Urteil des OLG Düsseldorf vom 02.07.2008
OLG Düsseldorf: ablauf der frist, aufschiebende wirkung, ausschreibung, leistungsfähigkeit, anlieferung, bekanntmachung, beiladung, erkenntnis, wirtschaftlichkeit, pauschal
Oberlandesgericht Düsseldorf, VII-Verg 43/08
Datum:
02.07.2008
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
Vergabesenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
VII-Verg 43/08
Tenor:
Die aufschiebende Wirkung der sofortigen Beschwerde der
Antragstellerin gegen den Beschluss der 2. Vergabekammer des
Bundes vom 06. Juni 2008 wird bis zur Entscheidung über die sofortige
Beschwerde verlängert.
Der Antrag des Antragsgegners auf Gestattung des vorzeitigen
Zuschlags ist gegenstandslos.
(Hier Freitext: Tatbestand, Gründe etc.)
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Der Antrag der Antragstellerin auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung ihrer
Beschwerde gemäß § 118 Abs. 1 S. 3 GWB ist begründet. Ihre sofortige Beschwerde
hat mutmaßlich Erfolg (§ 118 Abs. 2 S. 1 GWB, dazu 1.), öffentliche Interessen stehen
dem nicht entgegen (§ 118 Abs. 2 S. 2 GWB, dazu 2.). Damit ist auch der Antrag des
Antragsgegners auf Gestattung des vorzeitigen Zuschlags gegenstandslos (dazu 3.).
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1.
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Nach dem gegenwärtigen Sach- und Streitstand ist das Angebot der Antragstellerin
entgegen der Auffassung der Vergabekammer nicht auszuschließen.
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Vorab ist klarzustellen, dass die Antragstellerin nicht nur ein Preisblatt, sondern auch
folgende Erklärung unterzeichnet und abgegeben hat:
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Unter Anerkennung der Verdingungsunterlagen zu der oben genannten Ausschreibung
verpflichte ich mich/verpflichten wir uns rechtsverbindlich, für den Fall der
Zuschlagserteilung die in der o. g. Ausschreibung geforderten Leistungen zu den in den
Verdingungsunterlagen genannten Bedingungen nach Maßgabe meines/unseres
Angebotes und zu den von mir/uns gebotenen Preisen zu erbringen.
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Damit hat die Antragstellerin die Leistungsbeschreibung des Antragsgegners akzeptiert
(zur Bedeutung der Unternehmensbeschreibung s. sogleich).
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a) Das Angebot der Antragstellerin weicht nicht hinsichtlich des von dem Antragsgegner
verlangten Telefonservices von der Leistungsbeschreibung ab. Diese sah einen
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Telefonservice von Montag bis Freitag für die Zeit von 8.00 Uhr bis 18.00 Uhr vor. Die
Antragstellerin hat keine davon - auch nur mittelbar abweichende - Erklärung abgeben.
Nach III.2.3) der Bekanntmachung war unter der Überschrift "Angaben und Formalitäten
zur Technischen Leistungsfähigkeit" die Vorlage einer Unternehmensbeschreibung
gefordert. Diese Unternehmensbeschreibung diente damit vorrangig der Darstellung der
technischen Leistungsfähigkeit des Bieters und nicht der Erläuterung des Angebots als
solchem. Allerdings sollte nach sie eine Beschreibung enthalten, "wie die
ausgeschriebene Leistung ausgeführt werden soll, insbesondere die Gewährleistung
der Lieferfristen". Die Angaben der Bieter konnten damit in gewissem Umfange zur
Ermittlung dessen herangezogen werden, wie sie die ausgeschriebenen Leistungen
verstanden. Davon ist aber nur zurückhaltend Gebrauch zu machen. Wie die
Vergabekammer mit Beschluss vom 04. März 2008 (VK 2- 19/08) ausgeführt hat, waren
die Anforderungen in diesem Punkt wenig klar, auch der Antragsgegner hatte insoweit
wenig transparente Vorstellungen. Im Vordergrund stand jedenfalls die Darstellung der
aktuellen Unternehmensstruktur des Bieters. Dafür, dass der Bieter die verlangten
Zeiten nicht anbieten wollte oder konnte, besteht umso weniger Anlass, als die Call-
Center-Zeiten ohne Probleme an die ausgeschriebenen Zeiten angepasst werden
konnten. In diesem Fall kommt noch hinzu, dass die dem Angebot beigefügte
Unternehmensbeschreibung keine abweichenden Telefonservicezeiten enthielt,
sondern nur auf die üblichen Geschäftszeiten verwies. Lediglich im Internetauftritt der
Antragstellerin war von anderen Telefonservicezeiten die Rede. Unter diesen
Umständen kann das Angebot der Antragstellerin nicht so ausgelegt werden, dass sie
nicht willens oder nicht in der Lage war, die verlangten Telefonservicezeiten
einzuhalten; der Internernetauftritt stellte lediglich die aktuelle, aber ohne Weiteres
veränderbare Situation dar.
