Urteil des OLG Düsseldorf vom 27.01.2003

OLG Düsseldorf (Öffentliche Sicherheit, Stadt, Gefahr, Ausnahme, Gewässer, Ufer, Gemeinde, Verordnung, Ordnungswidrigkeit, Kausalzusammenhang)

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
1
2
3
4
Aktenzeichen:
Oberlandesgericht Düsseldorf, 2b Ss (OWi) 327/01 - (OWi) 34/02 I
27.01.2003
Oberlandesgericht Düsseldorf
1. Senat für Straf- und Bußgeldsachen
Beschluss
2b Ss (OWi) 327/01 - (OWi) 34/02 I
b e s c h l o s s e n:
Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird das Urteil des
Amtsgerichts Neuss vom 13. September 2001 aufgehoben.
Die Betroffene wird freigesprochen.
Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen
der Betroffenen fallen der Staatskasse zur Last.
G r ü n d e
Das Amtsgericht Neuss hat die Betroffene wegen vorsätzlichen Führens eines gefährlichen
Hundes ohne Leine und Maulkorb gemäß §§ 6 und 10 der Landeshundeverordnung NRW
(LHV) - die seit dem 1. Januar 2003 durch das Landeshundegesetz NRW ersetzt ist - zu
einer Geldbuße von 500,00 DM verurteilt. Nach den amtsgerichtlichen Feststellungen
führte die Betroffene ihren Rottweiler am 13. November 2000 gegen 11:45 in Neuss auf den
Rheinwiesen aus. Auf ihrem Spaziergang war dem Hund zumindest auf den letzten 100
Metern des Rückweges kein das Beißen verhindernder Maulkorb und auch keine in der
Wirkung gleichstehende Vorrichtung angelegt. Darüber hinaus war der Rottweiler auf
diesem Teilstück auch nicht angeleint.
Die gegen dieses Urteil gerichtete, zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung
zugelassene Rechtsbeschwerde hat mit der Sachrüge Erfolg. Die Betroffene ist
freizusprechen, weil es an der gesetzlichen Grundlage fehlte, die nach § 3 OWiG für eine
Verurteilung nötig ist.
1. Die nach §§ 6 Abs. 3 Sätze 1 und 2 i.V.m. Anlage 2, 10 Abs. 1 Nr. 9 LHV
bußgeldbewehrten Gebote, einen Rottweiler auf öffentlichen Straßen und Plätzen mit
einem das Beißen verhindernden Maulkorb an der Leine zu führen, waren unwirksam. Die
dort getroffenen Bestimmungen wurden von der einschlägigen gesetzlichen
Ermächtigungsgrundlage nicht gedeckt. § 26 Abs. 1 OBG NRW, auf dem die
Landeshundeverordnung NRW beruhte, gestattet es dem Innenministerium zwar,
5
6
7
Verordnungen zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu
erlassen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (DVBl. 2002, 1562,
1564) verlangt die Feststellung einer abstraktem Gefahr im Sinne einer solchen
ordnungspolizeilichen Regelung allerdings eine in tatsächlicher Hinsicht genügend
abgesicherte Prognose: Es müssen hinreichende Anhaltspunkte vorhanden sein, die den
Schluss auf den drohenden Eintritt von Schäden rechtfertigen. Da die LHV eine
Differenzierung nach Rassen vornahm, müßte danach zur Annahme einer Gefahr im Sinne
des Gesetzes ein Kausalzusammenhang zwischen Rassezugehörigkeit und
Schadenseintritt belegbar gewesen sein. Bei Hunden der Anlage 2 zur LHV war das nicht
der Fall (BVerwG aaO S. 1564 f). Auf sie bezogen fehlte der LHV damit die gesetzliche
Ermächtigungsgrundlage. Das hatte die Nichtigkeit der getroffenen Bestimmungen über
das Halten von Hunden der Anlage 2 zur LHV zur Folge (BVerwG aaO S. 1566).
2. Das Verhalten der Betroffenen kann auch nicht auf der Grundlage der Gartenordnung der
Stadt Neuss vom 17. Februar 1995 geahndet werden, nach deren §§ 1, 8 und 11 Hunde in
öffentlichen Anlagen, zu denen auch Gewässer und deren Ufer gehören, an kurzer Leine
zu führen und Verstöße gegen den Leinenzwang mit Geldbuße bedroht sind. Denn auch
diese Vorschriften halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Der Senat folgt
insoweit der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Hamm (NWVBl. 2001, 490), nach
der eine Regelung, die ohne Rücksicht auf Art und Größe der Hunderassen für das
gesamte Gemeindegebiet ohne zeitliche Ausnahme einen generellen Leinenzwang
anordnet, unverhältnismäßig und wegen Verstoßes gegen das verfassungsrechtliche
Übermaßgebot unwirksam ist. Um eine solche Regelung handelt es sich aber bei der
Gartenordnung der Stadt Neuss, da auch hier ein Leinenzwang ohne jede Differenzierung
nach Art und Größe der ausgeführten Hunde und ohne zeitliche Ausnahme für alle
öffentlichen Anlagen der Gemeinde angeordnet worden ist. Dass die öffentlichen Straßen
von dieser Verordnung nicht erfasst sind, stellt keine ausreichende Differenzierung dar,
zumal nach § 8 der Straßenordnung der Stadt Neuss vom 17. Februar 1995 ein
uneingeschränkter Anleinzwang auch auf den Gehwegen der Stadt bestehen soll.
3. Sonstige gesetzliche Grundlagen für eine Ahndung des Verhaltens der Betroffenen als
Ordnungswidrigkeit sind nicht ersichtlich. Deshalb ist sie freizusprechen.
4. Die Kosten- und Auslagenentscheidung folgt aus §§ 46 Abs. 1 OWiG, 467 Abs. 1 StPO