Urteil des OLG Düsseldorf vom 23.10.2006
OLG Düsseldorf: minderwert, sorgfaltspflicht, verkehr, fahrbahn, kollision, parkplatz, reparaturkosten, gefährdung, wiederbeschaffungswert, vorsicht
Oberlandesgericht Düsseldorf, I-1 U 110/06
Datum:
23.10.2006
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
1. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
I-1 U 110/06
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers wird unter Zurückweisung seines
weiterge-henden Rechtsmittels das am 21. März 2006 verkündete Urteil
der 13. Zivil-kammer des Landgerichts Duisburg teilweise abgeändert
und insgesamt wie folgt neu gefasst:
Die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner an den Kläger
1.705,66 EUR neben Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem
Basis-zinssatz seit dem 18. November 2005 sowie weitere 360,33 EUR
nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit
dem 18. No-vember 2005 zu zahlen.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreites werden zu 60 % dem Kläger und zu 40 %
den Beklagten auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die zulässige Berufung des Klägers hat in der Sache teilweise Erfolg.
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Er dringt einerseits nicht mit seinem Einwand durch, die Kollision sei für ihn ein
unabwendbares Ereignis gewesen. Andererseits macht er zu Recht geltend, dass die
durch das Landgericht ausgesprochene Haftungsquotelung im Verhältnis 50 % zu 50 %
dem Umfang der wechselseitigen Verursachungs- und Verschuldensbeiträge nicht voll
umfänglich gerecht wird. Vielmehr überwiegt bei der Entstehung des
Schadensereignisses, welches sich entgegen der durch das Landgericht vertretenen
Ansicht auf einer dem öffentlichen Straßenverkehr dienenden Fläche zugetragen hat,
der den Beklagten anzulastende Haftungsanteil. Deshalb erreicht der Kläger eine
Verbesserung der Quote im Verhältnis 1/3 : 2/3 zu Lasten der Beklagten.
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Daraus folgt, dass unter Berücksichtigung der bisherigen Entschädigungsleistung der
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Beklagten zu 2. der Klageantrag zu Ziffer 1. im Umfang von 1.705,66 EUR und der
Klageantrag zu 2. i.H.v. 360,33 EUR begründet ist.
II.
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Im einzelnen ist folgendes auszuführen:
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1) Rechtsgrundlage für das begründete klägerische Schadensersatzverlangen sind die
Vorschriften der §§ 7, 17 StVG in Verbindung mit § 3 Nr. 1 und Nr. 2 PflVersG.
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2a) Nach den zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Urteil stellte sich das
Kollisionsereignis für keinen der Unfallbeteiligten als ein unabwendbares Ereignis i.S.d.
§ 17 Abs. 3 StVG dar. Der Kläger dringt nicht mit seinem Einwand durch, die
Unabwendbarkeit des Zusammenstoßes ergebe sich für ihn aus der - streitigen -
Tatsache, dass sein Pkw Porsche Boxster S zum Zeitpunkt der Berührung mit dem Pkw
Opel Kadett des Beklagten zu 1. bereits gestanden habe.
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b) Dieses Vorbringen mag sachlich zutreffen. Das Landgericht war indes nicht gehalten,
dazu den seitens des Klägers angebotenen Sachverständigenbeweis zu erheben. Denn
es lässt sich im Nachhinein nicht mehr - auch nicht mit Hilfe eines Gutachters -
aufklären, wie lange der klägerische Pkw zum Zeitpunkt des Zusammenstoßes in einer
Stillstandsposition war. Die Beklagten weisen in ihrer Berufungserwiderung zu Recht
darauf hin, dass der Kläger im Extremfall sein Fahrzeug erst mit einem zeitlichen
Abstand eines Bruchteils einer Sekunde vor dem Schadensereignis zum Stehen
gebracht haben kann (Bl. 122 d.A.). Selbst wenn der Kläger also die streitige
Stillstandsposition seines Fahrzeuges nachzuweisen imstande wäre, könnte er daraus
nichts zu seinen Gunsten herleiten.
