Urteil des OLG Düsseldorf vom 19.05.2010

OLG Düsseldorf (anlage, bieter, los, einsatz, reinigung, wirtschaftliches interesse, qualität, leistung, auftraggeber, beschwerde)

Oberlandesgericht Düsseldorf, VII-Verg 4/10
Datum:
19.05.2010
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
Vergabesenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
VII-Verg 4/10
Tenor:
Auf die sofortige Beschwerde der Beigeladenen wird der Beschluss der
Vergabekammer bei der Bezirksregierung Köln vom 4. Januar 2010 (VK
VOL 32/2009) aufgehoben.
Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer und die der
Beigeladenen sowie der Antragsgegnerin zur zweckentsprechenden
Rechtsverfolgung entstandenen notwendigen Auslagen trägt die
Antragstellerin.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Antragstellerin.
Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird auf bis zu
375.000 Euro festgesetzt.
(Hier Freitext: Tatbestand, Gründe etc.)
1
I.
2
Die Antragsgegnerin schrieb mit Bekanntmachung 2009/S 55-079491 im März 2009
Reinigungsleistungen für ihre Gebäude europaweit im offenen Verfahren aus. Die
Antragsgegnerin ist eine 100%-ige Tochtergesellschaft des Westdeutschen Rundfunks
(WDR). Sie betreut insbesondere die Immobilen des WDR und die Studios am WDR
Standort in Nordrhein-Westfalen. Zu ihrem Aufgabenbereich gehört auch die Vergabe
von Reinigungsdienstleistungen für die WDR Gebäude.
3
Inhalt der Ausschreibung ist eine ergebnisorientierte Unterhaltsreinigung nebst Glas-,
Jalousien- und sonstige Reinigungsleistungen in den Objekten der Antragsgegnerin in
Köln. Die Leistung ist in zwei Lose unterteilt, Los I betrifft die Reinigungsleistungen in
Köln- Bocklemünd, Los II die in Köln- Innenstadt. In Los II werden auch Leistungen für
den Winterdienst abgefragt.
4
Im Hinblick auf Nebenangebote war unter Ziff. 1.6.4 war bestimmt:
5
"Nebenangebote (Alternativen) sind als solche deutliche zu kennzeichnen und auf
einer gesonderten Anlage einzureichen.
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Sie dürfen keine Einschränkung der geforderten Leistungen im Hinblick auf die
Qualität des geforderten Reinigungsergebnisses darstellen.
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Sofern die in den Angebotsblättern (Anlage 8.1) vorgegebenen maximalen
Reinigungsleistungen im Nebenangebot überschritten werden sollen, so muss der
Bieter durch Erläuterung seiner Kalkulation und des beabsichtigten
Reinigungsverfahrens die Einhaltung der geforderten Qualität nachvollziehbar
begründen. Die Hinweise zur Realisierbarkeit der Leistung (Anlage 8) sind bei der
Erstellung des Nebenangebots zu beachten.
8
Alle in der Leistungsbeschreibung und der Anlagen gestellten Anforderungen,
insbesondere im Hinblick auf zitierte Normen, Regelwerke, Messesysteme etc. sind
auch von Nebenangeboten zu erfüllen.
9
Abweichungen hiervon sind nur in dem in der Leistungsbeschreibung und den
Anlagen ausdrücklich beschriebenen Rahmen zulässig.
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Angebote die den vorgenannten Ansprüchen nicht gerecht werden, können nicht
als Nebenangebot angesehen werden und werden nicht gewertet.
11
Nebenangebote, die ohne Hauptangebot abgegeben werden, werden nicht
gewertet."
