Urteil des OLG Düsseldorf vom 27.03.2007
OLG Düsseldorf: einstweilige verfügung, unrichtige angabe, heilende wirkung, werbung, zustellung, müdigkeit, verbraucher, aufzeichnung, wiederholungsgefahr, edelstein
Oberlandesgericht Düsseldorf, I-20 U 168/06
Datum:
27.03.2007
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
20. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
I-20 U 168/06
Tenor:
Die Berufung der Antragsgegnerin gegen das Urteil der 8. Kammer für
Handelssachen des Landgerichts Düsseldorf vom 03.11.2006 wird zu-
rückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden der Antragsgegnerin aufer-
legt.
G r ü n d e
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I.
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Die Antragstellerin beanstandet eine TV-Werbung der Antragsgegnerin, bei der einem
bestimmten Edelstein eine Einflussnahme auf menschliche Körperfunktionen in der
Weise beigemessen worden ist, dass er Müdigkeit vertreiben soll, als irreführend.
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Auf die vorgerichtliche Abmahnung der Antragstellerin hat die Antragsgegnerin sich
durch Erklärung vom 30.06.2006 unterworfen, allerdings mit dem Zusatz "soweit bei der
Präsentation nicht hinreichend deutlich gemacht werde, dass die Aussage nicht ernst
gemeint sei".
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Der Streit der Parteien geht im wesentlichen darum, inwieweit die angesprochenen
Verkehrskreise überhaupt irregeführt werden konnten. Die Antragsgegnerin beruft sich
darauf, dass die mangelnde Ernstlichkeit der beanstandeten Werbeaussage ganz
offensichtlich gewesen sei. Sie führt dafür an, dass die Moderatorin spaßhaft mit einem
Augenzwinkern gesagt habe, dass sie "fast bestätigen könne, dass er die Müdigkeit
vertreiben könne". Des weiteren habe die Moderatorin während der Präsentation
fortgehend gelacht.
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Der antragstellende Verband hält dem entgegen, dass jeglicher Hinweis auf eine
Distanzierung von der Aussage fehle. Es sei zu berücksichtigen, dass der Verbraucher
durch die Flüchtigkeit der TV-Werbung auch nur einen entsprechend flüchtigen
Eindruck gewinne. Schließlich sei es unrichtig, dass die Verkehrskreise von vornherein
nicht an die esoterische Wirkung von Edelsteinen glauben würden.
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Ein weiterer Streitpunkt zwischen den Parteien ist die ordnungsgemäße Vollziehung der
einstweiligen Verfügung durch Zustellung an die Antragsgegnerin. Unstreitig ist bei der
Zustellung vom 15. Juli 2006 (ZU Blatt 70 d. A.) die als Anlage A 3 "nur für das Gericht"
zur Akte gereichte Aufzeichnung der Werbesendung nicht mit zugestellt worden. Das
Landgericht hatte in Ziffer IV. der Beschlussverfügung vom 06.07.2004 die Zustellung
der Antragsschrift nebst Anlagen angeordnet.
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Das Landgericht hat die Beschlussverfügung durch Urteil vom 03.11.2006 bestätigt und
zur Begründung im wesentlichen ausgeführt, dass sich die gerichtliche Anordnung zu
Ziffer IV des Beschlusses vom 12.06.2006 ersichtlich nicht auf die Anlage A 3 bezogen
habe.
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Zur Begründetheit des Unterlassungsanspruchs gemäß §§ 3, 5 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1
UWG hat das Landgericht ausgeführt, dass der angebliche Witzcharakter der
beanstandeten Äußerung nicht hinreichend dargetan sei. Die von der Antragsgegnerin
ausgestrahlte Werbesendung ziele zur fraglichen Zeit verstärkt auf ältere Personen ab,
die die Mimik der handelnden Personen nicht genau erkennen und auf die Seriosität der
Moderatoren vertrauen würden. Schließlich sei auch eine nicht gänzlich unerhebliche
Anzahl von Menschen bereit, Strahlen, Steinen und ähnlichen Dingen
Einflussmöglichkeiten auf den Körper des Menschen zuzubilligen.
