Urteil des OLG Düsseldorf vom 05.04.2006
OLG Düsseldorf: eugh, öffentliche gewalt, begriff, ausschreibung, vergabeverfahren, mitgliedstaat, anbieter, beruf, gesundheitsvorsorge, anwendungsbereich
Oberlandesgericht Düsseldorf, VII-Verg 7/06
Datum:
05.04.2006
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
Vergabesenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
VII-Verg 7/06
Tenor:
Auf die sofortige Beschwerde des Antragsgegners wird der Be-schluss
der Vergabekammer bei der Bezirksregierung Köln vom 19. Januar 2006
(VK VOL 33/2005) aufgehoben.
Der Nachprüfungsantrag des Antragstellers wird abgelehnt.
Der Antragsteller hat die Kosten des Nachprüfungsverfahrens in beiden
Rechtszügen, die dem Antragsgegner in beiden Instanzen entstandenen
Auslagen und außergerichtlichen Kosten und die der Beigeladenen im
Beschwerdeverfahren entstandenen außergericht-lichen Kosten zu
tragen. Im Übrigen unterbleibt eine Erstattung von Auslagen und
außergerichtlichen Kosten.
Streitwert für das Beschwerdeverfahren: bis 40.000 Euro
(Hier Freitext: Tatbestand, Gründe etc.)
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A. Der Antragsgegner schrieb im Juli 2005 im nichtoffenen Verfahren den Betrieb, d.h.
die Vorhaltung notweniger Rettungsmittel, des Personals und die Durchführung von
Rettungseinsätzen, der neu gegründeten Rettungswache W... II für 2 ½ Jahre
europaweit aus. Einsatzfahrzeuge wurden vom Antragsgegner gestellt. Vom
Auftragnehmer sollten Ersatzfahrzeuge sowie solche für rettungsdienstliche
Großeinsätze vorgehalten werden.
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Auf entsprechende Bewerbungen wurden u.a. der Antragsteller und die Beigeladene zur
Abgabe von Angeboten aufgefordert. Beide reichten Angebote ein. Der Antragsgegner
wollte das Angebot der Beigeladenen bevorzugen und informierte die anderen Bieter.
Der Antragsteller beanstandete dies nach Rüge mit einem Nachprüfungsantrag, dem die
Vergabekammer stattgab. Die Vergabekammer gab dem Antragsgegner auf, die
Angebotswertung unter Ausschluss des Angebots der Beigeladenen zu wiederholen.
Sie nahm an, die Vergabe von Rettungsdienstleistungen unterfalle der Anwendung des
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Vergaberechts. Bei der Angebotswertung habe der Antragsgegner nicht beachtet, dass
die Beigeladene geforderte und mit dem Angebot vorzulegende Eignungsnachweise
nicht beigebracht habe. Ihr Angebot sei deswegen von der Wertung auszuschließen.
Gegen diese Entscheidung hat der Antragsgegner sofortige Beschwerde eingelegt.
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Der Antragsgegner beantragt,
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die angefochtene Entscheidung aufzuheben und den Nachprüfungsantrag des
Antragstellers zurückzuweisen,
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hilfsweise
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die Vergabekammer unter Aufhebung ihrer Entscheidung in der Sache erneut
entscheiden zu lassen.
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Der Antragsteller beantragt,
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die sofortige Beschwerde zurückzuweisen.
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Er verteidigt die angefochtene Entscheidung und trägt ergänzend dafür vor, dass die
Beauftragung Dritter mit Aufgaben des Rettungsdienstes zu den öffentlichen Aufträgen
im Sinne der §§ 97 ff. GWB gehört.
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Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.
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Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze und auf
die von den Verfahrensbeteiligten vorgelegten Unterlagen Bezug genommen.
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B. Die Beschwerde des Antragsgegners ist begründet.
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Die im Streit stehende Ausschreibung unterliegt nicht dem Vergaberechtsregime des
Vierten Teils des GWB. Der Nachprüfungsantrag des Antragstellers ist unstatthaft.
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I. Die Übertragung von Aufgaben nach dem Gesetz über den Rettungsdienst sowie die
Notfallrettung und den Krankentransport durch Unternehmer – Rettungsgesetz NRW
(RettG NRW) auf Dritte (Hilfsorganisationen und private Anbieter) erfüllt nicht den Begriff
des öffentlichen Dienstleistungsauftrags im Sinne von § 99 Abs. 1 und 4 GWB.