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3) Unstreitig hat sich das Unfallereignis im Zusammenhang mit einer Rückwärtsfahrt des
Klägers ereignet, als er den Versuch unternahm, auf dem Zufahrtsweg zu dem
Sportgelände an dem Parkplatz vorbei auf die ....straße in D. zu gelangen.
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a) Bei einer Kollision während des Zurücksetzens spricht der Anschein schuldhafter
Unfallverursachung durch einen Verstoß gegen die strenge Sorgfaltspflicht des § 9 Abs.
5 StVO gegen den Rückwärtsfahrenden (ständige Rechtsprechung des Senats, so auch
Hentschel, StVR, 37. Aufl., § 9 StVO, Rdnr. 55). Diesen Anschein hat der Kläger weder
zu erschüttern noch gar zu widerlegen vermocht.
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b) Dabei kommt es nicht darauf an, ob er entsprechend der Darlegung im angefochtenen
Urteil in der Lage gewesen wäre, noch durch ein akustisches Warnsignal rechtzeitig den
sich ebenfalls in einer Rückwärtsfahrt nähernden Beklagten zu 1. zu warnen und ihn so
zu einer Unterbrechung seiner Fahrtbewegung zu veranlassen. Denn nach dem zu den
Akten gelangten Lichtbild von der Unfallstelle nebst Umgebung (Bl. 7 d.A.) war für den
Kläger bei seiner Rückwärtsfahrt das rechtsseitig gelegene Parkplatzgelände durch die
Maschendrahtzauneingrenzung ohne weiteres einsehbar, so dass er die Annäherung
seines späteren Unfallgegners hätte wahrnehmen können. Der zurückstoßende
Kraftfahrer muss darauf achten, dass der Gefahrenraum hinter dem Fahrzeug frei ist und
von hinten sowie von den Seiten her frei bleibt. Vorherige und ständige Rückschau ist
dabei unerlässlich. Er muss ggfs. sofort anhalten können (Hentschel, a.a.O., § 9 StVO,
Rdnr. 51).
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c) Der Kläger gibt nach der insoweit nicht angegriffenen Feststellung in den
Entscheidungsgründen des Urteils des Landgerichts an, den rückwärts fahrenden PKW
des Beklagten zu 1) gesehen zu haben (Bl. 5, 6 UA; Bl. 77, 78 d. A.). Gleichwohl blieb er
an einer Stelle der Zuwegung in Höhe des Parkplatzgeländes stehen, wo es
zwangsläufig zu der Kollision kam.
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4) Indes traf den Beklagten zu 1. anlässlich seiner Rückwärtsfahrt dieselbe
Sorgfaltspflicht. Auch gegen ihn spricht nach Lage der Dinge der nicht erschütterte
Anschein einer schuldhaften Verursachung des Unfallgeschehens wegen eines
fahrlässigen Verstoßes gegen die strenge Sorgfaltspflicht des § 9 Abs. 5 StVO. Danach
muß beim Rückwärtsfahren sich der Fahrzeugführer so verhalten, dass eine Gefährdung
anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Hätte der Beklagte zu 1. - ebenso wie
der Kläger - die gebotene Vorsicht bei der Rückwärtsbewegung mit seinem Pkw Opel
Kadett walten lassen, wäre der streitige Zusammenstoß vermieden worden. Die
haftungsbegründende schuldhafte Mitverursachung des Kollisionsereignisses stellen
die Beklagten nicht in Abrede. Sie haben bereits vorprozessual Ersatzleistungen i.H.v.
50 % auf die als begründet erachteten Schadenspositionen des Klägers erbracht.
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III.
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Entgegen der durch das Landgericht vertretenen Ansicht sind mit der vorprozessualen
Überweisung i.H.v. 4.316,96 EUR die unfallbedingten Vermögenseinbußen des Klägers
jedoch noch nicht ausgeglichen. Der Senat vermag sich nicht der Bewertung des
Landgerichts anzuschließen, wonach bei einer Abwägung der wechselseitigen
Verursachungs- und Verschuldensbeiträge gemäß § 17 Abs. 1 StVG von einer Haftung
beider Seiten zu gleichen Teilen auszugehen ist. Vielmehr überwiegt das dem
Beklagten zu 1. anzulastende Ausmaß fahrlässiger Unfallverursachung mit der Folge,
dass die Anspruchsberechtigung des Klägers mit einer Quote von 2/3 in Ansatz zu
bringen ist.