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Mit der Berufung rügt die Antragsgegnerin erneut und ausführlich, warum die Anlage A 3
hätte zugestellt werden müssen, so dass die einstweilige Verfügung schon wegen eines
Vollziehungsmangels aufzuheben wäre.
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Des weiteren liege ein Verfahrensfehler bei der materiellen Beurteilung insofern vor, als
die erkennende Kammer des Landgerichts nicht ausgeführt habe, inwieweit sie aus
eigener Sachkunde das Verkehrsverständnis beurteilen könne. Es hätte der
Gesamtzusammenhang, in dem die beanstandete Aussage getroffen worden sei,
berücksichtigt werden müssen. Der verständige Verbraucher, auf den abzustellen sei,
wisse, dass ein Stein keine die Müdigkeit vertreibende Wirkung entfalten könne.
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Schließlich sei die Wiederholungsgefahr durch die von der Antragsgegnerin
abgegebene Unterlassungsverpflichtungserklärung beseitigt. Auch sei der abstrahierte
Teil des Tenors der Beschlussverfügung nicht hinreichend bestimmt.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
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das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 03.11.2006 abzuändern, die
Beschlussverfügung vom 06.07.2006 aufzuheben und den auf ihren Erlass
gerichteten Antrag zurückzuweisen.
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Der Antragsteller beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Der Antragsteller tritt den Ausführungen der Antragsgegnerin in der
Berufungsbegründung entgegen und wiederholt und vertieft sein erstinstanzliches
Vorbringen.
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II.
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Die zulässige Berufung der Antragsgegnerin hat in der Sache keinen Erfolg.
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1.
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Die Beschlussverfügung vom 06.07.2006 ist ordnungsgemäß zugestellt worden. Es liegt
kein Vollziehungsmangel darin, dass die die Aufzeichnung der Werbesendung
enthaltende Anlage A 3 nicht zugestellt worden ist. Grundsätzlich gilt zwar, dass die
Antragsschrift und andere Anlagen, die zum Bestandteil der einstweiligen Verfügung
gemacht worden sind, ebenfalls zugestellt werden müssen, wenn insbesondere zur
Umschreibung eines Verbots auf sie Bezug genommen wird. Allerdings ist die
Zustellung von Anlagen, die nicht zum Bestandteil der aus sich heraus verständlichen
Entscheidung gemacht sind, zur Vollziehung selbst dann nicht notwendig, wenn auf die
Anlagen Bezug genommen und deren Zustellung angeordnet ist (vgl. Berneke, Die
einstweilige Verfügung in Wettbewerbssachen, 2. Aufl., Rdnr. 316). Letzteres ist hier
anzunehmen.
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Aus dem Tenor der Beschlussverfügung ergibt sich eindeutig, was der Antragsgegnerin
verboten werden soll, ohne dass auf die Anlage 3 zur Umschreibung des Verbots Bezug
genommen wird. Des weiteren ergibt sich aus der Antragsschrift, auf welche
Werbesendung die Antragstellerin Bezug nimmt. Die Zustellung der Aufzeichnung der
Werbesendung ist somit für das Verständnis der Antragsgegnerin nicht erforderlich
gewesen, so dass dahingestellt bleiben kann, ob die Anlage A 3 von der gerichtlichen
Anordnung in Ziffer IV. der Beschlussverfügung mitumfasst gewesen ist oder nicht.
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2. Das ausgesprochene Verbot ist hinreichend bestimmt. Der verallgemeinernde Teil
verbietet, mit der Aussage zu werben, der fragliche Schmuck "vertreibe Müdigkeit". Das
ist klar und eindeutig im Sinne einer unmittelbaren Kausalbeziehung. Der
"Insbesondere"-Teil des Verbots hat im vorliegenden Fall den Zweck zu illustrieren, wie
eine solche Aussage beschafen sein kann.
