Urteil des OLG Düsseldorf vom 27.10.2009

OLG Düsseldorf (gkg, aufrechnung, vergleich, reformatio in peius, höhe, streitwert, schneider, wert, gegenstand, forderung)

Oberlandesgericht Düsseldorf, I-24 W 32/09
Datum:
27.10.2009
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
24. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
I-24 W 32/09
Vorinstanz:
Landgericht Wuppertal, 17 O 74/05
Tenor:
1. Die Beschwerde des Beklagten gegen den Beschluss der 17.
Zivilkammer des Landgerichts Wuppertal vom 1. April 2009 –
Einzelrichter – in der Fassung des Nichtabhilfebeschlusses vom 25. Mai
2009 wird zurückgewiesen.
2. Unter Abänderung der unter Ziff. 1 genannten Beschlüsse werden
der Streitwert für das erstinstanzliche Verfahren auf 96.526,26 €
und der Gegenstandswert des Vergleichs auf 103.941,59 €
festgesetzt.
Gründe:
1
Die gemäß § 68 Abs. 1 GKG zulässige Beschwerde des Beklagten gegen die
landgerichtliche Streitwertfestsetzung ist nicht begründet, da das Beschwerdevorbringen
die Festsetzung geringerer Streitwerte für den Rechtsstreit und den Vergleich nicht
rechtfertigt. Die Streitwertfestsetzung war allerdings im Rahmen der durch die Einlegung
der Beschwerde eröffneten Prüfung von Amts wegen dahin zu ändern, dass der
Streitwert für den Rechtsstreit auf 96.526,26 € und für den Vergleich auf 103.941,59 €
festgesetzt wird.
2
1.
3
Das Landgericht hat den Verfahrensstreitwert grundsätzlich zutreffend gemäß § 45 Abs.
4 GKG durch Addition der Streitwerte von Klage, Hilfsaufrechnung und Hilfswiderklage
ermittelt.
4
a.
5
Nach § 45 Abs. 3 GKG erhöht sich der Streitwert um den Wert der bestrittenen
Gegenforderung, sofern im Fall der Hilfsaufrechnung eine der Rechtskraft fähige
Entscheidung über sie ergeht. Für den Fall, dass der Rechtsstreit durch Vergleich
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erledigt wird, ist gemäß § 45 Abs. 4 GKG entsprechend zu verfahren. Da der Vergleich
selbst nicht der Rechtskraft fähig ist und auch keine der Rechtskraft ähnlichen
Wirkungen besitzt (vgl. BGHZ 86, 186; Zöller/Vollkommer, ZPO, 27. Aufl., vor § 322
Rdnr. 9 a), führt die in § 45 Abs. 4 GKG angeordnete Analogie dann zu einer Erhöhung
des Streitwerts nicht nur für den Vergleich, sondern auch für den Rechtsstreit, wenn die
Parteien in ihrer materiellrechtlichen Einigung des Vergleichs zugleich Regelungen
über die zur Hilfsaufrechnung gestellten Forderungen getroffen haben (vgl. OLG
Düsseldorf JurBüro 1987, 1383; OLG Hamm JurBüro 1983, 1680; OLG Köln MDR 1979,
412; OLG Bamberg JurBüro 1983, 105; KG Rpfleger 1983, 505; OLG Frankfurt MDR
1980, 64; OLG München AGS 2000, 10; MDR 1998, 680; MDR 1979, 412; OLG
Saarbrücken OLGR 2008, 364; Schneider/Herget, Streitwertkommentar, 12. Aufl., Rdnr.
5724 f.; Meyer, GKG, 10. Aufl., § 45 Rdnr. 39 ff.).
b.
7
Ebenso sind gemäß § 45 Abs. 1 S. 2 und Abs. 4 GKG die Streitwerte von Klage und
Hilfswiderklage nicht nur dann zu addieren, wenn eine gerichtliche Entscheidung über
die Hilfswiderklage ergeht, sondern auch dann, wenn der Rechtsstreit durch Vergleich
über die Klageforderung und die Hilfswiderklage endet. Dabei betrifft die
Streitwerterhöhung auch in diesem Fall nicht nur den Vergleich, sondern auch den
Rechtsstreit (vgl. OLG Düsseldorf MDR 2006, 297; OLG München Beschl. v. 30. März
2009 Az. 1 W 977/09 – zitiert nach juris; Schneider/Herget, a.a.O., Rdnr. 5706 ff.; Meyer,
a.a.O., § 45 Rdnr. 43).
