Urteil des OLG Düsseldorf vom 24.05.2005

OLG Düsseldorf: aufrechnung, gegenforderung, rechtskraft, vergütung, besteller, nichterfüllung, verrechnung, werklohn, befreiung, verbindlichkeit

Oberlandesgericht Düsseldorf, I-5 W 37/04
Datum:
24.05.2005
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
5. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
I-5 W 37/04
Tenor:
Die sofortige Beschwerde der Beklagten vom 08.06.2004 gegen die
Streitwertfestsetzung durch die 11. Kammer für Handelssachen im Urteil
vom 03.03.2004 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Beklagte.
Die Klägerin hat mit ihrer Klage Werklohn aus einer Hauptrechnung und mehreren
Nachtragsrechnungen in Höhe von insgesamt 16.837,00 DM = 8.606,62 EUR verlangt.
Die Beklagte hat die Berechtigung der Klageforderungen bestritten und eingewandt, auf
Grund der von ihr auf die Hauptforderung geleisteten Abschlagszahlungen sei bereits
eine Überzahlung in Höhe von 4.641,73 DM eingetreten; mit dem ihr deshalb angeblich
zustehenden Rückzahlungsanspruch hat sie hilfsweise die Aufrechnung gegenüber den
weitergehenden Klageforderungen erklärt. Sie hat desweiteren hilfsweise gegen die
Klageforderungen mit einem Anspruch auf Zahlung von Ersatzvornahmekosten in Höhe
von insgesamt 18.840,20 DM = 9.632,84 EUR aufgerechnet. Die Kammer (Kammer für
Handelssachen) hat die Beklagte unter Abweisung der weitergehenden Klage zur
Zahlung von 2.379,11 EUR (= 4.635,15 DM) verurteilt. Es hat einen
Restwerklohnanspruch lediglich in Höhe von 1.844,40 DM aus dem Hauptvertrag, sowie
in Höhe von 2.808,75 DM aus der Nachtragsrechnung vom 10.05.2000 bejaht. Den
hilfsweise zur Aufrechnung gestellten Anspruch auf Rückzahlung der behaupteten
Überzahlung in Höhe von 4.641,73 DM hat die Kammer ebenso als unbegründet
angesehen wie den mit der weiteren Hilfsaufrechnung geltend gemachten Anspruch auf
Kostenerstattung in Höhe von 18.840,20 DM. Den Streitwert hat die Kammer unter
Bezugnahme auf § 19 Abs. 3 GKG auf 26.143,30 DM = 13.366,85 EUR festgesetzt.
Gegen diese Kostenfestsetzung wendet sich die Beklagte mit ihrer
Streitwertbeschwerde. Zur Begründung trägt sie vor, bei den wechselseitig geltend
gemachten Ansprüchen handele es sich um unselbständige Verrechnungsposten, damit
nicht um eine Aufrechnung im Sinne von § 19 Abs. 3 GKG. Die Kammer hat der
sofortigen Beschwerde mit Beschluss vom 18.08.2004 nicht abgeholfen und zur
Begründung ausgeführt, die Beschwerde sei bereits unzulässig, da im Falle einer
Änderung des Streitwerts in dem von der Beklagten erstrebten Sinne zugleich die
Kostenentscheidung in ihren Grundlagen berührt und unrichtig würde, was deren
Rechtskraft und § 99 ZPO unterlaufen würde.
1
II.
2
Die nach § 25 Abs. 3 GKG a.F. zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg. Das
Landgericht hat den Streitwert zutreffend auf der Basis des § 19 Abs. 3 GKG a.F. mit
26.143,30 DM = 13.366,85 EUR festgesetzt.
3
1. Für die Entscheidung der Streitwertbeschwerde nach § 25 Abs. 3 GKG a.F. ist nicht
der Einzelrichter gemäß § 568 ZPO, sondern der Senat als Kollegialgericht zuständig,
da § 568 ZPO nicht für Entscheidungen der Kammer für Handelssachen, sondern nur
bei Entscheidungen des Vorsitzenden der Kammer für Handelssachen gilt (Musielak,
ZPO,4. Auflage 2005, Rz. 2 zu § 568).
