Urteil des OLG Düsseldorf vom 27.09.2001

OLG Düsseldorf: lebertransplantation, private krankenversicherung, planwidrige unvollständigkeit, vergütung, verordnung, angemessenheit, aufwand, gesundheit, auskunft, klinik

Oberlandesgericht Düsseldorf, I-8 U 181/00
Datum:
27.09.2001
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
8. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
I-8 U 181/00
Tenor:
Die Berufung des Beklagten gegen das am 28. September 2000 verkün-
dete Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf wird
zurückge-wiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Beklagten auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte darf die Zwangsvollstreckung des Klägers gegen Sicher-
heitsleistung in Höhe von 20.000 DM abwenden, wenn nicht der Kläger
vor der Vollstreckung in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
Die Sicherheiten können auch durch selbstschuldnerische Bürgschaft
einer deutschen Bank oder Sparkasse erbracht werden.
Die Revision wird zugelassen.
T a t b e s t a n d
1
Der Beklagte begab sich im August 1996 zur Vornahme einer Lebertransplantation in
die chirurgische Klinik des Virchow Klinikums der H.-U. zu B. Aufgrund einer
Wahlleistungsvereinbarung wurde er von dem Direktor der Klinik, dem Kläger,
persönlich behandelt. Dieser stellte dem Patienten für die Vornahme der
Lebertransplantation am 18. April 1997 30.142,86 DM in Rechnung. Dabei bewertete er
die Explantation der Spenderleber mit "18.000 Punkten gemäß Bundesärztekammer"
zum 3,5-fachen Satz mit 7.182 DM; für die Entfernung des erkrankten Organs des
Patienten setzte er 20.000 Punkte (7.980 DM) und für die Implantation der Spenderleber
22.000 Punkte (8.778 DM) - jeweils zum 3,5-fachen Satz - an. Die übrigen Leistungen
berechnete er nach den Ziffern der Gebührenordnung für Ärzte. Die private
Krankenversicherung des Beklagten akzeptierte für die Lebertransplantation nur
2.244,38 DM (3,5-facher Satz des Betrages nach Ziffer 3184 der GOÄ abzüglich 25%
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gem. § 6 a GOÄ) und erstattete dem Beklagten auf die Rechnung vom 18. April 1997
insgesamt 14.432,24 DM, die sie unmittelbar an den Kläger leistete. Weitere Zahlungen
erfolgten nicht.
Der Kläger begehrt den Restbetrag von 15.710,62 DM. Er hat geltend gemacht, die nach
der GOÄ für eine Lebertransplantation vorgesehene Vergütung umfasse nicht alle im
Rahmen einer Lebertransplantation anfallenden Leistungen, wie die gefäßchirurgische
Maßnahmen und die Explantation der Spenderleber, und sei - da sie aus einer Zeit
stamme, als die Lebertransplantation noch chirurgisches Neuland gewesen sei -
angesichts der heutigen Operationsverfahren unangemessen niedrig. Bereits im
Dezember 1991 habe die Bundesärztekammer deswegen den Vorschlag gemacht, eine
Lebertransplantation anhand einer Bewertung in der von dem Kläger vorgenommenen
Weise zu berechnen. Diese Stellungnahme der Bundesärztekammer habe immer noch
Gültigkeit, da der die chirurgischen Leistungen betreffende Teil (Abschnitt L) der GOÄ im
Rahmen der Novellierung der Verordnung vom 1. Januar 1996 keine Änderung erfahren
habe.
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Das Landgericht hat den Beklagten gemäß dem Antrag des Klägers durch
Versäumnisurteil vom 3. Dezember 1998 zur Zahlung von 15.710,62 DM nebst 4%
Zinsen seit dem 9. Oktober 1998 verurteilt. Gegen dieses Urteil hat der Beklagte
fristgerecht Einspruch eingelegt.
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Der Kläger hat sodann beantragt,
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das Versäumnisurteil vom 3. Dezember 1998 aufrechtzuerhalten.
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Der Beklagte hat beantragt,
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unter Aufhebung des Versäumnisurteils die Klage abzuweisen.