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a. Allerdings können die Träger des Rettungsdienstes, d.h. die Kreise und kreisfreien
Städte (§ 6 Abs. 1 RettG NRW), Dritten durch Vereinbarung die Durchführung von
Aufgaben nach § 9 Abs. 1 RettG NRW übertragen (§ 13 Abs. 1 RettG NRW). Solche
Vereinbarungen sind - jedenfalls im Land Nordrhein-Westfalen - als entgeltliche
Verträge im Sinne des § 99 Abs. 1 GWB zu qualifizieren. Denn nach § 15 Abs. 1 S. 1
RettG NRW haben die Träger rettungsdienstlicher Aufgaben die Kosten für die ihnen
nach dem RettG NRW obliegenden Aufgaben zu tragen. Die Träger des
Rettungsdienstes sind danach gehalten, Dritte, die in ihrem Auftrag Aufgaben des
Rettungsdienstes wahrnehmen, für diese Dienstleistung zu vergüten. Dies ist auch im
Streitfall vorgesehen. Es spricht manches dafür, jene entgeltlichen
Dienstleistungsverträge als Verwaltungsverträge (öffentlich-rechtliche Verträge) im
Sinne der §§ 54 ff. Verwaltungsverfahrensgesetz NRW einzustufen (vgl. Burgi, NZBau
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2002, 57, 58 f., 61; Prütting, Rettungsgesetz NRW, Kommentar, 3. Aufl., § 13 Rn. 21).
Einer abschließenden Entscheidung bedarf dies nicht, denn die Beauftragung Dritter mit
Aufgaben nach dem Rettungsgesetz scheidet nicht deswegen aus dem
Anwendungsbereich des Vergaberechts aus, weil die Aufgabenübertragung durch
öffentlich-rechtlichen Vertrag erfolgt. Das Vergaberecht ist rechtsformunabhängig
anzuwenden. Im Prinzip unterliegt auch der Abschluss öffentlich-rechtlicher
(verwaltungsrechtlicher) Verträge dem Vergaberechtsregime (vgl. EuGH, Urt. v.
12.7.2001 - Rs. C-399/98, NZBau 2001, 512, 515 f.; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 5.5.2004
- VII-Verg 78/03, NZBau 2004, 398, 399).
b. Jedoch sind die Aufgaben des Rettungsdienstes im Land Nordrhein-Westfalen
öffentlich-rechtlich organisiert. § 6 Abs. 1 RettG NRW qualifiziert sie als staatliche
Aufgaben der Gesundheitsvorsorge und Gefahrenabwehr, die von den Trägern des
Rettungsdienstes als Pflichtausgaben zur Erfüllung nach Weisung wahrgenommen
werden (§ 6 Abs. 3 RettG NRW). Die Organisation des Rettungsdienstes ist im Gesetz
eingehend geregelt. Nach § 7 Abs. 1 RettG NRW sind Leitstellen und Rettungswachen
zu errichten und zu unterhalten. Die Träger des Rettungsdienstes (Kreise und kreisfreie
Städte) haben Bedarfspläne mit Festlegungen in Bezug insbesondere auf die Zahl und
die Standorte der Rettungswachen, die Qualitätsanforderungen sowie die Zahl der
erforderlichen Krankenkraftwagen und Notarzt-Einsatzfahrzeuge aufzustellen (§ 12
Abs. 1 und 2 RettG NRW). Dritte, denen die Aufgaben der Rettungswachen (§ 9 Abs. 1
RettG NRW) durch Vereinbarung übertragen werden können (§ 13 Abs. 1 S. 1 RettG
NRW), sind im Fall ihrer Beauftragung Einrichtungen des Rettungsdienstes (vgl.
Prütting, a.a.O., § 12 Rn. 18). Sie sind "am Rettungsdienst Beteiligte" und "handeln als
Verwaltungshelfer" nach den Anweisungen der Träger rettungsdienstlicher Aufgaben
(§ 13 Abs. 2 S. 1 RettG NRW). Bei der Wahrnehmung dieser Aufgaben sind sie als
Hilfspersonen funktional in den Bereich staatlicher Aufgabenerfüllung auf dem Gebiet
des Rettungswesens eingegliedert. Die Wahrnehmung rettungsdienstlicher Aufgaben ist
- und zwar einheitlich und unmittelbar - der hoheitlichen Betätigung des Staates
zuzurechnen (vgl. auch BGH, Urt. v. 21.3.1991 - III ZR 77/90, NJW 1991, 2954; Urt. v.
