Urteil des OLG Düsseldorf vom 30.03.2003
OLG Düsseldorf: treu und glauben, mietzins, minderung, verwirkung, ankauf, gebrauchstauglichkeit, unterlassen, vermieter, bezahlung, nachzahlung
Oberlandesgericht Düsseldorf, I-10 U 18/02
Datum:
30.03.2003
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
10. Ziviilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
I-10 U 18/02
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 16. November 2001
verkündete Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Krefeld teil-weise
abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
Das Teilversäumnisurteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts
Krefeld vom 12. März 2001 wird aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen. Hiervon
ausgenommen sind die durch die Säumnis des Beklagten zu 2) im
ersten Rechtszug entstandenen Kosten, die diesem zur Last fallen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
1
Der zulässigen Berufung kann der Erfolg in der Sache nicht versagt bleiben.
2
Die Klage, mit der die Klägerin die Bezahlung rückständigen Mietzinses für das Jahr
1996 nebst Zinsen begehrt, ist auch in der vom Landgericht zuerkannten Höhe
unbegründet mit der Folge, dass sie insgesamt abzuweisen ist.
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Es kann dahinstehen, ob die Beklagten im Mietjahr 1996 berechtigt waren, wegen der
von ihnen behaupteten, erheblichen Mängel die Miete gemäß § 537 BGB a.F. auf 0 zu
mindern oder ob ein derartiges Recht in entsprechender Anwendung des § 539 BGB
a.F. verwirkt war. Denn die Klägerin hat diese Minderung jahrelang widerspruchslos
hingenommen und damit ihrerseits einen Anspruch auf Nachzahlung rückständiger
Miete verwirkt, § 242 BGB.
4
I.
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Eine Verwirkung kommt nach allgemeinen Grundsätzen in Betracht, wenn der
Berechtigte ein Recht längere Zeit nicht geltend macht, obwohl er dazu in der Lage
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wäre, und der Verpflichtete sich mit Rücksicht auf das gesamte Verhalten darauf
einrichten durfte und eingerichtet hat, dass dieser sein Recht auch in Zukunft nicht mehr
geltend machen werde (vgl. hierzu: Palandt/Heinrichs, BGB, 61. Aufl., § 242 Rdnr. 87
m.w.N.). Insofern gilt für Mietzinsrückstände nichts anderes als für andere Forderungen.
Vielmehr spricht gerade bei derartigen, in der Regel monatlich fällig werdenden
Ansprüchen vieles dafür, an das sog. Zeitmoment keine strengen Anforderungen zu
stellen. Denn so wie ein Mieter das Recht zur Mietzinsminderung entsprechend § 539
BGB a.F. verwirkt, wenn er in Kenntnis des Mangels den vollen Mietzins weiterhin
vorbehaltlos zahlt (vgl. BGH NJW 1997, 2674), verwirkt auch der Vermieter sein Recht
auf den Mietzins, wenn der Mieter den Mietzins mindert und der Vermieter dies längere
Zeit widerspruchslos hinnimmt (vgl. hierzu: OLG Hamburg ZMR 1999, 328, 329; LG
Gießen ZMR 2001, 801, 802; LG Köln WM 2001, 79; Sternel, Mietrecht Aktuell, 3. Aufl.,
Rdnr. 414; Wichert ZMR 2000, 65, 68). In diesem Zusammenhang kann offen bleiben,
ob bereits die widerspruchslose Duldung einer Minderung über 6 Monate zum Verlust
einer Mietzinsforderung führen kann (so: AG Gießen ZMR 2001, 801). Denn das für die
Verwirkung erforderliche Zeitmoment ist jedenfalls bei der widerspruchslosen Hinnahme
einer Minderung über mehrere Jahre gegeben. So liegt der Fall hier.
1. Die Beklagten hatten den Mietzins wegen der von ihnen behaupteten Mängel bereits
in der Zeit von Juni bis August 1993 teilweise gemindert, ehe sie ab September 1993
die Mietzinszahlung einstellten. Dies hatte die Klägerin zum Anlass genommen, das
Mietverhältnis fristlos zu kündigen und die Beklagten auf Räumung des Mietobjekts
klageweise in Anspruch zu nehmen (4 C 68/94 AG Nettetal). Im Verlauf dieses
Verfahrens zahlten die Beklagten im Januar 1994 einmalig 4.000 DM und die
Januarmiete mit 2.456 DM. Alsdann stellten sie wiederum jegliche Zahlung bis zur
vertraglich vereinbarten Beendigung des Mietverhältnisses am 31.07.2000 ein. Der
Räumungsrechtsstreit wurde von der Klägerin gleichwohl nicht weiter betrieben, weil die
Parteien - ohne Erfolg - über den Ankauf des Hausgrundstücks durch den Beklagten zu
1) verhandelten. Erst mit Schreiben vom 18.01.2000 (Bl. 51 GA) kündigte die Klägerin
das Mietverhältnis erneut fristlos wegen "Zahlungsrückständen", hilfsweise fristgemäß
zum 31.07.2000. Klage wegen der Mietzinsrückstände 1996 erhob sie erst kurz vor
Ablauf der 4-jährigen Verjährungsfrist (§ 197 BGB) zum 31.12.2000 mit Klageschrift vom
23.11.2000. Bei diesem Geschehensablauf ist das für die Verwirkung erforderliche
Zeitmoment unzweifelhaft gegeben.
