Urteil des OLG Düsseldorf vom 26.03.2009

OLG Düsseldorf: stand der technik, werkzeug, angemessene entschädigung, teilweise abweisung der klage, treu und glauben, ausbildung, freiheit, eigenes verschulden, abhängige erfindung

Oberlandesgericht Düsseldorf, I-2 U 108/03
Datum:
26.03.2009
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
2. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
I-2 U 108/03
Tenor:
A.
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 28. Oktober 2003 verkündete
Urteil der 4a. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf abgeändert.
I.
Die Beklagte wird verurteilt,
1.
es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung
festzusetzenden Ord-nungsgeldes bis zu 250.000,-- Euro, ersatzweise
Ordnungshaft, oder einer Ord-nungshaft bis zu sechs Monaten, im
Wiederholungsfall bis zu insgesamt zwei Jahren, zu vollziehen an dem
Geschäftsführer der Beklagten, zu unterlassen,
im räumlichen Geltungsbereich des deutschen Teils des europäischen
Patentes 0 504 XXX
Werkzeuge zum Mehrkomponenten-Spritzgießen von Bürstenkörpern,
insbesondere Zahnbürstenkörpern, herzustellen, anzubieten, in den
Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen,
mit zwei aufeinander zu und voneinander fort bewegbaren
Werkzeugteilen, die gemeinsam mehrere gleiche, nebeneinander
angeordnete Formhohlräume bil-den, die in der formgebenden Fläche
des einen Werkzeugteils jeweils eine Aussparung aufweisen, die durch
ein relativ zu diesem Werkzeugteil bewegliches Einsatzelement
verschließbar ist, an dem ein Ansatz gebildet ist, der bei durch das
Einsatzelement verschlossenem Formhohlraum in diesen hineinragt,
wobei das Einsatzelement an einem Träger befestigt ist, mittels welchem
ein in einem der zuerst einzuspritzenden Komponente zugeordneten
Formhohlraum gespritzter Vorformling in einen einer anderen
Komponente zugeordneten Formhohlraum einbringbar ist,
Komponente zugeordneten Formhohlraum einbringbar ist,
wobei in den Werkzeugteilen zwei Gruppen von Formhohlräumen
gebildet sind, die verschiedenen Komponenten fest zugeordnet sind,
und wobei die Einsatzelemente durch eine quer zur Längsrichtung der
nebeneinander angeordneten Formhohlräume angeordnete, am Träger
befestigte Leiste gebil-det sind;
2.
der Klägerin darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie seit
dem 23. Oktober 1992 Handlungen gemäß vorstehender Ziffer I. 1.
vorgenommen hat und zwar unter Vorlage eines Verzeichnisses, aus
dem sich folgendes ergibt:
a)
die Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie die
Liefermengen, Lieferzeiten und Lieferpreise;
b)
die Namen und Anschriften der gewerblichen Adressaten von
Angeboten;
c)
die nach einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten
Gestehungskosten und des erzielten Gewinns;
d)
Art und Umfang der betriebenen Werbung, aufgegliedert nach
Werbeträgern, Auflagenhöhen, Erscheinungszeiten und
Verbreitungsgebieten;
wobei die Angaben zu c) nur für die Zeit ab dem 17. Februar 1996
geschuldet sind;
3.
die in ihrem Eigentum oder mittelbarem oder unmittelbarem Besitz
befindlichen Vorrichtungen gemäß vorstehender Ziffer I. 1. nach ihrer
Wahl zu vernichten oder an einen von der Klägerin zu benennenden
Treuhänder zum Zwecke der Vernichtung auf ihre – der Beklagten
Kosten – herauszugeben.
II.
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen
Schaden zu ersetzen, der dieser aus Handlungen gemäß vorstehender
Ziffer I.1. seit dem 17. Februar 1996 entstanden ist und/oder in Zukunft
entstehen wird, sowie eine angemessene Entschädigung für die in der
Zeit vom 23. Oktober 1992 bis zum 16. Februar 1996 begangenen
Handlungen gemäß vorstehender Ziffer I.1. zu leisten.
B.
Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.
C.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagten wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung der
Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 500.000,-- Euro
abzuwenden, falls nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in gleicher Höhe
leistet.
D.
Der Streitwert für die Berufungsinstanz wird auf 500.000,-- Euro
festgesetzt.
G r ü n d e :
1
I.
2
Die Klägerin ist eingetragene Inhaberin des auch mit Wirkung für die Bundesrepublik
Deutschland erteilten und in deutscher Verfahrenssprache veröffentlichten
europäischen Patentes 0 504 XXX (Klagepatent, Anlage K 1) betreffend ein Werkzeug
zum Mehrkomponenten-Spritzgießen von Bürstenkörpern. Aus diesem Schutzrecht
nimmt sie die Beklagte auf Unterlassung, Rechnungslegung, Vernichtung der
angegriffenen Vorrichtungen sowie Feststellung ihrer Verpflichtung zum Schadenersatz
und zur Leistung einer angemessenen Entschädigung in Anspruch.
3
Die dem Klagepatent zugrunde liegende Anmeldung wurde im. Februar 1992 unter
Inanspruchnahme der Priorität des deutschen Gebrauchsmusters 91 03 XYZ (Anlage K
13) vom. März 1991 eingereicht und im. September 1992 im Patentblatt veröffentlicht.
Der Hinweis auf die Patenterteilung ist im. Januar 1996 bekannt gemacht worden.
4
Anspruch 1 des Klagepatentes lautet wie folgt:
Werkzeug zum Mehrkomponenten-Spritzgießen von Bürstenkörpern,
insbesondere Zahnbürstenkörpern, mit zwei aufeinander zu und voneinander fort
bewegbaren Werkzeugteilen (10, 12), die gemeinsam mehrere gleiche,
nebeneinander angeordnete Formhohlräume (14, 16) bilden, die in der
formgebenden Fläche des einen Werkzeugteils (10) jeweils eine Aussparung
aufweisen, die durch ein relativ zu diesem Werkzeugteil bewegliches
Einsatzelement (24) verschließbar ist, an dem ein Ansatz (26) gebildet ist, der bei
durch das Einsatzelement (24) verschlossenem Formhohlraum (16) in diesen
hineinragt, wobei das Einsatzelement (24) an einem Träger (30) befestigt ist,
mittels welchem ein in einem der zuerst einzuspritzenden Komponente
zugeordneten Formhohlraum (16) gespritzter Vorformling (40) in einen einer
anderen Komponente zugeordneten Formhohlraum (14) einbringbar ist,
dadurch
gekennzeichnet,
Formhohlräumen (14, 16) gebildet sind, die verschiedenen Komponenten fest
zugeordnet sind, und dass die Einsatzelemente (24) durch eine quer zur
Längsrichtung der nebeneinander angeordneten Formhohlräume angeordnete,
am Träger (30) befestigte Leiste (28) gebildet sind.
5
Die nachstehend wiedergegebenen Figurendarstellungen aus der Klagepatentschrift
erläutern die Erfindung anhand eines Ausführungsbeispiels. Figur 8 zeigt eine
Draufsicht auf die mit Formhohlräumen versehene Seite des einen – beweglichen –
Werk-
6
zeugteils (12; Bezugszeichen entsprechen nachstehenden Abbildungen), wobei die
unteren der ersten Spritzgießkomponente zugeordneten Formhohlräume (16) von einer
die Einsatzelemente (24) bildenden Leiste (28) übergriffen werden, die mit Ansätzen
(26) entsprechende Aussparungen (22) in den Formhohlräumen verschließt und mit
einem bügelförmigen Träger (30) verbunden ist, mit dessen Hilfe die in den unteren
Formhohlräumen gespritzten von den Ansätzen der Einsatzelemente getragenen
Vorformlinge um 180° gewendet und in die oberen der zweiten zu spritzenden
Komponente zugeordneten Formhohlräume (14) transportiert werden. Die Figuren 1 bis
7 zeigen verschiedene Betriebszustände des erfindungsgemäßen Werkzeuges; in Figur
1 ist das Werkzeug geschlossen, in Figur 2 geöffnet, wobei der aus der ersten
Komponente bestehende Vorformling ergriffen und der mit der zweiten Komponente
versehene Bürstenformkörper ausgeworfen wird, die Figuren 3 und 4 zeigen das
Wenden des Vorformlings, in Figur 5 wird der bereits zum Spritzen der zweiten
Komponente abgelegte Vorformling nach dem Abheben der Funktionseinheit bestehend
aus Träger, Einsatzelement und Ansatz in der Öffnung festgehalten, in Figur 6 werden
die Werkzeughälften wieder zusammengefahren; in Figur 7 ist das Werkzeug wieder
geschlossen.
7
Den Einspruch der Beklagten gegen das Klagepatent hat die Einspruchsabteilung des
Europäischen Patentamtes mit Entscheidung vom 30. August 2000 (Anlage K 2)
rechtskräftig zurückgewiesen.
8
Die Beklagte stellt her und vertreibt Formwerkzeuge zur Herstellung von
Zahnbürstenkörpern aus zwei Spritzgusskomponenten. Aufbau und Funktionsweise
ergeben sich aus den als Anlage K 9 vorgelegten Fotos, die aus einem Videofilm
stammen, der sich in Auszügen auf der als Anlage K 10 vorgelegten CD-Rom befindet.
9
Wie die nachstehend wiedergegebenen Bilder 3 bis 6 der Anlage K 9 zeigen, werden
die aus der ersten Komponente gespritzten Vorformlinge beim Umsetzen vom ersten in
den zweiten Formhohlraum von einem in der feststehenden Werkzeughälfte mittig
zwischen den Teil-Hohlraumgruppen angeordneten quaderförmigen von der Beklagten
als Wendeteil bezeichneten Block in ihrem Kopf- und Halsbereich aus der Ebene der
ersten Formhohlräume herausgehoben und an Stiften, die zuvor beim Spritzen der
ersten Komponente zur Vorformung des Borstenlochfeldes dienen, gehalten, um 180°
gewendet und in die Ebene der zweiten Formhohlräume gebracht.
