Urteil des OLG Düsseldorf vom 10.08.2007

OLG Düsseldorf: funktionelle zuständigkeit, materielle rechtskraft, ausländisches recht, gerichtsbarkeit, reform, gesetzesmaterialien, rechtssicherheit, verfügung, bedürfnis, abgabe

Oberlandesgericht Düsseldorf, I-3 Wx 155/07
Datum:
10.08.2007
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
3. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
I-3 Wx 155/07
Vorinstanz:
Landgericht Düsseldorf, 25 T 320/07
Tenor:
Die Übernahme der Sache wird abgelehnt.
G r ü n d e :
1
Mit Beschluss vom 3. Juli 2007 hat das Landgericht Düsseldorf – 25. Zivilkammer –
erklärt, es sei für die Durchführung des Beschwerdeverfahrens gegen den Beschluss
des Amtsgerichts vom 8. Februar 2007 funktionell unzuständig und verweise daher
dieses Verfahren an das gemäß § 119 Abs. 1 Nr. 1 c) GVG zuständige
Oberlandesgericht Düsseldorf, da das Amtsgericht in den Entscheidungsgründen
ausdrücklich festgestellt habe, dass ausländisches Recht anzuwenden sei.
2
Nach Ansicht des Senats ist das hier in Rede stehende Erstbeschwerdeverfahren vor
dem Landgericht (Düsseldorf) durchzuführen und ist dort über die Beschwerden der
Beteiligten zu entscheiden. Erst gegen diese Entscheidung ist die weitere Beschwerde
zum Senat eröffnet.
3
1.
4
Der Senat ist an die im landgerichtlichen Beschluss vom 3. Juli 2007 ausgesprochene
"Verweisung" nicht gebunden.
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Wie auch vom Landgericht zutreffend hervorgehoben, geht es im vorliegenden Fall um
die funktionelle Zuständigkeit zur Entscheidung über die Beschwerden der Beteiligten.
In Fragen der funktionellen Zuständigkeit sind weder § 281 ZPO noch § 17 Abs. 2 GVG
– entsprechend – anwendbar (BGH NJW 2003, S. 2686/2687; BGH NZM 2006, S. 695/
696; Zöller-Gummer, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 119 GVG Rn. 13). Eine andere Grundlage
für einen den Senat bindenden Verweisungsausspruch des Landgerichts ist nicht
ersichtlich.
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Vielmehr handelt es sich der Sache nach um eine bloße Abgabe des Landgerichts an
das Oberlandesgericht, dies zumal nicht die Beteiligten ihre Beschwerden an das
Landgericht gerichtet haben, sondern diesem die Sache nur infolge des Ausspruchs des
Amtsgerichts in seinem Nichtabhilfe- und Vorlagebeschluss vom 21. Mai 2007 vorgelegt
worden ist.
7
2.
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§ 119 Abs. 1 Nr. 1 c) GVG ist auf das hier gegebene Nachlassverfahren nicht
anwendbar.
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a)
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Dieses Ergebnis legt bereits der Wortlaut der Vorschrift, die sich auf bürgerliche
Rechtsstreitigkeiten bezieht, nahe. Üblicherweise werden hiervon jedenfalls nicht-
kontradiktorische Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit nicht umfasst, sondern nur
zivilprozessuale Rechtsstreite und allenfalls sogenannte echte Streitverfahren der
freiwilligen Gerichtsbarkeit.
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Diese Unterscheidung ist auch nicht lediglich formaler Natur. Denn Entscheidungen in
bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten oder auch echten Streitverfahren der freiwilligen
Gerichtsbarkeit erwachsen in materielle Rechtskraft (vgl. Keidel/Kuntze/Winkler-
Schmidt, FGG, 15. Aufl. 2003, § 12 Rn. 231 m.umfangr.Nachw.), anders als die im
vorliegenden Verfahren ergehende Entscheidung über die Erteilung eines Erbscheins.
12
b)
13
Nichts anderes ergibt sich aus der Entstehungsgeschichte der Norm.
14
§ 119 GVG ist insgesamt mit Wirkung vom 1. Januar 2002 durch das Gesetz zur Reform
des Zivilprozesses vom 27. Juli 2001 neu gefasst worden. Dessen Gesetzesmaterialien
erweisen, dass dieses Reformgesetz das FGG-Verfahren in der hier entscheidenden
Frage inhaltlich nicht berühren, sondern eine diesbezügliche Reform einem
gesonderten späteren Gesetzgebungsvorhaben vorbehalten wollte (BGH NJW-RR
2003, S. 644 f.; BT-Drucks. 14/4722, S. 69).
15
c)
16
Auch die Systematik der Verfahrensordnungen spricht hier gegen eine Anwendung des
§ 119 GVG.
17
Das Rechtsmittelsystem des Verfahrens der freiwilligen Gerichtsbarkeit trifft eine
abschließende Regelung (BGH a.a.O.), nach der – § 19 Abs. 2 FGG – die
Beschwerdezuständigkeit in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit
umfassend den Landgerichten zugewiesen ist (OLG Stuttgart NJW 2006, S. 1144). Auch
der vom Landgericht herangezogene Kommentar zum FGG steht, an anderer als der
vom Landgericht bezeichneten Stelle, auf dem Standpunkt, für den Rechtsmittelzug und
das Verfahren im einzelnen seien die Vorschriften der freiwilligen Gerichtsbarkeit
maßgebend (Bumiller/ Winkler, FGG, 8. Aufl. 2006, § 19 Rn. 28 m.w.Nachw.).
18
d)
19
Schließlich und vor allem erweisen die im Falle einer Anwendung des § 119 Abs. 1
Nr. 1 c) GVG eintretenden Folgen, dass diese Anwendung mit Sinn und Zweck der
Vorschrift nicht in Übereinstimmung zu bringen ist.
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Im Rechtsmittelsystem des Verfahrens der freiwilligen Gerichtsbarkeit ist eine Anrufung
des Bundesgerichtshofs außerhalb des Vorlegungsverfahrens (z.B. § 28 Abs. 2 FGG)
nicht vorgesehen (BGH a.a.O.; Bumiller/Winkler a.a.O., § 27 Rn. 1). Wäre nun infolge
der Anwendung des § 119 GVG das Oberlandesgericht Beschwerdegericht, stünde den
Beteiligten in dem betreffenden Verfahren – von der Ausnahmesituation des
Vorlegungsverfahrens abgesehen – entweder gar kein dritter, auf die rechtliche Prüfung
konzentrierter Rechtszug zur Verfügung oder wäre das Oberlandesgericht als zur
Entscheidung über die Erstbeschwerde wie auch die weitere Beschwerde zuständiges
Gericht anzusehen. Letzteres erscheint schlechthin undenkbar, ersteres widerspräche
den dem § 119 GVG zugrunde liegenden gesetzgeberischen Erwägungen. Denn
danach soll die Sonderzuweisung dem Umstand Rechnung tragen, dass durch die
Internationalisierung des Rechts und den zunehmenden grenzüberschreitenden
Rechtsverkehr ein großes Bedürfnis nach Rechtssicherheit durch eine obergerichtliche
Rechtsprechung besteht (BT-Drucks. 14/6036, S. 118 f.). Dem liefe es zuwider, gerade
in diesen, typischerweise mit rechtlichen Anforderungen verbundenen Streitigkeiten den
Instanzenzug zu verkürzen und hierbei gerade auf das Rechtsbeschwerdeverfahren zu
"verzichten".
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Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.
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