Urteil des OLG Düsseldorf vom 14.12.2010
OLG Düsseldorf (wiedereinsetzung in den vorigen stand, einhaltung der frist, erste instanz, berufungsfrist, büro, hamburg, frist, verschulden, akten, akte)
Oberlandesgericht Düsseldorf, I-3 U 7/10
Datum:
14.12.2010
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
3. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
I-3 U 7/10
Vorinstanz:
Landgericht Duisburg, 25 O 73/08
Tenor:
Der Antrag der Klägerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
gegen die Versäumung der Berufungsfrist wird zurückgewiesen.
Die Berufung der Klägerin gegen das am 30. September 2009
verkündete Urteil der 5. Kammer für Handelssachen des Landgerichts
Duisburg wird auf ihre Kosten als unzulässig verworfen.
G r ü n d e:
1
Der Wiedereinsetzungsantrag der Klägerin ist zulässig, aber unbegründet mit der Folge,
dass ihr Rechtsmittel wegen Versäumung der Berufungsfrist gemäß § 517 BGB
unzulässig ist; gegen das angefochtene, ihr am 9. Oktober 2009 zugestellte Urteil hat
die Klägerin erst mit am 4. Dezember 2009 bei Gericht eingegangener Schrift Berufung
eingelegt.
2
Nach dem eigenen Vorbringen der Klägerin lässt sich nicht feststellen, dass sie ohne ihr
Verschulden an der Einhaltung der Frist gehindert gewesen wäre, weil nach § 85 Abs. 2
ZPO das Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten dem Verschulden der Klägerin
gleichsteht und ein solches nicht ausgeräumt ist.
3
Ein Rechtsanwalt darf – und muss im Interesse seiner eigentlichen anwaltschaftlichen
Aufgaben – gewisse einfache Verrichtungen auf sein geschultes und zuverlässiges
Büropersonal übertragen. Ein zurechenbares Eigenverschulden des Anwalts kann sich
jedoch aus einer mangelhaften Büroorganisation ergeben, namentlich bei einer
unterlassenen Abgrenzung von Zuständigkeitsbereichen und einem Fehlen klarer
Anweisungen (BGH NJW 1992, S. 3176; BGH NJW 2006, S. 1520 f.). Das Fehlen
ausreichender allgemeiner Regelungen ist – mangels Ursächlichkeit – nur dann
unschädlich, wenn der Rechtsanwalt eine konkrete Einzelweisung erteilt hat, deren
Befolgung die Fristwahrung sichergestellt hätte; die Einzelweisung muss dann aber die
allgemeine Anordnung als organisatorische Vorkehrung vollständig ersetzen (BGH
NJW 2000, S. 2823; BGH NJW 2004, S. 367 ff.; BGH NJW-RR 2004, S. 1361 f.). Die
Unaufklärbarkeit der Ursache eines Büroversehens und der Verantwortlichkeit des
4
Anwalts hierfür geht zu Lasten derjenigen Partei, die ein fehlendes Anwaltsverschulden
geltend macht (BGH VersR 1982, S. 1167; BGH VersR 1983, S. 401 f.).
Nach dem eigenen Vorbringen der Klägerin beruhte die Fristversäumung im
vorliegenden Fall darauf, dass Herrn Rechtsanwalt L. "als zuständigem Sachbearbeiter
für die Berufung" die Akte anlässlich des Ablaufs der Berufungsfrist nicht vorgelegt
wurde. Dies wiederum beruhte darauf, dass in dem Büro der Kanzlei der
Prozessbevollmächtigten der Klägerin in Düsseldorf ein zentraler Fristenkalender
geführt wird, in diesem jedoch die Berufungsfrist nur in Bezug auf die Honorarakte
desjenigen Anwalts des Büros notiert war, der in erster Instanz lediglich die Termine vor
dem Landgericht wahrgenommen hatte, während der die Sache erstinstanzlich
bearbeitende Anwalt bereits in dem Büro der Kanzlei in Hamburg tätig war.
5
Es bleibt vollständig offen, aus welchen Gründen in dem Fristenkalender des Büros in
Düsseldorf die Notierung der Berufungsfrist mit Bezug auf die von Herrn Rechtsanwalt
L. angelegte gesonderte Akte (auf seinen Namen) unterblieb. Ein anwaltliches
Eigenverschulden ist keineswegs ausgeräumt.