Die Klägerin meint, diese Vorrichtung verwirkliche die im Klagepatent unter Schutz
gestellte technische Lehre wortsinngemäß, hilfsweise mit patentrechtlich äquivalenten
Mitteln. Sie hat vor dem Landgericht geltend gemacht, für das Wendeteil sei im Hals-
und Kopfbereich der Zahnbürstenformhohlräume eine Aussparung vorgesehen, die das
Wendeteil im eingefahrenen Zustand ausfülle und unter gleichzeitiger
Vervollständigung der formgebenden Flächen der Formhohlräume verschließe. Die
auch als Ansätze dienenden Stifte im Borstenfeld ragten bei verschlossenem Hohlraum
in die Form hinein und halterten die Vorspritzlinge. Das quer zu den Formhohlräumen
verlaufende Wendeteil verkörpere gleichzeitig Einsatzelemente und Träger und
verbinde beide miteinander. Die hilfsweise geltend gemachte Verwirklichung der
erfindungsgemäßen Lehre mit äquivalenten Mitteln ergebe sich daraus, dass das
Wendeteil die Funktionen der im Wortlaut des Klagepatentanspruches 1 beschriebenen
Leiste erfülle. Da das Wendeteil die Vorformlinge an der Unterseite des Bürstenkörpers
aus den Formhohlräumen heraushebe und in eingefahrenem Zustand für den
Spritzvorgang einen Teil des Formhohlraumes bilde, unterliege das Spritzen der
zweiten Komponente im Griffbereich des Bürstenkörpers keinen Beschränkungen.
Darüber hinaus sei das Wendeteil, in dem lediglich die Bürstenköpfe lägen, insgesamt
so dimensioniert, dass auch hier gegenüber der vorbekannten Indexplatten-Technik nur
geringe Massen bewegt werden müssten und die Herstellungsgeschwindigkeit erhöht
werden könne.
10
Die Beklagte stellt eine Übereinstimmung der angegriffenen Vorrichtung mit der
patentierten technischen Lehre in Abrede und hat vor dem Landgericht eingewandt, eine
wortsinngemäße Verwirklichung scheitere daran, dass die Formhohlräume des ersten
Werkzeugteils keine Aussparung besäßen und das Wendeteil sich erst an diesen
Formhohlraum anschließe. Die Ausnehmung für das Wendeteil liege außerhalb der
formgebenden Fläche. Weil es keine Aussparung in der formgebenden Fläche
verschließe, sei das Wendeteil auch kein Einsatzelement und die stiftförmigen Ansätze
an dem Wendeteil befänden sich infolge dessen ebenfalls nicht am Einsatzelement.
Entgegen der patentierten Lehre sei das Wendeteil zwar ein Träger, an dem sich aber
keine Einsatzelemente befänden. Aufgrund seiner plattenförmigen kompakten
Ausbildung stelle es auch keine Leiste dar und könne auch nicht in Leiste und Träger
unterteilt werden, weshalb es an der schutzbeanspruchten Befestigung einer Leiste am
Träger fehle.
11
Mangels Gleichwirkung und Auffindbarkeit werde die im Klagepatent unter Schutz
gestellte Lehre nicht in äquivalenter Form benutzt. Die angestrebte Freiheit beim
Spritzen der zweiten Komponente lasse sich mit der angegriffenen Vorrichtung nicht
erreichen. Die erfindungsgemäße Leiste sei schmal und könne aufgrund ihrer schmalen
Ausbildung überall im Längsbereich der Zahnbürstenkörper liegen, während das
quaderförmige und massive Wendeteil der angegriffenen Ausführungsform die
Zahnbürstenkörper am Kopf halte. Die Leiste werde klagepatentgemäß in einer
12
Aussparung der formgebenden Fläche der Formhohlräume versenkt, das Wendeteil des
angegriffenen Werkzeugs dagegen im Zentralbereich der einen Werkzeughälfte. Die
Auffindbarkeit sei zu verneinen, weil die Klagepatentschrift eine in einer rinnenförmigen
Aussparung untergebrachte Leiste lehre, um eine große Freiheit beim Spritzen der
zweiten Komponente zu erzielen. Das voluminöse Wendeteil der angegriffenen
Vorrichtung beseitige die Möglichkeit, eine Aussparung in der formgebenden Fläche
bezüglich der Formhohlräume zu verschließen. Da die angegriffene Ausführungsform
dem am 21. August 1991 angemeldeten und am 15. Februar 1996 veröffentlichten
deutschen Patent 41 27 621 (Anlage B 1) entspreche, bei dessen Erteilung die
prioritätsbegründende Anmeldung des Klagepatentes als Stand der Technik
berücksichtigt worden sei, habe es erfinderischer Überlegungen bedurft, um die
angegriffene Ausführungsform aufzufinden. Darüber hinaus seien Wendeteile aus dem
Stand der Technik, etwa der deutschen Offenlegungsschrift 20 63 YYZ bekannt, so dass
die angegriffene Vorrichtung gegenüber dem Stand der Technik keine patentfähige
Erfindung sei. Darüber hinaus seien die geltend gemachten Ansprüche verjährt. Die
Klägerin habe jedenfalls seit Februar 1994 Kenntnis von der Patentverletzung, als sie
die Beklagte abgemahnt habe. Die Frist, für die die Beklagte im Hinblick auf das
stattfindende Patenterteilungs- bzw. Einspruchsverfahren auf die Einrede der
Verjährung verzichtet habe, sei am 31. Dezember 2000 abgelaufen, die Klage dagegen
erst nach diesem Zeitpunkt eingereicht worden. Außerdem seien die geltend gemachten
Ansprüche verwirkt.
Mit Urteil vom 28. Oktober 2003 hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Nach seiner
Auffassung verwirklicht die angegriffene Vorrichtung die schutzbeanspruchte technische
Lehre weder wortsinngemäß noch mit patentrechtlich äquivalenten Mitteln. Eine
wortsinngemäße Übereinstimmung hat das Landgericht mit der Begründung verneint,
die angegriffene Vorrichtung habe keine Aussparung, die erfindungsgemäß
rinnenförmig ausgestaltet sein müsste, um eine relativ dünne Leiste aufzunehmen, die
im Gegensatz zum älteren US-Patent 2 923 035 nur einen geringen Bereich der
formgebenden Fläche einnehmen solle. Das voluminöse Wendeteil der angegriffenen
Ausführungsform sei wegen seiner platten- und quaderförmigen Ausbildung keine
separate Leiste, sondern sowohl Leiste als auch Träger. Daher fehle es zusätzlich an
den vom Klagepatent geforderten durch die quer zur Längsrichtung der Formhohlräume
verlaufenden Leiste gebildeten und am Träger befestigten Einsatzelementen. Eine
Benutzung mit äquivalenten Mitteln scheitere sowohl an der fehlenden Gleichwirkung
als auch an der mangelnden Auffindbarkeit. Gleichwirkung sei nicht gegeben. Die
erfindungsgemäß angestrebte am US-Patent 2 923 035 vermisste große Freiheit beim
Spritzen der zweiten Komponente lasse sich zwar auch mit der angegriffenen
Vorrichtung erreichen, deren Wendeteil von der formgebenden Fläche nur den relativ
kleinen Kopfbereich der Zahnbürste einnehme; beim Umsetzen der Vorformlinge
müssten jedoch große und träge Massen bewegt werden, was der vom Klagepatent
angestrebten Steigerung der Herstellungsgeschwindigkeit entgegen stehe, die durch
das Bewegen nur geringer Massen mit einer günstigen Kinematik erreicht werden solle.
Das verbrauche viel Energie und sei mit der Gefahr von Unwuchten an der Welle
verbunden. Die Auffindbarkeit der angegriffenen Ausführungsform anhand an den
Patentansprüchen orientierter Überlegungen sei zu verneinen, weil das Klagepatent
auch die Verwendung großer Massen zum Wenden der Vorformlinge vermeiden wolle,
die einer günstigen Kinematik entgegen stünden. Wegen weiterer Einzelheiten der
Begründung wird auf das Urteil des Landgerichts Bezug genommen.
13
Mit ihrer Berufung verfolgt die Klägerin ihre bisher erfolglos geltend gemachten
14
Ansprüche weiter. Zur Begründung führt sie unter ergänzender Bezugnahme auf ihren
erstinstanzlichen Sachvortrag aus, das Landgericht habe bei der Auslegung des
Klagepatentanspruches 1 verkannt, dass es für die erfindungsgemäße Ausbildung von
Leiste und Aussparung nicht auf deren absolute Breite, sondern nur darauf ankomme,
dass sie vom Bereich der formgebenden Fläche nur einen relativ geringen Teil
einnähmen, was auch auf die angegriffene Vorrichtung zutreffe. Außerhalb dieses
Bereiches könnten Leiste und Aussparung beliebig breit sein, ohne den damit
zusammenhängenden erfindungsgemäßen Vorteil in Frage zu stellen. Auch beschränke
sich der Sinngehalt des Anspruches 1 nicht auf separate oder schlanke und längliche
Ausbildungen der Leiste. Nicht die Leiste, sondern das jeweilige Einsatzelement
verschließe die Aussparung der formgebenden Fläche; beides dürfe nicht gleichgesetzt
werden. Im Rahmen der Äquivalenzprüfung habe das Landgericht zu Unrecht
Gleichwirkung und Auffindbarkeit der bei der angegriffenen Vorrichtung verwirklichten
Konfiguration verneint. Insbesondere habe es verkannt, dass die erfindungsgemäß
angestrebte Reduzierung der beim Umsetzen der Formlinge zu bewegenden Massen
schon gegeben sei, wenn nicht mehr wie im Stand der Technik der gesamte
Formhohlraum bzw. die gesamte Werkzeughälfte, sondern wie auch bei der
angegriffenen Ausführungsform nur das Wendeteil als mittlerer Träger der Leisten
betätigt werden müsse. Die angegriffene Vorrichtung verdoppele die formgebenden
Flächen, der Einsatzelemente und der hierdurch gebildeten Leiste, wobei in jeder dieser
formgebenden Flächen wechselweise jeweils die erste und die zweite Komponente
gespritzt werde.
Die Klägerin beantragt,
15
zu erkennen wie geschehen,
16
hilfsweise, die Verurteilung gegen Werkzeuge zum Mehrkomponenten-
Spritzgießen von Bürstenkörpern zu richten, bei denen die Einsatzelemente quer
zur Längsrichtung der nebeneinander geordneten Formhohlräume an einem
Wendeteil gebildet sind und die im übrigen die in Ziffer I.1. des Urteilsauspruches
angegebenen Merkmale aufweisen.
17
Die Beklagte beantragt,
18
die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
19
Sie verteidigt das angefochtene Urteil und tritt den Ausführungen der Klägerin unter
Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens entgegen.
20
Beide Parteien haben in der Berufungsinstanz Privatgutachten vorgelegt, nämlich die
Klägerin das Gutachten Mark C (Anlage K 28) und die Beklagte das Gutachten Prof. Dr.-
Ing. Rüdiger A (Anlage B 12).
21
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakten Bezug genommen.
22
Prof. Dr.-Ing. Paul B hat zur Beweisaufnahme ein schriftliches
Sachverständigengutachten erstattet und dies in der mündlichen Verhandlung vom 12.