4
2. Der Zulässigkeit der Streitwertbeschwerde nach § 25 Abs. 3 GKG a.F. steht nicht der
von der Kammer in der Nichtabhilfeentscheidung vom 18.08.2004 herangezogene
Grundsatz entgegen, dass es infolge einer nachträglichen Streitwertänderung nicht zu
einer materiellen Unrichtigkeit der Kostenentscheidung in einem rechtskräftigen Urteil
kommen darf (vgl BGH, MDR 1977, 925). Nach der von der Kammer herangezogenen
Entscheidung des OLG Düsseldorf, 9. Zivilsenat, vom 10.06.1992, - 9 W 52/92, NJW-RR
1992, 1532 kann eine solche Folge hingenommen werden, wenn der Streitwert
nachträglich ermäßigt wird; denn eine Ermäßigung des Gebührenstreitwertes führt im
Ergebnis - absolut gesehen - zu einer Verminderung der Kostenbelastung für jede der
Prozessparteien, mag sich auch das der Kostenentscheidung zu Grunde gelegte
Verhältnis des beiderseitigen Obsiegens und Unterliegens dadurch mit der Folge eines
relativen Nachteils für eine Prozesspartei verschoben haben. Hier zielt das Begehren
der Beklagten auf eine solche Verringerung des Streitwerts.
5
3. In der Sache hat das Rechtsmittel jedoch keinen Erfolg, so dass es bei der
landgerichtlichen Streitwertfestsetzung zu verbleiben hat.
6
Nach § 19 Abs. 3 GKG a.F. führt die hilfsweise erklärte Aufrechnung des Beklagten mit
einer bestrittenen Gegenforderung zu einer Erhöhung des Streitwerts um den Wert der
Gegenforderung, wenn eine der Rechtskraft fähige Entscheidung über sie ergeht.
7
Die von der Beklagten hilfsweise zur Aufrechnung gestellten Gegenansprüche haben
nach der zutreffenden Begründung des Landgerichts zur Kostenfestsetzung zu einer
Streitwerterhöhung in Höhe von jeweils 4.653,15 DM, also um insgesamt 9.306,30 DM
geführt, da die Klageforderungen nur in Höhe von 4.653,15 DM begründet sind. Die
Streitwerterhöhung um diese 9.306,30 DM führt in Addition zu der
Gesamtklageforderung von 16.837,-- DM damit zu einem Gesamtstreitwert von
26.143,30 DM. Die Voraussetzungen für eine solche durch eine hilfsweise Aufrechnung
bedingte Streitwerterhöhung liegen sowohl in Hinblick auf den zur Aufrechnung
gestellten Anspruch auf Rückzahlung überbezahlter Werklohnzahlungen wie auch in
Hinblick auf die zur Aufrechnung gestellten Ansprüche auf Erstattung von
Ersatzvornahmekosten vor.
8
a) Die Kammer hat über den - hilfsweise aufrechnungsweise geltend gemachten -
angeblichen Anspruch der Beklagten auf Rückerstattung einer Überzahlung sachlich in
Höhe der für begründet erachteten Werklohnforderung entschieden. Auch liegt eine
Hilfsaufrechnung im Sinne des § 19 Abs. 3 GKG a.F. vor. Das Argument der Beklagten
in der Beschwerdebegründung, es handele sich um einen unselbständigen
Verrechnungsposten, so dass keine selbständige - hilfsweise - Aufrechnung gegeben
9
sei, greift nicht durch. Fordert der Werkunternehmer aus mehreren selbständigen
Aufträgen Werklohn und tritt der Auftraggeber einer Forderung mit dem Einwand
entgegen, in der geltend gemachten Höhe bestehe der Vergütungsanspruch nicht,
vielmehr sei unter Berücksichtigung erfolgter Abschlagszahlungen eine Überzahlung
eingetreten, so handelt es sich bei dem mit diesem Vortrag begründeten
Rückzahlungsanspruch, den der Auftraggeber der weiteren Werklohnforderung
hilfsweise per Aufrechnungserklärung entgegenhält, um eine eigenständige bzw.
unabhängige Gegenforderung und nicht um einen unselbständigen
Verrechnungsposten im Hinblick auf das Abrechnungsverhältnis, aus dem der
Werkunternehmer seinen Werklohnanspruch herleitet.
b) Die Voraussetzungen des § 19 Abs. 3 GKG a.F. für eine Streitwerterhöhung liegen
10
- entgegen der von der Beklagten in der Beschwerde vertretenen Auffassung - auch im
Hinblick auf die Hilfsaufrechnung mit den vermeintlichen Ersatzvornahmekosten vor.