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1) Unzutreffend ist die Darlegung in den Entscheidungsgründen des angefochtenen
Urteils, der durch den Kläger benutzte Zufahrtsweg und die Parkplatzfläche, welche der
Beklagte zu 1. im Begriff war zu verlassen, seien nach den örtlichen Verhältnissen
"gleichberechtigt" gewesen (Bl. 6 UA; Bl. 78 d.A.). Vielmehr hatte der Beklagte zu 1. bei
seiner Fahrtbewegung auch der strengen Sorgfaltspflicht des § 10 StVO Genüge zu tun.
Nach dieser Bestimmung muss ein Verkehrsteilnehmer, der von anderen Straßenteilen
auf die Fahrbahn einfahren will, sich so verhalten, dass eine Gefährdung anderer
Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Die Anwendung der Vorschrift des § 10 StVO
scheitert nicht daran, dass - wie im angefochtenen Urteil dargelegt - bei der Nutzung der
Zufahrt zu dem Sportgelände in Verbindung mit der angrenzenden Parkplatzfläche der
private Charakter so überwiegt, dass es sich nicht um öffentlichen Verkehrsraum handelt
und deshalb auch nicht ohne weiteres von einer Anwendbarkeit sämtlicher Vorschriften
der StVO ausgegangen werden kann (Bl. 5 UA; Bl. 77 d.A.).
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a) Öffentlich im Sinne des Straßenverkehrsrechts ist eine Verkehrsfläche immer dann,
wenn auf ihr der Verkehr eines Personenkreises, der durch keinerlei persönliche
Beziehung miteinander verbunden ist, zugelassen wird (Heß in
Janiszewski/Jagow/Burmann, StVR, 18. Aufl., § 1 StVO, Rdnr. 6). Konkret dienen dem
öffentlichen Straßenverkehr alle Flächen, die der Allgemeinheit zu Verkehrszwecken
offen stehen (Hentschel a.a.O., § 1 StVO, Rdnr. 13 mit Hinweis auf BGH NZV, 1998, 418
und zahlreichen weiteren Rechtsprechungsnachweisen). Voraussetzung ist
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ausdrückliche oder stillschweigende Freigabe durch den Berechtigten zur allgemeinen
Verkehrsbenutzung (Hentschel a.a.O. mit Hinweis auf BGH VersR 1985, 835 und
zahlreichen weiteren Rechtsprechungsnachweisen). Entscheidend ist allein, dass
tatsächlich Zugänglichkeit für die Allgemeinheit besteht, dass faktische Öffentlichkeit
vorliegt (Hentschel a.a.O. mit Hinweis auf BayObLG NZV 1992, 455 und weiteren
Rechtsprechungsnachweisen). Insbesondere kann eine öffentliche Straße auch ein
Weg in Privateigentum sein (BGH NJW 1975, 444).
b) Konkret sind Privat- oder Firmenparkplätze, die ausdrücklich oder stillschweigend für
jedermann zugelassen sind und tatsächlich so benutzt werden, öffentlich im Sinne des
Straßenverkehrsrechtes (Heß a.a.O., § 1 StVO, Rdnr. 8 mit Hinweis auf OLG Düsseldorf
VRS 63, 289; OLG Düsseldorf DAR 2000, 175). Gleiches gilt etwa für die Zufahrtsstraße
zu einem Fabrikauslieferungslager, zu einer Privatklinik mit Besucherparkplätzen oder
zu Wohnhäusern, wenn keine die Zufahrt beschränkenden Einrichtungen angebracht
sind (Heß a.a.O. mit Hinweis auf VGH Karlsruhe NZV 1989, 404, BayObLG VRS 64,
375 und VRS 65, 223).
