren folgt
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aus § 91 Abs. 1 ZPO; zur Vermeidung von Missverständnissen sei darauf hingewiesen,
dass dies auch die außergerichtlichen Kosten der Antragsgegnerin und der
Beigeladenen umfasst.
Die Festsetzung des Gegenstandswertes für das Beschwerdeverfahren bleibt einem
gesonderten Beschluss überlassen, (vgl. Senat, Beschl. v. 02.04.2008, VII-Verg 34/07).
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Hierzu erhalten die Parteien noch Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen.
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Schüttpelz Richter am OLG Dieck-Bogatzke Richterin am OLG Frister Richter am OLG
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