11
Für die Frage, ob § 19 Abs. 3 GKG a.F. Anwendung findet, kommt es entscheidend
darauf an, ob sich die Beklagte mit einer Aufrechnung verteidigt und ob die
Entscheidung über die aufgerechneten Gegenforderungen in Rechtskraft gemäß § 322
Abs. 2 ZPO erwächst. Erforderlich ist damit zunächst, dass die Beklagte die
Aufrechnung mit einer Gegenforderung geltend macht. Zwar hat die Beklagte im
erstinstanzlichen Verfahren erklärt, sie rechne hilfsweise mit dem Anspruch auf Zahlung
der Ersatzvornahmekosten gegen die Klageforderung auf. Handelt es sich indessen bei
der von der Beklagten den Werklohnforderungen "aufrechnungsweise" entgegen
gehaltenen Gegenforderung nicht um eine selbständige Forderung, sondern lediglich
um einen unselbständigen Rechnungsposten eines einheitlichen Anspruches, so stellt
das Verteidigungsverhalten der Beklagten keine Aufrechnung dar, sondern lediglich
eine Verrechnung.
12
In welchem Umfang auf der Grundlage der sogenannten Differenztheorie die von dem
Besteller gegen die Werklohnforderung des Unternehmers erhobenen werkvertraglichen
Gegenansprüche lediglich in eine Saldierung der Aktiv- und Passivposten
einzubringende Einzelpositionen sind, ist in der Rechtsprechung der
Oberlandesgerichte umstritten. Im wesentlich außer Streit steht die Anwendung dieses
Grundsatzes und damit die Annahme einer Verrechnung auf werkvertragliche
Fallgestaltungen, wenn der Besteller die mangelhafte Werkleistung zurückweist und
Schadensersatz wegen Nichterfüllung des ganzen Vertrages verlangt (vgl. z.B. OLG
Düsseldorf, 21. Zivilsenat, Urteil vom 19.12.2000, NJW-RR 2001, 882; OLG Koblenz,
Urteil vom 10. Januar 2002, BauR 2002, 1124f = MDR 2002, 715f = NZBau 2002, 453f
m.w.N.; Werner-Pastor, Der Bauprozess, 11. Aufl. Rz. 2576 m.w.N.). Ob die
Differenztheorie auch anzuwenden ist, wenn der Auftraggeber das hergestellte Werk als
Erfüllung hinnimmt und im übrigen Schadensersatz beansprucht, wird dagegen in der
obergerichtlichen Judikatur nicht einheitlich beantwortet. Während einige
Oberlandesgerichte eine Konzentration der beiderseitigen Ansprüche zu einer
schlichten "Verrechnung" bei der Geltendmachung von auf einzelne Mängel reduzierte
Gegenforderungen, ohne dass das Vertragsverhältnis und das gelieferte Werk im
Grundsatz beanstandet wird, ablehnen (vgl. OLG Düsseldorf, 23. Zivilsenat, Beschluss
vom 03.07.1984, BauR 1984, 543; OLG Düsseldorf, 21. Zivilsenat, a.a.O.; OLG Hamm,
12. Zivilsenat, Urteil vom 03.05.2002, BauR 2002, 1591f; Urteil vom 05.09.1997, OLGR
1998, 58, 60; Urteil vom 21.04.1995, OLGR 1995, 196 (LS); OLG Oldenburg, Urteil vom
23.02.2000, BauR 20001, 831f; OLG Schleswig, Urteil vom 31.03.2000, BauR 2001,
13
1615) wird von der Gegenmeinung das Kriterium der Unterscheidung zwischen voller
und teilweiser Nichterfüllung als nicht plausibel und unpraktikabel angesehen (vgl. OLG
Koblenz, a.a.O; KG, Beschluss vom 21.01.2000, BauR 2000, 607; i.E. ebenso OLG
Hamm, 17. Zivilsenat, Beschluss vom 14.10.1991, NJW-RR 1992, 448; OLG Naumburg,
Urteil vom 01.03.2000, BauR 2001, 1615; OLG München, Urteil vom 16.07.2002, BauR
2003, 421; OLG Oldenburg, Urteil vom 25.02.2003, NJW-RR 2003, 879 = BauR 2003,
1079 = IBR 2003, 515 mit Anm. Leupertz).