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Er hat vorgetragen,da die privatärztlichen Leistungen zwingend nach der geltenden
Gebührenordnung abzurechnen seien, könne für eine Lebertransplantation nur der
hierfür derzeit geltenden Satz nach Ziffer 3184 unter Berücksichtigung einer Erhöhung
nach § 5 GOÄ in Rechnung gestellt werden. Des weiteren hat der Beklagte sich darauf
berufen, daß das Honorar mangels einer gemäß den zwingenden Grundsätzen des § 12
GOÄ erstellten Rechnung nicht fällig sei.
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Das Landgericht hat nach Einholung eines Sachverständigengutachtens das
Versäumnisurteil vom 3. Dezember 1998 aufrechterhalten.
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Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung des Beklagten. Er vertieft sein
erstinstanzliches Vorbringen und macht geltend, für die vom Landgericht
vorgenommene Prüfung der Üblichkeit und Angemessenheit der Vergütung sei bei einer
durch Verordnung festgelegten Honorierung kein Raum.
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Der Beklagte beantragt,
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unter Abänderung der angefochtenen Entscheidung das Versäumnisurteil vom 3.
Dezember 1998 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Er verteidigt die Entscheidung des Landgerichts.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
von den Parteien eingereichten Schriftsätze Bezug genommen.
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Der Senat hat eine Auskunft des Bundesministeriums für Gesundheit eingeholt; wegen
des Ergebnisses dieser Auskunft wird auf das Schreiben des Ministeriums vom 9. Juli
2001 (Bl. 233 GA) verwiesen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
19
A.
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Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Dem Kläger steht gegenüber dem Beklagten
gemäß §§ 611, 612 BGB ein Anspruch auf Zahlung eines restlichen Honorars in Höhe
von 15.710,62 DM zu.
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1.
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Die Vergütung für ärztliche Leistungen richtet sich nach den Gebührentatbeständen der
GOÄ als verbindlicher Abrechnungsgrundlage (§ 1 Abs. 1 GOÄ); eine anderweitige und
analoge Berechnung anhand gleichwertiger Leistungen nach § 6 Abs. 2 GOÄ kommt im
Grundsatz nur dann in Betracht, wenn die Gebührentatbestände eine Lücke aufweisen,
weil es sich um eine ärztliche Verrichtung handelt, die nicht in das Gebührenverzeichnis
aufgenommen worden ist.
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2.
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Dies ist hinsichtlich der bei dem Beklagten vorgenommenen Behandlung zwar nicht der
Fall; die Lebertransplantation ist unter Abschnitt L Ziffer 3184 GOÄ ausdrücklich
aufgeführt und dort mit einem Honorargrundbetrag von 855 DM bewertet.
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Gleichwohl liegt hinsichtlich der Vergütung für ärztliche Leistungen bei der
Durchführung einer Lebertransplantation eine Verordnungslücke vor:
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a)
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Regelungslücken sind nicht nur dann anzunehmen, wenn der Gesetz- oder
Verordnungsgeber eine Frage bewußt offengelassen hat, um sie der Entscheidung der
Rechtsprechung und Lehre zu überlassen, oder wenn er sie unbewußt unbeantwortet
gelassen hat, also eine planwidrige Unvollständigkeit festzustellen ist. Eine -
ausfüllungsbedürftige - Lücke ist vielmehr auch dann zu bejahen, wenn das Recht zwar
formell eine Regelung enthält, diese aber wegen einer wesentlichen Änderung der
Verhältnisse so wenig sachgerecht ist, daß der Regelungscharakter verloren gegangen
ist.