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Die Gegenauffassung, nach der eine Streitwerterhöhung gemäß § 45 Abs. 1 S. 2 GKG
unabhängig davon, ob der Rechtsstreit durch Urteil oder Vergleich endet, nur eintreten
könne, wenn die innerprozessuale Bedingung für den Hilfsanspruch eingetreten sei, im
Falle des Hilfsantrags also der Hauptantrag abgewiesen und im Falle der
Hilfswiderklage der Klage stattgegeben worden sei (vgl. OLG Köln NJW-RR 1996,
1278), vermag nicht zu überzeugen. Zum einen bliebe nach dieser Auffassung für § 45
Abs. 4 GKG praktisch kaum ein Anwendungsbereich mehr, weil Vergleichen nur in
seltenen Fällen Teilurteile vorausgehen. Zum anderen ersetzen die Parteien durch die
Einbeziehung der Hilfswiderklageforderung in den Vergleich den Eintritt der
innerprozessualen Bedingung und die Entscheidung im Sinne des § 45 Abs. 1 S. 2
GKG, so dass die kostenrechtliche Gleichbehandlung geboten ist (vgl. OLG Düsseldorf
MDR 2006, 297; Schneider/Herget, a.a.O., Rdnr. 5708).
9
c.
10
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der vom Beklagten zitierten Entscheidung des
BGH vom 25. September 2008 (NJW 2009, 231). Danach bemisst sich der
Gegenstandswert für die Vergütungsansprüche des Rechtsanwalts allein nach dem
Wert der Klageforderung, wenn das Mandatsverhältnis nach Erlass eines
Vorbehaltsurteils nach § 302 ZPO endet, bevor im Nachverfahren über die
Hilfsaufrechnung entschieden ist. Ein solcher Fall lag hier nicht vor. Zwar fehlt es
ebenfalls an einer Entscheidung über Hilfsaufrechnung und Hilfswiderklage. Die
Entscheidung wird jedoch durch die Einbeziehung der Forderungen in den Vergleich
ersetzt. Dies rechtfertigt nach § 45 Abs. 4 GKG die Addition der Streitwerte.
11
d.
12
Aus diesen Rechtsgrundsätzen ergibt sich im vorliegenden Fall zunächst eine
Erhöhung des Verfahrensstreitwerts.
13
aa.
14
Auszugehen ist zunächst von der Klageforderung von 45.771,00 €. Das
Verteidigungsvorbringen des Beklagten ist ausdrücklich darauf gerichtet, dass die im
Schriftsatz vom 17. Juni 2005 genannten und von der Klägerin bestrittenen
Gegenforderungen hilfsweise für den Fall der Erfolglosigkeit der Primärverteidigung zur
Aufrechnung gestellt sein sollten. Mit Erhebung der ausdrücklich so bezeichneten
Eventual-Widerklage im Schriftsatz vom 17. Oktober 2006 hat der Beklagte die
Hilfsaufrechnung nicht etwa fallengelassen, sondern an ihr festgehalten, indem er erklärt
hat, dass die Widerklage für den Fall zum Zuge kommen solle, dass die hilfsweise zur
Aufrechnung gestellten Forderungen durch diese nicht vollständig verbraucht würden.
Die Hilfsaufrechnung entfällt für den Fall, dass die ihr zugrundeliegenden Forderungen
zum Gegenstand einer Hilfswiderklage gemacht werden, auch nicht automatisch. Nach
ständiger Rechtsprechung hindert die Rechtshängigkeit einer Forderung ihren Inhaber
nicht, mit dieser Forderung die Aufrechnung gegen eine Gegenforderung zu erklären,
die gegen ihn eingeklagt wird. Ebenso ist es zulässig, im Prozess hilfsweise die
Aufrechnung zu erklären und gleichzeitig die Gegenforderung zum Gegenstand einer
Widerklage zu machen (BGH NJW 1999, 1179; NJW-RR 1994, 379).
15
bb.
16
In Nr. 1 des Vergleichs vom 16. Februar 2009 haben die Parteien sich darauf geeinigt,
dass mit Zahlung der Vergleichssumme durch den Beklagten alle gegenseitigen
Ansprüche, seien sie bekannt oder unbekannt und gleich aus welchem Rechtsgrund,
erledigt seien. Mithin haben die Parteien im Vergleichswege auch die hilfsweise zur
Aufrechnung gestellten Ansprüche und die darüber hinaus mit der Hilfswiderklage
verfolgten, weitergehenden Ansprüche abgegolten.