9.1.2003 - III ZR 217/01, NJW 2003, 1184 f.). Die Entscheidung eines Trägers von
Rettungsdiensten (hier des Antragsgegners), welche Hilfsorganisation oder welchen
privaten Anbieter er nach § 13 Abs. 1 RettG NRW als Helfer bei der ihm übertragenen
hoheitlichen Aufgabenerfüllung zuziehen will, betrifft deshalb im Rechtssinn keine nach
Marktgesetzen, d.h. insbesondere im Wettbewerb, zu beschaffende Leistung nach den
§§ 97 Abs. 1 und 99 GWB. Aufgrund der in den Ländern Niedersachsen, Sachsen-
Anhalt, Bayern und Brandenburg insoweit gleich gelagerten Gesetzeslage haben
mehrere Vergabesenate genauso entschieden (vgl. OLG Celle, Beschl. v. 24.11.1999 -
13 Verg 7/99, NZBau 2000, 299; OLG Naumburg, Beschl. v. 19.10.2000 - 1 Verg 9/00,
VergabeR 2001, 134; BayObLG, Beschl. v. 28.5.2003 - Verg 7/03, VergabeR 2003, 563;
OLG Brandenburg, Beschl. v. 9.9.2004 - Verg W 9/04, NZBau 2005, 236).
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c. Gegenteilige Entscheidungen haben – soweit ersichtlich – nur die Vergabekammer
bei der Bezirksregierung Düsseldorf (Beschl. v. 21.2.2005 - VK - 56/2004 - L) und die
Vergabekammer bei der Bezirksregierung Köln mit dem hier angefochtenen Beschluss
getroffen. Keine dieser Entscheidungen hat sich indes in einem der Problemlage
angemessenen Umfang mit der Rechtslage und den entgegenstehenden
Entscheidungen der Vergabesenate auseinandergesetzt. Im hier entschiedenen Fall hat
die Vergabekammer zwar darauf hingewiesen, dass auf die Ausschreibung des
Antragsgegners mehrere Wettbewerbsangebote eingegangen sind, was indiziell eine
Beschaffung von Marktleistungen belege. Der allein faktische Befund, dass mehrere
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Anbieter (Hilfsorganisationen und/oder private Unternehmen) ein Interesse am Auftrag
bekundet haben, stellt jedoch kein geeignetes Kriterium dar, die in Rede stehende
Beauftragung zu den dem Vierten Teil des GWB unterfallenden Beschaffungen zu
zählen.
Nach Lage der Dinge veranlasst ebenso wenig der Erlass des Ministeriums für Arbeit,
Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen vom 1.12.2005, der die
Hinzuziehung von Dritten zur Erfüllung von Aufgaben im Rettungsdienst als öffentlichen
Auftrag im Sinne des § 99 GWB einordnet, soweit es sich im Innenverhältnis zwischen
dem Träger des Rettungsdienstes und dem Beauftragten um einen entgeltlichen
Dienstleistungsvertrag handelt, eine andere rechtliche Beurteilung. Dem Erlass ist –
ungeachtet dessen, dass er für den Senat keine Bindungswirkung entfaltet – in der
Sache nicht zuzustimmen. Er enthält eine durch rechtliche Überlegungen nicht
abgesicherte Rechtsbehauptung. Auch der darin nahegelegten Annahme, werde vom
Aufgabenträger eine europaweite Ausschreibung (wie im vorliegenden Fall) tatsächlich
durchgeführt, seien die entsprechenden gesetzlichen Bestimmungen einzuhalten, ist
nicht in dem Sinn beizupflichten, dass dann das Nachprüfungsverfahren nach dem
Vierten Teil des GWB eröffnet sei. Das RettG NRW ermächtigt den öffentlichen
Auftraggeber – anders als z.B. das Allgemeine Eisenbahngesetz (AEG) in § 15 Abs. 2
(vgl. dazu OLG Düsseldorf, Beschl. v. 26.7.2002 - Verg 22/02, VergabeR 2002, 607, 609
) – nicht ausdrücklich dazu, ein Vergabeverfahren nach dem Vierten Teil des GWB
durchzuführen. Darum unterliegt in Bezug auf Rettungsdienstleistungen ein
Vergabeverfahren nicht allein deswegen einer Nachprüfung gemäß den §§ 102 ff. GWB,
weil der Auftraggeber – wie im vorliegenden Fall – eine EU-weite Ausschreibung
tatsächlich durchgeführt hat.