18
2a) Der Kläger hat ein Lichtbild sowie eine Unfallskizze zu den Akten gereicht, welche
die Unfallsituation und die örtliche Umgebung wiedergeben (Bl. 7, 8 d.A.). Die
Beklagten stellen die inhaltliche Richtigkeit dieser urkundenbeweislich zu verwertenden
Unterlagen, was die Anordnung der dort abgebildeten Verkehrsflächen anbelangt, nicht
in Abrede. Somit ist davon auszugehen, dass die Zufahrt zu dem Sportgelände, die
linksseitig an einem öffentlichen Park und rechtsseitig an dem bezeichneten Parkplatz
vorbeiführt, von der ...straße aus allgemein zugänglich ist. Die Zufahrt kann von jedem
Besucher oder Zulieferer oder von einem sonstigen Verkehrsteilnehmer, dem es
möglicherweise nur auf die Benutzung des dicht an der Schlickstraße gelegenen
Parkplatzgeländes ankommt, ohne jede Einlassbeschränkung benutzt werden. Das
Vorbringen der Parteien enthält auch keine Anhaltspunkte dafür, dass der Sportverein
oder der sonstige Eigentümer der in Rede stehenden Verkehrsflächen irgendwelche
Zufahrts- oder Zugangsbeschränkungen kenntlich gemacht oder praktiziert hat.
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Keine Bindungswirkung in rechtlicher Hinsicht entfaltet die Anmerkung in der
polizeilichen Unfallmitteilung, wonach es sich um `keinen öffentl. Verkehrsraum -
Gelände Hundeverein` handeln soll (Bl. 6 d.A.).
20
b)
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Dabei kommt es nicht auf die streitige Frage an, ob der Parkplatz als solcher mit einer
zusätzlichen Zauneinfassung versehen ist und ob - worauf das Landgericht abstellt - der
Zaun für eine gemeinschaftliche Abtrennung des Zufahrtsweges und des Parkplatzes
sorgt (Bl. 6 UA; Bl. 78 d.A.). Entscheidend ist jedenfalls, dass es sich bei der
Verkehrsfläche, die der Beklagte zu 1. in einer Rückwärtsbewegung verlassen wollte,
um ein der Aufnahme des ruhenden Verkehrs dienendes Parkplatzgelände handelt.
Hingegen war der Kläger mit seinem Pkw, wenn auch in einer Rückwärtsfahrt,
Teilnehmer des fließenden Verkehrs auf der Zuwegung, welche für eine Anbindung des
Sportgeländes, des rechtsseitigen Parkplatzes und möglicherweise auch des
linksseitigen Parkgeländes an die ...straße sorgt.
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3a) Andere Straßenteile i.S.d. § 10 StVO gehören zur Straße im verkehrsrechtlichen
Sinne, sie dienen jedoch nicht dem durchgehenden Verkehr (Hentschel a.a.O., § 10
StVO, Rdnr. 6 mit Hinweis auf BGH VersR 1985, 835 und zahlreichen weiteren
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Rechtsprechungsnachweisen). Insbesondere zählen dazu Parkplätze neben der
Fahrbahn, wobei es nicht auf eine Unterscheidung zwischen Privat- und öffentlichen
Parkplätzen ankommt (Hentschel a.a.O. mit Hinweis auf OLG Hamburg NZV 1993, 436
und zahlreichen weiteren Rechtsprechungsnachweisen).
b) Die Fahrbewegung von anderen, nicht dem Fahrverkehr dienenden Straßenteilen,
z.B. einer markierten Parkfläche, auf die dem durchgehenden Verkehr dienende
Fahrbahn ist ein Vorgang, der alle Beteiligten gefährden kann. § 10 StVO stellt alle
Fahrbewegungen aus den dort genannten Bereichen auf die dem durchgehenden
Verkehr dienende Fahrbahn unter einheitliche Grundsätze. Dabei ist eine
Unterscheidung zwischen Grundstücken und anderen Straßenteilen entbehrlich
(Hentschel a.a.O., § 10 StVO, Rdnr. 4 mit Hinweis auf KG VM 1983, 53). Es kommt
deshalb nicht darauf an, dass nach dem lichtbildlich gesicherten äußeren
Erscheinungsbild der Unfallstelle die Parkplatzfläche und die Zuwegung einheitlich
gestaltet sind und keine irgendwie geartete Trennung etwa durch eine Linien- oder
Pflasterführung erkennen lassen. Die zu den Akten gelangten Unterlagen lassen keinen
Zweifel daran aufkommen, dass es sich bei dem durch den Beklagten zu 1. benutzten
Parkplatz um eine gesonderte, der Aufnahme des ruhenden Verkehrs dienende und
allein schon durch ihre Lage räumlich abgegrenzte Fläche neben der durch den Kläger
befahrenen Zuwegung handelt.