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Weitere Erklärungen der Antragstellerin, die auf ein abweichendes Verständnis des
Angebots schließen ließen (wie dies in den von der Beigeladenen zitierten
Entscheidungen des Senats der Fall war), liegen nicht vor.
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b) Was die Warenannahmezeiten betrifft, gelten die Ausführungen unter a)
entsprechend.
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c) Auch hinsichtlich der verlangten Lieferfristen liegt eine Abweichung nicht vor. In ihrer
Unternehmensbeschreibung ("Die Durchlaufzeit ... wird vom Kunden bestimmt und
beträgt bei uns in der Regel 3 Arbeitstage") hat die Antragstellerin ausdrücklich darauf
verwiesen, dass sich die Durchlaufzeiten nach den Wünschen der Kunden richteten;
soweit sie auf eine Durchlaufzeit von 3 Tagen verwies, stellte dies nur der Regelfall der
Kundenwünsche dar. Daraus ließen sich keine Zweifel dahingehend herleiten, dass die
Antragstellerin die in der Leistungsbeschreibung genannten Durchlaufzeiten nicht
einhalten wollte oder konnte.
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d) Die technische Leistungsfähigkeit der Antragstellerin kann auch nicht im Hinblick auf
die verlangten Eillieferungen, die innerhalb einer Frist von 3 Stunden beim
Bundestagsgebäude in B... einzutreffen hatten, verneint werden.
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Die Vergabekammer verweist zwar zutreffend auf die Rechtsprechung des Senats
(Beschluss vom 05.10.2005 - VII-Verg 55/05), derzufolge es sich um eine
Prognoseentscheidung dahin gehend handelt, ob vom zukünfitgen Auftragnehmer die
ordnungsgemäße Erfüllung der vertrglichen Verpflichtungen erwartet werden kann.
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Dabei mag Auftraggebern in bestimmten Fallkonstellationen ein Beurteilungsspielraum
zustehen. Diesen hat der Antragsgegner jedoch nicht ordnungsgemäß ausgeübt. Er hat
allein abstrakt darauf abgestellt, dass die Risiken einer Einhaltung der Frist bei dem
angebotenen Lager in der Nähe von R... auch unter Berücksichtigung der als gut zu
bezeichnenden Verkehrssituation auf der Autobahn R... - B... zu groß sei. Dabei ist
jedoch zu berücksichtigen, dass der Antragsgegner nicht ein Lager in B... oder in
seinem - wie auch immer definierten - Umkreis verlangt hat, sondern "andere
Maßnahmen" ausdrücklich zugelassen hat. Zudem konnte er die die bisherigen
Erfahrungen mit der Antragstellerin, die die Fristen bei vergleichbaren Fuhren
eingehalten hat, bei seiner Prognoseentscheidung nicht einfach unberücksichtigt
lassen.
