Urteil des OLG Düsseldorf vom 10.03.2006

OLG Düsseldorf: rechtskraft, vorzeitige besitzeinweisung, verkündung, rechtssicherheit, rechtsmittelfrist, fälligkeit, verfügung, rechtsirrtum, sicherheitsleistung, rechtshängigkeit

Oberlandesgericht Düsseldorf, I-24 W 13/06
Datum:
10.03.2006
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
24. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
I-24 W 13/06
Vorinstanz:
Landgericht Düsseldorf, 10 O 173/05
Tenor:
Die sofortige Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss der 10.
Zivil-kammer des Landgerichts Düsseldorf -Einzelrichter- vom 02.
Januar 2006 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Beschwerdewert (Kosteninteresse): bis 2.000 EUR.
G r ü n d e
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I. Das zulässige Rechtsmittel bleibt in der Sache ohne Erfolg. Das Landgericht hat zu
Recht die Kosten des durch Klagerücknahme erledigten Rechtsstreits gemäß § 269
Abs. 3 Satz 2 ZPO dem Kläger auferlegt. Er beruft sich ohne Erfolg auf die
Sonderbestimmung des § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO, wonach dem Beklagten die Kosten
des Rechtsstreits aufzuerlegen sind, wenn dieser Anlass zur Einreichung der Klage
gegeben hat, der Anlass aber noch vor Eintritt der Rechtshängigkeit entfallen ist und die
Klage daraufhin unverzüglich zurückgenommen wird. Der Senat folgt der Beurteilung
des Landgerichts, dass der Beklagte keinen Anlass zur Klageeinreichung gegeben hat.
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1. Anlass zur Klageeinreichung gibt derjenige, der mit der Erfüllung eines fälligen
Anspruch in Verzug geraten ist und -aus der maßgeblichen Sicht eines mit den
Verhältnisses vertrauten objektiven Beobachters- durch sein Verhalten den Eindruck
erweckt, dass eine Befriedigung des Anspruchs ohne Inanspruchnahme gerichtlicher
Hilfe nicht zu erreichen ist.
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2. Der vom Kläger anhängig gemachte Anspruch (Rückzahlung einer auf Anderkonto
verwahrten verzinslichen Sicherheitsleistung in Höhe von 10.514,40 EUR) war bei
Klageeinreichung (21. April 2005) nicht fällig. Noch vor Eintritt der zwischen den
Parteien vereinbarten Fälligkeit des Rückzahlungsanspruchs (Eintritt einer den Kläger
begünstigenden rechtskräftigen Entscheidung im Verfahren 13 U 68/04 OLG
Düsseldorf) hatte der Beklagte die Hauptforderung befriedigt. Die Ansicht des Klägers,
die Rechtskraft des Berufungsurteils und die daran geknüpfte Fälligkeit des Anspruchs
sei mit Blick auf die fehlende Rechtsmittelfähigkeit (Rechtsmittelsumme unter 20.000
EUR) mit der Verkündung des Berufungsurteils (17. März 2005) eingetreten, ist von
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Rechtsirrtum beeinflusst.
a) Gemäß § 705 Satz 1 ZPO tritt die Rechtskraft der Urteile vor Ablauf der für die
Einlegung des zulässigen Rechtsmittels bestimmten Frist nicht ein. Nach der Auslegung
des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GS OGB, BGHZ 88,
353, 357f = NJW 1984, 1027, 1028), den er dieser Bestimmung aus Gründen der
Rechtsklarheit, Rechtssicherheit und Rechtsleichtigkeit gegeben hat, ist damit der
Eintritt der Rechtskraft stets bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist in den Fällen
hinausgeschoben, in denen ein Rechtsmittel zwar an sich gegeben ist (Statthaftigkeit),
seine Zulässigkeit aber an besondere Voraussetzungen, wie etwa eine Zulassung oder
die Erreichung einer Rechtsmittelsumme geknüpft ist (vgl. auch BGHZ 109, 211).