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c) Zwar hatten sowohl der Kläger als auch der Beklagte zu 1. nach Maßgabe des § 1
Abs. 2 StVO das Gebot erhöhter Vorsicht und gegenseitiger Rücksichtnahme allein
schon aufgrund der Tatsache zu beachten, dass sie ihre Fahrzeuge im Bereich eines
Privatgrundstückes führten, wobei die durch den Kläger zu den Akten gereichte Skizze
auf eine relative Enge der zur Verfügung stehenden Bewegungsräume schließen lässt.
Allerdings fällt dieses Gebot aufgrund des Umstandes nicht mehr besonders ins
Gewicht, dass beide Unfallbeteiligten ohnehin schon wegen ihrer
Rückwärtsfahrtmanöver nach Maßgabe des § 9 Abs. 5 StVO höchste Sorgfalt walten
lassen mussten, um eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer auszuschließen.
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4a) Der Pflicht zur höchsten Sorgfalt war der Beklagte zu 1. in zweifacher Hinsicht
ausgesetzt, nämlich neben § 9 Abs. 5 StVO auch noch aus § 10 StVO. Er hatte dafür
Sorge zu tragen, dass eine Gefährdung des fließenden Verkehrs ausgeschlossen war.
Der Ein- oder Anfahrende muss sich vergewissern, dass die Fahrbahn für ihn im
Rahmen der gebotenen Sicherheitsabstände frei bleibt. Die Verantwortung für die
Sicherheit des Vorganges trifft vor allem ihn. Eine besonders erhöhte Sorgfaltspflicht
besteht dann, wenn ein Verkehrsteilnehmer in einer Rückwärtsbewegung auf eine
Straße einfahren will (Hentschel a.a.O., § 10 StVO, Rdnr. 10 und 11).
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b) Das Lichtbild mit der Wiedergabe der Unfallsituation lässt erkennen, dass der
Beklagte zu 1. anlässlich der Kollision mit seinem Heck schon relativ weit auf dem durch
den Kläger benutzten Fahrweg vorgedrungen war: Das Heck ragte deutlich über die
gedachte Verlängerung der rechten seitlichen Zaunbegrenzung des Fahrweges hinaus
hervor (Bl. 8 d.A.). Damit war der Pkw des Beklagten zu 1. - worauf der Kläger zu Recht
hinweist (Bl. 32 d.A.) - bereits bis zu dessen Fahrlinie vorgedrungen.
27
IV.
28
Bei der Abwägung aller unfallursächlichen Umstände gemäß § 17 StVG dürfen zu
Lasten einer Partei nur solche Tatsachen Berücksichtigung finden, die unstreitig oder
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erwiesen sind oder auf welche sich die Partei selbst beruft. Die Abwägung führt hier zu
dem Ergebnis einer überwiegenden Haftung der Beklagten für die Folgen des
Kollisionsereignisses.
In diesem Zusammenhang muss sich zu ihrem Nachteil auswirken, dass der Beklagte
zu 1. in doppelter Hinsicht gegen ihn treffende strenge Sorgfaltsanforderungen
verstoßen hat, nämlich in seiner Eigenschaft als ein nicht nur rückwärtsfahrender,
sondern auch als ein von einer Parkplatzfläche auf eine dem fließenden Verkehr
dienende Zuwegung einfahrender Verkehrsteilnehmer. Fährt jemand mit einem Pkw aus
einer Grundstückseinfahrt - eine solche ist in § 10 StVO anderen Straßenteilen, wie
etwa Parkplatzflächen, gleichgestellt - rückwärts auf die Straße und stößt dabei mit
einem anderen Fahrzeug zusammen, dessen Fahrer zur gleichen Zeit auf der Straße
rückwärts fährt, trifft den überwiegenden Verursachungs- und Verschuldensanteil
denjenigen, der auf die Straße fährt (Senat, Urteil vom 29. November 2004, AZ: I-1 U
101/04 mit Hinweis auf OLG Köln NZV 1994, 321, zitiert bei Grüneberg, Haftungsquoten
bei Verkehrsunfällen, 8. Aufl.). Aus diesem Grund kann die durch das Landgericht
ausgesprochene Haftungsverteilung keinen Bestand haben. Erforderlich ist eine
Korrektur zu Gunsten des Klägers, dessen Eigenhaftungsquote nur mit einem Anteil von
1/3 in Ansatz zu bringen ist.