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In der jeweiligen Anlage 8 ("Angebotsblatt") zu Los I und Los II hieß es unter der
Überschrift "Realisierbarkeit der Leistung":
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"Die Reinigung ist gemäß der Leistungsbeschreibung dauerhaft in einer
zufriedenstellenden Qualität zu erbringen (siehe insbesondere Anlage 4 Qualiät
und Anlage 6.1 Ergebnis- und Leistungsverezichnis)
Der AG geht davon aus,
dass die von ihm gewünschte Qualität und eine ordnungsgemäße
Leistungserfüllung nur erreicht werden kann, wenn arbeitstäglich eine
bestimmte Mindeststundenzahl nicht unterschritten wird. Deswegen darf bei
der Kalkulation der täglichen Stunden für die Unterhaltsreinigung ein
definierter reinigungsraumgruppenspezifischer Leistungsoberwert je Stunde
nicht überschritten werden
Leistungsoberwerte basieren auf einer manuellen Reinigung (Ausnahme bei der
Reinigungsgruppe Tiefgarage. Hier kann eine Maschine eingesetzt werden). Unter
der Berücksichtigung der vom AG gewünschten Reinigungsqualität wurden die
Leistungsoberwerte auf der Grundlage der für die einzelnen Raumarten als
machbar angesehenen Leistungswerte objektsspezifisch ermittelt.
Reinigungsraumspezifische Leistungsoberwerte definieren sich dabei anhand der
Raumart und den objektsspezifischen Gegebenheiten, wie zum Beispiel
Nutzungsart, Raumgröße, Überstellung des Raumes etc. Die in Anlage 8.1
definierten Leistungsoberwerte resultieren also aus den objektspezifischen
Gegebenheiten des WDR und sind das Ergebnis der spezifischen
Objektskenntnisse.
14
(…)
15
Bei Überschreitung des vorgegebenen Leistungsoberwertes erfolgt der
Ausschluss des Angebotes von der Wertung wegen Änderung an den
Verdingungsunterlagen.
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Wenn der Bieter Möglichkeiten sieht, zum Beispiel durch Maschinen- bzw.
Automateneinsatz, den vorgegeben Leistungsoberwert zu überschreiten, ist
es erforderlich, dass die Kalkulation hierfür auf einer besonderen Anlage als
Nebenangebot gemacht wird, das als solches gekennzeichnet ist. Die
Überschreitung ist nachvollziehbar und detailliert zu begründen."
17
Bis zum Ablauf der Angebotsfrist am 27.Mai 2009 gaben insgesamt 32 Bieter fristgemäß
Angebote ab, unter ihnen auch die Antragstellerin, die sich mit einem Hauptangebot
beteiligte und die Beigeladene, die neben einem Haupt- auch ein Nebenangebot
unterbreitete.
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In dem Nebenangebot der Beigeladenen wurden die Leistungsoberwerte überschritten.
In der dem Angebot beigefügten Anlage A führte die Beigeladene insoweit aus:
19
"…Die Kalkulation der Quadratmeterleistung basiert auf den langjährigen
Erfahrungen bei unseren Kunden mit vergleichbar großen bzw. größeren
Gebäuden und den entsprechenden Qualitätsanforderungen….
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Wie Sie an unserem Nebenangebot erkennen können, haben wir den Wert der
Büro-, Besprechungs-, Betriebsräume sowie Kantine und Flurflächen angehoben
und gleichzeitig den Wert der Toilettenflächen reduziert. ….
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Auch das eingesetzte Reinigungsverfahren spielt bei der Erbringung von qualitativ
hochwertigen Reinigungsleistungen mit hohen Leistungsvorgaben eine große
Rolle. In Zusammenarbeit mit den Firmen D... (Chemie) und V...
(Reinigungsgeräte) setzen wir in unseren Kundenobjekten das
Sprühreinigungsverfahren erfolgreich ein.
22
23
Grundvoraussetzung für die leistungsgerechte Durchführung der
Reinigungsarbeiten mit diesem System sind folgende Punkte:
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Mitarbeiterschulung
Reviereinteilung
Arbeitssysteme
Einhaltung der Vorgaben
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Schulung
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Unsere Objektleiter und Vorarbeiter in den zu reinigenden Objekten sind speziell in
diesem Reinigungssystem geschult und ausgebildet.
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Reviereinteilung
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Unser Personal wird zusätzlich für die spezifischen Raumgruppen eingeteilt …
Somit entfallen Rüstzeiten für die Vorbereitung unterschiedlicher
Reinigungssysteme für die Raumgruppen….
