Urteil des OLG Düsseldorf vom 17.12.2002

OLG Düsseldorf: versicherungsschutz, benzin, feuer, kauf, brand, garage, klageerweiterung, geständnis, beweiserleichterung, wasser

Oberlandesgericht Düsseldorf, I-4 U 107/02
Datum:
17.12.2002
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
4. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Teil-Anerkenntnis- und Schlussurteil
Aktenzeichen:
I-4 U 107/02
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers wird das am 20. März 2002 verkündete
Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf - Einzelrichter -
abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Es wird festgestellt, dass die Beklagte dem Kläger, sei-ner Ehefrau R....
G... und seinem Sohn A.... G... Versi-cherungsschutz wegen der
Schadensersatzansprüche zu ge-währen hat, die W.... M..., ..., die L... B...
H..., ...und die H... GmbH aufgrund des Brandereignisses vom 23. Januar
2000 in der G... St... in L... geltend ma-chen.
Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz hat die Be-klagte zu tragen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Kläger zu 40 % und die
Beklagte zu 60 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Schuldner kann die
Vollstreckung des Gläubigers durch Sicherheits-leistung in Höhe von
120 % des beizutreibenden Betrages abwenden, sofern nicht der
Gläubiger vor der Vollstre-ckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
G r ü n d e
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I. Der Kläger unterhält bei der Beklagten eine Privathaftpflicht-Versicherung, in der seine
Ehefrau und sein am 9. Juni 1988 in K.../UdSSR geborener Sohn A... mitversichert sind.
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Am 23. Januar 2001 brannte in Lathen ein Carport aus. Ferner wurden ein Pkw zerstört
und Gegenstände in der neben dem Carport gelegenen Garage durch Hitzeeinwirkung
beschädigt. Das Feuer hat A... gelegt, der auf dem Heimweg von der Schule den
unverschlossenen Carport aufsuchte, um sich dort vor seiner Mutter zu verbergen. Aus
einem dort vorgefundenen Kanister schüttete er etwas Flüssigkeit auf den Boden und
zündete diese mit einem Feuerzeug an.
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Wegen des entstandenen Sachschadens, der sich nach den Angaben des Klägers auf
35.629,65 EUR beläuft, haben die Geschädigten seinen Sohn auf Ersatz in Anspruch
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genommen. Mit Schreiben vom 30. April 2001 lehnte die Beklagte die Gewährung von
Versicherungsschutz für A... ab, weil er vorsätzlich gehandelt habe.
Der Kläger hat geltend gemacht: Sein Sohn habe den Carport nicht in Brand setzen
wollen. Die Flüssigkeit, von der er nicht gewusst habe, dass es sich um Benzin
gehandelt habe, habe er nur aus kindlichem Spieltrieb angezündet.
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Der Kläger hat beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, ihn gegenüber W.... M..., G... St..., L..., der L... B... H...,
Sch..., H..., und der H... GmbH für Schäden aus dem Feuerschaden vom 23. Januar
2001 in L..., G... St..., freizustellen.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie hat geltend gemacht: Aufgrund des Tathergangs, wie er sich aus der Ermittlungsakte
ergebe, könne keinem Zweifel unterliegen, dass A... den Carport in Brand setzen wollte,
oder die Verursachung eines Feuerschadens jedenfalls billigend in Kauf genommen
habe. Ein normal entwickelter 12-Jähriger wisse, dass das Entfachen eines Feuers
mittels Benzin neben einem geöffnet zurückgelassenen Benzinkanister in einem
Holzgebäude unweigerlich dazu führen müsse, dass das Objekt mit den angrenzenden
Nebengebäuden abbrenne.
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Dieser Beurteilung hat sich das Landgericht angeschlossen und die Klage abgewiesen,
da die Eintrittspflicht der Beklagten nach § 4 Abs. 2 Nr. 1 AHB i.V.m. § 152 VVG
ausgeschlossen sei.
