Urteil des OLG Düsseldorf vom 05.05.2010

OLG Düsseldorf (stpo, kennzeichen, fahrer, brücke, identifizierung, abstand, eingriff, grundrecht, aufzeichnung, verwertung)

Oberlandesgericht Düsseldorf, IV-4 RBs 143/09
Datum:
05.05.2010
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
4.Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
IV-4 RBs 143/09
Tenor:
Die Rechtsbeschwerde wird als unbegründet auf Kosten des Betroffe-
nen verworfen.
Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, die die Einzelrichterin durch Beschluss vom
26.04.2010 zur Fortbildung des Rechts auf den Senat übertragen hat, ist nicht
begründet.
1
II.
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1.
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Nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils befuhr der Betroffene am 20. April
2009 um 10.46 Uhr die Bundesautobahn A52 in Fahrtrichtung Düsseldorf auf Höhe km
67,73 als Fahrer des Pkw Mercedes mit dem Kennzeichen E - WE 3212 mit einer
Geschwindigkeit vom 107 km/h. Er hielt dabei den erforderlichen Abstand zum
vorausfahrenden Fahrzeug von 53,5 m nicht ein, sondern lediglich einen solchen von
23,21 m. Die Abstandsunterschreitung ereignete sich über eine Wegstrecke von
mindestens 350 m, wobei innerhalb dieser Strecke weder eine Abstandsverringerung
durch Abbremsen noch durch Einscheren eines anderen Kraftfahrzeuges erfolgte. Die
Messung von Abstand und Geschwindigkeit erfolgte mittels des Videobrücken-
Abstandsmessungsverfahrens "VibrAM".
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2. Der Betroffene wendet ein, durch die Verwertung der Videoaufzeichnung in seinem
Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt zu sein. Die Aufzeichnung
habe im Bußgeldverfahren nicht verwertet werden dürfen.
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III.
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Entgegen der Ansicht des Betroffenen liegt kein Beweisverwertungsverbot vor.
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a)
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Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 11.08.2009 (NJW 2009,
3293f.) stellen Datenaufzeichnungen, die eine Identifizierung von Kennzeichen und
Fahrer ermöglichen, einen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht nach Art. 2
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Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Recht auf informationelle
Selbstbestimmung dar. Lediglich der ungezielten und allein technikbedingten
Datenerfassung ohne weiteren Erkenntnisgewinn mangelt es bereits an der
Eingriffsqualität (BVerfGE 115, 320, 343). Liegt ein Eingriff in das Grundrecht vor, darf
dieser darf zwar im überwiegenden Allgemeininteresse erfolgen, bedarf jedoch einer
gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage.
b)
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In der obergerichtlichen Rechtsprechung sind nach der Beschlussfassung des
Bundesverfassungsgerichts vom 11.08.2009 verschiedene Entscheidungen zur Frage
der Beweisverwertung von Videoaufzeichnungen in verkehrsrechtlichen
Bußgeldverfahren ergangen.
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So hat das OLG Oldenburg (DAR 2010, 32, 33 betr. das System VKS 3.0) die
Verwertbarkeit von Videoaufzeichnung für unzulässig erachtet, wenn eine durchgängige
Aufnahme des fließenden Verkehrs derart erfolgt, dass die Fahrzeuge mit Kennzeichen
erfasst werden und die Fahrer identifizierbar sind. Ähnlich argumentiert das OLG
Dresden (DAR 2010, 210 f, ebenfalls betr. VKS 3.0). Eine Ermächtigungsgrundlage für
einen derartigen Eingriff wurde hier nicht gesehen.
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Demgegenüber wird in der übrigen Rechtsprechung (OLG Bamberg, NZV 2010,98 betr.
das System VAMA, OLG Stuttgart, Beschluss vom 20.01.10 [4 Ss 1525/09] betr.
VriBrAM, OLG Jena, Beschluss vom 06.01.10 [1 Ss 291/10], OLG Koblenz, Beschluss
vom 04.03.10 [1 Ss BS 23/10] betr. JVC, OLG Düsseldorf (1. Strafsenat) Beschluss vom
15.03.10 [IV-1 RBs 23/10]) betr. VibrAM, jeweils zitiert nach juris) die Verwertung von
verdeckt erstellten Videoaufzeichnungen im Straßenverkehr für zulässig gehalten. Als
Ermächtigungsgrundlage für den Eingriff in das Grundrecht auf informationelle
Selbstbestimmung wird überwiegend § 100h Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO angesehen.
