Urteil des OLG Düsseldorf vom 11.10.2004

OLG Düsseldorf: grundstück, wirtschaftliche einheit, geeignete stelle, duldungspflicht, eigentum, eigentümer, unzumutbarkeit, kabel, ermessensspielraum, vollstreckbarkeit

Oberlandesgericht Düsseldorf, I-9 U 25/04
Datum:
11.10.2004
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
9. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
I-9 U 25/04
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 10. Zivilkammer
- Einzelrichterin - des Landgerichts Mönchengladbach (10 O 667/02)
vom 9. Januar 2004 teilweise abgeändert und die Klage insgesamt
abgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
G r ü n d e
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I.
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Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 ZPO
abgesehen.
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II.
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Die zulässige Berufung der Beklagten hat Erfolg.
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Dem Kläger steht kein Anspruch gemäß § 1004 Abs. 1 BGB, der insoweit allein in
Betracht kommenden Anspruchsgrundlage, auf Beseitigung der über sein Grundstück
verlaufenden Stromleitung und Wiederherstellung desjenigen Zustandes, der vor der
Entfernung der Stromleitung vorhanden gewesen ist, zu.
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Zwar sind die Voraussetzungen des § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB erfüllt. Eine
Beeinträchtigung des Eigentums des Klägers liegt schon darin, dass die Beklagte auf
dem Grundstück eine Stromleitung unterhält.
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Der Kläger ist aber gemäß § 1004 Abs. 2 BGB zur Duldung der Beeinträchtigung
verpflichtet.
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Eine Duldungspflicht folgt aus § 8 Abs. 1 Satz 1 und 2 AVBeltV, da der Kläger
Grundstückseigentümer und Kunde bzw. Anschlussnehmer der Beklagten ist. Entgegen
der Auffassung des Klägers kommt es nicht darauf an, ob die konkret in Anspruch
genommene Grundstücksparzelle mit Strom versorgt wird. Aufgrund des
Grundstücksbegriffs der Versorgungsbedingungen ist vielmehr ausschlaggebend, ob
eine katastermäßige Parzelle, die mit der fraglichen Parzelle und gegebenenfalls
weiteren Parzellen eine wirtschaftliche Einheit bildet, an die Elektrizitätsversorgung
angeschlossen ist (vgl. OLG Hamm RdE 1997, 152 ff.). § 8 AVBeltV erfasst gerade
diejenigen Leitungen, die nicht zur Versorgung des angeschlossenen Grundstücks
erforderlich sind. Erst in diesen Fällen findet die unentgeltliche Duldungspflicht des
Grundeigentümers ihren sozialen Bezug in dem Umstand, dass er als Mitglied der
Versorgungsgemeinschaft selbst das örtliche Leitungsnetz für seine Versorgung in
Anspruch nimmt (vgl. Hermann/Recknagel/Schmidt-Salzer, Kommentar zu den
allgemeinen Versorgungsbedingungen, 1981, § 8 AVBeltV Rdnr. 53).
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Die Duldungspflicht setzt weiter voraus, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
gewahrt ist, d.h. die Heranziehung des Grundeigentümers in dem vorgesehenen
Umfange zur Erfüllung der dem Versorgungsunternehmen übertragenen öffentlichen
Aufgaben erforderlich ist und den Betroffenen nicht mehr als notwendig und nur in
zumutbarem Umfang belastet (vgl. § 8 Abs. 1 Satz 3 AVBeltV).
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Bei der erforderlichen Abwägung ist als dem Regelfall davon auszugehen, dass
zumindest in dem von § 8 AVBeltV geregelten Umfang die Inanspruchnahme des
Grundstücks zumutbar ist und es nur durch die besonders gelagerten Umstände des
Einzelfalls zu einer Überschreitung dieser Grenze kommt, für die der
Grundstückseigentümer darlegungs- und beweispflichtig ist (vgl. Hermann/Recknagel/
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Schmidt-Salzer, a.a.O. Rdnr. 66).