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3.
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Der vom Antragsteller geltend gemachte Unterlassungsanspruch, den er im Wege der
einstweiligen Verfügung vorläufig zu sichern begehrt, ist gemäß §§ 5 Abs. 2 Nr. 1, 8
Abs. 1 UWG begründet. Die Antragsgegnerin hat irreführend über die Zwecktauglichkeit
und Verwendungsmöglichkeit der von ihr zum Kauf angebotenen russischen
Chromdiopsid-Edelsteine geworben.
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Dass es sich bei der Anpreisung, der Edelstein-Schmuck könne Müdigkeit vertreiben,
um eine objektiv falsche Angabe handelt, wird von der Antragsgegnerin selbst nicht in
Frage gestellt und steht auch in zweiter Instanz zwischen den Parteien außer Streit.
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Da es immerhin (wenn auch in der selteneren Zahl der Fälle) vorkommt, dass die
angesprochenen Verkehrskreise eine objektiv unrichtige Angabe im richtigen Sinne
verstehen (vgl. Bornkamm in Hefermehl/Köhler/Bornkamm, Wettbewerbsrecht, 25. Aufl.,
§ 5 UWG Rdnr. 2.70), könnte im vorliegenden Fall eine Irreführung fehlen, wenn – wie
die Antragsgegnerin geltend macht – die mangelnde Ernstlichkeit für die Zuschauer der
betreffenden TV-Werbesendung ganz offensichtlich gewesen wäre.
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Dies ist jedoch zu verneinen.
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In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vom 06.03.2007 ist eine Aufzeichnung
der Werbesendung in Auszügen abgespielt worden. Aufgrund dessen ist die
Behauptung der Antragsgegnerin, die Moderatorin habe die im Antrag enthaltene
Passage mit einem Augenzwinkern erwähnt und über ihren eigenen Spaß gelacht,
widerlegt. Die Moderatorin wurde nämlich gar nicht gezeigt, als es um die im Antrag
wiedergegebene Textpassage ging; vielmehr wurde ausschließlich der Schmuck (in
vergrößerter Darstellung) eingeblendet. Schon von daher hatte der angesprochene
Verkehrskreis, der nur mit dem Text und dem Produkt konfrontiert wurde, keine
Veranlassung daran zu zweifeln, dass das Gesagte ernst gemeint war. Dagegen spricht
weiter, dass sich bei Spaßhaftigkeit das zum Kauf zu animierende Publikum hätte an
der Nase herum geführt fühlen sollen und die Antragsgegnerin das von ihr vertriebene
Produkt selbst hätte lächerlich machen wollen. Auch vermag der Umstand, dass die
Moderatorin bei Wiedereinblendung nach der beanstandeten Aussage herumgealbert
und "ins Plaudern geraten ist" nicht zu einem Verständnis des angesprochenen
Verkehrs, die zuvor im Hinblick auf die Müdigkeit vertreibende Wirkung gemachte
Aussage sei ebenfalls nur unernst dahingeplaudert, führen. Dieser Bezug wird vor dem
Hintergrund, dass der Werbesendung auf weiten Strecken ohnehin nicht viel mehr als
ein "Plauderniveau" beizumessen ist, nicht gemacht.
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Die beanstandete Werbung richtete sich an das allgemeine Publikum, das wegen der
Sendezeit am Vormittag nicht vornehmlich aus älteren (in ihrer Wahrnehmung
beeinträchtigten) Personen bestehen muss, wie das Landgericht gemeint hat. Vielmehr
ist von einem durchaus altersgemischten Publikum auszugehen, da nicht unterstellt
werden kann, dass die meisten der sich im arbeitsfähigen Alter befindlichen Personen
vormittags keine Zeit hätten, Werbesendungen zu schauen.