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Dagegen wendet sich der Kläger mit der Berufung.
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Er beantragt,
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das angefochtene Urteil abzuändern und festzustellen, dass die Beklagte ihm,
seiner Ehefrau R.... G... und seinem Sohn A.... G... Versicherungsschutz wegen der
Schadensersatzansprüche zu gewähren hat, die von der L... B... H..., Sch..., H..., in
Höhe von 23.297,93 EUR, von W.... M..., Gr... St... , L..., in Höhe von 6.434,29 EUR
und der H... GmbH in Höhe von 5.898,03 EUR infolge des Brandereignisses vom
23. Januar 2001 an der G... St..., L..., geltend gemacht werden.
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Die Beklagte, die das Feststellungsbegehren unter Verwahrung gegen die Kostenlast
insoweit anerkennt, als der Kläger für sich selbst und seine Ehefrau
Versicherungsschutz in Anspruch nimmt, beantragt im übrigen,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Prozessakte und der zu
Informationszwecken beigezogenen Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft O... 7 Js
5949/01 Bezug genommen.
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II. Die Berufung des Klägers hat Erfolg.
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1. In erster Instanz hat der Kläger begehrt, ihn von den Ersatzansprüchen der Gläubiger
aufgrund des Brandschadens freizustellen. Wörtlich verstanden bedeutet das, dass es
ihm um die Befreiung von Ansprüchen ging, die gegen ihn persönlich - etwa wegen der
Verletzung seiner Aufsichtspflicht - erhoben wurden. Zwischen den Parteien bestand
indes Einvernehmen darüber, dass es ihm in Wirklichkeit um Versicherungsschutz für
seinen Sohn A... ging, weil nur er bis dahin wegen des Schadensereignisses auf Ersatz
in Anspruch genommen worden ist (GA 4, 5, 28). Nur so wird verständlich, warum die
Parteien vor dem Landgericht - im Hinblick auf § 152 VVG - ausschließlich über die
vorsätzliche Verursachung des Brandschadens durch A... gestritten und warum das
Landgericht die Klage wegen einer vermeintlichen Vorsatztat des Versicherten
abgewiesen hat. Deshalb geht - wie bereits in der mündlichen Verhandlung vom 3.
Dezember 2002 erörtert - auch der Senat davon aus, dass Streitgegenstand des
Verfahrens erster Instanz A...s Anspruch auf Haftpflichtversicherungsschutz war und
dass der Kläger dieses Begehren - richtigerweise beschränkt auf einen
Feststellungsantrag (BGH VersR 1981, 173) - mit der Berufung weiterverfolgt.
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2. Soweit es um Versicherungsschutz für A... geht, steht außer Frage, dass die geltend
gemachten Schadensersatzansprüche in den Schutzbereich des
Versicherungsvertrages fallen. Dass das Brandereignis nicht zu den Gefahren des
täglichen Lebens gehört und Folge einer ungewöhnlichen oder gefährlichen
Beschäftigung ist (vgl. Privathaftpflicht-Nr. 1., zitiert nach Prölss/Martin, VVG, 26. Aufl.,
S. 1212), macht die Beklagte mit Recht nicht geltend. Ungewöhnlich oder gefährlich ist
die schadenstiftende Handlung nur, wenn sie im Rahmen einer allgemeinen Betätigung
erfolgt, die ihrerseits sowohl ungewöhnlich als auch gefährlich ist (vgl. Voit in:
Prölss/Martin, a.a.O., Nr. 1 Privathaftpflicht-Rn. 11 m.w.N.). Dass das Spielen eines 12
1/2-jährigen Kindes nicht nur in concreto, sondern allgemein ungewöhnlich und
gefährlich ist, ist indes nicht erkennbar.
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3. Streitentscheidend ist somit, ob A... vorsätzlich gehandelt hat, weil in dem Fall die
Eintrittspflicht des Versicherers gemäß § 4 Abs. 2 Nr. 1 AHB und § 152 VVG entfiele.