6
a)
7
Zunächst fehlt es an jeglichen Darlegungen der Klägerin dazu, ob in der Kanzlei ihrer
Prozessbevollmächtigten allgemeine Anweisungen oder sonstige organisatorische
Vorkehrungen für den Fall vorhanden sind, dass innerhalb desselben Büros mehrere,
möglicherweise auf verschiedene Anwälte lautende, Akten zum selben Rechtsstreit
existieren und diese dann vollständig bei der maßgeblichen Fristennotierung – nach der
Begründung des Wiedereinsetzungsgesuchs derjenigen im zentralen Fristenkalender –
erfasst werden müssen; noch weniger, ob dies auch für den Fall der Beteiligung
mehrerer Büros im Laufe des nämlichen Verfahrens der Fall ist; schließlich auch nicht,
ob derartige Vorkehrungen für den Fall existieren, dass die Sachbearbeitung innerhalb
eines Büros oder auch innerhalb der Kanzlei insgesamt während verschiedener Rechts-
züge zwischen Anwälten wechselt. Gegen die Existenz allgemeiner organisatorischer
8
Vorkehrungen zumindest in den beiden letztgenannten Hinsichten spricht sogar der
Umstand, dass sowohl der "Terminsbevollmächtigte" als auch der – zwischenzeitlich in
Hamburg tätige – Prozessbevollmächtigte der Klägerin Anlass sahen, die Frage der
"verantwortlichen Übernahme" der Fristenüberwachung persönlich zu klären – so Herr
Rechtsanwalt Dr. S.– oder durch eine Mitarbeiterin klären zu lassen (so Herr
Rechtsanwalt Dr. v. R.).
9
b)
10
Der Hinweis im Wiedereinsetzungsgesuch, Herr Rechtsanwalt L. habe sich davon
überzeugt, dass die Frist zur Einlegung der Berufung ordnungsgemäß notiert worden
sei, entlastet die anwaltlichen Vertreter der Klägerin nicht.
11
Dieser Vortrag wird in der eidesstattlichen Versicherung von Herrn Rechtsanwalt L.
dahin präzisiert, er habe sich durch telefonische Nachfrage überzeugt, dass die
Berufungsfrist in Hamburg ordnungsgemäß notiert worden sei. Darauf kam es indes
nicht an; entscheidend war vielmehr die ordnungsgemäße Notierung in Düsseldorf als
dem Büro des Sachbearbeiters für die Berufung. Anderes könnte sich aus
abweichenden allgemeinen Anweisungen für die Großkanzlei insgesamt ergeben, für
12
die aber – wie unter a) gesagt – nichts ersichtlich ist.
Darüber hinaus ist, ohne dass dies noch von tragender Bedeutung wäre, das oben
genannte Vorbringen als solches nicht hinreichend substantiiert. Denn danach bleibt
offen, was die Vertreter der Klägerin als ordnungsgemäße Notierung der Frist
verstanden und in welcher Weise genau Rechtsanwalt L. die diesbezügliche
Überzeugung gewann. Zu den zur Ermöglichung einer Gegenkontrolle erforderlichen
Vorkehrungen im Rahmen der Fristenkontrolle gehört, dass die Handakte erkennen
lässt, dass die Fristen in den Fristenkalender eingetragen worden sind; der
Rechtsanwalt selbst muss bei Vorlage einer Sache im Zusammenhang mit einer
fristgebundenen Prozesshandlung eigenverantwortlich unter anderem die Eintragung in
den Fristenkalender prüfen, mag er sich dabei grundsätzlich auch auf die Prüfung der
Vermerke in der Handakte beschränken dürfen (BGH MDR 2010, S. 533 f. m.w.Nachw.).
Eine Würdigung, ob diesen Anforderungen hier Rechnung getragen wurde, lässt der
Vortrag im Wiedereinsetzungsgesuch nicht zu. Jedenfalls steht nach der
Antragsbegründung fest, dass sich die (maßgebliche) Fristennotierung im
Fristenkalender nur auf die Honorarakte für die erste Instanz, nicht auf die
Sachbearbeiterakte von Herrn Rechtsanwalt L. bezog.
