Urteil des OLG Düsseldorf vom 31.05.2010

OLG Düsseldorf (in betrunkenem zustand, gefahr im verzug, stpo, stillschweigende annahme, stgb, bak, sache, hauptverhandlung, beweiswürdigung, blutalkoholkonzentration)

Oberlandesgericht Düsseldorf, III-1 RVs 67/10
Datum:
31.05.2010
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
1. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
III-1 RVs 67/10
Tenor:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts
Düsseldorf vom 3. Februar 2010 mit den Feststellungen aufgehoben;
jedoch bleiben die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen
aufrechterhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere
Abteilung des Amtsgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird als unbegründet
verworfen.
Gründe
1
Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr zu
einer Geldstrafe verurteilt. Nach den Feststellungen befuhr er am gegen 23 Uhr mit
seinem Fahrrad die , obwohl er Alkohol getrunken hatte und infolgedessen fahruntüchtig
war; eine um 0.50 Uhr entnommene Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration von
2,82 ‰. Die (Sprung-) Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge den aus der
Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg, weil das Amtsgericht nicht erkennbar geprüft
und erörtert hat, ob der Angeklagte bei Begehung der Tat schuldunfähig war, obwohl
diese Frage sich aufgedrängt hat; im übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349
Abs. 2 StPO.
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I.
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Die erhobenen Verfahrensrügen sind unzulässig.
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1. Nach § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO ist eine Verfahrensrüge nur dann in zulässiger Weise
erhoben, wenn "die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben" sind. Diese
Angaben müssen mit Bestimmtheit und so genau und vollständig gemacht werden, dass
das Revisionsgericht allein anhand der Rechtfertigungsschrift prüfen kann, ob ein
Verfahrensfehler vorliegt, wenn die behaupteten Tatsachen zutreffen (vgl. BVerfGE 112,
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185 = NJW 2005, 1999, 2001 m. Nachw. zur st. Rspr. des BGH; zuletzt BGH NJW 2007,
3010 [13]; NJW 2007, 3587 [13]; StV 2008, 8).
2. Soweit als verfahrensfehlerhaft beanstandet wird, das Amtsgericht sei "dem
Beweisantrag auf Ermittlung und Vernehmung des Zeugen nicht nachgegangen mit der
Begründung, dieser sei nicht zu ermitteln", handelte es sich schon nach dem
Antragswortlaut nicht um einen Beweis-, sondern um einen Beweisermittlungsantrag.
Die Rüge könnte nur Erfolg haben, wenn weiter ausgeführt wäre, was konkret das
Amtsgericht hätte tun können (und pflichtwidrig unterlassen habe), um den Aufenthalt
des Zeugen zu ermitteln (vgl. BGH, 1 StR 82/03 vom 15. April 2003 ). Dazu ist
nichts vorgetragen.
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3. Soweit der Angeklagte geltend macht, die Blutentnahme auf Anordnung (allein) der
Polizeibeamten habe gegen den Richtervorbehalt des § 81a Abs. 2 StPO verstoßen, ist
nicht vorgetragen, dass er diesen rechtlichen Gesichtspunkt ausdrücklich und zur
rechten Zeit vorgebracht hat:
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a) Ein Angeklagter, der einen zu erhebenden oder schon erhobenen Beweis für
unverwertbar hält, muss der Verwertung in der Hauptverhandlung bis zu dem in § 257
StPO genannten Zeitpunkt widersprechen (BGHSt 52, 38 Rdnr. 15 = NJW 2007, 3587
mwN). Dass der Widerspruch befristet – bis zum durch § 257 StPO bestimmten
Zeitpunkt – zu erheben ist, dient der gebotenen Verfahrensförderung, ohne dem
Betroffenen unzumutbare Anforderungen aufzuerlegen (BGHSt aaO, Rdnr. 17). Ein vor
der Hauptverhandlung oder nach dem genannten Zeitpunkt erhobener Widerspruch ist
unbeachtlich.
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b) Das Vorbringen des Angeklagten zur Verwertbarkeit der Blutprobe erschöpft sich in
rechtlichen Ausführungen zu Gegenstand und Reichweite des Richtervorbehalts des §
81a Abs. 2 StPO. Was – und wann – er dazu in der Hauptverhandlung erklärt hat, ist der
Rechtfertigungsschrift nicht zu entnehmen.
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c) Die Verfahrensrüge wäre im Übrigen auch unbegründet. Der Senat hat durch
Beschlüsse vom 21. Januar 2010 in einer Revisionssache (III-1 RVs 1/10) und in einer
Bußgeldsache (IV-1 RBs 3/10) in der Besetzung mit drei Richtern entschieden, dass die
polizeiliche Anordnung einer Blutentnahme zur Nachtzeit regelmäßig durch Gefahr im
Verzug gerechtfertigt ist und der Verstoß gegen den Richtervorbehalt des § 81a Abs. 2
StPO in der richterlichen Eildienstzeit (6.00 bis 21.00 Uhr, JMBl. NRW 2007, 165) in
aller Regel kein Beweisverwertungsverbot nach sich zieht.
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II.