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Arbeitssysteme
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Einhaltung der Vorgaben
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Die Einhaltung bzw. Steigerung Ihre Richtwerte (Vorgaben) werden durch folgende
Vorteile des Sprühsystems generiert:
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Reduzierung des Austausches von Schmutzwasserflotten (Eimern) während der
Reinigung, da die Reinigungsflotte mittels Sprühflaschen auf die zu reinigenden
Oberflächen aufgetragen wird…
Wegfall der Arbeitszeit für das Auswaschen der Reinigungsmops
(Reinigungstextilien) in der normalerweise üblichen Moppresse.
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38
39
Sowohl bei der Boden als auch bei der Oberflächenreinigung im
Sprühreinigungsverfahren werden Laufwege zu den Reinigungskammern
bezüglich des Wechsels der Schmutzwasserflotte deutlich reduziert. Hierdurch
entstehen geringere unproduktive Zeiten…."
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41
Nach Prüfung und Wertung aller eingegangenen Angebote beschloss die
Antragsgegnerin, der Antragstellerin im Rahmen einer Gesamtvergabe beider Lose den
Zuschlag zu erteilen und teilte dies mit Schreiben vom 10. August 2009 den Bietern mit.
Darüber hinaus informierte sie die Beigeladene, dass der Zuschlag nicht auf ihr Angebot
erteilt werden könne, weil ihr Hauptangebot nicht das wirtschaftlichste sei und ihr
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Nebenangebot nicht zur Wertung zugelassen werden könne. Im Einzelnen führte die
Antragsgegnerin aus:
"Die Nebenangebote Los I und Los II beruhen auf gegenüber den
Ausschreibungsvorgaben erhöhten reinigungswerten, die mit einer verbesserten
Mitarbeiterschulung, optimierten Reviereinteilungen, modernen Arbeitssystemen
sowie der Einhaltung der Vorgaben durch die Mitarbeiter begründet werden.
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Die zur Begründung aufgeführten Punkte entsprechen jedoch lediglich den
aktuellen und gemäß Vergabeunterlagen geforderten Standards. Die in den
Vergabeunterlagen vorgegeben maximalen Leistungswerte für die Reinigung
beruhen dagegen auf Erfahrungswerten, die in den letzten Jahren unter
Ausschöpfung aller Optimierungsmöglichkeiten gewonnen wurden. Eine
Überschreitung der Maximalwerte ist daher nur in besonders begründeten Fällen
(z.B. besondere, innovative Arbeitstechniken oder – geräte ) nachvollziehbar und
zulässig.
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Die vorgetragenen Gründe reichen hierbei jedoch nicht aus, so dass die
Nebenangebote Los I und II gemäß § 25 a Nr. 3 VOL/A nicht zur Wertung
zugelassen werden konnten."
45
Mit Schreiben vom 14.August 2009 rügte die Beigeladene die Nichtberücksichtigung
ihres Nebenangebots als vergaberechtswidrig. Die Antragsgegnerin entschied
daraufhin, alle Angebote einer erneuten Prüfung und Wertung zu unterziehen, worüber
sie sämtliche Bieter mit Schreiben vom 18.August 2009 informierte.
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Mit Schreiben vom 21. August 2009 forderte die Antragsgegnerin die Beigeladene zur
schriftlichen Aufklärung ihrer Nebenangebote zu Los I und Los II auf. Sie verwies unter
ausdrücklicher Bezugnahme auf die von ihr in der Tabelle 8.1 vorgegebenen
Leistungsoberwerte darauf, im Hinblick auf das dem Nebenangebot der Beigeladenen
zugrunde liegende Sprühreinigungssystem sei unklar, welche Steigerungen der m²-
Leistungen gegenüber anderen gebräuchlichen manuellen Reinigungsverfahren damit
erreichbar sei und bat insoweit um detaillierte Erläuterung und Aufklärung.