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d. Das vorstehende Ergebnis steht in keinem Widerspruch zum Urteil des EuGH vom
24.9.1998 (Rs. C-76/97, EuZW 1998, 660 – Tögel). Dieses Urteil betraf den Fall einer
Übertragung von nicht-hoheitlichen Rettungsdienstleistungen durch privatrechtlichen
Vertrag (in Österreich), wohingegen der Rettungsdienst im Land Nordrhein-Westfalen
als hoheitliche Aufgabe ausgestaltet ist.
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II. Zur Anwendung des Vergaberechts besteht im Streitfall umso weniger Anlass, als der
vorstehend nachgewiesene rechtliche Befund im Einklang mit den Bestimmungen des
EG-Vertrages steht.
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a. Art. 45 Abs. 1 EG regelt im Zusammenhang mit der Niederlassungsfreiheit (Kapitel 2,
Art. 43 bis 48):
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Auf Tätigkeiten, die in einem Mitgliedstaat dauernd oder zeitweise mit der Ausübung
öffentlicher Gewalt verbunden sind, findet dieses Kapitel in dem betreffenden
Mitgliedstaat keine Anwendung.
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Art. 55 EG bestimmt für die Dienstleistungsfreiheit (Kapitel 3):
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Die Bestimmungen der Artikel 45 bis 48 finden auf das in diesem Kapitel geregelte
Sachgebiet Anwendung.
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Da die EG-Vergaberichtlinien wesentlich auf der Grundfreiheit des ungehinderten
Dienstleistungsverkehrs sowie auf dem Bestreben einer Öffnung der Märkte beruhen,
bedeutet dies, dass - im Sinn einer Bereichsausnahme - solche Dienstleistungsverträge
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von einer Anwendung des Vergaberechts ausgenommen sind, die den Auftragnehmer
dazu ermächtigen, (dauernd oder zeitweise) öffentliche Gewalt auszuüben. Im 15.
Erwägungsgrund der Dienstleistungskoordinierungsrichtlinie 92/50/EWG (DKR) war
dazu bemerkt:
Diese Richtlinie steht der Anwendung insbesondere der Artikel 55, 56 und 66 des
Vertrages nicht entgegen.
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Den früheren Art. 55 und 66 des EG-Vertrages entsprechen – in der Fassung des
Amsterdamer Vertrages – die Art. 45 und 55 EG. Zwar ist in der neuen EG-
Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG vom 31.3.2004 (VKR) ausdrücklich keine
dem Erwägungsgrund 15 der DKR entsprechende Erwägung angestellt worden. Jedoch
gehen unabhängig davon die primärrechtlichen Bestimmungen des EG-Vertrages den
nachrangigen Richtlinienvorschriften vor. Das ist im zweiten Erwägungsgrund der
Richtlinie 2004/18/EG unter Bezugnahme auf die im Vertrag niedergelegten
Grundfreiheiten auch zum Ausdruck gebracht worden. Die Art. 45 und 55 EG bleiben
danach anzuwenden, ungeachtet dessen, dass in der geltenden Richtlinie auf sie nicht
(mehr) ausdrücklich hingewiesen worden ist.
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b. Art. 45 Abs. 1 EG (in Verbindung mit Art. 55 EG) ist in der Rechtsprechung des EuGH
stets dahin ausgelegt worden, dass vom gemeinschaftsrechtlichen Begriff der
(dauernden oder zeitweisen) Ausübung öffentlicher Gewalt diejenigen Tätigkeiten
erfasst sind, die "für sich genommen eine unmittelbare und spezifische Teilnahme an
der Ausübung öffentlicher Gewalt mit einschließen" (vgl. EuGH, Urt. v. 21.6.1974 - Rs.