17
Alle hilfsweise zur Aufrechnung gestellten Ansprüche und die darüber hinaus mit der
Hilfswiderklage geltend gemachten, weitergehenden Ansprüche gehen daher mit ihrem
vollen Wert in die Streitwertfestsetzung ein.
18
Der Beklagte hat mit der
Hilfsaufrechnung
19
Miete incl. Nebenkostenvorauszahlung Dezember 2004
4.394,66 €
Nebenkostennachforderung 2003
1.424,37 €
Anwaltsgebühren
459,40 €
Schadensersatz
4.984,78 €
Hausverwalterkosten
825,83 €
Nutzungsentschädigung Januar bis Juni 2005 à 4.394,66 € 26.367,96 €
weiter hilfsweise: Kosten für Austausch Schließzylinder
5.326,92 €
Summe
43.783,92 €
20
Mit der
Hilfswiderklage
ff.):
21
Miete ohne Nebenkostenvorauszahlung Dezember 2004
3.689,14 €
Nebenkostennachforderung 2004
3.838,43 €
Nebenkostennachforderung 2003
1.424,37 €
Anwaltsgebühren
239,70 €
Schadensersatz
4.754,30 €
Nutzungsentschädigung Januar 2005
4.394,66 €
Nutzungsentschädigung Februar 2005 anteilig
627,81 €
Kosten für Austausch Schließzylinder
5.326,92 €
Summe
24.295,33 €
22
Soweit der Beklagte mit der Miete für den Monat Dezember 2004 zunächst auch die
darauf entfallende Nebenkostenvorauszahlungsforderung hilfsweise zur Aufrechnung
gestellt hatte, mit der Hilfswiderklage im Hinblick auf die zwischenzeitlich
vorgenommene Nebenkostenabrechnung für das Jahr 2004 aber nur noch die Kaltmiete
eingeklagt hat, ist davon auszugehen, dass damit auch die hilfsweise zur Aufrechnung
gestellten Forderungen auf dann insgesamt 43.078,40 € ermäßigt werden sollten.
Soweit er auch im übrigen die hilfsweise zur Aufrechnung gestellten Forderungen in
geringerer Höhe (Anwaltsgebühren, Schadensersatz, Nutzungsentschädigung) oder gar
nicht (Hausverwalterkosten) zum Gegenstand der Hilfswiderklage gemacht hat, kann
demgegenüber mangels entsprechender Erklärung nicht angenommen werden, der
Beklagte habe den Umfang der Hilfsaufrechnung in gleicher Weise begrenzen wollen.
23
Die über die Hilfsaufrechnung des Beklagten hinausgehende Hilfswiderklage ist
begrenzt auf die Nebenkostennachforderung für das Jahr 2004 in Höhe von 3.838,43 €.
Alle weiteren mit der Hilfswiderklage verfolgten Ansprüche sind bereits Gegenstand der
Hilfsaufrechnung und fließen daher nicht erneut in den Streitwert ein.
24
cc.
25
Der Verfahrenswert erhöht sich gemäß § 45 Abs. 3 und Abs. 4 GKG weiter aufgrund der
Hilfsaufrechnung der Klägerin gegen die Hilfswiderklage, und zwar in Höhe von
3.838,43 €. Aus der Formulierung des Vergleichs ergibt sich, dass die Parteien auch
den von der Klägerin gegenüber der Hilfswiderklage hilfsweise zur Aufrechnung
gestellten Anspruch auf Rückzahlung überzahlter Mieten für das Jahr 2003 in Höhe von
11.253,76 € abgegolten haben. Dieser Anspruch war allein Gegenstand der
Hilfsaufrechnung; mit der Klage waren die Ansprüche für die Jahre 2000, 2001, 2002
und 2004 geltend gemacht. Aus dem Verteidigungsvorbringen der Klägerin gegenüber
der Nebenkostennachforderung für das Jahr 2004 im Schriftsatz vom 22. November
2006 folgt, dass die Rückzahlungsforderung für das Jahr 2003 für den Fall der
Erfolglosigkeit ihrer Primärverteidigung gegen die Hilfswiderklageforderung hilfsweise
zur Aufrechnung gestellt ist.