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Am 29.September 2009 fand ein Ortstermin mit der Antragsgegnerin und der
Beigeladenen bei der … statt, das von der Beigeladenen als "Anschauungsobjekt"
angegeben worden war. Es fand eine Demonstrationsreinigung statt. In dem Protokoll
über den Ortstermin ist als Fazit vermerkt, dass
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"insbesondere das innovative Personal- und Organisationskonzept von G... für eine
gute und schnelle Reinigung steht und außerdem ein Sprühsystem eingesetzt wird,
mit dem die Reinigungsarbeiten schneller und einfacher zu erbringen sind. Die
Reinigungschemie wird direkt mittels Sprühflaschen auf die zu reinigende
Oberfläche aufgetragen, während bei herkömmlichen Systemen ein häufigeres
Auswaschen der Putzlappen notwendig ist. Mit dem Sprühsystem entfallen
zusätzliche Rüst- und Wegezeiten."
49
Nach der Neubewertung aller Angebote stellte die Antragsgegnerin am 1. Oktober 2009
fest, dass das Nebenangebot der Beigeladenen nunmehr den ersten Rang belege und
informierte mit Schreiben desselben Datums die Bieter über ihre Absicht, die
Nebenangebote der Beigeladenen zu den Losen I und II zu bezuschlagen.
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Die Antragstellerin rügte die Vergabeentscheidung mit Schreiben vom 7. und 8. Oktober.
Die Antragsgegnerin half den Rügen nicht ab.
51
Die Antragsstellerin hat am 14.Oktober 2009 einen Nachprüfungsantrag bei der
zuständigen Vergabekammer Köln eingereicht und geltend gemacht, dass die
Beigeladene die Leistungsoberwerte überschritten habe. Diese seien als zwingende
Vorgabe für jede manuelle Form der Reinigung zu verstehen und damit auch von
Nebenangeboten, die eine derartige manuelle Reinigung zum Gegenstand hätten, zu
beachten.
52
Die Vergabekammer gab dem Nachprüfungsantrag durch den angefochtenen
Beschluss statt und verpflichtete die Antragsgegnerin, unter Ausschluss von
Nebenangeboten die Angebote der Bieter erneut zu werten. Zur Begründung führte sie
im Wesentlichen aus: Die konkrete Ausgestaltung der von der Antragsgegnerin
aufgestellten Mindestanforderungen an Nebenangebote verstoße gegen den in § 97
Abs. 1 GWB normierten Transparenzgrundsatz und die diese Vorgabe ausfüllende
Bestimmung des § 8 Nr. 1 Abs. 1 VOL/A. Danach habe der öffentliche Auftraggeber
Anforderungen an das Angebot in einer Weise zu formulieren, dass alle an dem
Vergabeverfahren beteiligten Unternehmen sie bei Zugrundelegung der bei ihnen
vorauszusetzenden Fachkenntnisse objektiv im gleichen Sinne verstehen könnten.
Dieses sei bei den von der Antragsgegnerin formulierten Mindestanforderungen nicht
der Fall. So ergebe sich nicht eindeutig, ob das Verständnis der Antragstellerin
zutreffend sei, wonach die Überschreitung der in der Anlage 8.1 vorgesehenen
Leistungsoberwerte bei Nebenangeboten nur beim Einsatz automatischer oder
maschineller Reinigungsgeräte zugelassen sei oder ob die Anforderungen – wie von
der Beigeladenen dargelegt – dahingehend zu verstehen seien, dass eine
Überschreitung der vorgegebenen Leistungsoberwerte durch den Einsatz jedweder
innovativer Reinigungsverfahren, seien sie technischer oder auch
arbeitsorganisatorischer Natur erreicht werden könne.
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Schon der Umstand, dass auch die Antragsgegnerin die Mindestanforderungen
zunächst in dem von der Antragstellerin vertretenen Sinne verstanden und erst im
weiteren Verlauf des Verfahrens ihre Auffassung geändert habe, belege, dass eine
hinreichende Eindeutigkeit der Vorgaben nicht anzunehmen sei. Da es sich bei der von
der Beigeladenen beabsichtigten Verwendung von Sprühsystemen nicht um ein
maschinelles oder automatisiertes Reinigungsverfahren handele, sei es der
Antragsgegnerin verwehrt, auf der Basis dieser Ausschreibung preisgünstigere
Nebenangebote zu bezuschlagen.
