Urteil des OLG Düsseldorf vom 14.09.2006
OLG Düsseldorf: bedingte entlassung, vollstreckungsverfahren, verfahrenskosten, belastung, entstehungsgeschichte, bewährung, sicherungsverwahrung, unterbringung, verurteilter, willkür
Oberlandesgericht Düsseldorf, III-4 Ws 446/06
Datum:
14.09.2006
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
4. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
III-4 Ws 446/06
Tenor:
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; Kosten werden nicht
erstattet.
Das Landgericht Mönchengladbach hat den Verurteilten am 19. Dezember 1991 wegen
schwerer räuberischer Erpressung in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von
zwölf Jahren verurteilt und seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung
angeordnet. Darüber hinaus erkannte das Landgericht Kleve durch Urteil vom 8.
September 1995 wegen versuchter Gefangenenmeuterei gegen den Verurteilten auf
eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten. In beiden Urteilen wurden dem
Verurteilten die Kosten des Verfahrens nach § 465 StPO auferlegt.
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Durch Beschluss vom 1. Dezember 2003, rechtskräftig seit dem 18. Dezember 2003,
setzte das Landgericht Kleve - Strafvollstreckungskammer - sowohl die Vollstreckung
der Strafreste als auch die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung aus den o.a.
Urteilen zur Bewährung aus. Zur Vorbereitung der Aussetzungsentscheidung hatte die
Kammer mehrere kriminalprognostische Sachverständigengutachten eingeholt.
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Mit Kostenrechnung vom 29. Dezember 2005 forderte die Staatsanwaltschaft Kleve von
dem Verurteilten zunächst Verfahrenskosten in Höhe von 14.275,99 €. Dieser Betrag
wurde sodann durch Rechnung vom 25. April 2006 auf 8.864,39 € - nämlich die durch
die Sachverständigengutachten im Vollstreckungsverfahren entstandenen Kosten –
reduziert. Auf die Erinnerung des Verurteilten gegen den Kostenansatz hob die
Strafvollstreckungskammer die Kostenrechnung auf und stellte klar, dass der Verurteilte
die im Strafvollstreckungsverfahren entstandenen Gutachterkosten nicht der
Landeskasse zu erstatten habe. Hiergegen wendet sich der Bezirksrevisor als Vertreter
der Landeskasse mit dem Rechtsmittel der Beschwerde.
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II.
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Das nach § 66 Abs. 2 GKG zulässige Rechtsmittel ist begründet, denn der Verurteilte ist
zur Erstattung der Kosten verpflichtet, welche durch die im Strafvollstreckungsverfahren
von der Sachverständigen Dr. S in den Jahren 2002 und 2003 erstellten
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kriminalprognostischen Gutachten entstanden sind.
Ob die im Rahmen des Vollstreckungsverfahrens angefallenen Gebühren und Auslagen
vom Verurteilten aufgrund der Kostenentscheidung des Urteils zu tragen sind, ist
allerdings umstritten. In der obergerichtlichen Rechtsprechung vertritt insbesondere das
OLG Hamm (NStZ 2001, 167 f) die Auffassung, der Regelungsgehalt des § 464 a StPO
sei einschränkend auszulegen. Dies ergebe sich aus der Gesetzessystematik und der
Entstehungsgeschichte der Norm. Von der Kostenentscheidung nach §§ 465, 464 a
StPO seien nur die unmittelbar auf der Entscheidung des erkennenden Gerichts
beruhenden Kosten erfasst. Die Gutachterkosten, die zur Vorbereitung der
Beschlussfassung betreffend eine Reststrafenaussetzung eingeholt werden, seien
indessen keine unmittelbare Folge aus dem Strafurteil, sondern beruhten auf der
selbständigen Entscheidung der Strafvollstreckungskammer.
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Auch die Regelung des § 121 StVollzG, wonach für eine verfahrensabschließende
Entscheidung im Rechtsbehelfssystems eine Kostenentscheidung zu treffen sei,
spreche für eine einschränkende Auslegung des § 464 a StPO. Die vorgenannte Norm
wäre entbehrlich, wenn sämtliche Strafvollstreckungskosten bereits durch §§ 465, 464 a
StPO erfasst seien.