26
Die weitere Erhöhung des Verfahrenswerts durch diese Hilfsaufrechnung gegen die
Hilfswiderklage gemäß § 45 Abs. 3 und Abs. 4 GKG ist allerdings auch im Fall der
Erledigung des Rechtsstreits durch Vergleich auf den Wert der Klageforderung (hier: der
Hilfswiderklageforderung), d.h. auf 3.838,43 €, begrenzt (vgl. OLG Düsseldorf JurBüro
1987, 1383; OLG Köln MDR 1979, 412; OLG Hamm JurBüro 1983, 1680; OLG Bamberg
JurBüro 1983, 105; KG Rpfleger 1983, 505; OLG Frankfurt MDR 1980, 64; OLG
München 7. Zivilsenat MDR 1998, 680; 21. Zivilsenat AGS 2000, 10; Schneider/Herget,
a.a.O., Rdnr. 5725; Meyer, a.a.O., § 45 Rdnr. 41). Soweit vereinzelt die Auffassung
vertreten wird, der Streitwert des Verfahrens – nicht nur der Gegenstandswert des
Vergleichs – erhöhe sich um den vollen Wert der hilfsweise zur Aufrechnung gestellten
Gegenforderung, wenn diese ihrem gesamten Umfang nach und endgültig durch den
Vergleich miterledigt worden sei (so OLG München, 5. Zivilsenat, JurBüro 1978, 1226;
OLG Saarbrücken OLGR 2008, 364), kann sich der Senat dem nicht anschließen. Denn
bei der Bildung des Verfahrensstreitwerts ist die Begrenzung des § 322 Abs. 2 ZPO, die
über § 45 Abs. 3 GKG auch im Fall des § 45 Abs. 4 GKG Geltung beansprucht, zu
beachten. Der Verfahrensstreitwert umfasst nur diejenigen Ansprüche, über die die
Parteien eine gerichtliche Entscheidung beantragt haben. Die hilfsweise zur
Aufrechnung gestellte Forderung ist stets nur bis zur Höhe der Klageforderung (hier:
Hilfswiderklageforderung) in den Rechtsstreit eingeführt. Daran ändert die Bestimmung
des § 45 Abs. 4 GKG nichts.
27
e.
28
Danach ergibt sich folgende Berechnung:
29
Klage
45.771,00
Hilfsaufrechnung gegen die Klage
Miete ohne Nebenkostenvorauszahlung Dezember 2004
3.689,14
Nebenkostennachforderung 2003
1.424,37
Anwaltsgebühren
459,40 €
Schadensersatz
4.984,78
Hausverwalterkosten
825,83 €
Nutzungsentschädigung Januar bis Juni 2005 à 4.394,66 €
26.367,96
Kosten für Austausch Schließzylinder
5.326,92
Summe
43.078,40
Hilfswiderklage
30
Nebenkostennachforderung 2004
3.838,43
Hilfsaufrechnung gegen die Hilfswiderklage
Höhe der Hilfswiderklage)
Mietrückzahlung für 2003
3.838,43
Verfahrensstreitwert insgesamt
96.526,26
2.
31
Demgegenüber beträgt der Gegenstandswert des Vergleichs 103.941,59 €. Denn in den
Vergleichswert fließen alle vergleichsweise erledigten Forderungen ein. Deshalb ist die
mit der Hilfsaufrechnung gegen die Hilfswiderklage geltend gemachte Forderung
insoweit in voller Höhe von 11.253,76 € zu berücksichtigen. Die Begrenzung des § 322
Abs. 2 ZPO gilt hier nicht (vgl. OLG Düsseldorf JurBüro 1987, 1383; OLG Hamm JurBüro
1983, 1680; OLG Köln MDR 1979, 412; OLG Bamberg JurBüro 1983, 105; KG Rpfleger
1983, 505; OLG Frankfurt MDR 1980, 64; OLG München AGS 2000, 10; MDR 1998,
680; MDR 1979, 412; OLG Saarbrücken OLGR 2008, 364; Schneider/Herget,
Streitwertkommentar, 12. Aufl., Rdnr. 5724 f.; Meyer, GKG, 10. Aufl., § 45 Rdnr. 39 ff.).
32
3.
33
Der Senat ist an einer Änderung der Streitwertfestsetzung zum Nachteil des
Beschwerdeführers nicht gehindert. Denn das Verbot der sogenannten reformatio in
peius ist im Rahmen der Streitwertbeschwerde nicht zu beachten. Vielmehr ist das
Rechtsmittelgericht im eröffneten Beschwerdeverfahren verpflichtet, den Streitwert von
Amts wegen festzusetzen (vgl. OLG Brandenburg JurBüro 1997, 196; OLG Saarbrücken
OLGR 2008, 364; OLGR 2007, 430; Schneider/Herget, a.a.O., Rdnr. 4984).
34
4.
35
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Eine Kostenerstattung findet nicht statt;
das Beschwerdeverfahren ist gerichtsgebührenfrei, § 68 Abs. 3 GKG.
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