13
c)
14
Die Ursächlichkeit der bisher aufgezeigten Organisations- und Verhaltensdefizite für die
Fristversäumung ist im gegebenen Fall auch nicht durch eine ausreichende
Einzelweisung eines Anwalts beseitigt worden.
15
Als solche kommt allein die Äußerung von Herrn Rechtsanwalt Dr. v. R. an seine
Sekretärin in Betracht. Deren Inhalt ging jedoch nach dem Wiedereinsetzungsgesuch
allein dahin, sicherzustellen, dass die Frist zur Einlegung der Berufung dort (in
Düsseldorf) selbständig überwacht werde; nach der eidesstattlichen Versicherung von
Herrn Rechtsanwalt Dr. v. R. dahin, mit der Fristensachbearbeiterin im Düsseldorfer
Büro zu klären, ob dort die Berufungseinlegungsfrist notiert sei und die
Fristenüberwachung von dort aus erfolge. Gleichgültig, welchen genauen Wortlaut der
Äußerung man zugrunde legen will, war sie jedenfalls zu allgemein gehalten, um
organisatorisch verlässlich sicherzustellen, dass auch die zwischenzeitlich auf Herrn
Rechtsanwalt L. angelegte Sachbearbeiterakte in Düsseldorf diesem rechtzeitig
vorgelegt werde. Hierzu hätte die Sekretärin der Fristensachbearbeiterin in Düsseldorf
mindestens mitteilen müssen, dass zwischenzeitlich in diesem Rechtsstreit innerhalb
der Kanzlei insgesamt drei Akten existierten, davon zwei im Büro in Düsseldorf und eine
im Büro in Hamburg; weiterhin, dass für die Frage der Einhaltung der Berufungsfrist die
in Düsseldorf geführte Honorarakte ohne Belang sei; schließlich, dass es auch nicht auf
die Akte des erstinstanzlichen Sachbearbeiters in Hamburg ankomme, sondern allein
auf diejenige von Herrn Rechtsanwalt L. als Sachbearbeiter für das Berufungsverfahren,
die gegebenenfalls zunächst datentechnisch zu erfassen sei. Diesen Gesprächsinhalt
hätte der Anwalt seiner Sekretärin jedoch im Einzelnen vorgeben müssen. Auch bei
einer ausgebildeten und während mehrerer Jahre zuverlässig tätigen Fachkraft ging es
nicht an, die Aufarbeitung des nicht mehr einfachen organisatorischen Sachverhaltes
und dessen Übermittlung an die Sachbearbeiterin in Düsseldorf allein der Sekretärin zu
überlassen. Gestützt wird diese Beurteilung dadurch, dass sich der erstinstanzliche
"Terminsbevollmächtigte" immerhin bereits zu einem Zeitpunkt, als lediglich zwei Akten
existierten und die Lage noch übersichtlicher war, veranlasst sah, die Frage der
Fristenüberwachung telefonisch persönlich zu klären.
16
Bei dieser Lage kann es auf sich beruhen, ob der Anwalt die von ihm erbetene Klärung
und Sicherstellung überhaupt einer Hilfskraft übertragen durfte oder nicht selbst tätig
werden musste.
17
Der Senat kann über das Wiedereinsetzungsgesuch entscheiden, ohne die Klägerin
zunächst zur Ergänzung fristgerechter Angaben aufzufordern (hierzu: BGH NJW 2007,
S. 3212; BGH MDR 2008, S. 877 f.). Denn ihr bisheriges Vorbringen ist weder unklar
noch unvollständig im Sinne der Ergänzungsbedürftigkeit nur teilweise vorgebrachter
Angaben. Bei einem etwaigen Vortrag zur Existenz allgemeiner organisatorischer
Vorkehrungen im oben bezeichneten Sinne würde es sich vielmehr um eine nach
Ablauf der sogenannten Wiedereinsetzungsfrist nachgeschobene, vollständig neue und
damit nicht mehr berücksichtigungsfähige Begründung des Wiedereinsetzungsantrages
handeln.
18
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 238 Abs. 4, 97 Abs. 1 ZPO.
19
Der Gebührenstreitwert für das Berufungsverfahren wird auf bis 155.000 € festgesetzt.
20