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c)
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Auch der Senat hält § 100h Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO, der gem. § 46 Abs. 1 und 2 OWiG
entsprechende Anwendung im Bußgeldverfahren findet, für eine taugliche
Ermächtigungsgrundlage zur Einschränkung des Grundrechts auf informationelle
Selbstbestimmung. Danach dürfen Bildaufnahmen auch ohne Wissen der Betroffenen
außerhalb von Wohnungen hergestellt werden, wenn die Erforschung des Sachverhalts
auf andere Weise weniger erfolgversprechend oder erschwert wäre. Anders als der
Einsatz schwerwiegenderer Observationsmittel nach § 100h Abs. 1 Nr.2 StPO erfordert
die Bildherstellung gerade nicht das Vorliegen einer Straftat von erheblicher Bedeutung
(OLG Dresden DAR 2010, 210, OLG Düsseldorf (1. Strafsenat) Beschluss vom 15.03.10
[IV-1 RBs 23/10] m.w.N auch zur gegenteiligen Auffassung). Dafür, dass § 100h Abs. 1
Satz 1 Nr. 1 StPO Bildaufnahmen lediglich zu Observations-, hingegen nicht zu
Beweissicherungszwecken zulässt (so Meyer-Goßner, StPO, 52. Aufl., § 100h Rn.1.,
KK-Nack, StPO, 6. Aufl., § 100h Rn.2), bestehen keine hinreichenden Anhaltspunkte
(ausführlich dazu OLG Düsseldorf (1. Strafsenat) Beschluss vom 15.03.10 [IV-1 RBs
23/10]).
15
aa)
16
Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit des Eingriffs nach vorgenannter Norm ist zum
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einen ein bestehender Anfangsverdacht gegen den Betroffenen. Werden
Verkehrsteilnehmer verdachtsunabhängig gefilmt und ein möglicher Verkehrsverstoß
später anhand des Bildmaterials ausgewertet, sind die Voraussetzungen dieser
Eingriffsnormen nicht erfüllt.
Nach Ansicht des 3. Senats für Bußgeldsachen des OLG Düsseldorf (Beschluss vom
09.02.10 [IV-3 RBs 8/10], zitiert nach juris) erfolgt die Auswertung bei dem System
VibrAM verdachtsunabhängig und ist damit nicht verwertbar. Dieser Senat geht davon
aus, dass das durch die Messkamera gewonnene Bildmaterial anlassunabhängig zu
Beweiszwecken abgerufen, aufbereitet und ausgewertet werden könne. Die Auswertung
des so gewonnenen Materials – und nicht etwa eine individuelle Überwachung durch
einen Polizeibeamten – führe nämlich erst zu einem Anfangsverdacht. Es handele sich
damit um eine unzulässige Datenspeicherung.
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Dieser Ansicht ist indes nicht zu folgen. Der Senat hat ein Sachverständigengutachten
zur Frage eingeholt, ob die Bildaufzeichnungen der im Dauerbetrieb befindlichen
Videokamera eine Identifizierung von Personen und Kennzeichen zulassen und somit
eine verfassungsrechtlich bedenkliche, verdachtsunabhängige Datenspeicherung
vorliegt.
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Nach den Angaben des Sachverständigen läuft der Messvorgang durch das
Videobrücken-Abstandsmessungssystem VibrAM wie folgt ab:
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Das Messsystem wird nur von Brücken über Autobahnen angewendet. Es besteht aus
einer Aufnahme- und einer Auswertekomponente. Die Messkamera, die sich auf der
Brücke befindet, zeichnet den ankommenden Verkehr in eine Beobachtungstiefe von bis
ca. 500 m vor der Brücke auf. In das Kamerabild wird eine geeichte Videostoppuhr
VSTP eingeblendet.
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Die zweite Kamera (Identifizierungskamera) befindet sich unterhalb der Brücke in einer
Halterung. Sie dient zur Fahrer- und Fahrzeugidentifikation. Die Aufzeichnung dieser
Kamera wird durch manuelle Umschaltung eines Bedieners bei Verdacht einer
Abstandunterschreitung begonnen und beendet. Die Daten werden an der Messstelle
digital auf ein Magnetband aufgezeichnet.
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An der Messstelle werden weiß markierte Messlinien quer zum Straßenverlauf in einem
Abstand von 50 m in drei Liniengruppen aufgebracht, die dann später auf dem Video zu
erkennen sind.
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Der Abstand von der Autobahnbrücke, auf dem die Messkamera auf einem dafür
angefertigten Gestelle direkt auf den Untergrund der Brücke gestellt ist, zu der nächsten
Messlinie beträgt 90 m. Die Identifizierungskamera wird dann mit einer im Messfahrzeug
eingebauten Seilwinde von der Brücke heruntergelassen und in eine dafür installierte
Führung mit einem Vierkantrohr gestellt. Die Verkabelung zu den Kameras erfolgt am
Brückensockel entlang zum Messfahrzeug, das außerhalb der Brücke abgestellt wird. Im
Messfahrzeug befinden sich ein Monitor, ein Videorecorder sowie die Bedienelemente.