C-2/74, Slg. 1974, 631, Tz. 44/45; Urt. v. 5.12.1989 - Rs. C-3/88, NVwZ 1991, 356,
Tz. 13). Der Begriff der "Ausübung öffentlicher Gewalt" ist in den Entscheidungen des
EuGH nicht im Sinn einer Befugnis zum Einsatz von staatlichen Zwangsmitteln zu
verstehen und hierauf begrenzt, sondern umfasst allgemein die Berechtigung,
hoheitliche (dem Staat zustehende) Befugnisse auszuüben. Das geht mit letzter
Deutlichkeit aus den französisch- und englisch-sprachigen Fassungen des Urteils des
EuGH vom 21.6.1974 hervor, die - in keinem auf einen Einsatz staatlicher Gewaltmittel
zu beschränkenden Sinn - im betreffenden Punkt (Tz. 44/45) von "l’exercice de l’autorité
publique" und "exercise of official authority" sprechen. Darüber hinaus ist kein
beachtlicher Grund zu erkennen, eine Ausübung öffentlicher Gewalt durch Dritte auf die
Rechtsformen einer staatlichen Beleihung zu beschränken (a.A. Burgi, NZBau 2002, 57,
61; Graef, VergabeR 2004, 166, 173). Allerdings kommt gemäß der Rechtsprechung des
EuGH eine Ausweitung der in Art. 45 Abs. 1 EG gestatteten Ausnahme auf einen Beruf
als Ganzen nur in Betracht, falls die so gekennzeichneten Tätigkeiten derart (nicht
abtrennbar) miteinander verknüpft sind, dass die Liberalisierung der Dienstleistungen für
den betreffenden Mitgliedstaat die Verpflichtung mit sich brächte, die – wenn auch nur
zeitweise – Ausübung öffentlicher Gewalt durch Ausländer zuzulassen (vgl. EuGH, Urt.
v. 21.6.1974, a.a.O., Tz. 46/47).
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c. Die Wahrnehmung von Rettungsdienstaufgaben durch Hilfsorganisationen und/oder
private Auftragnehmer schließt im vorstehend dargestellten Sinn eine unmittelbare und
spezifische Teilnahme an der Ausübung hoheitlicher Gewalt ein. Als Verwaltungshelfer
und "verlängerter Arm" (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 8. Aufl., § 1 Rn. 59) der
behördlichen Träger des Rettungsdienstes sind beauftragte Hilfsorganisationen und
private Auftragnehmer (jedenfalls zeitweise) bei der Wahrnehmung von Aufgaben des
Rettungsdienstes mit denselben hoheitlichen Befugnissen ausgestattet, die dem
öffentlich-rechtlichen Träger des Rettungsdienstes zukommen, sofern er diese Aufgaben
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selbst durchführte. Dazu ist zunächst auf die Sonderrechte hinzuweisen, die Fahrzeuge
des Rettungsdienstes nach der Straßenverkehrsordnung haben. Die Ausübung von
Sonderrechten durch beauftragte Dritte ist dem Träger des Rettungsdienstes als
Behörde im Sinne des § 1 Abs. 4 VwVfG zuzurechnen.
Nach § 35 Abs. 5a StVO sind Fahrzeuge des Rettungsdienstes von den Vorschriften der
Straßenverkehrsordnung befreit, wenn höchste Eile geboten ist, um Menschenleben zu
retten oder schwere gesundheitliche Schäden abzuwenden. Gemäß § 38 Abs. 1 StVO
haben sie dazu blaues Blinklicht zusammen mit dem Einsatzhorn zu verwenden,
wodurch unmittelbar angeordnet wird, dass alle übrigen Verkehrsteilnehmer sofort freie
Bahn zu schaffen haben. Bei den durch Blaulicht und Einsatzhorn gekennzeichneten
Einsätzen üben Rettungsdienstleister gegenüber dem Bürger spezifisch staatliche
Hoheitsprivilegien, m.a.W. hoheitliche Eingriffsbefugnisse, aus, die ansonsten den
staatlichen Einrichtungen (wie Polizei, Feuerwehr, Katastrophenschutz und Zolldienst)
vorbehalten sind (vgl. § 35 Abs. 1 StVO).