Der Antragsgegner verweist des Weiteren auf die mit einer derart weit entfernten Lager
verbundenen zusätzlichen Kosten verbundenen Kosten. In der Tat fallen nach der
Leistungsbeschreibung die mit dem Antransport verbundenen Kosten dem
Antragsgegner zur Last. Das Preisblatt sieht zudem Festpreise nur für die Anlieferung
von EURO-Paletten, dagegen nicht für andere Lieferungen vor. Er muss sich jedoch an
seiner Ausschreibung festhalten lassen. Wie bereits dargelegt, hat er ein Lager für
Eillieferungen in B... oder in einem eng beschriebenen Umkreis nicht zur Bedingung
gemacht, sondern andere Möglichkeiten ausdrücklich zugelassen. Die mit einer
Anlieferung von einem weiter entfernten Lager verbundenen Probleme hat er nicht
einmal in seiner Wertungsmatrix berücksichtigt, obwohl dies - so wohl seine jetzige
Erkenntnis - jedenfalls bei häufigeren Eillieferungen die Wirtschaftlichkeit eines
Angebots beeinflussen kann. Dies kann der Antragsgegner jedoch nicht zum Anlass
nehmen, das Angebot aus einem nicht in der Bekanntmachung oder den
Verdingungsunterlagen benannten Grund auszuschließen.
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e) Hinsichtlich der Frage der Mischkalkulation teilt der Senat die Auffassung der
Vergabekammer. Das Preisblatt und die Bewertungsmatrix unterschieden zwischen
pauschal zu bepreisenden allgemeinen Leistungen und besonderen, auf die einzelne
Bestellung bezogenen Leistungen. Dem trägt das Angebot der Antragstellerin
Rechnung.
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2.
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Der Verlängerung stehen die in § 118 Abs. 2 S. 2 GWB benannten Gründe nicht
entgegen. Die mit den Nachprüfungsverfahren verbundenen Verzögerungen halten sich
noch in einem zumutbaren Rahmen, zumal die Ausschreibung erst verhältnismäßig
kurze Zeit vor Beginn des ausgeschriebenen Vertrages erfolgte.
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3.
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Für den Antrag des Antragsgegners auf vorzeitigen Zuschlag besteht kein
Rechtsschutzbedürfnis. Da die Vergabekammer den Nachprüfungsantrag
zurückgewiesen hat, endete das Zuschlagsverbot des § 115 Abs. 1 GWB grundsätzlich
zwei Wochen nach Ablauf der Beschwerdefrist, § 118 Abs. 1 S. 2 GWB. Über den
Antrag auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung nach § 118 Abs. 1 S. 3 GWB wird
im Wesentlichen nach denselben Kriterien entschieden wie über einen Antrag auf
Gestattung des vorzeitigen Zuschlags. Ein Rechtsschutzbedürfnis für einen derartigen
Antrag besteht daher allenfalls für den Zeitraum vor Ablauf der in § 118 Abs. 1 S. 2 GWB
genannten Frist oder - bei Änderung der Sach- und Rechtslage - nach erfolgter
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Verlängerung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde (vgl. Jaeger, in
Byok/Jaeger, Vergaberecht, 2. Aufl., § 121 GWB, Rdnr. 1214). Beides ist hier nicht der
Fall; der Antrag ist derart kurz vor Ablauf der Frist des § 118 Abs. 1 S. 2 GWB gestellt
worden, dass er ersichtlich, insbesondere bei Wahrung des rechtlichen Gehörs der
Antragstellerin, nicht mehr vorher hätte beschieden werden können, über den Antrag auf
Verlängerung der aufschiebenden Wirkung ist gleichzeitig mit dem Antrag auf die
Gestattung des vorzeitigen Zuschlags zu entscheiden.
Klarstellungshalber ist darauf hinzuweisen, dass mit dieser Entscheidung die
Wirkungen des § 122 GWB nicht verbunden sind.
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4.
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Die Verfahrensbeteiligten erhalten Gelegenheit, binnen 10 Tagen zum
Beiladungsantrag der DVG Deutsche Vertriebsgesellschaft für Publikationen und Filme
mbH Stellung zu nehmen. Der Senat geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass
eine Beiladung durch den Senat auch im Beschwerdeverfahren möglich ist.
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