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Die Belastung mit Gutachterkosten widerspreche überdies dem
Resozialisierungsgedanken, da dem Verurteilten die Mittel genommen würden, die er
für den Zeitpunkt der Entlassung angespart habe.
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Die überwiegende Meinung (vgl. OLG Koblenz Rpfleger 2005, 627 f, OLG Karlsruhe
NStZ-RR 2003, 350; OLG Köln StV 2005, 279; Meyer-Goßner, StPO, 49. Aufl., § 464 Rn.
3) rechnet die im Vollstreckungsverfahren entstandenen Gutachterkosten dagegen zu
den Verfahrenskosten i.S.d. § 464 a StPO. Bei diesen Kosten handele es sich nämlich
um Auslagen in einem Verfahren vor einem ordentlichen Gericht nach § 454 StPO, die
nach § 9005 KV zu erstatten seien. § 464a StPO beruhe auf dem Prinzip, dass den
Verursacher der Kosten die Verpflichtung treffe, diese zu tragen. Auch die Entscheidung
über die Aussetzung der Restfreiheitsstrafe zur Bewährung stehe mit der im Urteil
ausgesprochenen Rechtsfolge der Tat in direktem Zusammenhang. Denn die zu
treffende Prognoseentscheidung bestimme maßgeblich die tatsächliche Dauer der zu
verbüßenden Freiheitsstrafe.
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Der Senat schließt sich der herrschenden Ansicht an. Weder der Wortlaut noch die
systematische Stellung des § 464 a StPO noch die Entstehungsgeschichte der Norm
nötigen zu einer einschränkenden Auslegung der Vorschrift. Der 2. Abschnitt des
Siebten Buches der Strafprozessordnung trägt die Überschrift "Kosten des Verfahrens",
was dafür spricht, dass in den §§ 465, 464a StPO eine umfassende
Kostentragungsregelung getroffen worden ist. Überdies spricht der
Veranlassungsgedanke, der auch im Kostenrecht von maßgeblicher und in
verfassungsrechtlicher Hinsicht nicht zu beanstandender (vgl. BVerfG , Beschluss vom
27. Juni 2006, 2 BVR 1392/02 Quelle: juris) Bedeutung ist, für die Belastung des
Verurteilten mit den durch seine Begutachtung entstandenen Kosten im
Vollstreckungsverfahren. Auch diejenigen Kosten, die nach Urteilserlass im
Vollstreckungsverfahren entstanden sind, sind letztlich von dem Verurteilten durch sein
delinquentes Verhalten veranlasst worden.
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Die Erhebung der Sachverständigenkosten beeinträchtigt auch nicht die
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Wiedereingliederung des Verurteilten in unzumutbarer Weise. Der Senat sieht im
Gegensatz zum Landgericht nicht die Gefahr, dass ein an sich entlassungsgeeigneter
Verurteilter nur deshalb auf die bedingte Entlassung aus dem Strafvollzug verzichtet,
weil er die Tragung der aus seiner Sicht als erheblich empfundenen Gutachterkosten
scheut. Einer finanziellen Überforderung des Verurteilten, die einer Resozialisierung
entgegenstehen könnte, kann durch die Gewährung von Zahlungserleichterungen
wirksam begegnet werden.
Die Verpflichtung, die Gutachterkosten zu erstatten, verstößt auch weder gegen das in
Art. 103 Abs. 3 GG genannte Verbot der Mehrfachbestrafung noch gegen den Grundsatz
der Schuldangemessenheit des Strafens (BVerfG aaO). Denn die Verpflichtung zur
Kostentragung stellt keine Strafverhängung dar.
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Schließlich kann auch aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) kein
Anspruch auf Nichterhebung der Kosten hergeleitet werden. Hätte der Verurteilte die
Strafe in einer Anstalt im Zuständigkeitsbereich des OLG Hamm verbüßt, so wären die
Gutachterkosten aufgrund der dort vertretenen Rechtsansicht (s.o.) zwar nicht als
Verfahrenskosten angesehen worden. Der Verurteilte hat aber keinen Anspruch darauf,
dass alle Gerichte eine einheitliche Rechtsansicht vertreten, sofern keine Willkür
vorliegt, was hier jedoch ausgeschlossen ist (BVerfG, aaO).
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III.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 66 Abs. 8 GKG.
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