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Darüber hinaus sind Rettungsdienstleister bei Verletzungen oder Krankheit kraft des
RettG NRW befugt, Notfallrettungsmaßnahmen unabhängig von einer vorher
einzuholenden Einwilligung des betroffenen Patienten durchzuführen, um Lebensgefahr
oder schwere gesundheitliche Schäden abzuwenden. Das ergibt sich aus der in den
§§ 2 Abs. 1 und 6 Abs. 1 RettG NRW normierten Aufgabenstellung der Notfallrettung,
die – und zwar aus Gründen der Gesundheitsvorsorge und Gefahrenabwehr sowie unter
dem Gebot raschen Handelns – darin besteht, lebensrettende Maßnahmen am Notfallort
durchzuführen, die Transportfähigkeit des Patienten herzustellen und sie unter
Aufrechterhaltung der Transportfähigkeit und Vermeidung weiterer Schäden in ein für
die weitere Versorgung geeignetes Krankenhaus zu befördern. Zwar richtet sich die
Aufgabe der Notfallrettung an die Träger des Rettungsdienstes. Jedoch nehmen im
Sinne von § 13 Abs. 1 RettG NRW beauftragte Rettungsdienstleister als
Verwaltungshelfer an dieser Aufgabe teil (vgl. § 13 Abs. 2 RettG NRW). Dem
beauftragten Rettungsdienstleister stehen dieselben Sonderbefugnisse wie dem Träger
rettungsdienstlicher Aufgaben zu. Sein Tätigwerden ist dem Träger des
Rettungsdienstes wie eigenes zuzurechnen (§ 1 Abs. 4 VwVfG).
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Die Ausübung der hoheitlichen Befugnisse des Rettungsdienstes ist mit dem Beruf des
Rettungsdienstleisters eng verknüpft (vgl. EuGH, Urt. v. 21.6.1974, a.a.O., Tz. 46/47).
Sie bildet einen nicht abtrennbaren Teil der Berufstätigkeit des Rettungsdienstleisters.
Denn die Aufgabe der Notfallrettung ist typischerweise mit einer zeitweisen Ausübung
von Sonderbefugnissen verbunden und praktisch gar nicht anders wahrnehmbar.
Infolgedessen unterliegt die Vergabe von Rettungsdienstleistungen einer im EG-Vertrag
konstituierten Bereichsausnahme vom Vergaberecht, die darauf gründet, dass die
Mitgliedstaaten ausländischen Staatsangehörigen den Zugang zu dem mit einer
Ausübung öffentlicher Gewalt verbundenen Rettungsdienst verwehren dürfen. § 99
GWB ist mit diesem Inhalt europarechtskonform auszulegen.
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Der vom Antragsteller vertretenen Auffassung, der Beschaffungsvorgang teile nicht die
Rechtsnatur der vom Auftragnehmer wahrzunehmenden Aufgabe, ist jedenfalls mit der
daraus abgeleiteten Konsequenz, dass die Beschaffung dem Vergaberechtsregime
unterliege, nicht zuzustimmen. Sofern eine Vertragserfüllung – hier die Wahrnehmung
von Aufgaben des Rettungsdienstes – wegen des damit verbundenen hoheitlichen
Tätigwerdens nur durch Angehörige des Mitgliedstaats in Betracht kommt, muss das
Vergabeverfahren nicht so ausgestaltet sein, dass sich – auf eine europaweite
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Ausschreibung – Angehörige anderer Staaten um den Auftrag bewerben können. Die in
den Art. 45 Abs. 1 und 55 EG statuierte Bereichsausnahme nimmt deshalb die Vergabe
von Rettungsdienstleistungen vollständig aus dem Anwendungsbereich des
Vergaberechts aus.
Einer Anrufung des EuGH zur Vorabentscheidung dieser Rechtsfrage nach Art. 234
Abs. 1 EG bedarf es nicht. Der Begriff der Ausübung öffentlicher Gewalt ist in den
Entscheidungen des EuGH hinreichend geklärt. Der Streitfall betrifft lediglich die
Subsumtionsfrage, ob bestimmte Aufgaben des Rettungsdienstes diesem Begriff
unterfallen. Die aufgrund der Subsumtion zu treffende Einzelfallentscheidung ist eine
Aufgabe der nationalen Gerichte.
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Die Entscheidung über die Kosten und Auslagen beruht auf § 128 Abs. 3 S. 1, Abs. 4
S. 2 GWB, §§ 91, 101 Abs. 1 ZPO. Gründe, die der Beigeladenen im Verfahren vor der
Vergabekammer entstandenen Auslagen in entsprechender Anwendung von § 162
Abs. 3 VwGO aus Billigkeit dem Antragsteller aufzuerlegen, liegen nicht vor.
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D. D.-B. F.
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