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Dagegen wendet sich die Beigeladene mit der sofortigen Beschwerde. Sie beruft sich
weiterhin darauf, dass ihre Nebenangebote die in den Vergabeunterlagen
vorgegebenen Mindestbedingungen erfüllen. Die Mindestanforderungen seien nicht
einschränkend dahingehend auszulegen, dass die Leistungswerte nur beim Einsatz von
Maschinen und Automaten überschritten werden dürften. Es werde in Ziff. 1.6.4 nur
gefordert, dass im Falle einer Überschreitung der Leistungsoberwerte nachvollziehbar
dargelegt und begründet werden müsse, wie die geschuldete Qualität erreicht werde.
55
Die Beigeladene beantragt,
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unter Abänderung des Beschluss der Vergabekammer Köln vom
57
04.Januar 2010 den Nachprüfungsantrag der Antragsstellerin
zurückzuweisen.
Die Antragstellerin beantragt,
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die sofortige Beschwerde der Beigeladenen vom 18.Januar 2010
zurückzuweisen,
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Sie ist der Ansicht, dass die Antragsgegnerin bewusst auf Angaben in den
Vergabeunterlagen in Bezug auf Methoden zur manuellen Reinigung verzichtet habe,
mit der Folge, dass im Rahmen des Hauptangebotes sämtliche in Frage kommenden
Alternativen einer manuellen Reinigung angeboten werden konnten, für die die
Vergabeunterlagen zwingend die Einhaltung des reinigungsraumspezifischen
Leistungsoberwertes vorsähen. Andere als manuelle Reinigungsverfahren seien nur in
Form eines Nebenangebotes zulässig gewesen, so dass durch Nebenangebote nur
maschinelle oder automatisierte Reinigungsverfahren angeboten werden könnten,
worunter das von der Beigeladenen angebotene Sprühsystem nicht falle.
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Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zu den Akten
gereichten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen. Die Akten der Vergabekammer und
die Vergabeakten lagen vor.
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II.
62
Die sofortige Beschwerde der Beigeladenen hat Erfolg. Der Nachprüfungsantrag ist
zulässig aber unbegründet.
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1. Der Nachprüfungsantrag ist statthaft. Die Antragsgegnerin ist als 100-ige
Tochtergesellschaft des Westdeutschen Rundfunks ein öffentlicher Auftraggeber im
Sinne des § 98 Nr. 2 GWB (vgl. EuGH, Urteil vom 13.12.2007 Rs. C 337/06).
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Im Hinblick auf die weiteren Voraussetzungen der Zulässigkeit des
Nachprüfungsantrags wird zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen auf die
zutreffenden Ausführungen der Vergabekammer Bezug genommen.
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2. Der Nachprüfungsantrag ist aber unbegründet. Die beabsichtigte Zuschlagserteilung
auf das Nebenangebot der Beigeladenen zu Los I und II verletzt die Antragstellerin nicht
in ihren Rechten verletzt. Entgegen der Auffassung der Vergabekammer sind die von
der Antragsgegnerin unter Ziff. 1.6.4 formulierten Mindestanforderungen an
Nebenangebote nicht zu beanstanden. Sie sind weder intransparent, missverständlich
oder mehrdeutig und werden durch das Nebenangebot der Beigeladenen auch
eingehalten.
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Nebenangebote sind nur wertbar, wenn der öffentliche Auftraggeber für sie
Mindestanforderungen in den Verdingungsunterlagen festgelegt hat (vgl. EuGH, Urt. v.
16.10.2003, RS. C-241/01 VergabeR 2004, 50 zu Art. 19 Abs. 2 BKR –"Traunfellner").
Aus dem Wortlaut von Art. 24 Abs. 3 der Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen
Parlamentes und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren
zur öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge sowie aus § 9a
Abs. 2 VOL/A ergibt sich, dass der Auftraggeber verpflichtet ist, in den
Verdingungsunterlagen die Mindestanforderungen zu nennen, die die
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Änderungsvorschläge ("Varianten") erfüllen müssen.
Ziff. 1.6.4 enthält zum einen konkrete, die Qualität der durch ein Nebenangebot
anzubietenden Leistungen betreffende Anforderungen, indem dort eindeutig und
unmissverständlich bestimmt wird, dass die Qualitätsstandards für Hauptangebote von
Nebenangeboten nicht unterschritten werden dürfen.
