Urteil des OLG Düsseldorf vom 08.12.2009

OLG Düsseldorf (internationale zuständigkeit, bundesrepublik deutschland, einleitung des verfahrens, wohl des kindes, gegenstand des verfahrens, zuständigkeit, kind, elterliche sorge, anerkennung, jugendamt)

Oberlandesgericht Düsseldorf, II-3 UF 198/09
Datum:
08.12.2009
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
3. Senat für Familiensachen
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
II-3 UF 198/09
Tenor:
I. Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des
Amtsgerichts – Familiengericht – Kleve vom 01.09.2009 aufgehoben.
Das Verfahren wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das
Amtsgericht – Familiengericht – Kleve zurückverwiesen, dem auch die
Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens übertragen
wird.
II. Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben (§
16 Abs. 1 KostO).
III. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 3.000,00 € festgesetzt.
I.
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Die Antragstellerin ist die Mutter des am 10.07.2004 geborenen Kindes A. Beide sind
deutsche Staatsangehörige. Das Kind lebt seit einer Inobhutnahme durch das
Jugendamt am 15.09.2005 in einer Pflegefamilie in N. Durch Beschluss des
Amtsgerichts Kleve vom 20.07.2006 wurde der Antragstellerin die elterliche Sorge für
das Kind entzogen und dem Jugendamt der Stadt G. als Vormund übertragen.
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Die Antragstellerin beantragt, ihr Umgangsrecht mit dem Kind zu regeln.
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Das Amtsgericht hat den Antrag der Antragstellerin durch Beschluss vom 01.09.2009
zurückgewiesen. Das Gericht sei nach Art. 8 VO (EG) Nr. 2201/2003 international nicht
zuständig, weil das betroffene Kind in den Niederlanden lebe. Eine
Zuständigkeitsvereinbarung nach Art. 12 Abs. 3 VO (EG) Nr. 2201/2003 sei nicht
möglich gewesen. Gegenstand des Verfahrens sei die Reglung des Umgangs, nicht
aber eine Frage der elterlichen Verantwortung. Die Beteiligten hätten die Zuständigkeit
des Amtsgerichts Kleve auch nicht hinreichend deutlich anerkannt. Die
Zuständigkeitsvereinbarung sei außerdem mit dem Kindeswohl nicht in Einklang zu
bringen, weil das Kind der deutschen Sprache nicht mächtig sei.
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II.
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Die nach § 621e Abs. 1 ZPO statthafte Beschwerde hat insoweit Erfolg, als die
amtsgerichtliche Entscheidung aufzuheben und das Verfahren zur erneuten
Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuverweisen ist.
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Die Entscheidung des Amtsgerichts kann keinen Bestand haben, weil sie an einem
erheblichen Verfahrensfehler leidet. Das Amtsgericht hat zu Unrecht seine
internationale Zuständigkeit verneint und von einer Entscheidung in der Sache
abgesehen.
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Das Amtsgericht Kleve ist für die Regelung des Umgangs international zuständig.
Maßgebend für die internationale Zuständigkeit ist im Verhältnis der Bundesrepublik
Deutschland zu den Niederlanden die Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom
27.11.2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von
Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung
und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000. Nach Art. 8 Abs. 1 VO (EG)
2201/2003 sind für Verfahren, die die elterliche Verantwortung betreffen, die Gerichte
des Mitgliedstaats zuständig, in dem das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.
Nach Art. 12 Abs. 3 VO (EG) 2201/2003 kann die Zuständigkeit der Gerichte eines
anderen Mitgliedstaats aber durch ausdrückliche Anerkennung begründet werden.
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Von dieser Möglichkeit haben die Beteiligten wirksam Gebrauch gemacht:
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Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts gilt Art. 12 Abs. 3 VO (EG) 2201/2003 auch
für Verfahren zur Regelung des Umgangs. Der Begriff elterliche Verantwortung umfasst
nach Art. 2 Nr. 7 VO (EG) 2201/2003 auch und insbesondere das Umgangsrecht.
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Eine wesentliche Bindung des Kindes zur Bundesrepublik Deutschland besteht schon
deshalb, weil das Kind die deutsche Staatsangehörigkeit hat.
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Die Beteiligten haben die Zuständigkeit des Amtsgerichts Kleve ausdrücklich anerkannt,
die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 12.06.2009, das Jugendamt der Stadt G. mit
Schreiben vom 15.07.2009. Die Anerkennung der Zuständigkeit muss entgegen dem
Wortlaut des Art. 12 Abs. 3 VO (EG) 2201/2003 nicht bereits zum Zeitpunkt der
Einleitung des Verfahrens erklärt werden. Vielmehr genügt es, wenn alle Beteiligten die
Zuständigkeit des angerufenen Gerichts vor dessen Entscheidung anerkennen (Zöller/
Geimer, 28. Aufl., Anh. II EG-VO Ehesachen, Verfahren betr. elterl. Verantwortung, Art.
12 Rn. 12).
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Die Zuständigkeit des Amtsgerichts Kleve steht auch mit dem Wohl des Kindes im
Einklang. Wenn zwischen den Eltern bzw. Sorgeberechtigten Einvernehmen über die
Zuständigkeit des angerufenen Gerichts besteht, steht die Kindeswohlklausel der
Begründung der Zuständigkeit im Regelfall nicht entgegen (Zöller/ Geimer, 28. Aufl.,
Anh. II EG-VO Ehesachen, Verfahren betr. elterl. Verantwortung, Art. 12 Rn. 13, 19). Das
gilt in Verfahren zur Regelung des Umgangs umso mehr, als nur bei einer Entscheidung
durch das von den Beteiligten einvernehmlich angerufene Gericht gewährleistet ist,
dass die Umgangsregelung zügig und ohne unnötige Verzögerung getroffen wird.
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Auch die Tatsache, dass das Kind der deutschen Sprache nicht mächtig ist, steht der
Zuständigkeitsanerkennung nicht entgegen. Aus dem Protokoll des Amtsgerichts vom
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01.09.2009 ergeben sich keine Hinweise darauf, dass das Kind bei der Anhörung
aufgrund der Mitwirkung einer Dolmetscherin die Fragen des Gerichts nicht richtig
verstanden hat oder seine Willensäußerungen nicht richtig wiedergegeben worden sind.
Im Übrigen kann – worauf die Antragstellerin zu Recht hinweist – der Gefahr von
Missverständnissen durch die Erstellung eines Nebenprotokolls nach § 185 Abs. 1 S. 2
GVG begegnet werden.
Der Senat hält es nicht für sachdienlich, von der Zurückverweisung abzusehen und im
Rahmen des Beschwerdeverfahrens in der Sache selbst zu entscheiden, weil den
Beteiligten auf diese Weise eine Tatsacheninstanz verloren ginge.
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