Februar 2009 ergänzt und erläutert. Wegen des Ergebnisses wird auf das schriftliche
Gutachten vom 4. Juli 2007 (Bl. 417 bis 433 d.A.) und auf die Niederschrift über den
23
Verlauf der Sitzung vom 12. Februar 2009 (Bl. 620 bis 668 d.A., im Folgenden:
Anhörungsprotokoll) Bezug genommen.
II.
24
Die Berufung der Klägerin ist zulässig und begründet. Entgegen der Auffassung des
Landgerichts stehen der Klägerin die geltend gemachten Ansprüche zu, weil die
angegriffene Vorrichtung wortsinngemäß mit der im Klagepatent unter Schutz gestellten
technischen Lehre übereinstimmt. Dass die Klägerin nach wie vor in erster Linie diese
Form der Patentverletzung geltend macht, hat sie im Verhandlungstermin vom 12.
Februar 2009 klargestellt. Die Befragung des gerichtlichen Sachverständigen hat dem
Senat hinreichend Kenntnisse vermittelt, die ihn in die Lage versetzen, diese
Übereinstimmung festzustellen, auch wenn der Sachverständige in seinem schriftlichen
Gutachten zum gegenteiligen Ergebnis gekommen ist. Der nicht nachgelassene und
nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingereichte Schriftsatz der Beklagten vom
6. März 2009 rechtfertigt keine andere Beurteilung und veranlasst auch nicht, die
mündliche Verhandlung nach § 156 ZPO wieder zu eröffnen.
25
1.
26
Das Klageschutzrecht betrifft mit seinem Anspruch 1 ein Werkzeug zum
Mehrkomponenten-Spritzgießen von Bürsten- und insbesondere Zahnbürstenkörpern,
das die den Oberbegriff bildenden Merkmale 1 bis 1.7.2 der nachstehenden
Merkmalsgliederung aufweist.
27
Das Werkzeug besteht aus zwei Formhälften, die zum Spritzvorgang schließ- und das
anschließende Entformen des Spritzlings trennbar, also aufeinander zu und
voneinander fortbewegbar sein müssen. Die Herstellung der Zahnbürstenkörper aus
zwei Kunststoffkomponenten erfolgt in zwei Schritten. Im ersten Schritt wird im ersten
Hohlraum aus der ersten Materialkomponente der Vorformling gefertigt, anschließend
werden die beiden Formhälften auseinander gefahren, der Vorformling vom ersten in
den zweiten Hohlraum umgesetzt und nach erneutem Schließen der beiden Formhälften
im zweiten Hohlraum die zweite Materialkomponente angespritzt.
28
a)
29
Zum Mehrkomponenten-Spritzgießen becherförmiger Formteile war es nach den
einleitenden Ausführungen der Klagepatentschrift (Spalte 1, Zeilen 22 bis 29) am
Prioritätstag aus der deutschen Offenlegungsschrift 20 36 YYZ (Anlage K 5) bekannt, in
einem Werkzeug zwischen Unterformen (6, 6’, Bezugszeichen entsprechen den
nachstehenden Figuren 1 bis 4 der älteren Druckschrift) und Oberformen (1, 1’)
Formhohlräume für beide Komponenten anzuordnen und den aus der ersten
Komponente gespritzten Vorformling (M) mit Hilfe eines Halters (14) einer
Abstreiferplatte (12), die am Rand der Becherform angreift, mit einer kombinierten Hub-
Drehbewegung in den zweiten Formhohlraum umzusetzen. Daran wird bemängelt
(Spalte 1, Zeilen 29 bis 34), da Zahnbürstenkörper keinen solchen von außen
erfassbaren Rand besäßen, sei die vorbekannte Maschine zur Herstellung solcher
Gegenstände ungeeignet.
30
Die Klagepatentschrift befasst sich sodann (Spalte 1, Zeilen 34 bis 53) mit
herkömmlichen Indexplatten-Werkzeugen zum Mehrkomponenten-Spritzgießen von
31
Zahnbürsten aus zwei Formhälften, deren eine um 180° relativ zur anderen verdrehbar
ist, um einen aus der ersten Komponente gespritzten Vorformling zum Anfügen der
zweiten Komponente in einen gegenüberliegenden Formhohlraumteil in der
feststehenden Werkzeughälfte zu bringen. Gleichzeitig wird ein leerer Formhohlraumteil
in der verdrehbaren Werkzeughälfte in Gegenüberlage zu einem Formhohlraumteil der
feststehenden Werkzeughälfte zum Spritzen der ersten Komponente gebracht. Diese
Werkzeuge, die unstreitig in ihrer Ausbildung den nachstehenden beiden Abbildungen
aus Anlage K 16 entsprechen, werden als in mehrfacher Hinsicht aufwendig bemängelt.
Da die Formhohlraumteile in der drehbaren Werkzeughälfte wechselweise mit
Formhohlraumteilen für verschiedene Komponenten in der feststehenden
Werkzeughälfte zusammen wirkten und für das Spritzen beider Komponenten
ausgebildet sein müssten, würden Schieber und/oder feststehende Formkerne benötigt,
um bestimmte Bereiche des Formhohlraumes schließen oder öffnen zu können
(Klagepatentschrift, Spalte 1, Zeilen 45 bis 53) und müssten die Formhohlraumteile der
verdrehbaren Werkzeughälfte streng symmetrisch und vollkommen gleich ausgebildet
sein. Das sei bei Werkzeugen zur Herstellung von Zahnbürstenkörpern besonders
aufwendig, weil beide Formhohlraumteile der beweglichen Werkzeughälfte zur Formung
des Bostenlochfeldes mit einer Vielzahl schieberbetätigter Stifte versehen werden
müssten, die die Vorspritzlinge auch während der Drehung der einen Werkzeughälfte
festhalten (Klagepatentschrift, Spalte 2, Zeilen 1 bis 15). Dass eine Werkzeughälfte
regelmäßig mehrere Formhohlräume zum gleichzeitigen Spritzen mehrerer
Bürstenkörper nebeneinander aufweise, die alle streng symmetrisch ausgebildet sein
und den Formhohlraumteilen der feststehenden Werkzeughälfte genau gegenüber
liegen müssten, die Versorgung der Kühlflüssigkeitsbohrungen der drehbaren
Werkzeughälfte über eine zentrale Welle erfolgen müsse und Drehkupplungen benötige
(die überdies prinzipiell die Gefahr von Undichtigkeiten bergen), steigere den Aufwand
zur Herstellung des Werkzeuges (Klagepatentschrift, Spalte 2, Zeilen 16 bis 34).
Eine Vorrichtung mit den gattungsbildenden Merkmalen des Klagepatentanspruches 1
ist aus der in der Patentbeschreibung weiterhin erörterten US-Patentschrift 2 923 035
(Anlage K6; deutsche Übersetzung Anlage K6a) bekannt, deren Figuren nachstehend
wiedergegeben sind. Das dort gelehrte Werkzeug zum Mehrkomponenten-Spritzgießen
von Bürstenkörpern besitzt für jede Komponente eine gesonderte Werkzeugeinheit,
nämlich zum Spritzen der ersten Komponente die in den Figuren 1 bis 4 dargestellte
Werkzeugeinheit (10, Bezugszeichen entsprechen nachstehenden Abbildungen) und für
das Spritzen der zweiten Komponente die in den Figuren 7 bis 9 gezeigte Einheit (50).
In jeder Werkzeugeinheit sind mehrere gleiche Formhohlräume nebeneinander
angeordnet; in der ersten werden sie durch in die untere Formhälfte (12) eingesetzte
Formblöcke (13) gebildet (vgl. die Figuren 1 bis 4 der älteren Druckschrift); in der
zweiten Einheit werden die Formhohlräume zwischen den Werkzeughälften (55) und
(56) begrenzt (vgl. Figuren 7 bis 9). Beide Werkzeugeinheiten bilden in einer Hälfte
jeweils eine Aussparung, die durch ein relativ zu dem Werkzeugteil bewegliches
Einsatzelement verschlossen werden kann. Dieses Einsatzelement wird von dem in
Figur 5 dargestellten Halter (15) gebildet, dessen Träger (16) und darauf im Abstand
voneinander befestigte Leisten (18) die Aussparung verschließen, indem in der ersten
Werkzeugeinheit der Träger (16) in einem Schlitz (22) und die Arme bzw. Leisten in
Nuten (21) aufgenommen werden (vgl. Figuren 2 und 3), eine entsprechende
Ausbildung ist auch in der Werkzeughälfte (56) der zweiten Einheit vorgesehen.
Stiftförmige Ansätze (20, vgl. Figur 5) auf den Leisten des Halters ragen in den
Formhohlraum der ersten Werkzeugeinheit hinein (vgl. Figuren 1 bis 4), greifen in den
dort hergestellten Vorformling der ersten Komponente und halten ihn beim Transport in
32
die zweite Werkzeugeinheit fest. In der zweiten Werkzeugeinheit wird dann um den
Vorformling (30) der übrige Bürstenkörper nebst Griff (53, 58) als zweite Komponente
angespritzt (vgl. Figuren 7 und 8; Klagepatentschrift, Spalte 2, Zeilen 34 bis 53). Wie die
Klagepatentschrift weiter ausführt (Spalte 2, Zeile 53 bis Spalte 3, Zeile 9), benötigt
dieses Werkzeug zwar keine verdrehbare Werkzeughälfte und demzufolge auch keine
strenge Symmetrie ihrer Formhohlraumteile, allerdings ist eine rationelle
Produktionsweise der Bürstenkörper nicht möglich, weil die Vorformlinge eigens in die
zweite Werkzeugeinheit transportiert werden müssen, was nach den Ausführungen des
gerichtlichen Sachverständigen (Gutachten S. 6, Bl. 422 d.A.) und des Privatgutachters
Prof. Dr. A (Anlage B 12, S. 11 letzter Absatz) von Hand erfolgte. Da die
Einsatzelemente als sich nahezu über die gesamte Länge des Vorformlings
erstreckende Leiste ausgebildet ist, die auf ihrer den Formhohlraum zugewandten Seite
eine formgebende Fläche bildet, an welcher der Vorformling anliegt, kann dort die
zweite Komponente nicht eingespritzt werden, was als starke Beschränkung empfunden
wird.
Als Aufgabe (technisches Problem) gibt die Klagepatentschrift an, ausgehend von dem
US-Patent 2 923 035 eine rationellere Herstellung zu ermöglichen und zugleich eine
große Freiheit beim Spritzen der zweiten Komponente zu erreichen.