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Nach Einrichtung der Messstelle wird ein Videorekorder zur Aufzeichnung
eingeschaltet. Der Verkehrsfluss wird während der Aufnahmedauer der Videokassette
vollständig aufgezeichnet. Eine direkte Betrachtung der Bundesautobahn durch das
Bedienpersonal findet nicht statt. Stellt der Messbeamte bei der Beobachtung des
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Verkehrsflusses auf dem Monitor einen möglichen Verstoß fest, kann er mittels eines
Tasters von der Mess- auf die Identifizierungskamera umschalten. Dies erfolgt, wenn
das zu messende Fahrzeug die letzte Linie überquert hat. Mit der Umschaltung wird das
Bild der Identifizierungskamera auf dem Monitor im Einsatzfahrzeug angezeigt und von
dem Videorecorder aufgezeichnet.
Während der Einschaltdauer der Identifizierungskamera wird das Bild der Messkamera
nicht aufgezeichnet, da bei dem Messverfahren nur ein Aufzeichnungsgerät vorhanden
ist. Wenn die Durchfahrt des Verdachtsfahrzeuges erfolgt ist, so schaltet der Bediener
manuell wieder auf die Messkamera zurück.
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Die am Messort gefertigten Aufzeichnungen werden anschließend an einem
Büroarbeitsplatz rechnergestützt nach Aufzeichnungsende ausgewertet.
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Der Sachverständige hat weiter überprüft, ob die Möglichkeit besteht, Kennzeichen aus
der dauerhaft mitlaufenden Messkamera abzulesen. Zur Prüfung hat er die aus der
Messkamera vermeintlich ermittelten Kennzeichen mit denen der durch die
Identifizierungskamera bestätigten verglichen. Hierbei konnte festgestellt werden, dass
eine sichere Identifikation der Kennzeichen nicht möglich ist. Dies gilt selbst für
Vergrößerungen des Bildmaterials, weil dies aufgrund der grafischen Verzerrung durch
die Pixelbildung nicht zu einer Verbesserung des Ergebnisses führt.
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Es bestehen keine Belege dafür, dass bereits die Aufnahmen der Messkamera zu dem
Zwecke gespeichert werden, die Daten zur Weiterverwertung zu erfassen. Die
Ausführungen des Sachverständigen lassen den sicheren Schluss zu, dass den bei den
von der Messkamera gefertigten Aufnahmen, bei denen weder Fahrzeugkennzeichen
noch Fahrer identifiziert werden können, bereits die Eingriffsqualität in den
grundgesetzlich geschützten Bereich mangelt (so auch OLG Koblenz, Beschluss vom
04.03.2010, 1 Ss Bs 23/10 , nach juris). Dies gilt jedenfalls wenn die Messkamera – wie
hier – hinreichend weit von der Messtelle entfernt ist, so dass ein sicheres Erkennen von
Fahrer und Kennzeichen nicht in Betracht kommt und die Auflösung des Bildmaterials
nicht so hoch ist, dass eine Identifizierung möglich wäre.
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Schließlich gibt es auch keine Anhaltspunkte dafür, dass der Messbeamte die
Identifizierungskamera nicht verdachtsabhängig, sondern laufend aktiviert, was zu
einem Beweisverwertungsverbot führen könnte (vgl. OLG Dresden DAR 2010, 210, 212
und OLG Oldenburg, Beschluss vom 27.11.2009 [Ss Bs 186/09] zitiert nach juris).
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Somit handelt es sich bei den mittels des Systems VibrAM gewonnenen
Aufzeichnungen nicht um eine verfassungsrechtlich bedenkliche serielle Erfassung von
Informationen in großer Fallzahl zum Zwecke der Auswertung für weitere Zwecke (vgl.
BVerfG NJW 2008,1505) - etwa der Einleitung von Bußgeldverfahren.
31
bb)
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Die Maßnahmen nach § 100h Abs. 1 Nr.1 StPO sind zum anderen einer auf die
Umstände des Einzelfalls bezogenen Verhältnismäßigkeits- und Subsidiaritätsprüfung
zu unterziehen, die dem Grundrechtseingriff Rechnung zu tragen hat. Da eine
Identitätsfeststellung im vorliegenden Fall erst durch manuelles Einschalten der
Identifizierungskamera bei bestehendem Anfangsverdacht einer Ordnungswidrigkeit
erfolgt ist und sonstige denkbare Mittel zur Identifizierung – etwa Verfolgung und
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Stoppen des Fahrzeuges durch einen Polizeibeamten – nicht als milder zu qualifizieren
sind, sind die Eingriffsvoraussetzungen auch insoweit gegeben.
IV.
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Für einen Vorlagenbeschluss gem. §§ 121 Abs. 2 GVG, 46 OWiG an den
Bundesgerichtshof besteht kein Anlass, da der Senat mit seiner Entscheidung nicht von
der Rechtsprechung anderer Oberlandesgerichte im Hinblick auf die Zulässigkeit
verdachtsabhängiger Bildaufnahmen abweicht (vgl. ausführlich dazu OLG Düsseldorf
(1. Strafsenat) Beschluss vom 15.03.10 [IV-1 RBs 23/10]).
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V.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 46 Abs. 1 OWiG, 473 Abs. 1 StPO.
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