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Eine derartige Unzumutbarkeit hat der Kläger erstinstanzlich mit dem Vortrag geltend
gemacht, dass eine Belastung des Eigentums Dritter dann nicht in Betracht komme,
wenn die Erschließung über das eigene Grundstück des Anschlussnehmers selbst
möglich sei (vgl. BGH NJW-RR 1993, 141, 142); die Stromversorgung der Nutzer des
Grundstücks Flurstück ... könne von der ... Straße aus erfolgen und damit über das
eigene Grundstück (vgl. Klageschrift S. 8, Bl. 8 GA).
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Die Berufung macht nun geltend, dass in der ... Straße kein Stromkabel liege. Dieser
Umstand ist im nachgelassenen Schriftsatz vom 27.09.2004 unstreitig geworden und
der Entscheidung zugrunde zu legen.
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Zum einen liegt ein Fall des § 531 Abs. 2 Ziff. 2 ZPO vor. Das Landgericht hätte im
Hinblick auf den Sachvortrag der Beklagten, dass nämlich die Trassenführung der
Stromleitung zum Zeitpunkt der Verlegung dem wirtschaftlich günstigsten Verlauf
entsprochen habe und auch heute noch entspreche, da eine Verlegung entlang der ...
Straße und ... Straße (wie vom Kläger geltend gemacht) mehrerer 10.000 EUR kosten
würde (S. 4 der Klageerwiderung, Bl. 51 GA), dass die Beklagte auch nicht verpflichtet
sei, die Stromleitungen dem Straßenverlauf folgend zu verlegen, nur weil diese
Grundstücke im öffentlichen Eigentum der Stadt ... stünden (Klageerwiderung S. 7, Bl 54
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GA), dass ein Ermessensfehler dann nicht vorliege, wenn anstatt der Möglichkeit der
Leitungsverletzung über eine im öffentlichen Eigentum stehende Straße das Grundstück
eines unbeteiligten Dritten in Anspruch genommen werde, weil die Leitungsführung
über ein öffentliches Grundstück ein Umweg mit erheblichen Mehrkosten bedeuten
würde (Schriftsatz vom 06.05.2003, S. 6, Bl. 68 GA), nachfragen müssen, ob tatsächlich
in der ... Straße Stromleitungen liegen.
Zum anderen ist der Senat der nunmehr herrschenden Meinung in Rechtsprechung und
Literatur, dass neues unstreitiges Vorbringen in der Berufungsinstanz unabhängig vom
Vorliegen der Voraussetzungen des § 531 Abs. 2 ZPO zumindest dann zu
berücksichtigen ist, wenn es andernfalls zu einer evident unrichtigen Entscheidung
käme und keine weiteren Beweiserhebungen erforderlich werden (vgl. OLG Karlsruhe
MDR 2004, 1020).
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Die Notwendigkeit der Inanspruchnahme gerade des Grundstücks des Klägers lässt
sich auch nicht deshalb leugnen, weil die Leitungstrasse unter Verschonung der
Grundstücke des Klägers durch die ... Straße hätte geführt werden können und diese im
Eigentum der öffentlichen Hand steht.
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Dem betroffenen Eigentümer ist es grundsätzlich verwehrt, das
Versorgungsunternehmen auf die Inanspruchnahme eines anderen Duldungspflichtigen
zu verweisen. Es ist Sache des Versorgungsunternehmens über die Streckenführung,
für die technische und wirtschaftliche Erwägungen maßgebend sind, und damit auch
darüber zu befinden, welchen von mehreren in Frage kommenden Duldungspflichtigen
es heranziehen will. Dabei steht dem Unternehmen ein Ermessensspielraum zu.
Gerichtlich kann die getroffene Entscheidung nur dahin überprüft werden, ob sich das
Versorgungsunternehmen im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens gehalten hat (vgl.
BGH NJW-RR 1991, 841, 842).