33
Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt Anspruch 1 des Klagepatentes ein Werkzeug zum
Mehrkomponenten-Spritzgießen von Bürsten- insbesondere Zahnbürstenkörpern vor,
das folgende Merkmale kombiniert:
34
1 Das Werkzeug besitzt zwei Werkzeugteile (10, 12), die
35
1.1 aufeinander zu und voneinander fort bewegbar sind, und
36
1.2 die gemeinsam mehrere gleiche, nebeneinander angeordnete Formhohlräume
(14, 16) bilden;
37
1.3 die Formhohlräume weisen in der formgebenden Fläche des einen
Werkzeugteils (10) jeweils eine Aussparung (22) auf;
38
1.4 die Aussparung ist durch ein relativ zu diesem Werkzeugteil bewegliches
Einsatzelement (24) verschließbar;
39
1.5 an dem Einsatzelement ist ein Ansatz (26) gebildet, der bei durch das
Einsatzelement verschlossenem Formhohlraum (16) in diesen hineinragt;
40
1.6 das Einsatzelement ist an einem Träger (30) befestigt;
41
1.7 mittels des Trägers ist ein gespritzter Vorformling (40) von
42
1.7.1 einem der zuerst einzuspritzenden Komponente zugeordneten
Formhohlraum (16)
43
1.7.2 in einem einer anderen Komponente zugeordneten Formhohlraum (14)
einbringbar
44
2. In den Werkzeugteilen sind zwei Gruppen von Formhohlräumen (14, 16)
45
gebildet, die verschiedenen Komponenten fest zugeordnet sind;
3. die Einsatzelemente sind durch eine Leiste (28) gebildet, die quer zur
Längsrichtung der nebeneinander angeordneten Formhohlräume angeordnet und
am Träger befestigt ist.
46
47
Mit der Merkmalsgruppe 1.7.1 bringt das Klagepatent zum Ausdruck, dass der Träger –
wie bereits im US-Patent 2 923 035 – das Mittel ist, mit dessen Hilfe der Vorformling aus
dem ersten Formhohlraum in den zweiten zum Spritzen der zweiten Komponente
verbracht werden kann. Die Erfindung unterscheidet sich von der älteren Vorrichtung
darin, dass sie die dort getrennten Werkzeugeinheiten zum Spritzen der beiden
Komponenten zu einem einheitlichen Werkzeug zusammen fasst und infolge dessen
kein besonderes Transportsystem mehr notwendig ist, um den Träger von der ersten in
die zweite Werkzeugeinheit zu bringen, insbesondere ein solcher Transport nicht mehr
von Hand erfolgen muss. An dem Träger ist für den zugeordneten Formhohlraum ein
Einsatzelement befestigt (Merkmal 1.6), an dem der in Merkmal 1.5 genannte Ansatz
gebildet ist, der in den bei zugefahrenem Werkzeug verschlossenen Formhohlraum
hinein ragt. Seine Aufgabe ist es, den aus der ersten Komponente gespritzten
Vorformling zum Spritzen der zweiten Komponente in den zweiten Formhohlraum
umzusetzen und während des Transportvorganges zu halten.
48
Der entsprechend der vorstehenden Merkmalsgliederung ausgebildeten Vorrichtung
schreibt die Klagepatentschrift mehrere Vorteile zu: Da die Werkzeugteile nach Merkmal
2 zwei Gruppen von Formhohlräumen bilden, die den verschiedenen Komponenten fest
zugeordnet sind und der Träger gemäß der Merkmalsgruppe 1.7 die Vorspritzlinge
innerhalb des Werkzeugteils vom einen in den anderen Formhohlraum bringt, führt der
bewegliche Werkzeugteil lediglich zum Trennen der beiden Werkzeughälften eine
Hubbewegung aus und braucht nicht mehr gedreht zu werden, so dass Drehkupplungen
entfallen können (Klagepatentschrift Spalte 3, Zeilen 24 bis 26). Außerdem können die
Formhohlraumteile des beweglichen Werkzeugteils verschieden ausgebildet werden
und brauchen nicht streng symmetrisch zu sein, insbesondere muss nur ein
Formhohlraumteil mit den schieberbetätigten Stiften zur Ausbildung der Löcher für die
Borstenbündel ausgestattet werden (Klagepatentschrift Spalte 3, Zeilen 28 bis 35). Die
Herstellungsgeschwindigkeit kann gesteigert werden, weil zur Umsetzung der
Vorformlinge nur geringe Massen mit einer günstigen Kinematik bewegt werden müssen
(Klagepatentschrift Spalte 3, Zeilen 37 bis 41), und das durch eine nach Merkmal 3 quer
zur Längsrichtung des Formhohlraums angeordnete Leiste gebildete Einsatzelement
nimmt im Gegensatz zu dem längsverlaufenden Einsatzelement gemäß der US-
Patentschrift 2 923 035 nur einen geringen Teil der formgebenden Fläche des
betreffenden Hohlraums ein (Klagepatentschrift Spalte 3, Zeilen 43 bis 47), so dass die
außerhalb der Leiste liegenden zum Einspritzen der zweiten Komponente zur
Verfügung stehenden Bereiche wesentlich größer sind. Da überdies die Lage der Leiste
weitgehend beliebig gewählt werden kann, ergibt sich eine große Freiheit beim Spritzen
der zweiten Komponente (vgl. Sachverständiger, Anhörungsprotokoll, S. 5, 6; Bl. 624,
625 d.A.).
49
b)
50
Anspruch 1 lässt dem Durchschnittsfachmann – nach den überzeugenden
51
Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen (Gutachten S. 5, Bl. 421 d.A.; ähnlich
die Gutachten Prof. Dr. A [S. 3] und C [S. 4] ein Ingenieur oder Techniker, der
Spritzgießwerkzeuge konstruiert und über das notwendige theoretische Wissen für die
D-Auslegung der Werkzeuge und der Eigenschaften der zu verarbeitenden Kunststoffe
verfügt und darüber hinaus ausreichende praktische Erfahrungen für den Bau solcher
Werkzeuge und deren Einsatz in der Produktion besitzt – in der konkreten
Ausgestaltung der beim Umsetzen der Vorformlinge als Funktionseinheit
zusammenwirkenden Leiste aus Träger, an ihm befestigten Einsatzelementen und
daran befindlichen Ansätzen verhältnismäßig viel Freiheit.
aa) Maßgebliche Grundlage – und nicht nur Richtlinie – für die Bestimmung des
Schutzbereichs einer patentierten Erfindung ist nach § 14 S. 1 PatG der Inhalt der
Patentansprüche (vgl. BGH GRUR 1986, 803 – Formstein; 1988, 896 – Ionenanalyse;
1989, 205 – Schwermetalloxidationskatalysator; 1989, 903 – Batteriekastenschnur;
1992, 305 – Heliumeinspeisung; st. Rspr). Die dortigen Anweisungen sind aus der Sicht
des angesprochenen Durchschnittsfachmanns auszulegen, wobei Begriffe nicht nach
ihrem sprachwissenschaftlich-philologischen Sinngehalt zu bestimmen sind und es
auch insoweit auf einen allgemeinen oder allgemein technischen Sprachgebrauch nur
ankommt, wenn die Klagepatentschrift keine andere Bedeutung vorgibt. Entscheidend
ist der technische Sinnzusammenhang, so wie er sich aus der Klagepatentschrift ergibt
(BGH, NJW-RR 1999, 546 – Sammelförderer), wobei nach § 14, S. 2 PatG zur
Auslegung einzelner Merkmale des Patentanspruchs die Beschreibung und die
Zeichnungen heranzuziehen sind. Die Patentschrift bildet insoweit ihr eigenes Lexikon
(BGH; GRUR 1999, 909, 912 – Spannschraube; Mitteilungen 2000, 105, 106,
Extrusionskopf). Die Beschreibung darf allerdings nicht dazu dienen, einen vom
Wortlaut des Anspruchs hergegebenen Bedeutungsinhalt einzuengen oder
auszuweiten. Ist der Wortlaut des Anspruchs weiter gefasst, dann kann man seinen
Sinngehalt nicht mit der Begründung einengen, die Beschreibung enthalte für ein so
weit gehendes Verständnis keine Beispiele (BGH GRUR 2004, 1023 – bodenseitige
Vereinzelungseinrichtung; 2007, 309 – Schussfädentransport; 2007, 778 –
Ziehmaschinenzugeinheit). Insbesondere darf der Schutzbereich nicht auf das in der
Klagepatentschrift erörterte bevorzugte Ausführungsbeispiel beschränkt werden (BGH v.
12. Februar 2008 – X ZR 153/05 – Mehrgangnabe). Allein aus der Nichterwähnung
einer bestimmten Ausführungsvariante in der Patentschrift kann nicht gefolgert werden,
sie liege außerhalb des Patentes (Schulte/Kühnen, PatG, 8. Auflage, § 14 Rdn. 32).
Wenn und soweit eine allgemeine Beschreibung in der Patentschrift fehlt oder
unergiebig ist, muss überprüft werden, ob die Ausführungsbeispiele über die sie
betreffenden Besonderheiten hinaus auch Aussagen enthalten, die allgemein für die
unter Schutz gestellte Erfindung wesentlich sind. Dabei darf man nicht dabei stehen
bleiben, was der Patentanspruch bei philologischer Betrachtung mit seinen Merkmalen
begrifflich aussagt, sondern es ist anhand der anderen Ansprüche, der Beschreibung
und der Zeichnungen zu ermitteln, was die Erfindung mit der betreffenden Vorgabe
erreichen will und welche Gestaltungsmöglichkeiten den Fachmann bei der Umsetzung
der betreffenden Vorgabe offen stehen. Diese gebotene funktionale Betrachtung darf
den Inhalt räumlich-körperlich definierter Merkmale jedoch nicht auf die reine Funktion
reduzieren und das Merkmal in einem Sinn interpretieren, der mit der dem Merkmal
eigenen räumlich-körperlichen Ausgestaltung nicht mehr übereinstimmt, anderenfalls
würde die Grenze zwischen wortsinngemäßer und äquivalenter Benutzung aufgelöst
(Meier-Beck, GRUR 2003, 905, 907; Schulte/Kühnen, a.a.O, Rdn. 29).