Daraus folgt, dass bei fristgerechter Einlegung eines an sich statthaften, aber ansonsten
unzulässigen Rechtsmittels die Rechtskraft gemäß § 705 Satz 2 ZPO deshalb erst mit
der Verwerfung des Rechtsmittels eintritt (GS OGB, aaO). Nur bei einem solchen
Verständnis des § 705 ZPO ist auch gewährleistet, dass der für die Erteilung des
Rechtskraftzeugnisses zuständige Urkundsbeamte der Geschäftsstelle (§ 706 ZPO)
ohne großen Ermittlungsaufwand und ohne spezifische Rechtskenntnisse den Eintritt
der Rechtskraft beurkunden kann. Denn die festzustellenden Tatsachen (Statthaftigkeit
des Rechtsmittels, Berechnung der Rechtsmittelfrist, Einlegung eines Rechtsmittels und
Entscheidung) knüpfen an formale rechtliche Gessichtspunkte und leicht feststellbare
tatsächliche Ereignisse an. Vor allem ist keine rechtliche Bewertung geboten, die bei
der Beurteilung sonstiger Zulässigkeitsvoraussetzungen des Rechtsmittels zwar nicht
stets, aber vielfach erforderlich ist.
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b) Daraus folgt, dass z. B. Berufungsurteile, durch die über die Anordnung, Abänderung
oder Aufhebung eines Arrestes oder einer einstweiligen Verfügung oder über die
vorzeitige Besitzeinweisung in Enteignungs- und Umlegungsverfahren entschieden
wird, mit der Verkündung in Rechtskraft erwachsen, denn gemäß § 542 Abs. 2 ZPO
findet gegen solche Urteile die Revision nicht statt Musielak/Lackmann, ZPO, 4. Aufl., §
705 Rn. 4; MünchKomm/Krüger, ZPO, 2. Aufl., § 705 Rn. 5). Gleichwohl eingelegte
Rechtsmittel sind nicht statthaft und hemmen deshalb auch nicht den Eintritt der
Rechtskraft.
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c) Anders verhält es sich mit den sonstigen Endurteilen im Sinne des § 542 Abs. 1 ZPO.
Gegen sie findet gemäß § 543 Abs. 1 ZPO grundsätzlich die Revision statt, und zwar
entweder wenn das Berufungsgericht sie im Urteil oder das Revisionsgericht auf
Beschwerde gegen die Nichtzulassung zulässt. Die Eröffnung des Rechtsmittels ist
demnach abhängig von einer richterlichen Entscheidung. Konsequenterweise ordnet §
544 Abs. 5 ZPO (unter Erweiterung des § 705 Satz 2 ZPO) an, dass die (fristgerechte)
Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde den Eintritt der Rechtskraft des
angegriffenen Urteils hemmt und dass dessen Rechtskraft erst mit der Ablehnung der
Beschwerde eintritt. Dabei wird nicht unterschieden, ob die
Nichtzulassungsbeschwerde mangels Zulässigkeit (z. B. mangels Erreichens der mit
der Revision geltend zu machenden Beschwer) oder mangels Begründetheit abgelehnt
wird. Da die Nichtzulassungsbeschwerde bis zum letzten Tag der Frist eingelegt
werden kann, ist die Rechtskraft des angegriffenen Urteils konsequenterweise bis zu
deren Ablauf gemäß § 705 Satz 1 ZPO gehemmt (h.M., vgl. nur Zöller/Gummer, ZPO,
25. Aufl., § 705 Rn. 7; Musielak/Lackmann, aaO, Rn. 3; MünchKomm/Krüger, aaO jew.
m. weit. Nachw.).
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d) An dieser Beurteilung ändert nichts der Umstand, dass in bestimmten Fällen wie auch
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im vorliegenden Fall (§ 26 Nr. 8 EGZPO) die Unzulässigkeit der
Nichtzulassungsbeschwerde evident ist. Nach der auf Rechtssicherheit und -klarheit
angelegten gesetzlichen Konzeption des § 705 ZPO (BGHZ 88, 353 357 f) kann die im
Einzelfall sehr unterschiedlich zu beantwortende Frage nach der Evidenz der
Zulässigkeit/Unzulässigkeit eines Rechtsmittels kein Kriterium sein, an das der Eintritt
der Rechtskraft geknüpft werden könnte. Diese Frage kann nach dem Gesetz nur
einheitlich beantwortet werden und wird im Falle der Einlegung einer
Nichtzulassungsbeschwerde erst durch das Revisionsgericht entschieden (vgl. BGH
NJW 2002, 2720 und NJW-RR 2003, 159). Vollstreckungsrechtlich hat die Evidenz der
Unzulässigkeit eines Rechtsmittels nur Konsequenzen für
Schuldnerschutzanordnungen gemäß §§ 711, 712 ZPO, die in diesen Fällen gemäß §
713 ZPO unterbleiben sollen.
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II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
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T.
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Richter am OLG
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