Diesen Nachweis, den der Versicherer führen muss (Langheid in: Römer/Langheid,
VVG, § 152 Rn. 9), hat die Beklagte aber nicht erbracht.
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Die Voraussetzungen des Ausschlusstatbestandes sind nur erfüllt, wenn der Versicherte
nicht nur die schadenstiftende Handlung vorsätzlich begangen, sondern auch die
Schadensfolgen billigend in Kauf genommen hat (OLG Frankfurt VersR 1998, 573, 574;
OLG Köln VersR 1992, 88; Senat VersR 1966, 481; Langheid, a.a.O., § 152 Rn. 3 f.). Auf
den Beweis des ersten Anscheins kann sich die Beklagte dabei - nicht berufen (BGH
NJW 1988, 2040, 2041; Langheid, a.a.O., § 152 Rn. 9; Zöller/Greger, ZPO, 23. Aufl., vor
§ 284 Rn. 31). Sofern zielgerichtetes Handeln nicht eingeräumt wird, kann der
Vorsatznachweis vielmehr nur indiziell aufgrund objektiver Tatumstände geführt werden.
Das bedeutet: Wenn nach den Verhältnissen anzunehmen ist, dass sich der Versicherte
über die Folgen seines Tuns klar sein musste, so wird daraus regelmäßig abgeleitet,
dass er sich über diese Folgen auch tatsächlich im Klaren gewesen ist (OLG Frankfurt,
a.a.O., 575; Senat, a.a.O., 481). Diese sich auf die Lebenserfahrung gründende
Beweiserleichterung kann aber, wenn es sich um spielerische Handlungen von Kindern
handelt, nicht oder nur eingeschränkt in Anspruch genommen werden.
Handlungsweisen, die bei Erwachsenen im Allgemeinen auf einen Schädigungswillen
hinweisen, können bei Kindern auf spielerischem Übermut beruhen, der, sofern er
überhaupt für eine Vorstellung möglicher Schadensfolgen Raum lässt, diese infolge
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überstarken Spieltriebes regelmäßig verdrängt und dadurch den Schädigungsvorsatz
ausschließt (Senat, a.a.O.). Dementsprechend ist bei der Bejahung eines
schadenstiftenden Vorsatzes, sei es auch nur in Form eines Eventualvorsatzes, bei
Kindern regelmäßig größte Zurückhaltung geboten (vgl. BGH VersR 1983, 477; OLG
Frankfurt, a.a.O., OLG Köln, a.a.O.; Senat, a.a.O.). Das hat das Landgericht im Streitfall
nicht hinreichend berücksichtigt.
4. So hätte zwar einem Erwachsenen zwangsläufig bewusst sein müssen, dass die
Entzündung von Benzin in einem hölzernen Carport zu eben den Folgen führt, die sich
im Streitfall ereignet haben. Bei dem 12 1/2-jährigen A... kann dieses Wissen jedoch
nicht in gleicher Weise vorausgesetzt werden. Zwar wird man noch davon ausgehen
können, dass er vorausgesehen hat, dass die Flüssigkeit, die er aus einem der beiden
von ihm vorgefundenen Kanister auf den Fußboden geschüttet hat, brennbar war. Der
gegenteiligen Behauptung des Klägers, A... sei überrascht gewesen, dass die Lache
sich entzünden ließ (GA 74), steht insoweit ein erstinstanzliches Geständnis entgegen.