52
bb) Anspruch 1 lässt bereits offen, ob das Einsatzelement dem Formhohlraum für die
53
erste oder denjenigen für die zweite Komponente zugeordnet ist. Wird der am
Einsatzelement vorgesehene Ansatz beim Spritzen umgossen, muss entsprechend dem
in der Klagepatentschrift erläuterten und auch zeichnerisch dargestellten
Ausführungsbeispiel der Formhohlraum für die erste Komponente das Einsatzelement
aufnehmen und vor dem Spritzvorgang darin einfahren. Sofern der Ansatz einen
Hohlraum im Spritzkörper zurücklässt, der mit der zweiten Komponente gefüllt werden
soll, muss der Ansatz mit dem Einsatzelement vor dem Spritzen der zweiten
Komponente aus dem Bereich des zweiten Formhohlraumes entfernt werden. Wird die
Eingriffsöffnung für den Ansatz später nicht umspritzt, ist es dagegen möglich, das
Einsatzelement während des Spritzens der zweiten Komponente im zweiten
Formhohlraum zu belassen.
cc) Die in den Merkmalen 1.3 und 1.4 angesprochene Aussparung soll in dem
zugeordneten Hohlraum gebildet werden, indem in der formgebenden Fläche Bereiche
frei gelassen werden, die das Einsatzelement bei zugefahrenem Werkzeug aufnehmen,
das auf diese Weise die Aussparung verschließt und die formgebende Fläche zur
Herstellung eines Vorformlings wieder vervollständigt (Sachverständigengutachten S. 9,
Bl. 425 d.A.; ebenso Gutachten C, S. 7 und Gutachten Prof. Dr. A S. 4 und 7); insoweit
ist auch das Einsatzelement an der Formgebung beteiligt und bildet eine Teilkavität (so
zutreffend der gerichtliche Sachverständige, Anhörungsprotokoll, S. 3, 7 und 35; Bl. 622,
626 und 654 d.A.). Die Aussparung muss nicht rinnenförmig sein (so jedoch Gutachten
Prof. Dr. A, S. 6); Anspruch 1 enthält eine solche Vorgabe ebenso wenig wie konkrete
Vorschriften zur Dimensionierung des von der Aussparung aufzunehmenden
Einsatzelementes. Das hat auch der gerichtliche Sachverständige im Anhörungstermin
letztlich eingeräumt (Protokoll, S. 8, Bl. 627 d.A.). Folgte man jedoch seinen
Ausführungen, da die Aussparung die Einsatzelemente aufnehmen müsse und der
Fachmann bei der von ihnen gebildeten Leiste an eine schmale Konfiguration denke,
ergebe sich für die Aussparung dennoch eine rinnenförmige Gestalt
(Anhörungsprotokoll S. 40, Bl. 659 d.A.), beschränkte sich der Schutzbereich des
Klagepatentes letztlich auf das in der Patentschrift erörterte Ausführungsbeispiel. Richtig
ist zwar, dass die Aussparung das Einsatzelement aufnehmen und dessen Gestalt
entsprechen muss; Anspruch 1 erfasst aber jede Konfiguration, bei der diese
Übereinstimmung gegeben ist, sein weiter gefasster Wortlaut darf nicht durch Aussagen
in der Beschreibung eingeengt werden (BGH GRUR 2004, 1023 – bodenseitige
Vereinzelungseinrichtung).
54
dd) An welcher Stelle des Formhohlraums Aussparung, Einsatzelement und Ansatz
liegen, lässt Anspruch 1 ebenfalls offen; sie kann auch an dem dem zweiten
Formhohlraum benachbarten Ende des ersten Formhohlraums in der Nähe der
Drehwelle liegen (vgl. Gutachten C S. 7). Soweit der gerichtliche Sachverständige
erklärt hat, der Begriff "Aussparung" besage, dass diese in der Mitte des Formhohlraums
liegen müsse und nicht am Rand oder im Endbereich (Anhörungsprotokoll S. 38, Bl. 657
d.A.) kann der Senat dem nicht zustimmen. Der Begriff Aussparung besagt – wie bereits
ausgeführt – auch im Zusammenhang der patentierten Lehre nur, dass ein Freiraum
gelassen wird, der bei geschlossenem Werkzeug das Einsatzelement aufnimmt,
welches in diesem Freiraum die formgebende Kavität vervollständigt. Technisch kann
das auch der Endbereich des Formhohlraums sein; und auch der Sachverständige hat
keinen einleuchtenden Grund dafür angegeben, warum eine Aussparung dort dem
Klagepatent zuwider läuft. Später hat er eingeräumt, Aussparung und Einsatzelemente
könnten an jeder beliebigen Stelle des Formhohlraums vorgesehen werden
(Anhörungsprotokoll S. 45, Bl. 664 d.A.).
55
ee) Anspruch 1 sagt auch nicht, welche Größe die Einsatzelemente und die Aussparung
im Verhältnis zum Formhohlraum haben müssen (Gutachten C, a.a.O., S. 6); dass nach
Merkmal 3 die nebeneinander liegenden Einsatzelemente eine quer zu den
Formhohlräumen verlaufende Leiste bilden sollen, besagt in diesem Zusammenhang
nicht viel und ist insbesondere keine räumlich-körperliche Vorgabe einer schmalen und
schlanken Dimensionierung. Es mag sein, dass der Durchschnittsfachmann, wie auch
der gerichtliche Sachverständige ausgeführt hat (Gutachten S. 10, Bl. 426 d.A.) bei dem
Begriff "Leiste" – zunächst an eher schlanke und schmale Konfigurationen denkt, aber
die Dimensionierung hängt von verschiedenen Parametern ab, die der Sachverständige
(a.a.O., letzter Absatz) im Einzelnen aufgeführt hat. Soweit der Sachverständige seine
Ansicht damit begründet, die Leiste habe nur transport- aber keine formgebende
Funktion (vgl. Anhörungsprotokoll S. 16, 40; Bl. 635, 659 d.A.) folgt der Senat dem mit
Blick auf die Merkmale 1.3 und 1.4 nicht. Da die Leiste aus den Einsatzelementen
gebildet wird und diese stets formgebende Funktion haben, weil sie den Formhohlraum
am Ort der Aussparung vervollständigen, ist eine Trennung in formgebende und
Transportfunktion im Rahmen der Schutz beanspruchten Lehre nicht möglich. Auf die
formgebende Funktion der Einsatzelemente hat der gerichtliche Sachverständige an
anderer Stelle mehrfach und zutreffend hingewiesen (Anhörungsprotokoll S. 33 bis 37,
Bl. 652 bis 656 d.A.).
56
Insbesondere muss die Breite der Leiste nicht derjenigen der Ansätze entsprechen. Es
geht der Erfindung hauptsächlich darum, die aus der US-Patentschrift 2 923 035
bekannte Leiste, die wegen ihrer längs verlaufenden Unterbringung im Formhohlraum
entsprechend schmal sein musste, quer dazu verlaufen zu lassen, damit sie nicht mehr
große Teile des gesamten Formhohlraums verdeckt und dort das Anspritzen der zweiten
Komponente behindert. Betrachtet man die ältere Druckschrift genauer, resultieren die
Behinderungen daraus, dass das Einsatzelement in die zweite Werkzeugeinheit
mitgenommen wird und dort die Unterseite des Vorformlings für das Anspritzen der
zweiten Komponente versperrt. Vor diesem Hintergrund denkt der
Durchschnittsfachmann bei dem Ausdruck "Leiste" im Sinne der patentierten
technischen Lehre nicht nur an eher schmale Konfigurationen, sondern versteht ihn als
Umschreibung einer Gesamtheit der nebeneinander aufgereiht angeordneten
Einsatzelemente, ähnlich etwa einer Steckerleiste.
57
Auch der Hinweis auf die günstige Kinematik in den Vorteilsangaben der
Klagepatentbeschreibung führt zu keinem anderen Verständnis. Die günstige Kinematik
besteht hauptsächlich darin, dass anders als bei der an zweiter Stelle einleitend
erörterten Indexplatten-Technik zum Umsetzen der Vormformlinge nicht die gesamte
Formhälfte bzw. Formplatte mitbewegt werden muss, sondern nur der Träger mit den
Einsatzelementen und Ansätzen, wobei auch die Dimensionierung des Trägers nicht
vorgegeben ist, der insbesondere nicht wie im Ausführungsbeispiel gemäß Figur 8 der
Klagepatentschrift bügelförmig sein muss (so aber Gutachten Prof. Dr. A, S. 5 und 7 und
Sachverständigengutachten S. 4, Bl. 420 d.A. ; modifizierend Anhörungsprotokoll S. 20,
Bl. 639 d.A).
58
Dem kann nicht mit Erfolg entgegengehalten werden, die Klägerin bzw. Patentinhaberin
habe im Einspruchsverfahren ebenso wie das Europäische Patentamt zum Ausdruck
gebracht, eine Leiste sei ein länglicher Gegenstand, den eine plattenförmige
Transporteinheit nicht bilden könne. Vorgänge im Erteilungs- oder Einspruchsverfahren,
die, wie auch die hier genannten Äußerungen, nicht in die Patentschrift eingegangen
59
sind, können den Schutzbereich des Patentes nicht im Wege der Auslegung
einschränken (BGH, GRUR 2002, 511, 514 l. Sp. – Kunststoffrohrteil; Schulte/Kühnen,
PatG, 8. Aufl., §14 Rdn. 46).
ff) Des Weiteren lässt Anspruch 1 offen, ob die Vorformlinge zum Umsetzen von den
Ansätzen der Einsatzelemente wie im Ausführungsbeispiel der Klagepatentschrift
beschrieben, von oben hochgezogen oder von unten hochgedrückt werden; beides ist
möglich.
60
Im Übrigen befasst sich Anspruch 1 nur mit dem Umsetzvorgang der Vorformlinge (so
auch Sachverständigengutachten S. 5, Bl. 421 d.A.); er enthält insbesondere nicht die
Anweisung, dass es nur eine einzige aus Träger, Einsatzelementenleiste und Ansätzen
gebildete Einheit geben darf, die sofort nach dem Ablegen der umgesetzten
Vorformlinge aus der zweiten Kavität wieder in die erste zurückkehrt, wie das im
bevorzugten Ausführungsbeispiel dargestellt wird. Anspruch 1 beschränkt sich auf die
Vorgabe, dass nur eine Einheit jeweils das Umsetzen vornimmt, was nicht ausschließt,
dass es eine zweite gleich ausgebildete Einheit gibt, die abwechselnd mit der anderen
tätig wird, so dass jeder von ihnen nur jeden zweiten Umsetzvorgang ausführt und in die
erste Kavität zurückkehrt, während die andere Einheit die Vorformlinge in die zweite
Kavität bringt (vgl. Gutachten C S. 8).