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Bei der Bestimmung der Aufmerksamkeit, mit der die Werbung vom durchschnittlich
informierten und verständigen Verbraucher der Situation angemessen wahrgenommen
wird (so das Verbrauchleitbild nach ständiger Rechtsprechung des BGH, z.B. GRUR
2004, 244, 245 – Marktführerschaft) ist die Art der Werbung zu berücksichtigen (vgl.
Bornkamm, a.a.O. § 5 Rdnr. 2.89). Damit ist im vorliegenden Fall, in dem es sich um
eine TV-Werbung handelte, in Betracht zu ziehen, dass der Betrachter seinen Eindruck
aufgrund einer einmaligen Wahrnehmung gewinnt.
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Adressat der Schmuckwerbung der Antragsgegnerin ist nicht der vernünftige rational
denkende und um die objektive Unrichtigkeit der Werbeaussage wissende Verbraucher,
sondern sind zum einen solche Verbraucher gewesen, die die anpreisende
Werbeaussage für möglich halten und in ihrem (Aber-)Glauben bestärkt werden und
zum anderen solche, die zumindest in Erwägung ziehen, dass die angepriesene
Wirkung eintreten könnte. Hintergründige Kenntnisse vom Ursprung und genauen Inhalt
der sog. Edelsteinheilkunde sind dem rechtlich relevanten Teil der angesprochenen
Verkehrskreise nicht zu unterstellen. Diejenigen, die nicht ohnehin schon an die
heilende Wirkung von Edelsteinen glauben, werden erwägen, dass ein solcher
Edelstein vielleicht doch etwas nützen könne und es, da ein gesundheitlicher Schaden
keineswegs zu befürchten ist, vielleicht zumindest auf einen Versuch ankommen lassen.
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Ob die oben umschriebenen angesprochenen Verkehrskreise ein ausreichendes
Quorum für eine wettbewerblich relevante Irreführung ausmachen, wird von den
Parteien so nicht diskutiert. Der Senat hält eine Festlegung auch für nicht angezeigt,
weil selbst bei einem unter der Quote liegenden Anteil eine normative Betrachtung, die
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sich am Zweck des Irreführungsverbotes orientiert, im Ergebnis dazu führt, die
angegriffene Werbeaussage zu verbieten, um die Bevölkerung vor derartigen
Unwahrheiten zu schützen (vgl. BGH GRUR 2002, 715, 716 – Scanner-Werbung).
Schließlich hat die von der Antragsgegnerin abgegebene Unterlassungserklärung die
Wiederholungsgefahr nicht beseitigt. Die Vermutung der Wiederholungsgefahr kann
grundsätzlich nur dadurch ausgeräumt werden, dass der Verletzer gegenüber dem
Gläubiger bedingungslos, unbefristet und unwiderruflich unter Versprechen einer
angemessenen Vertragsstrafe für jeden Fall der Zuwiderhandlung erklärt, die
Verletzungshandlung künftig zu unterlassen (vgl. Berneke, a.a.O. Rdnr. 7). Eine solche
Erklärung hat die Antragsgegnerin hier nicht abgegeben, sondern einen Vorbehalt
erklärt. Damit verlagert sie die zwischen den Parteien streitige Frage, ob die
beanstandete Aussage als ernstgemeint verstanden wird oder nicht, in einen weiteren
Rechtsstreit. Dies nimmt der Erklärung die Eignung, die Wiederholungsgefahr entfallen
zu lassen, ungeachtet der Frage, wer in dem weiteren Rechtsstreit wofür die Beweislast
trägt.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
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Einer Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit bedarf es nicht, da die Sache
kraft Gesetzes nicht revisibel ist, § 542 Abs. 2 ZPO.
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Streitwert: 15.000 € (entsprechend der von den Parteien nicht beanstandeten
Wertfestsetzung durch das Landgericht).
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B. Dr. M. F.
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