In der Klageschrift hat der Kläger nämlich noch eingeräumt, dass A... die Flüssigkeit
angesteckt habe, um festzustellen, ob sie brennen würde (GA 3). Dann muss er aber
einen Erfolg seiner Bemühungen immerhin für möglich gehalten haben. Indessen
besagt das noch nicht, dass er bereits über das Wissen und die Erfahrung verfügte, dass
Benzin oder ähnliche Substanzen mit konventionellen Mitteln, wie Wasser oder einer
Handvoll Schnee, mit der sein fast 11-jähriger Freund, E... K..., in kindlicher Naivität
einen Löschversuch unternommen hat (BA 20), nicht mehr ohne weiteres gelöscht
werden können. Hinzu kommt: Ob A... großflächig Benzin auf den Untergrund des
Carports ausgebreitet hat, ist nicht bekannt. Dementsprechend ist auch offen, ob die
Benzinlache bis an die Holzeinfassung heranreichte. Dass A... damit gerechnet haben
muss, dass die Flammen die Aufbauten erreichen und auf den in der Nähe geparkten
Passat übergreifen, ist somit nicht feststellbar. Ernsthafte Zweifel daran sind schon
deshalb gerechtfertigt, weil das Feuer nach den Bekundungen von E... K..., den A... zum
Brandort gerufen hatte, zunächst so klein gewesen sein muss, dass er auf Anhieb gar
kein Feuer gesehen hat. Dann liegt es aber jedenfalls nahe, dass die Flammen aus
Sicht der Kinder plötzlich außer Kontrolle geraten sind. Das mag auch darauf
zurückzuführen sein, dass die Flammen schließlich so hoch geschlagen sind, dass sie
die noch in dem geöffneten Kanister befindliche Flüssigkeit erfassen konnten. Ob das
Vorstellungsvermögen von A... so weit gereicht hat, bleibt jedoch gleichfalls offen.
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5. Davon abgesehen kommt es bei der Feststellung des Tatvorsatzes auch auf den
Willen des Handelnden an. Er muss nicht nur den Eintritt des rechtswidrigen Erfolges
und die Schadensfolgen vorausgesehen, sondern sie auch zumindest billigend in Kauf
genommen haben. Daran fehlt es bereits, wenn der Versicherte zwar den
Schadenseintritt für möglich hält, aber dennoch darauf vertraut, dass er ausbleiben wird
(Langheid, a.a.O., § 152 Rn. 3). Wie A... zum Eintritt des Schadens stand, ist aber
ungeklärt. Nicht bekannt ist insbesondere, ob er ein Motiv hatte, die Eigentümerin des
Carports, den Halter des Passats oder gar den Eigentümer der angrenzenden Garage
zu schädigen. Dass er den Eintritt der Schadensfolgen gebilligt hat, lässt sich auch nicht
daraus ableiten, dass - wie das Landgericht angenommen hat - A... den Carport aus
Angst verlassen hat. Denn das beweist lediglich, dass er nach Entzündung des Feuers
realisiert hat, wie gefährlich sein Tun war, nicht aber, dass ihm das von vornherein klar
war und er sich gleichwohl zur Entzündung des Feuers entschlossen hat. Ebenso wenig
lässt sich das daraus herleiten, dass er sich nicht aktiv um die Löschung des Brandes
bemüht hat, denn das lässt sich auch darauf zurückführen, dass er sich durch die
Ereignisse überfordert fühlte, nachdem ihm klargeworden war, was er angerichtet hatte.
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6. Soweit der Kläger ferner mit der Berufung im Wege der Klageerweiterung für seine
Ehefrau und sich Versicherungsschutz in Anspruch nimmt, beruht die Verurteilung der
Beklagten auf ihrem Anerkenntnis (§ 307 Abs. 1 ZPO).
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7.
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Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 93, 543 Abs. 2, 708 Nr. 10, 711 ZPO. Bei
der Kostenentscheidung geht der Senat davon aus, dass die Beklagte zu der
Klageerweiterung keine Veranlassung gegeben hat, da ihrem Schreiben vom 30. April
2001 (GA 7) zu entnehmen ist, dass sie lediglich A... ("ihrem Sohn"), nicht aber dem
Kläger und seiner Ehefrau den Haftpflichtversicherungsschutz versagt hat.
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Streitwert: 28.503,72 EUR (vgl. Beschluss vom 17. September 2002).
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Dr. S.... Dr. W... Dr. R...
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