61
Die Formulierung des Merkmals 1.3. lässt es auch zu, beide Gruppen von
Formhohlräumen mit Aussparungen und Einsatzelementen zu versehen. Mit dem Begriff
"formgebende Fläche des einen Werkzeugteils" meint das Klagepatent eine der beiden
trenn- und schließbaren Werkzeughälften, von denen jede beide Gruppen
Formhohlräume umfasst. Die Anordnung von Aussparungen und Einsatzelementen an
beiden Gruppen von Formhohlräumen hat den Vorteil, dass man keinen selbständigen
Arbeitsschritt für die Rückführung des Einsatzelementes benötigt, weil mit jedem
Umsetzen eines Vorformlings von der ersten in die zweite Kavität gleichzeitig ein
Einsatzelement aus der zweiten in die erste Kavität zurück fährt. Diese Ausgestaltung
setzt allerdings – wie schon erwähnt – voraus, dass der vom Ansatz hinterlassene
Leerraum nicht mit der zweiten Komponente gefüllt werden soll und der Ansatz nebst
Einsatzelement nach dem Umsetzvorgang zusammen mit dem Vorformling in die zweite
Kavität eingefahren wird und dort während des Spritzens der zweiten Komponente
verbleiben kann. Dass eine solche Ausgestaltung technisch möglich ist, hat auch der
gerichtliche Sachverständige nicht in Frage gestellt (Anhörungsprotokoll S. 11, Bl. 630
d.A.). Mittelbar findet der Fachmann das in der Patentbeschreibung bestätigt. Die
Angabe, die quer verlaufende Leiste nehme wenig Platz in Anspruch und ermögliche
große Freiheit beim Spritzen der zweiten Komponente, betrifft nur Ausführungsformen,
bei denen die Leiste während des Spritzens der zweiten Komponente in der zweiten
Kavität verbleibt. Bringt man sie wie im bevorzugten Ausführungsbeispiel vorher wieder
zurück in die erste Kavität, ist die zweite vollkommen frei von Hindernissen für das
Spritzen der zweiten Komponente. Letzteres hat auch der gerichtliche Sachverständige
bestätigt (Anhörungsprotokoll S. 17, Bl. 636 d.A.). Der Einwand im Gutachten Prof. Dr. A
(a.a.O. S. 7), eine solche Ausführungsform sei wegen der damit verbundenen
Kollisionsgefahr beider Einheiten technisch nicht ausführbar, überzeugt nicht. Sähe man
etwa bei dem in Figur 8 der Klagepatentschrift dargestellten Ausführungsbeispiel eine
zweite Leiste an der gegenüber liegenden Seite des Trägers vor, ist eine
Kollisionsgefahr nicht ersichtlich, denn beide Leisten führten zusammen mit dem Träger
gleichzeitig eine Drehbewegung aus. Kann man erfindungsgemäß auch so arbeiten, so
spricht auch aus der Sicht der Erfindung nichts dagegen, die beiden Transporteinheiten
62
zu einem einheitlichen Funktionsteil zu verbinden und in der Mitte zwischen den beiden
Formhälften anzuordnen. Das hat der gerichtliche Sachverständige im Anhörungstermin
letztlich bestätigt (Protokoll S. 22, 45; Bl. 641, 664 d.A.).
Auch hier steht nicht entgegen, dass das Merkmal 3 die aus den nebeneinander
angeordneten Einsatzelementen bestehende Funktionselementen als eine Leiste
bezeichnet. Wenn sich daraus überhaupt eine Begrenzung für die Breite der Leiste
ankommen und diese nur einen geringen Teil des Formhohlraums überdecken sollte, so
kann es für diese Dimensionierung auch nur um den auf die formgebende Fläche
entfallenden Teil gehen, während außerhalb liegende Bereiche beliebig dimensioniert
sein können. Bei solchen Konfigurationen kommt dem Abschnitt des den Formhohlraum
erfassenden Teils die Funktion einer Leiste und dem außerhalb liegenden Bereich die
Aufgabe des Trägers zu. Merkmal 3 enthält keine nähere Vorgabe dazu, auf welche
Weise die Leiste am Träger zu befestigen ist. Die Befestigung kann auch dadurch
erfolgen, dass Leiste und Träger Seite an Seite liegend angeordnet werden; bei dieser
Konfiguration bolden sie zusammen einen Balken oder sonst einen Quader bilden (vgl.
Sachverständiger, Anhörungsprotokoll S. 45, Bl. 664 d.A.).
63
Gegen diese Betrachtung spricht auch nicht das Merkmal 2, das in den Werkzeugteilen
zwei Gruppen von Formhohlräumen vorsieht, die verschiedenen Komponenten fest
zugeordnet sind. Anders als der Sachverständige im Anhörungstermin ausgeführt hat
(Protokoll S. 23 ff., BL. 642 ff. d.A.), besteht diese feste Zuordnung nicht schon dann,
wenn jeweils auf einer Seite des Werkzeugs nur eine Komponente gespritzt wird. Dies
traf auch auf die bekannten Indexplatten-Werkzeuge zu, von denen sich das
erfindungsgemäße Werkzeug unterscheidet, indem nicht (nur) jede der beiden Seiten
einer der beiden Komponenten zugeordnet ist, sondern auch jede der beiden Gruppen
von Formhohlräumen auf eine der beiden Komponenten festgelegt wird, so dass in jeder
Hohlraumgruppe nur die Form der jeweils zu spritzenden zugeordneten Komponente
berücksichtigt zu werden braucht. Auch diese Maßnahme grenzt die im Klagepatent
geschützte Erfindung von der an zweiter Stelle als Stand der Technik erörterten
Indexplatten-Maschinen ab, bei denen das Umsetzen durch Drehen der gesamten
beweglichen Formhälfte bewerkstelligt wurde und jeder ihrer beiden Kavitäten infolge
dessen alternierend zuerst der einen und dann der anderen Komponente zugeordnet
war. Eine Abgrenzung gegenüber dem älteren US-Patent 2 923 035 liegt darin, dass
anstelle der dort gelehrten beiden getrennten Werkzeugeinheiten ein einheitliches
Werkzeug für beide Komponenten bereitgestellt wird. Anspruch 1 definiert den
Formhohlraum in dem Sinne, dass in ihm eine der beiden Komponenten gespritzt wird.
Wird die zweite Komponente nur an einen bestimmten Abschnitt des Formkörpers
angespritzt, dann genügt es, wenn insoweit für diesen Abschnitt die von Merkmal 2
geforderte feste Zuordnung besteht, während die übrigen nicht betroffenen Abstände
eine wechselweise Zuordnung haben dürfen, also auch zum Transport der Vorformlinge
in die zweite Kavität genutzt werden können und nach dem Umsetzen zum zweiten
vollständigen Formhohlraum gehören. Auch dann wird keine komplette Formplatte bzw.
Werkzeughälfte bewegt. Bestätigt findet der Durchschnittsfachmann dieses Verständnis
durch den Unteranspruch 4; wenn dort gelehrt wird, die der anderen Komponente (damit
ist im Klagepatent die zweite Komponente gemeint) zugeordneten Hohlräume nur mit
der Formgebung dieser Komponente dienenden formgebenden Flächen auszurüsten,
bedeutet das, dass der allgemeiner gefasste Anspruch 1 auch Ausführungsformen
erfasst, bei denen nur ein Teil des der zweiten Komponente zugeordneten
Formhohlraums entsprechend beschaffen ist. Die Ausführungen der Klagepatentschrift
in Spalte 4, Zeilen 32 bis 36 für den ersten Formhohlraum und in Spalte 5 Zeilen 1 bis 9
64
für den zweiten Formhohlraum betreffen daher nur ein bevorzugtes
Ausführungsbeispiel.
gg) Zum Transport kann auch derjenige Abschnitt benutzt werden, der die
Borstenlochstifte enthält, die dann in bekannter Weise als Ansätze für den Transport
dienen können. Für Ausführungen mit nur einer Transportleiste hat das auch der
gerichtliche Sachverständige anerkannt (Anhörungsprotokoll S. 26, Bl. 645 d.A.),
dasselbe muss aber auch für Ausbildungen mit zwei derartigen Leisten gelten, auch
wenn der gerichtliche Sachverständige meint, der Durchschnittsfachmann ziehe eine
solche Ausgestaltung nach dem Gesamtinhalt der Klagepatentschrift nicht in Erwägung
(Anhörungsprotokoll a.a.O.). Dass man dann wieder in beiden Teilen symmetrisch
angeordnete Borstenlochstifte benötigt, steht dem nicht entgegen, weil die
klagepatentgemäße Lehre nicht darauf gerichtet ist, solche Konfigurationen auf jeden
Fall zu vermeiden. Die Klagepatentbeschreibung bezeichnet zwar die symmetrische
Ausbildung der Borstenlochfelder als sehr schwierig und hebt als Vorteil der
erfindungsgemäßen Lehre hervor, sie erübrige diese Schwierigkeit (vgl. Spalte 2, Zeilen
1 bis 15 und Spalte 3, Zeilen 28 ff.), das bedeutet aber nicht, dass von diesem Vorteil
stets Gebrauch gemacht werden muss und eine Vorrichtung den Schutzbereich der
Erfindung schon deshalb verlässt, weil sie auf die Verwirklichung dieses Vorteils
verzichtet. Auch der Sachverständige hat diese Schlussfolgerung nicht eindeutig
gezogen, als diese Ausführungen der Patentbeschreibung mit ihm erörtert wurden
(Anhörungsprotokoll S. 27 ff., Bl. 646 ff. d.A.). Eine solche Ausbildung ist, weil sie die
anderen Vorteile der Erfindung noch erreicht, als verschlechterte Ausführungsform noch
vom Sinngehalt des Anspruches 1 erfasst. Insbesondere die angestrebte rationelle
Fertigung wird schon dadurch erreicht, dass für beide Komponenten ein einheitliches
Werkzeug geschaffen wird und der Träger zusammen mit der Einsatzelementenleiste
und deren Ansätzen die Vorformlinge selbst in die zweite Kavität bringt. Auch die große
Freiheit beim Spritzen der zweiten Komponente ist gegeben, weil nach dem Umsetzen
der Vorformlinge abgesehen von dem Borstenlochfeld alle anderen Bereiche des
Bürstenkörpers "frei liegen" und dort die zweite Komponente angespritzt werden kann.
Es führt aus dem Schutzbereich des Klagepatentes nicht heraus, wenn man den
Nachteil zweier – dann symmetrisch auszubildender – Borstenlochfelder in Kauf nimmt,
weil dessen Vermeidung in Anspruch 1 keinen Niederschlag gefunden hat und für die
fest zugeordneten Bereiche der Formhohlräume alle erfindungsgemäß angestrebten
Vorteile auch erreicht werden. Auch der Sachverständige hat keine Aussage des
Anspruches 1 benennen können, aus der der Fachmann zumindest mittelbar hätte
entnehmen können, dass Ausführungsformen mit beiderseitigen Borstenlochstiften von
der unter Schutz gestellten Lehre nicht erfasst werden (Anhörungsprotokoll S. 28, 29; Bl.
647, 648 d.A.).