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Insoweit durfte das Versorgungsunternehmen berücksichtigen, dass die Erschließung
des Grundstückes Flur 145 nur durch Verlegung eines Kabels - auch nach dem im
nachgelassenen Schriftsatz vom 27.09.2004 vorgelegten Leitungsplan - in der K...
Straße möglich ist, um dieses dann an das im Kreuzungsbereich R... Straße/K... Straße
verlegte 25-KV-Kabel anzuschließen. Insoweit hätte öffentlicher Verkehrsraum in
Anspruch genommen werden müssen, der gemäß § 8 Abs. 6 AVBeltV grundsätzlich von
der unentgeltlichen Duldungspflicht nach § 8 Abs. 1 AVBeltV freigestellt ist, während die
Voreigentümer des Klägers mit einer Verlegung der Leitung über ihr Grundstück
einverstanden waren.
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Soweit der Kläger im nachgelassenen Schriftsatz vom 07.09.2004 darauf hinweist, dass
die Eigentümer des Grundstückes "A.../P...-Markt" nach § 10 Abs. 5 Nr. 1 AVBeltV die
durch eine eventuelle Umlegung entstehenden Mehrkosten zu tragen hätten, ist dies
unerheblich. Diese Kosten spielen bei der Ermessensentscheidung im Rahmen der
Erstverlegung naturgemäß keine Rolle.
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Soweit der Kläger damit zum Ausdruck bringen will, dass im Rahmen der Erstverlegung
hätte bedacht werden müssen, dass die Eigentümer des Flurstückes 145 bereits bei der
Errichtung der Stromleitung diese Kosten gemäß § 10 Abs. 5 Nr. 1 AVBeltV zu tragen
gehabt hätten, trifft dies nicht zu. Diese Vorschrift betrifft die Kosten für die Erstellung
des Hausanschlusses. Nicht erfasst werden jedoch die Kosten, die durch die Verlegung
einer Leitung in die K... Straße entstanden wären. Diese Kosten hätte die Beklagte
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tragen müssen. Daher war es auch nicht ermessensfehlerhaft, die Leitung über die
Grundstücke des Klägers zu führen.
Damit ergibt sich aus § 8 Abs. 1 AVBeltV eine fortdauernde Duldungspflicht des
Klägers, die seinem Begehren auf völlige Beseitigung der Leitung entgegensteht.
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Der Kläger hat auch keinen Verlegungsanspruch gemäß § 8 Abs. 3 Satz 1 AVBeltV.
Nach dieser Bestimmung kann eine Verlegung an eine andere geeignete Stelle nur
dann verlangt werden, wenn der Verbleib an der bisherigen Stelle unzumutbar
geworden ist. Abgesehen davon, dass der Verlegungsanspruch nur unter besonderen
Umständen zu einer gänzlichen Entfernung der Einrichtung auf dem Grundstück führt
(vgl. Hermann/Recknagel/Schmidt-Salzer, a.a.O., § 8 Rdnr. 105), hat der Kläger keine
Umstände vorgetragen, die zu einer nachträglichen Unzumutbarkeit der Leitung auf
seinem Grundstück führen. Soweit im Schriftsatz vom 04.09.2003 anklingt, dass es sein
könne, dass nach Ablaufen des jetzigen Pachtvertrages mit dem Tankstellenbetreiber
das Grundstück neu bebaut werden müsse (Bl. 98 GA), genügt dies nicht. Eine bloße
abstrakte Absicht das Grundstück anderweitig zu bebauen, spielt bei der
Interessenabwägung keine Rolle (vgl. BGH NJW-RR 1991, 841, 843;
Hermann/Recknagel/Schmidt-Salzer, a.a.O., Rdnr. 72).
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11,
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711 ZPO.
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Die Revision wird nicht zugelassen, da die gesetzlichen Voraussetzungen nicht
vorliegen (§ 543 Abs. 2 ZPO).
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Streitwert:
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I. Instanz: 10.584,20 EUR
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II. Instanz: 10.000,00 EUR
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Beschwer des Klägers: unter 20.000,00 EUR
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