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2. Dass für die Verwirkung weiterhin erforderliche Umstandsmoment ist ebenfalls nicht
von der Hand zu weisen. Es liegen besondere Umstände vor, aufgrund derer die
Beklagten als Mieter sich nach Treu und Glauben darauf einrichten durften und
eingerichtet haben, dass die Klägerin ihre Rechte nicht mehr geltend machen wird. Der
Klägerin war spätestens seit dem Vorprozess im Jahre 1994 bekannt, dass die
Beklagten jegliche Mietzinszahlungen wegen der von ihnen behauptete Mängel des
Mietobjektes ablehnten. Die ausbleibenden Mietzinszahlungen ab 1994 verdeutlichten
ihr, dass sich am Standpunkt der Beklagten nichts geändert hatte. Dem Verlangen der
Beklagten auf Beseitigung der Mängel kam sie nicht nach, weil sie sich hierzu nicht
verpflichtet fühlte. Dem hätte es entsprochen, dass sie die nach ihrer Ansicht
berechtigten Mietzinsforderungen zeitnah gegen die Beklagten klageweise durchsetzt.
Dies hat sie indes unterlassen. Damit vermittelte sie den Beklagten den Eindruck, dass
sie sich mit der Situation abgefunden hatte und wegen der mangelnden
Gebrauchstauglichkeit der Mieträume die Minderung akzeptierte. Das gilt umso mehr,
als die Klägerin wegen der Forderungen aus 1993 bis 1995 den Verjährungseintritt
hinnahm und während der nachfolgenden Jahre kurz vor Ende der vereinbarten Mietzeit
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im Jahr 2000 die ausbleibenden Mietzinszahlungen nicht zum Anlass nahm, um etwa
den Räumungsrechtsstreit wieder aufzunehmen, den Mietzins einzufordern oder erneut
wegen der aus ihrer Sicht berechtigten, rückständigen Mietzinsforderungen das
Mietverhältnis fristlos zu kündigen. Demgegenüber kann sich die Klägerin nicht mit
Erfolg darauf berufen, sie hätte wegen der Verhandlungen über einen Ankauf des
Hausgrundstücks durch den Beklagten zu 1) die Einforderung der gegebenenfalls in
den Kaufpreis einzubeziehenden Miete "zunächst" unterlassen. Dieses Verhalten mag
für einige Monate erklärlich erscheinen, ist aber angesichts eines Mietzinsvolumens -
bei Gebrauchstauglichkeit der Mieträume - von jährlich 29.472 DM (12 x 2.456 DM) bei
jahrelang ausbleibender Mietzahlung nur vor dem Hintergrund einer Akzeptanz der
Minderung nachvollziehbar. Überdies hat die Klägerin nicht substantiiert dargelegt, dass
nach 1995 noch konkret über einen Verkauf des Grundstücks verhandelt wurde. Nach
dem Vorbringen der Beklagten wurden die Verhandlungen 1995 ergebnislos
abgebrochen (Bl. 68 GA); erstmals im Kündigungsschreiben vom 18.01.2000 habe die
Klägerin ihr seinerzeitiges Verkaufsangebot wieder aufgegriffen (Bl. 51 GA). Dem ist die
Klägerin nicht entgegengetreten. Ihr Vorbringen, die "Verhandlungen hätten sich
jahrelang hingezogen" (Bl. 145 GA), ist ohne Substanz (vgl. zur Darlegungslast des
Gläubigers: BGH NJW 1958, 1188, 1189) und damit unbeachtlich. Die Beklagten
konnten nach alledem darauf vertrauen, dass die Klägerin Mietzinsansprüche aus dem
Jahre 1996 nicht mehr verfolgen wird. Der nunmehrigen Geltendmachung steht der
Verwirkungseinwand entgegen.
II.
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Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 344, 708 Nr. 10, 713 ZPO.
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Die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO für die Zulassung der Revision liegen nicht
vor.
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Streitwert: 25.632 DM (= 13.105,43 EUR).
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