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V.
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1) Die unfallbedingten Vermögenseinbußen des Klägers sind weitgehend unstreitig. Es
handelt sich dabei um die folgenden Positionen:
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Reparaturkosten: 5.419,69 EUR Gutachterkosten: 789,24 EUR Kostenpauschale: 25,00
EUR.
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2) Streitig ist die Höhe des an dem klägerischen Pkw Porsche Boxster S unfallbedingt
eingetretenen merkantilen Minderwertes. Diesen macht der Kläger auf der Grundlage
des Schadensgutachtens des Sachverständigen B. mit insgesamt 2.800 EUR geltend
(Bl. 4, 10 d.A.). Das Landgericht hat in Ausübung seines Schätzungsermessens (§ 287
Abs. 1 ZPO) den Minderwert mit dem seitens der Beklagten zugestandenen Betrag von
2.400 EUR berücksichtigt (Bl. 33, 79 d.A.).
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3) Mit seinem Rechtsmittel rügt der Kläger zu Recht, dass in die Schadensberechnung
des Landgerichts der gutachterlich ermittelte merkantile Minderwert von 2.800 EUR
hätte Eingang finden müssen.
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a) Ein zu ersetzender Vermögensschaden ist ebenfalls der nach einer Reparatur
möglicherweise verbleibende merkantile Minderwert. Dies gilt auch dann, wenn der
Geschädigte die Sache behält und weiter benutzt, der Minderwert sich also nicht in
einem Verkauf konkretisiert (Palandt/Heinrichs, Kommentar zum BGB, 65. Aufl., § 251,
Rdnr. 12 mit Hinweis auf BGH NJW 1961, 2253; BGH NJW 2005, 277; PWW/Medicus,
Kommentar zum BGB, § 249, Rdnr. 10 mit Hinweis auf BGHZ 35, 396).
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b) Das Landgericht hat sich für die Bestimmung des merkantilen Minderwertes der
Berechnungsmethode von Ruhkopf/Sahm bedient und auf dieser Grundlage eine
Wertminderung von ca. 2.500 EUR ermittelt (Bl. 7 UA; Bl. 79 d.A.). Dazu ist folgendes
auszuführen:
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aa) Eine allgemein anerkannte Schätzungsmethode hat sich bisher für die Bestimmung
des Minderwertes eines unfallgeschädigten Kraftfahrzeuges nicht durchgesetzt. Ebenso
wie das Landgericht bedient sich die Praxis häufig der Berechnungsmethode von
Ruhkopf/Sahm (VersR 1962, 593; zustimmend BGH NJW 1980, 281). Dazu ist
auszuführen, dass jeder Versuch einer schematischen Erfassung des merkantilen
Minderwertes anhand einer starren Berechnungsformel kritisch zu würdigen ist. In der
Regel ist der Schätzung eines Sachverständigen der Vorzug vortabellarischen
Berechnungsmethoden zu geben (Lemcke in van Bühren Anwaltshandbuch
Verkehrsrecht, Teil 3, Rdnr. 218 mit Hinweis auf OLG Köln VersR 1992, 973 und
weiteren Rechtsprechungsnachweisen).