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Zum anderen werden in Ziff. 1.6.4 bestimmte Anforderungen an den Inhalt von
Nebenangeboten aufgestellt. So hat die Antragsgegnerin ausdrücklich eine
Überschreitung der Leistungsobergrenzen – deren Festlegung keinen
vergaberechtlichen Bedenken begegnet (vgl. Senat, Beschl. vom 14. 01. 2009, NZBau
2009, 398; VergabeR 2009, 619) - durch Nebenangebote zugelassen, um die Erzielung
einer gleich bleibenden Qualität durch von der Leistungsbeschreibung abweichende
und gegebenenfalls günstigere Lösungen zu ermöglichen. Insofern verlangt sie aber,
dass im Nebenangebot nachvollziehbar und plausibel erläutert wird, durch welches
Verfahren oder welche Methode der Bieter dieses Ziel erreichen will.
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Diese Anforderungen an Nebenangebote sind eindeutig, konkret und verständlich. Auch
der Hinweis, die in der Anlage 8 enthaltenen Hinweise zur Realisierbarkeit der Leistung
seien bei der Erstellung des Nebenangebots zu beachten, begründet entgegen der
Auffassung der Antragstellerin und der Vergabekammer keine unterschiedlichen
Deutungs- und Verständnismöglichkeiten.
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Zunächst ist eindeutig, dass Nebenangebote grundsätzlich die Leistungsobergrenzen,
die in der Anlage 8 unter dem Stichwort "Realisierbarkeit der Leistung" erläutert und der
Anlage in sog. Angebotsblättern beigefügt sind, überschreiten dürfen. Dieses ist in
Ziff.1.4.6 ausdrücklich zugelassen worden.
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Die von der Antragstellerin vertretene Auffassung bzw. Auslegung, wonach eine
derartige Überschreitung der Leistungsobergrenzen nur durch nicht-manuelle
Reinigungsverfahren stattfinden dürfe, lässt sich dagegen weder dem Wortlaut der Ziff.
1.6.4 oder der Anlage 8, auf die dort Bezug genommen wird, entnehmen noch entspricht
sie den erkennbaren Interessen der Antragsgegnerin.
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Die Antragsgegnerin hat sich im Hinblick auf die Methoden und Verfahren, durch die
eine derartige Überschreitung der Leistungsobergrenzen erreicht werden kann, gerade
nicht festgelegt. Das folgt zum einen bereits aus dem Wortlaut der unter dem Stichwort
"Realisierbarkeit der Leistung" vorgenommenen Erläuterungen, in denen keine
Beschränkung auf den Einsatz maschineller oder automatisierter Reinigungsverfahren
erfolgt. Derartige Verfahren sind dort nur beispielhaft genannt, so dass aus der
Perspektive eines verständigen Bieters Raum bleibt, auch durch andere innovative
Reinigungsverfahren die Leistungsobergrenzen zu überschreiten.
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Dieses Verständnis entspricht auch dem erkennbaren Interesse der Antragsgegnerin,
die einerseits davon ausgeht, dass die von ihr aufgestellten Leistungsobergrenzen
realistisch und erforderlich sind, um den gewünschten Standard zu erreichen, die aber
andererseits ein veritables wirtschaftliches Interesse daran hat, zu erfahren, ob
Überschreitungen und damit weitere Einsparungen erreichbar sind. Mit den
Nebenangeboten sollen die Bieter kreative Lösungsvorschläge, die die Antragsgegnerin
bislang nicht in ihre Überlegungen einbezogen hat, unterbreiten. Eine Beschränkung
auf maschinelle oder automatisierte Verfahren, bei deren Einsatz die Antragsgegnerin
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eine Überschreitung für vorstellbar hält, würde diesem mit der Zulassung von
Nebenangeboten verfolgten Zweck widersprechen. Dass die Antragsgegnerin keine
Festlegung auf automatisierte und maschinelle Verfahren wollte, ergibt sich auch aus
ihrer Forderung, dass in dem Nebenangebot nachvollziehbar erläutert – und damit nicht
nur behauptet wird - wie eine Überschreitung der Leistungsobergrenzen zu
bewerkstelligen ist. Indem aber die Offenlegung der Kalkulation und die Erläuterung des
Verfahrens gefordert wird, bringt die Antragsgegnerin zum Ausdruck, dass es nicht auf
ein spezielles Verfahren oder um den Einsatz von maschineller oder Automatentechnik
geht, sondern dass es ihr darauf ankommt, eine nachvollziehbare Begründung für die
vom Bieter dargelegte Möglichkeit der Überschreitung der Leistungsobergrenzen
vorzufinden.