65
2.
66
Mit dieser technischen Lehre stimmt das angegriffene Werkzeug wortsinngemäß
überein.
67
a)
68
Unstreitig verwirklicht es die Merkmale 1, 1.1 und 1.2 der vorstehenden
Merkmalsgliederung, denn es weist zwei aufeinander zu- und voneinander
fortbewegbare Werkzeugteile auf, die gemeinsam mehrere gleiche nebeneinander
angeordnete Formhohlräume bilden.
69
b)
70
In Übereinstimmung mit den Merkmalen 1.3 und 1.4 weisen die Formhohlräume in der
formgebenden Fläche des einen, nämlich des unbeweglichen Werkzeugteils eine
Aussparung auf, die durch ein relativ zu diesem Werkzeugteil bewegliches
Einsatzelement verschließbar ist. Die in beiden Formhohlraumgruppen vorgesehene
Aussparung wird sichtbar, wenn, wie Bild 4 der Anlage K 9 zeigt, die aus Trägern und
Einsatzelementen/ Transportleisten bestehende block- bzw. quaderförmige und von der
beklagten als Wendeteil bezeichnete Funktionseinheit über das Höhenniveau der ihr
zugeordneten feststehenden Werkzeughälfte angehoben ist. Die Anordnung in der
formgebenden Fläche ihrer Formhohlräume zeigt sich daran, dass der beim Vorspritzen
auf den Bürstenkopf und den Hals entfallende Bereich in beiden Gruppen der
Formhohlräume auf der feststehenden Platte ausgespart ist und innerhalb der von den
Einsatzelementen gebildeten Zone liegt. Diese Aussparung ist durch ein relativ zu
diesem Werkzeugteil bewegliches Einsatzelement verschließbar, das bei der
angegriffenen Ausführungsform von jedem der beiden seitlich an den Mittelträger
anschließenden mit den unteren Formhohlraumabschnitten für den Bürstenkopf und –
hals versehenen Bereichen gebildet wird; werden diese beiden Teile aus der in
Abbildung 4 der Anlage K 9 gezeigten angehobenen Stellung in die auf Bild 3 dieser
Anlage gezeigte Stellung abgesenkt, ist die Aussparung verschlossen. Dass
Aussparung und Einsatzelement an beiden Kavitäten für beide Komponenten
vorgesehen sind, führt nach den vorstehenden Darlegungen nicht aus dem Wortsinn
des Merkmals 1.3 hinaus.
71
c)
72
In Übereinstimmung mit Merkmal 1.5 ist das einzelne Einsatzelement wie die von ihm
mit gebildete Leiste an einem Träger befestigt, nämlich an einer der beiden Seiten des
in der Mitte des "Wendeteils" befindlichen Trägerbalkens. Die Einsatzelemente bilden
entsprechend Merkmal 3 eine Leiste, indem die den Hals- und Bürstenkopfbereich der
Spritzlinge aufnehmenden Abschnitte der formgebenden Fläche nebeneinander quer
zur Längsrichtung der nebeneinander liegenden Formhohlräume verlaufend aufgereiht
sind. Dass diese Leiste nicht so schmal ausgebildet ist wie im Ausführungsbeispiel des
Klagepatentes, ist nach den vorstehenden Ausführungen unschädlich. Auch diese
Ausgestaltung erreicht eine große Freiheit beim Spritzen der zweiten Komponente, wie
sie die Klagepatent geschützte Erfindung anstrebt. In dem in vom Einsatzelement nicht
erfassten Stielbereich des Zahnbürstenkörpers besteht vollkommene Freiheit, weil in
diesen Abschnitt des Formhohlraums keinerlei Elemente der Transportvorrichtung
hineinragen und den Vorformling bedecken, und auch im von den Einsatzelementen
erfassten Bürstenkopf- und Halsbereich ist auf der oberen Seite ein Aufspritzen der
zweiten Komponente möglich; nur auf der unteren Seite im Bereich des durch die
Borstenlochstifte vorgeformten Borstenlochfeldes ist der Vorspritzling vom
Einsatzelement und den als Ansatz dienenden Borstenlochstiften abgedeckt und einem
Aufspritzen der zweiten Komponente unzugänglich. Dieser abgedeckte Bereich ist
verhältnismäßig klein und entspricht ungefähr einem Viertel der Bürstenkörperlänge des
Spritzlings. Bei dieser Ausgestaltung besteht, was nicht ernstlich in Zweifel gezogen
werden kann, ein deutlicher Unterschied zur vorbekannten US-Patentschrift 2 923 035,
bei der die Einsatzelementenleiste längs im Formhohlraum verläuft. Unerheblich ist es
weiterhin, dass der Träger anstelle des im Ausführungsbeispiel des Klagepatentes
genannten U-förmigen Bügels balkenförmig gestaltet ist, denn Anspruch 1 besagt über
73
die Form des Trägers ebenso wenig wie über die Art der Befestigung der
Einsatzelementenleiste daran, so dass diese auch dadurch bewerkstelligt werden kann,
dass sie ohne Zwischenräume direkt Seite an Seite mit dem Träger verbunden wird.
Unerheblich ist, dass die Vorspritzlinge beim Transport von den Einsatzelementen auch
über einen Teil ihrer Längserstreckung gehalten werden. Diese Ausbildung ändert
nichts daran, dass die Aufreihungsrichtung der Einsatzelemente quer zur Längsrichtung
verläuft; um die Vorformlinge während des Umsetzvorganges sicher zu lagern, ist eine
gewisse Auflage auch in Längsrichtung unvermeidlich; das ist auch bei dem in den
Figuren 1 bis 8 der Klagepatentschrift gezeigten Ausführungsbeispiel einer unter Schutz
gestellten Vorrichtung nicht anders.
74
Des Weiteren ist es, anders als der gerichtliche Sachverständige meint, für die
Verwirklichung der Lehre des Klagepatentes unerheblich, dass die beiden
balkenförmigen Einsatzelementeleisten zusammen mit dem ebenfalls balkenförmig
ausgebildeten Träger zu einer blockartigen von ihm und der Beklagten als Wendeteil
bezeichneten Funktionseinheit zusammengefasst sind. Es mag sein, dass bei dieser
Konfiguration beim Umsetzvorgang größere Gewichte bewegt werden müssen als bei
einer schmaleren und "zierlicheren" Ausbildung der Transportleiste. Das Klagepatent
strebt insoweit nicht die absolut bestmögliche Kinematik an, sondern lässt es genügen,
dass gegenüber der Indexplattentechnik die zu bewegenden Massen deutlich verringert
werden. Dass dies bei dem angegriffenen Werkzeug der Fall ist, bei dem anders als bei
der in Anlage K 16 dargestellten Indexplattentechnik nicht mehr die gesamte
Werkzeughälfte mit beiden kompletten Formhohlräumen bewegt werden muss, sondern
nur ein Ausschnitt aus der ansonsten feststehenden Werkzeugplatte, verringert die zu
bewegenden Massen gegenüber der Indexplattentechnik deutlich. Was die
Bewegungskinematik betrifft, erreicht die angegriffene Vorrichtung dasselbe wie das
Klagepatent. Die relativ schwere und als Ganzes zu bewegende ausfahrbare
Werkzeughälfte braucht nur eine Hub- und keine Drehbewegung mehr auszuführen,
während nach dem Abheben der ausfahrbaren Werkzeugplatte die leichtere
"Wendeplatte" bestehend aus Träger- und Einsatzelementeleiste ebenso wie im
Ausführungsbeispiel des Klagepatents eine Hub- und Drehbewegung ausführt.
75
d)
76
Wie sich aus den vorstehenden Ausführungen ergibt, ist auch die Merkmalsgruppe 1.7
erfüllt, denn mittels des Trägers ist ein gespritzter Vorformling aus dem für die erste
Komponente vorgesehenen Formhohlraum in den für die zweite Komponente
vorgesehenen Formhohlraum einbringbar.
77
e)
78
Auch das Merkmal 2 ist verwirklicht, weil in dem festen und in dem beweglichen
Werkzeugteil jeweils zwei Gruppen Formhohlräume gebildet werden, von denen jeder
eine der beiden Komponenten fest zugeordnet ist. Dass diese Zuordnung nur für den
den Bürstengriff betreffenden Bereich des Formhohlraums besteht, ist im Hinblick auf
Unteranspruch 4 unerheblich, denn jedenfalls dort wird erreicht, was das Klagepatent
mit Merkmal 2 bezweckt, dass nämlich jede der beiden verschiedenen
Formhohlraumgruppen nur diejenigen Elemente aufzuweisen braucht, die zur
Formgebung der ihr zugeordneten Komponente benötigt werden.
79
Darauf, ob auf die angegriffene Ausführungsform ihrerseits ein Patent erteilt worden ist,
kommt es im Rahmen einer wortsinngemäßen Patentverletzung nicht an. Selbst wenn
die angegriffene Vorrichtung also dem deutschen Patent 41 27 621 (Anlage B 1)
entspricht und dieses Patent eine erfinderische Weiterentwicklung darstellt und von der
Indexplatten-Technik ausgeht, wäre das eine vom älteren Klagepatent abhängige
Erfindung, die auch von dessen Lehre Gebrauch macht.
80
3.
81
a)
82
Da die Beklagte, wie vorstehend dargelegt, entgegen § 9 S. 2 Nr. 1 PatG eine
patentierte Erfindung benutzt, kann die Klägerin als Inhaberin des benutzten
Klagepatentes sie nach § 139 Abs. 1 PatG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2, 64 Abs. 1
und 3 EPÜ auf Unterlassung in Anspruch nehmen. Die Gefahr weiterer künftiger
Rechtsverletzungen ergibt sich daraus, dass die Beklagte im Rahmen ihrer
gewerblichen Tätigkeit die angegriffenen Handlungen bereits vorgenommen hat und
deshalb vermutet wird, dass sie dieses Verhalten auch in Zukunft wiederholen wird.