38
bb) Dies gilt insbesondere für den vorliegenden Fall mit Rücksicht darauf, dass das
klägerische Fahrzeug bereits 9 Kalendertage nach seiner Erstzulassung (10. Juni 2005)
von dem Kollisionsereignis betroffen war. Die durch den Sachverständigen abgelesene
Laufleistung betrug weniger als 1800 km (Bl. 11 d.A.). Es bedarf keiner weiteren
Ausführungen dazu, dass der merkantile Minderwert bei der Unfallschädigung eines
derartigen Fahrzeuges der Marke Porsche höher in Ansatz zu bringen ist, wenn man es
mit einem identischen Fahrzeug vergleicht, welches etwa am Ende des ersten
Zulassungsjahres von einer ähnlichen Unfallschädigung betroffen ist.
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cc) Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass auch die Schätzungsmethode
Ruhkopf/Sahm - richtig angewandt - auf der Grundlage der durch das Landgericht
herangezogenen Ausgangsdaten ebenfalls zu der Feststellung eines merkantilen
Minderwertes von 2.800 EUR führt. Danach ist der Minderwert X % der Summe vom
Wiederbeschaffungswert und der Reparaturkosten. Bildet man das Verhältnis der
Reparaturkosten (5.419,69 EUR netto) zum Wiederbeschaffungswert (hier von den
Parteien unbeanstandet durch das Landgericht mit dem Anschaffungspreis zu ca.
50.000 EUR netto gleichgesetzt) und liegt das Ergebnis innerhalb der Spanne von 10 %
bis 30 % für das erste Zulassungsjahr, so beträgt der in Ansatz zu bringende Minderwert
5 % der Summe vom Wiederbeschaffungswert und der Reparaturkosten.5 % aus der
Summe von 50.000 EUR und 5.419,69 EUR machen im Ergebnis 2.770,98 EUR,
aufgerundet 2.800 EUR, aus.
40
4) Zuzüglich der oben genannten Schadenspositionen stellt sich der Gesamtbetrag der
ersatzfähigen unfallbedingten Schäden des Klägers auf 9.033,93 EUR (5.419,69 EUR +
789,24 EUR + 25,00 EUR + 2.800,00 EUR). Der ihm davon zustehende 2/3-Anteil ergibt
den Zwischensaldo von 6.022,62 EUR. Da die Beklagte zu 2. vorprozessual unstreitig
bereits 4.316,96 EUR überwiesen hat, verbleibt die mit 1.705,66 EUR begründete
Restforderung.
41
VI
42
Im Rahmen eines gesonderten Zahlungsantrages verlangt der Kläger i.H.v. 389,64 EUR
Ersatz für die vorprozessuale Inanspruchnahme seiner jetzigen
Prozessbevollmächtigten zur Durchsetzung seiner Schadensersatzforderung gegen die
Beklagte zu 2. Insoweit sind die Beklagten einer begründeten Leistungsverpflichtung
i.H.v. 360,33 EUR ausgesetzt.
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1) Kosten der Rechtsverfolgung sind erstattungspflichtig, wenn und soweit sie nach §
249 Abs. 2 BGB erforderlich gewesen sind. Ein Verzug des Schädigers ist nicht
Voraussetzung. Es reicht aus, wenn die Einschaltung des Anwalts aus der Sicht des
44
Geschädigten zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig gewesen
ist (Lemcke a.a.O., Teil 3, Rdnr. 326). Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall
zu bejahen. Denn streitgegenständlich ist ein nicht ganz alltäglicher Unfall anlässlich
einer Rückwärtsfahrt beider Beteiligter auf einer Verkehrsfläche, von der die Polizei
ausweislich der Unfallmitteilung zu Unrecht angenommen hat, es handele sich um
"keinen öffentl. Verkehrsraum" (Bl. 6).
2) Der Kläger verlangt eine 1,3fache Geschäftsgebühr gemäß Nr. 2400
(zwischenzeitlich: 2300) VV RVG aus dem Gegenstandswert von 9.036,93 EUR i.H.v.
