Urteil des OLG Düsseldorf vom 26.02.2002

OLG Düsseldorf: einwilligung, bewährung, widerruf, rücknahme, haftentlassung, therapie, eltern, rückfall, methadon, schöffengericht

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Oberlandesgericht Düsseldorf, 3 Ws 47-48/02
26.02.2002
Oberlandesgericht Düsseldorf
3. Strafsenat
Beschluss
3 Ws 47-48/02
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Die Kosten der Beschwerdeverfahren und die dem Verurteilten insoweit
erwachsenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.
G r ü n d e :
Am 11. Juli 2000 verhängte das Amtsgericht - Schöffengericht - Essen gegen den
Verurteilten eine zehnmonatige Gesamtfreiheitsstrafe wegen eines Diebstahlsversuchs und
dreier vollendeter Diebstahlsdelikte. Durch Beschluss vom 7. Dezember 2000 führte das
Amtsgericht Essen ferner im Wege der nachträglichen Gesamtstrafenbildung gemäß § 460
StPO die gegen den Verurteilten wegen diverser Delikte in zwei weiteren rechtskräftigen
Erkenntnissen festgesetzten Einzelstrafen unter Auflösung der insoweit gebildeten
Gesamtstrafen auf eine neue Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und zwei Monaten
zurück. Nachdem der Verurteilte mehr als zwei Drittel beider Gesamtfreiheitsstrafen verbüßt
hatte, setzte die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Wuppertal die noch nicht
erledigten Strafreste durch Beschluss vom 28. August 2001 zur Bewährung aus und erteilte
dem Verurteilten zugleich - mit dessen Einwilligung - die Weisung, sich unmittelbar nach
der Haftentlassung in die Essener Drogenhilfeeinrichtung "LÜSA" (= Langzeitübergangs-
und Stützungsangebot) zu begeben und dort so lange zu bleiben, wie es die Einrichtung im
Einvernehmen mit der Strafvollstreckungskammer für erforderlich halte.
Am 2. Oktober 2001 hat die Strafvollstreckungskammer die Strafaussetzungen zur
Bewährung wegen eines Verstoßes gegen die Therapieweisung widerrufen. Die hiergegen
gerichteten sofortigen Beschwerden des Verurteilten sind begründet, da die in § 56f Abs. 1
Satz 1 StGB niedergelegten Voraussetzungen für einen Widerruf der Strafaussetzung zur
Bewährung derzeit nicht vorliegen.
Allerdings hat der Verurteilte die im Anschluss an seine Haftentlassung vorgesehene
Therapie in der Einrichtung "LÜSA" nicht angetreten. Insoweit vermag der Senat indes
beim gegenwärtigen Sachstand die gesetzlichen Voraussetzungen für einen Widerruf der
Strafaussetzung wegen eines Weisungsverstoßes nicht festzustellen. Gemäß § 56c Abs. 3
StGB darf die Teilnahme an einer Heilbehandlung der hier vorgesehenen Art im
Bewährungsbeschluss nur mit Einwilligung des Verurteilten richterlich angeordnet werden.
Dieser Umstand schließt zwar einen Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung bei
nachträglicher Missachtung einer einmal erteilten Therapieweisung nicht grundsätzlich aus
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(hierzu eingehend HansOLG Hamburg, NStZ 92, 301; vgl. ferner OLG Koblenz, Beschluss
vom 30. März 1998, 1 Ws 164/89). Er macht jedoch im Einzelfall eine eingehende Prüfung
der Frage erforderlich, ob die im Verstoß gegen die Therapieweisung zum Ausdruck
gekommene Rücknahme der zunächst erteilten Einwilligung als "gröblich oder beharrlich"
im Sinne von § 56f Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB zu gelten hat. Dies ist nicht der Fall, wenn der
Verurteilte aus seiner Sicht die ursprünglich erteilte Einwilligung nachträglich aus
verständlichen Gründen für verfehlt hält und er sich die Strafaussetzung nicht unter
Vortäuschung seines Einverständnisses von vornherein erschlichen hat (BGHSt 36, 97).
Ein derartiger Sachverhalt ist hier gegeben. Nach den - durch eine schriftliche Erklärung
der Eltern bestätigten - Angaben des seit langen Jahren schwerst drogenabhängigen und
durch Therapieangebote mit straffem Anforderungsprofil bislang nicht erreichbaren
Verurteilten hat er die Therapie in der Drogenhilfeeinrichtung "LÜSA" am Tag der
Haftentlassung (3. September 2001) nicht angetreten, weil er bei seiner Ankunft vor Ort
angesichts des Anblicks mehrerer Personen mit Drogen spontan von der Furcht vor einem
Rückfall und von Zweifeln an der Eignung des gewählten Therapieangebots überwältigt
worden sein will. Ausweislich der Vollstreckungsunterlagen hat der Verurteilte seine
Entscheidung umgehend der Staatsanwaltschaft mitgeteilt und sich bereits am 4.
September 2001 in eine Methadon-Substitutionsbehandlung begeben, die auf ambulanter
Basis in den Rheinischen Kliniken Essen - unter medizinischer und psychosozialer
Begleitbetreuung - durchgeführt wird und deren Verlauf die behandelnden Ärzte bislang -
mit den bei Therapien dieser Art offenbar suchtmedizinisch üblichen Einschränkungen im
Hinblick auf die Problematik des Beikonsums - positiv beurteilen. Angesichts dieser
Umstände ist der Verstoß des Verurteilten gegen die ihm ursprünglich erteilte
Therapieweisung nicht "gröblich" oder "beharrlich", denn der - im Rahmen seiner
Möglichkeiten grundsätzlich offenbar therapiewillige - Verurteilte hat für die nachträgliche
Rücknahme seiner Einwilligung mit einer Behandlung in der Einrichtung "LÜSA" eine aus
seiner subjektiven Sicht verständliche Erklärung geliefert, die vor dem Hintergrund seiner
suchtbeeinflussten Persönlichkeitsstruktur und seines Verhaltens im übrigen
nachvollziehbar erscheint und nicht offensichtlich vorgeschobenen Charakter trägt. Die
Abkehr von der ursprünglich vorgesehenen Therapieform vermag für sich allein einen
Widerruf der Strafaussetzungen zur Bewährung gemäß § 56f Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StGB nicht
zu rechtfertigen, ohne dass es darauf ankommt, ob das derzeit in Anspruch genommene
Behandlungsangebot aus richterlicher Sicht eine positive Sozialprognose zu Gunsten des
Verurteilten noch zu rechtfertigen vermag.
Da auch die Voraussetzungen des § 56f Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und 3 nach den bislang
aktenkundig gewordenen Informationen nicht gegeben sind, ist der angefochtene
Beschluss aufzuheben, denn es fehlt derzeit an einem gesetzlichen Widerrufsgrund.
Soweit die Rücknahme der Einwilligung des Verurteilten im Hinblick auf die
Therapieweisung zum Wegfall der Vollziehbarkeit geführt hat, obliegt die Prüfung etwaiger
nachträglicher Entscheidungen gemäß § 56e StGB der Strafvollstreckungskammer.
Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des §
467 Abs. 1 StPO.