Eine klare unzweideutige höchstrichterliche Entscheidung zu der Frage, ob die
Differenztheorie auch dann Anwendung findet, wenn der Zahlungsansprüche aus
Gewährleistungsrechten geltend machende Auftraggeber das Werk nicht zurückweist,
vielmehr behalten will, liegt nicht vor. In der Entscheidung vom 19.01.1978 hat der
Bundesgerichthof ausgeführt (BGHZ 70, 240ff = NJW 1978,815, 816 unter 3. b), für die
Abweisung der Klage auf restlichen Werklohn genüge es, wenn dem Kläger keine
weitere Vergütung als die bereits geflossene Anzahlung zustehe. Das gelte selbst dann,
wenn der Beklagte das nach seiner Meinung mangelhafte Werk behalten wolle. Dann
nämlich wäre der Schadensersatzanspruch aus schuldhafter Verletzung der
Nachbesserungspflicht darauf gerichtet, dass der Kläger sich mit dem bereits Erhaltenen
begnügen müsse. Der Schaden des Beklagten bestehe dann darin, dass der Kläger für
ein nur teilweise brauchbares Werk die volle Vergütung fordere. Dieser Schaden sei in
der Weise zu ersetzen, dass der Kläger sich mit einer dem Grade der Brauchbarkeit des
erstellten Werkes entsprechenden geringeren Vergütung zufrieden geben müsse. Der
Unterschied eines solchen Schadensersatzanspruchs zu dem auf volle Befreiung von
jeder Verbindlichkeit sei lediglich quantitativer, nicht qualitativer Art. Er komme im
Ergebnis der Minderung nahe. In der Berufung auf ein derartiges Recht auf Befreiung
von der Verbindlichkeit liege keine Aufrechnung. In dem Nichtannahmebeschluss vom
05.04. 2001 (BauR 2001, 1616) zu der oben erwähnten Entscheidung des OLG
Naumburg vom 01.03.2000 hat der Bundesgerichtshof unter Bezugnahme auf die
genannte Entscheidung vom 19.01.1978 seine Auffassung, die letztlich die
einschränkende Anwendung der Differenztheorie in dem oben dargestellten Sinne
ablehnt, noch einmal bestätigt (vgl. Groß in seiner Entscheidungsanmerkung, BauR
2001, 1618), ohne sich jedoch mit den von den Vertretern der einschränkenden
Auffassung vorgebrachten Argumenten auseinanderzusetzen. Dies deutet zwar darauf
hin, dass der Bundesgerichtshof der weiten Differenzhypothese den Vorzug gibt. Jedoch
hat der selbe Senat durch Beschluss vom 25.01.2001, VII ZR 116/00, die Annahme der
Revision gegen die zitierten Entscheidung des OLG Oldenburg vom 23.03.2000, 2 U
295/99, (BauR 2001, 831) abgelehnt, in der das Gericht in einem Urkundenprozess
streitentscheidend die gegenteilige Auffassung vertreten hat (vgl. hierzu Leupertz in IBR
2003, 515 (Anmerkung zu OLG Oldenburg, Urteil vom 25.02.2003, 2 U 232/02) Der
Senat hat in seiner bisherigen Rechtsprechung mehrfach zum Ausdruck gebracht, dass
nach seiner Auffassung im Rahmen der Anwendung der Differenzhypothese keine
Veranlassung für die Unterscheidung zwischen den Fällen bestehe, in denen der
Besteller Schadensersatz wegen Nichterfüllung des ganzen Vertrages verlangt und die
Erfüllungsleistung vollständig ablehnt und den Fällen, in denen der Auftraggeber das
Werk nicht als unbrauchbar ablehnt, sondern es behält (vgl. Senat, Urteil vom
25.06.1973, NJW 1973, 1928f; Beschluss vom 15.05.1998, BauR 1984, 308; Urteil vom
30.07.1992, OLGR 1993, 3, 4; zuletzt Urteil vom 28.06.2002, BauR 2002, 1860f). Ob der
Senat an dieser Rechtsprechung unter Berücksichtigung der mit der weiten
Differenztheorie einhergehenden Rechtskraftproblematik (vgl. hierzu eingehend OLG
Düsseldorf, 23. Zivilsenat, Beschluss vom 03.07.1984, 23 W 28/84, BauR 1984, 543,
545), sowie vor dem Hintergrund des Gesetzes zur Beschleunigung fälliger Zahlungen
14
vom 30.03.2000 (durch das auch § 302 ZPO geändert wurde und dem Vorbehaltsurteil
ein größeres Anwendungsfeld eröffnet wurde), festhalten kann (kritisch Heinrich, in BrBp
2003,16, 18, 19), bedarf bei dem zu beurteilenden Fall keiner abschließenden
Entscheidung. Jedenfalls besteht keine überzeugende dogmatische Rechtfertigung
dafür, auch den Kostenerstattungsanspruch nach § 633 Abs. 3 BGB a.F. bzw. § 13 Nr. 5
Abs. 2 VOB/B als bloßen Verrechnungsposten im Rahmen einer Gesamtabrechnung
einzustellen. Der Senat gibt damit ausdrücklich seine in der Entscheidung vom
15.05.1983,
5 W 9/83, BauR 1984, 308 vertretene Auffassung auf.
15
III.
16
Das Beschwerdeverfahren ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet (§ 25 Abs. 4
GKG a.F.). Eine Kostenentscheidung ist demnach nicht veranlasst.
17
a. G... B...
18
19