Der Umstand, dass die Antragstellerin die Mindestanforderungen anders verstanden
haben will, steht dieser Auslegung nicht entgegen. Maßstab ist nicht das individuelle
Verständnis, sondern der verständige Bieter, aus dessen Perspektive durch die
Zulassung von Nebenangeboten gerade die Möglichkeit eröffnet werden sollte, durch
individuelle Lösungsvorschlage jedweder Natur der Antragsgegnerin nachzuweisen,
dass eine Überschreitung der Leistungsobergrenzen nicht zu einem Qualitätsverlust
führen muss.
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Soweit die Vergabekammer darauf abstellt, auch die Antragsgegnerin selbst habe die
von ihr aufgestellten Mindestanforderungen ursprünglich anders, nämlich im Sinne der
Antragstellerin verstanden und habe erst im Laufe des Vergabeverfahrens vertreten,
dass auch manuelle Verfahren, bei denen die Leistungsobergrenzen überschritten
werden, Gegenstand eines Nebenangebots sein könnten, ist dieses zum einen schon
tatsächlich nicht zutreffend: Aus dem von der Vergabekammer herangezogenen
Vermerk vom 25. Juni 2009 ergibt sich nicht, dass nach Auffassung der Antragsgegnerin
eine Überschreitung der Leistungsobergrenzen grundsätzlich nur durch den Einsatz
automatisierter oder maschineller Verfahren erfolgen dürfe. Vielmehr konnte sich
ausweislich des Inhalts des Vermerks die Antragsgegnerin nach der ersten Wertung des
Nebenangebots nicht davon überzeugen, dass durch die von der Beigeladenen
vorgeschlagenen Innovationen eine Leistungssteigerung erreicht wird. Zum anderen
kommt es aber auch nicht auf das subjektive Verständnis der Antragsgegnerin an:
Maßgeblich ist allein, wie ein verständiger Bieter die Mindestanforderungen verstehen
durfte.
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Dass die Antragsgegnerin nach nochmaliger Erläuterung und Prüfung des Konzepts
sowie nach der Durchführung eines Ortstermins in einem Demonstrationsobjekt, in dem
die dem Nebenangebot zugrunde liegenden Techniken und Verfahren vorgeführt
worden sind, die Mindestanforderungen an Nebenangebote durch das Nebenangebot
der Beigeladenen als erfüllt ansah, ist vergaberechtlich nicht zu beanstanden. Die
Kalkulation sowie das beabsichtigte Reinigungsverfahren werden in dem
Nebenangebot detailliert und konkret erläutert. Die Überschreitung der
Leistungsoberwerte wird plausibel und nachvollziehbar auf den Einsatz eines
speziellen Sprühsystems sowie darauf abgestimmte arbeitsorganisatorische Aspekte
(Mitarbeiterschulung, besondere Reviereinteilung, Festlegung der Arbeitssysteme und
Einsatzbereiche, Einsatz von Microfasermops) zurückgeführt. Wie sich aus dem über die
Durchführung des Demonstrationstermins erstellten Vermerk ergibt, haben sich die
Vertreter der Antragsgegnerin durch praktische Anschauung davon überzeugen können,
dass durch das von der Beigeladenen angebotene Verfahren eine Überschreitung der
Leistungsobergrenzen ohne Qualitätseinbußen erreicht werden.
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3. Die Kostenentscheidung für das Verfahren vor der Vergabekammer beruht auf § 128
Abs. 3, 4 GWB (a.F.). Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren beruht auf
analoger Anwendung des § 91 Abs. 1 ZPO.
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Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 50 Abs. 2 GKG.
79
Schüttpelz
Adam
Frister
80