631,80 EUR. Diese Forderung begegnet im Ansatz keinen Bedenken. Die Berechtigung
einer 1,3fachen Geschäftsgebühr bei der Regulierung von Verkehrsunfallschäden ist
zwischenzeitlich in der Rechtsprechung weitgehend anerkannt (vgl. die Übersicht von
Madert in MittBl der Arge VerkR 2/2006, Seiten 53/55). Die anwaltliche Bearbeitung
eines üblichen Verkehrsunfalls stellt grundsätzlich eine durchschnittliche Angelegenheit
dar. Dafür ist die Berechnung einer Geschäftsgebühr mit einem Satz von 1,3 nicht zu
beanstanden (AG Kehlheim, RVG professionell 2005, 19).
45
2a) Nach Absatz 4 der Vorbemerkung des Absatz 3 des dritten Teils des
Vergütungsverzeichnisses wird eine wegen desselben Gegenstandes entstandene
Geschäftsgebühr nach der Nr. 2400 (jetzt Nr. 2300) des Vergütungsverzeichnisses
lediglich zur Hälfte, jedoch höchstens mit einem Gebührensatz von 0,75, auf die
Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens angerechnet. Im Hinblick darauf hat der
Kläger in seiner anwaltlichen Kostenberechnung eine 0,65 Geschäftsgebühr nach dem
vollen Gegenstandswert von 9.036,93 EUR mit 315,90 EUR von dem Ausgangsbetrag
der Geschäftsgebühr (631,80 EUR) in Abzug gebracht.
46
b) Diese Berechnung ist aufgrund der Tatsache nicht richtig, dass in dem Rechtsstreit
vor dem Landgericht Duisburg keine Verfahrensgebühr nach dem Gegenstandswert von
9.036,93 EUR entstanden ist. Vielmehr war wegen der vorprozessualen Leistung der
Beklagten zu 2. der Streitwert - unter Außerachtlassung der Gebührenforderung - auf
den Betrag von 4.719,97 EUR begrenzt. Deshalb ist die notwendige Anrechnung der
vorgerichtlichen Geschäftsgebühr auf die gerichtliche Verfahrensgebühr (Nr. 3100 des
Vergütungsverzeichnisses) anders als durch den Kläger ausgewiesen vorzunehmen.
Dazu folgendes:
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Die vorprozessuale 1,3fache Geschäftsgebühr nach dem Gegenstandswert von
9.036,93 EUR beträgt 631,80 EUR. Im Umfang der Anspruchsberechtigung des Klägers
zu 2/3 erreicht sie 421,20 EUR. Die 1,3fache Verfahrensgebühr aus dem gerichtlichen
Streitwert zu 4.719,97 EUR macht 391,30 EUR aus, im Umfang der
Anspruchsberechtigung des Klägers zu 2/3 also 260,87 EUR. Eine
Vergleichsberechnung ergibt, dass die gerichtliche Verfahrensgebühr zu 62 % in der
vorgerichtlichen Geschäftsgebühr enthalten ist. Bezieht man diesen Prozentsatz auf die
ersatzfähige vorgerichtliche Geschäftsgebühr (421,20 EUR), so ergibt sich ein Saldo
von 261,14 EUR. Wegen der nur hälftigen Gebührenverrechnung ist dieser Betrag um
50 % zu reduzieren, so dass sich im Ergebnis ein Abzugsbetrag von 130,57 EUR ergibt.
Bringt man diesen von der ersatzfähigen vorprozessualen Geschäftsgebühr (421,20
EUR) in Abzug, verbleibt als ersatzfähige restliche Geschäftsgebühr ein Betrag von
290,63 EUR. Unter Hinzurechnung der Entgeldpauschale von 20 EUR (Nr. 7002 V
RVG) sowie der gesetzlichen Mehrwertsteuer von 16 % macht die begründete
Gebührenforderung des Klägers die Summe von 360,33 EUR aus.
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Die Zinsforderung rechtfertigt sich aus §§ 291, 288 BGB.
49
VII.
50
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1, 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO.
51
Die Anordnung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils hat ihre Grundlage in §§
708 Nr. 10, 713 ZPO.
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Der Gegenstandswert für den Berufungsrechtszug beträgt 5.109,61 EUR (4.719,97 EUR
+ 389 EUR).
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Zur Zulassung der Revision besteht kein Anlass, weil die Voraussetzungen des § 543
Abs. 2 ZPO nicht gegeben sind.
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