83
b)
84
Nach § 139 Abs. 2 PatG in Verbindung mit den genannten Bestimmungen des EPÜ hat
die Beklagte der Klägerin außerdem allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die
schutzrechtsverletzenden Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird. Sie hat
das Klagepatent schuldhaft verletzt, nämlich zumindest fahrlässig im Sinne des § 276
Abs. 1 Satz 2 BGB. Hätte sie, wie von ihr als einschlägig tätigem Fachunternehmen
verlangt, die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beachtet, hätte sie im Rahmen der
gebotenen Nachforschungen das Klagepatent auffinden und sodann bei zutreffender
rechtlicher Beratung ohne Schwierigkeiten feststellen können, dass die angegriffene
Ausführungsform mit der unter Schutz gestellten technischen Lehre wortsinngemäß
übereinstimmt. Die Beklagte kann insoweit nicht mit Erfolg einwenden, sie habe darauf
vertrauen dürfen, dass die im Einspruchsverfahren vom fachkundigen Europäischen
Patentamt getroffenen Feststellungen, wonach eine Platte und eine Stufe, wie sie der
entgegengehaltene Vorbenutzungsgegenstand aufwies, nicht mit einer Leiste bzw. einer
Aussparung im Sinne des Klagepatentes gleichzusetzen seien, und deshalb auch die
angegriffene Vorrichtung der unter Schutz gestellten Lehre nicht entspreche; dass der
Privatgutachter A und auch der gerichtliche Sachverständige zu ähnlichen Ergebnissen
gekommen seien, bestätige sie in ihrer Auffassung. Die Ausführungen der
Einspruchabteilung in ihrer Entscheidung vom 30. August 2000 (Anlage K2) haben nicht
zu einer Beschränkung des Klagepatentanspruches 1 geführt; er ist unter
Berücksichtigung von Beschreibung und Zeichnungen so auszulegen, wie der
Fachmann ihn nach dem Inhalt der Klagepatentschrift versteht. Die Ausführungen im
Einspruchsverfahren sind ihm nicht zugänglich und beeinflussen auch die Bestimmung
des Schutzbereiches nicht. Dass die Beklagte sich hierüber geirrt und sie für
auslegungsrelevant gehalten haben mag, entlastet sie nicht (vgl. BGH GRUR 1976,
579, 583 –Tylosin; 1964, 606, 610 – Förderband; 1961, 26 – Grubenschaleisen;
Schulte/Kühnen, a.a.O., §139, Rdn. 77; Benkard/Rogge/Grabinski, a.a.O., §139 Rdn. 48
ff. m.w.N.). Fahrlässig handelt nämlich auch, wer sich erkennbar im Grenzbereich des
rechtlich Zulässigen bewegt; er muss mit einer von der eigenen Einschätzung
abweichenden Beurteilung durch Gericht und Behörden rechnen (vgl. BGH GRUR
1999, 49 – Bruce Springsteen and his Band). Dass die Übereinstimmung des
85
angegriffenen Gegenstandes mit der patentierten Lehre nicht ohne weiteres und
zweifelsfrei verneint werden konnte, zeigt nicht zuletzt der Umstand, dass das
Privatgutachten C sie mit beachtlichen und vertretbaren Gründen bejaht hat. Unter
diesen Umständen hätte die Beklagte nur entlasten können, dass sie fachkundigen Rat
eingeholt und nach eingehender Prüfung aller Zweifelsfragen die Auskunft bekommen
hat, die Verletzung des Klageschutzrechtes sei eindeutig zu verneinen; für den
gegenteiligen Standpunkt komme kein ernsthaft vertretbarer Anhaltspunkt in Betracht.
Dass ihr nach entsprechender Prüfung dieser Rat erteilt worden ist, trägt sie jedoch
selbst nicht vor. Sie hat auch keine Unterlagen vorgelegt, die dem Senat die Beurteilung
ermöglicht hätten, wie die im Einspruchsverfahren erörterte vorbenutzte Vorrichtung im
einzelnen beschaffen war und ob sie nach dieser Beschaffenheit überhaupt einen
vertretbaren Grund bieten konnte, die angegriffene Vorrichtung mit ihr zu vergleichen.
Nach Artikel II § 1 IntPatÜG hat die Beklagte der Klägerin außerdem eine angemessene
Entschädigung dafür zu leisten, dass sie den Gegenstand der veröffentlichten
europäischen Anmeldung des späteren Klagepatentes bis zum Eintritt der
Ausschließlichkeitswirkungen benutzt hat, obwohl sie zumindest wissen musste, dass
diese Erfindung Gegenstand der veröffentlichten Anmeldung des Klagepatentes war.
86
c)
87
Da die Klägerin das genaue Ausmaß der Verletzungs- und Benutzungshandlungen
nicht kennt, hat sie ein rechtliches Interesse im Sinne des § 256 Abs. 1 ZPO daran, die
Verpflichtung der Beklagten zum Schadenersatz und zur Leistung einer angemessenen
Entschädigung zunächst dem Grunde nach feststellen zu lassen statt auf Leistung zu
klagen. Das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen ist hinreichend wahrscheinlich,
beziffern kann die Klägerin ihre Ansprüche aber erst, wenn ihr aus der
Rechnungslegung der Beklagten das Ausmaß der angegriffenen Handlungen bekannt
ist.
88
d)
89
Besteht die Verpflichtung der Beklagten zur Leistung einer angemessenen
Entschädigung und zum Schadenersatz dem Grunde nach fest, so entspricht es Treu
und Glauben (§ 242 BGB), dass sie der Klägerin über den Umfang der Verletzungs- und
Benutzungshandlungen Rechnung legt, denn die Klägerin kennt den Umfang dieser
Handlungen ohne eigenes Verschulden nicht, während die Beklagte die
entsprechenden Auskünfte ohne Schwierigkeiten geben kann und hierdurch auch nicht
unzumutbar belastet wird. Allerdings hat der Senat aus dem Urteilsausspruch im
Abschnitt I. 2. c) betreffend die zu erteilenden Auskünfte über die Gestehungskosten und
den erzielten Gewinn den Hinweis auf die fehlende Abzugsfähigkeit von Fixkosten und
variablen Gemeinkosten gestrichen, weil diese Angaben erst im Höheverfahren
Bedeutsamkeit erlangen können (BGH GRUR 2007, 772 – Rohrschweißverfahren). Da
die Aufnahme und auch die Streichung dieses Zusatzes den Umfang der insoweit
geschuldeten Rechnungslegungspflicht nicht berühren, ist mit der Streichung auch
keine teilweise Abweisung der Klage verbunden. Die Angaben der Namen und
Anschriften der gewerblichen Abnehmer und der Liefermengen schulden die Beklagten
gleichzeitig aus § 140 b PatG.
90
4.
91
Entgegen der Auffassung der Beklagten sind die geltend gemachten Ansprüche nicht
verwirkt. Die Verwirkung von Unterlassungsansprüchen kann nur eintreten, wenn der
Rechtsinhaber über einen längeren Zeitraum untätig geblieben ist, obwohl er den
Verstoß gegen seine Rechte kannte oder bei der gebotenen Wahrnehmung seiner
Interessen kennen musste und der Verletzer mit der Duldung seines Verhaltens durch
etwaige Berechtigte rechnen durfte, und wenn er sich daraufhin einen wertvollen
Besitzstand geschaffen hat (vgl. Benkard/Scharen, PatG/GbmG, 10. Aufl., § 9 Rdn. 66
m.w.N.). Die Verwirkung von Schadenersatzansprüchen setzt dagegen keinen
schutzwürdigen Besitzstand voraus, sondern nur, dass der Schuldner nach hinreichend
langer Duldung durch den Rechtsinhaber darauf vertrauen durfte, dieser werde nicht
mehr mit Schadenersatzansprüchen wegen solcher Handlungen an ihn herantreten, die
er aufgrund des geweckten Duldungsanscheins vorgenommen hat (vgl.
Benkard/Scharen, a.a.O., Rdn. 67 m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall
nicht erfüllt. Die Beklagte hatte keinen Grund anzunehmen, die Klägerein werde sie
wegen der hier in Rede stehenden Verletzung des Klagepatentes nicht mit
Unterlassungs- und Schadenersatzansprüchen belangen. In diesem Zusammenhang
darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Beklagte vorgerichtlich auf die Erhebung
der Verjährungseinrede verzichtet hat, bis über den Einspruch gegen das Klagepatent
endgültig entschieden sein würde; demzufolge musste sie auch und gerade nach dem
Vorliegen dieser Entscheidung noch mit einer Geltendmachung der Rechte aus dem
Klagepatent rechnen. Dass die Klägerin nach der im Mai 2000 ergangenen
Einspruchsentscheidung noch etwa zwei Jahre bis zur Erhebung der Klage gewartet
hat, reicht als Zeitspanne der Untätigkeit nicht aus, zumal sich aus dem Verzicht der
Beklagten auf die Verjährungseinrede ergibt, dass die Parteien schon damals in
Verhandlungen über eine Patentverletzung standen und es zur Darlegung der
Beklagten gestanden hätte, ob diese Verhandlungen nach dem Ergehen der
Einspruchsentscheidung abgebrochen worden sind und die Klägerin sich in der
Folgezeit auch außergerichtlich nichts mehr zur Durchsetzung ihrer
Ausschließlichkeitsrechte unternommen hat.
92
5.
93
Die von der Beklagten erhobene Verjährungseinrede scheitert daran, dass für den
Beginn der Verjährungsfrist nicht auf den Prioritätstag des Klagepatentes abzustellen
ist, sondern nach § 141 PatG a.F. auf den Zeitpunkt der Kenntnis der angegriffenen
Ausführungsform. Dass die Klägerin diese Kenntnis noch nicht im Jahre 1994 besaß,
hat sie unwiderlegt vorgetragen, denn sie hat in ihrer erstinstanzlichen Replik
ausgeführt, die 1994 abgemahnte Ausführungsform habe sich von der jetzt
streitgegenständlichen darin unterschieden, dass das Wendeteil den Stiel- und nicht
den Kopfbereich der Bürstenkörper ergriffen habe. Darin liegt ein erheblicher
Unterschied, weil bei der erstgenannten abgemahnten Ausführungsform nicht die
Borstenlochstifte gleichzeitig Transportansatz gewesen sein können und der Einsatz der
Borstenlochstifte als Transportmittel bei zwei alternierend eingesetzten Transportleisten
Fragen im Hinblick auf die Übereinstimmung mit der im Klagepatent unter Schutz
gestellten Lehre aufwirft, die sich bei der ersten Ausführungsform nicht stellten. Unter
diesen Umständen wäre es wiederum Sache der darlegungsbelasteten Beklagten
gewesen, aufzuzeigen, zu welchem Zeitpunkt die Klägerin die im jetzigen Verfahren
streitgegenständliche Ausführungsform kannte. Das hat sie jedoch nicht getan.
94
III.
95
Als unterlegene Partei hat die Beklagte nach § 91 Abs. 1 ZPO die Kosten des
Rechtsstreits zu tragen; die Anordnungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergeben sich
aus den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
96
Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil die hierfür in § 543 ZPO aufgestellten
Voraussetzungen ersichtlich nicht gegeben sind. Als reine Einzelfallentscheidung hat
die Rechtssache weder grundsätzlich Bedeutung im Sinne des § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO
noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes nach § 543 Abs. 2 Nr. 2
ZPO.
97