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Bei der Feststellung des äußeren Tatgeschehens hat die Überprüfung des Urteils
anhand der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten
ergeben. Die Überzeugung des Amtsrichters, dass der Angeklagte mit dem Fahrrad
gefahren ist, beruht auf einer – in der Beweiswürdigung belegten – tragfähigen
Tatsachengrundlage. Insoweit ist das Rechtsmittel unbegründet. Jedoch hält die
(stillschweigende) Annahme des Amtsgerichts, dass der Angeklagte bei Begehung der
Tat nicht wegen einer krankhaften seelischen Störung durch einen akuten
Alkoholrausch unfähig (§ 20 StGB) war, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach
dieser Einsicht zu handeln, rechtlicher Überprüfung nicht stand:
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1. Bei der Prüfung der Schuldfähigkeit des Angeklagten bei Begehung der Tat ist zu
seinen Gunsten von dem höchstmöglichen Abbauwert der Blutalkoholkonzentration
(BAK) auszugehen (Fischer, StGB, 57. Aufl. [2010], § 20 Rdnr. 13; Burmann, in:
Burmann/Heß/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 21. Aufl. [2010], § 316 StGB Rdnr.
15; jeweils mwN). Das ergab hier eine Tatzeit-BAK von
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BAK 2 Stunden nach der Tat: 2,82 ‰ zzgl. 2 x 0,2 ‰ 0,4 ‰ zzgl. Sicherheitszuschlag
0,2 ‰ 3,42 ‰
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2. Dieser BAK-Wert lag deutlich über dem Grenzwert von 3,00 ‰, ab dem in aller Regel
zu prüfen ist, ob die Steuerungsfähigkeit zur Tatzeit aufgehoben war (Fischer aaO;
Burmann, aaO Rdnr. 30c; jeweils mwN). Das ist rechtsfehlerhaft nicht geschehen.
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III.
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Wegen dieses Mangels ist das angefochtene Urteil nach §§ 353, 354 Abs.2 Satz 1 StPO
in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang aufzuheben und die Sache
insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision,
an eine andere Abteilung des Amtsgerichts zurückzuverweisen.
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Für die neue Verhandlung erteilt der Senat folgende Hinweise:
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1. Ob und in welchem Maße bei einem alkoholisierten Täter zum Tatzeitpunkt eine
krankhafte seelische Störung im Sinne der §§ 20, 21 StGB durch einen akuten
Alkoholrausch vorgelegen hat, ist aufgrund seiner Blutalkoholkonzentration bei
Begehung der Tat und anhand psychodiagnostischer Beweisanzeichen zu beurteilen
(BGHSt 43, 66; st. Rspr.; aus jüngerer Zeit BGH, 2 StR 450/08 vom 12. November 2008,
Rdnr. 3; 4 StR 95/09 vom 28. April 2009, Rdnr. 7; 5 StR 57/09 vom 26. Mai 2009; 5 StR
206/09 vom 24. Juni 2009, Rdnr. 4; 4 StR 424/09 vom 17. Dezember 2009, Rdnr. 19; 2
StR 428/09 vom 13. Januar 2010, Rdnr. 9 ff; IV ZR 272/06 vom 29. Oktober 2008, Rdnr.
12 f ; zu aussagekräftigen psychodiagnostischen Kriterien vgl. Heifer, Blutalkohol
34 [1997], 450).
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2. Die Beweiswürdigung, mit der das Amtsgericht den Vorsatz bejaht hat, ist bedenklich:
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a) Die richterliche Überzeugung setzt neben der persönlichen Gewissheit des Richters
objektive Grundlagen voraus. Diese müssen aus rationalen Gründen den Schluss
erlauben, dass das festgestellte Geschehen mit hoher Wahrscheinlichkeit mit der
Wirklichkeit übereinstimmt. Das ist der Nachprüfung durch das Revisionsgericht
zugänglich. Deshalb müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass die
Beweiswürdigung auf einer tragfähigen, verstandesmäßig einsehbaren
Tatsachengrundlage beruht und die vom Gericht gezogene Schlußfolgerung nicht etwa
nur eine Annahme ist oder sich als bloße Vermutung erweist, die letztlich nicht mehr als
einen, sei es auch schwerwiegenden, Verdacht begründen kann (BGH StV 2002, 235;
NJW 2002, 2190, 2191; 2003, 1748, 1751 f; 2005, 300, 308; 2008, 1827 [22]; StV 2005,
555; 5 StR 518/04 vom 2. März 2005, Rdnr. 11; 2 StR 223/09 vom 26. August 2009,
Rdnr. 4 ; vgl. auch BVerfG NJW 2003, 2444, 2445 mwN). Das
gilt auch für die innere Tatseite (BGH, 3 StR 464/04 vom 9. August 2005, Rdnr. 12, 15; 2
StR 557/04 vom 30. November 2005, Rdnr. 26 f ).
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b) Trunkenheit im Verkehr ist eine Dauerstraftat, die mit dem Antritt der Fahrt in
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fahruntüchtigem Zustand beginnt (BGH VRS 65 [1983], 131) und vollendet ist (Joecks,
StGB, 7. Aufl. [2007], vor § 13 Rdnr. 70). Falls der Angeklagte mit dem Fahrrad "aus der
" kam (worauf diese Feststellung beruht, ist unklar, denn der Angeklagte hat sich zur
Sache nicht eingelassen), hat er zunächst ebenes Gelände befahren. "Körperlich
herausfordernd und anstrengend" wurde die Fahrt erst bei der Auffahrt auf die Brücke.
Der Schuldspruch wegen Vorsatzes scheint demnach auf der Annahme zu beruhen,
dass die Schuldform während der Fahrt gewechselt habe. Das ist rechtlich möglich (vgl.
BayObLG VRS 59 [1980], 195; VRS 63 [1982], 221), bleibt aber bloße Spekulation,
solange nicht festgestellt ist, dass der Angeklagte – etwa als regelmäßiger oder geübter
Radfahrer – den Unterschied bei der "Anstrengung und Herausforderung" in
nüchternem und in betrunkenem Zustand überhaupt erkennen konnte.