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b)
29
Dies ist hinsichtlich des Gebührentatbestandes 3184 der Fall; die Höhe der Gebühren
für eine Lebertransplantation ist unangemessen niedrig:
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Die Bewertung des Honorars wurde im Zuge der Dritten Verordnung zur Änderung der
GOÄ im Jahr 1988 vorgenommen und ist trotz des erheblichen medizinischen
Fortschritts in den darauffolgenden Jahren unverändert geblieben, obwohl die
Weiterentwicklung der medizinischen Wissenschaft gemäß den Ausführungen des in
erster Instanz bestellten Sachverständigen Dr. K. eine grundlegende Verbesserung des
Transplantationsverfahrens und damit eine wesentliche Ausweitung der hierzu zu
erbringenden ärztlichen Leistungen zu Folge hatte. Dies hat dazu geführt, daß die
bisherige Bewertung des Honorars für eine Lebertransplantation nicht nur von der
Vertretung der Ärzteschaft, der Bundesärztekammer, sondern auch von dem
Verordnungsgeber selbst seit längerem als ungenügend angesehen wird: Das
Bundesministeriums für Gesundheit hat auf die Anfrage des Senats vom 26. Juni 2001 -
ob anläßlich der Novellierung der GOÄ im Jahre 1996 eine Erhöhung der Vergütung für
eine Lebertransplantation in Erwägung gezogen worden sei - mitgeteilt, daß dem
Verordnungsgeber die Auffassung der Bundesärztekammer, das bisherige Honorar sei
unzureichend, bekannt gewesen sei und das Ministerium bereits im Jahre 1996 eine
Gesamtnovellierung der GOÄ in zwei Teilschritten beabsichtigt, die Überarbeitung der
operativen Leistungen mit Blick auf ihren Umfang dabei aber für einen zweiten
Novellierungsschritt vorgesehen gehabt habe. Wie das Ministerium abschließend zum
Ausdruck gebracht hat, erachtet der Verordnungsgeber für diese - "aus verschiedenen
Gründen noch ausstehende" - abschließende Novellierung mit Blick auf den Aufwand
bei einer Lebertransplantation eine "deutliche" Erhöhung der Vergütung der
diesbezüglichen ärztlichen Leistungen für notwendig.
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3.
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Da das in Ziff. 3184 GOÄ festgelegte Honorar nicht - mehr - sachgerecht ist, die "Taxe"
im Sinne des §§ 612 BGB also nicht mehr die angemessene Vergütung - auf die der
Arzt Anspruch hat - darstellt, muß diese Lücke mit Hilfe einer Anwendung des § 6 Abs. 2
GOÄ dadurch ausgefüllt werden, daß das angemessene Honorar durch eine analoge
Berechnung anhand gleichwertiger Leistungen bestimmt wird:
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Der Sachverständige Dr. K. hat in dem von ihm erstinstanzlich erstatteten Gutachten die
wesentlichen ärztlichen Verrichtungen, die zur Durchführung einer Lebertransplantation
erforderlich sind, aufgeführt, ihnen die entsprechend bewerteten Gebührentatbestände
der GOÄ gegenübergestellt und ist überzeugend zu dem Ergebnis gelangt, daß die von
der Bundesärztekammer vorgenommene Punktbewertung der ärztlichen Leistungen, an
der sich die Berechnung des Klägers orientiert, angemessen ist.
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4.
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Die Vergütungsforderung ist auch fällig. Dem Beklagten ist zuzugeben, daß die
Rechnung vom 18. April 1997 entgegen der Vorschrift des § 12 Abs. 4 GOÄ keine
Hinweise dazu enthält, worauf die von der Bundesärztekammer empfohlene
Punktbewertung fußt. Auf eine sich hieraus ergebende mangelnde Nachvollziehbarkeit
der Liquidation kann der Beklagte sich allerdings nach Erstattung des Gutachtens durch
den erstinstanzlich beauftragten Sachverständigen nicht mehr berufen. Dr. K. hat den
Aufwand für die Durchführung der Lebertransplantation im einzelnen dargestellt, so daß
der Beklagte nunmehr in die Lage versetzt wurde, die Vornahme der in die Berechnung
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eingeflossenen Behandlungsschritte zu prüfen und zu der analogen Berechnung
Stellung zu nehmen.
5.
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Der Zinsanspruch des Klägers ist aus dem Gesichtspunkt des Verzuges gerechtfertigt.
38
B.
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Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 97 Abs 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
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Die Beschwer des Beklagten liegt unter 60.000 DM.
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Die Revision war gemäß § 546 ZPO zuzulassen; die Frage der Angemessenheit der in
der GOÄ festgelegten Vergütungssätze für ein Transplantationsverfahren ist von
allgemeiner Bedeutung und bisher höchstrichterlich noch nicht entschieden.
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