Urteil des OLG Düsseldorf vom 16.01.2002
OLG Düsseldorf: juristische person, gesellschaft, geschäftsführer, verantwortlichkeit, unternehmen, aufgabenteilung, geschäftsführung, geschäftsleitung, ausnahmefall, sicherheit
Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Oberlandesgericht Düsseldorf, 2b Ss (OWi) 02/01 - (OWi) 75/01 IV
16.01.2002
Oberlandesgericht Düsseldorf
4. Senat für Bußgeldsachen
Beschluss
2b Ss (OWi) 02/01 - (OWi) 75/01 IV
Das angefochtene Urteil wird mit den zugrunde liegenden Feststel-
lungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch ü-ber die
Kosten des Rechtsmittels, an das Amtsgericht Krefeld zu-
rückzuverweisen.
G r ü n d e:
Betriebes einer genehmigungsbedürftigen Anlage vor Vorliegen des Bescheides der
zuständigen Behörde gemäß § 15 BImSchG zu einer Geldbuße von DM 2.150,-- gemäß §§
62 Abs. 2 Nr. 1, 15 Abs. 1 BImSchG, 8, 9 OWiG verurteilt. Die hiergegen gerichtete
Rechtsbeschwerde, mit der der Betroffene die Verletzung materiellen Rechts rügt, hat
(vorläufig) Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der angegriffenen Entscheidung und
Zurückweisung der Sache an das Amtsgericht. I. 1. Das Amtsgericht hat im wesentlichen
folgende Feststellungen getroffen: "Der Betroffene ist gemeinsam mit Herrn Dr. D... als
Geschäftsführer der ... ... GmbH und Co. KG in K... tätig. Beide Geschäftsführer sind
berechtigt, die Gesellschaft nach außen allein zu vertreten. Intern haben beide eine
Aufgabenteilung dergestalt vereinbart, dass Dr. D... für Technik und Betrieb und der
Betroffene für den kaufmännischen Bereich und den Vertrieb verantwortlich sind.
Im Jahres 2000 beabsichtigte die Gesellschaft, die bis dahin als Zweischichtbetrieb geführt
wurde, zusätzlich montags bis samstags von 22:00 Uhr bis 6:00 Uhr eine dritte Schicht
einzuführen. Dies zeigte die Gesellschaft dem staatlichen Umweltamt K... am 9. Juni 2000
an. Daraufhin versandte dieses am 3. Juli 2000 ein Schreiben an die GmbH und Co. KG, in
dem mitgeteilt wurde, dass die Anzeige unvollständig sei, da Betriebsbeschreibung und
Kapazitätsangaben fehlten. Mit Schreiben vom 14. Juli 2000, welches beim staatlichen
Umweltamt am 19. Juli 2000 einging, beantwortete die GmbH und Co. KG das Schreiben
des StUA. Da Kapazitätsangaben noch immer fehlten, mahnte die Zeugin J... als
zuständige Sachbearbeiterin des StUA die Einreichung der entsprechenden Unterlagen
telefonisch bei der GmbH und Co. KG an. Am 14. August 2000 lagen die vollständigen
Unterlagen dem StUA vor, welche sodann mit Bescheid vom 15. August 2000 der GmbH
und Co. KG mitteilte, dass der Dreischichtbetrieb aufgenommen werden dürfe und es sich
nicht um eine wesentliche Änderung im Sinne des § 16 BImSchG handele.
Tatsächlich wurde bereits am 7. August 2000 bei der GmbH und Co. KG im
Dreischichtbetrieb gearbeitet, was durch den Streifendienst des StUA K... in der Zeit
zwischen 22:15 Uhr und 23:15 Uhr festgestellt wurde."
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2. Das Amtsgericht hat die Frage, ob der Betroffene trotz der innerbetrieblichen
Geschäftsverteilung für den festgestellten Verstoß gegen § 15 Abs. 1 BImSchG
verantwortlich ist, nicht zutreffend beurteilt.
Die in § 15 Abs. 1 BImSchG normierten Anzeigepflichten bei Änderung
genehmigungsbedürftiger Anlagen richten sich gegen den Betreiber einer Anlage, hier der
GmbH und Co. KG als juristische Person sowie gegen die ihr gleichgestellten
Vertretungsorgane, hier die Geschäftsführer, § 9 Abs. 1 Nr. 1 OWiG. Wird der Normadressat
- wie vorliegend - durch mehrere Organe vertreten, ist im Falle des Unterlassens einer
ordnungsrechtlich gebotenen Pflicht die interne Zuständigkeit des vertretungsberechtigten
Organs beachtlich (vgl. Göhler, OWiG, 12. Aufl. 1998, § 9, Rdnr. 15; OLG Koblenz, VRS 39,
118, 119; GewArch 1987, 242; OLG Hamm, NJW 1971, 817; OLG Naumburg, NStZ 1998,
450 = NZV 1998, 41). Grundsätzlich darf sich ein unzuständiges Organ bei
Aufgabenteilung darauf verlassen, dass die zuständigen Organe die ihnen obliegenden
Pflichten erfüllen. Eine allgemeine gegenseitige Überwachungspflicht gleichberechtigter
Organe ohne besondere Veranlassung besteht nicht (vgl. OLG Naumburg, a. a. O.; Göhler,
a. a. O.), denn sie würde dem Sinn einer - in großen Betrieben sogar notwendigen -
Arbeitsteilung zuwiderlaufen. Eine Überwachungspflicht unzuständiger gegenüber
zuständigen Organen ist nur ausnahmsweise anzunehmen, wenn mit der Begehung einer
Ordnungswidrigkeit durch das zuständige Organ zu rechnen ist, sei es auf Grund allgemein
nachlässigen Verhaltens oder auf Grund früherer Verstöße. Nach diesen Maßstäben
handelt das unzuständige Organ vorsätzlich ordnungswidrig, wenn es Verstöße des
zuständigen Organs erkennt und gleichwohl nicht einschreitet. Ein Fahrlässigkeitsvorwurf
ist ihm nur unter der Voraussetzung zu machen, dass es nicht einschreitet, obwohl sich ihm
die fraglichen Pflichtverletzungen des zuständigen Organs aufdrängen musste oder Anlass
bestand, sich auf Grund früherer Unregelmäßigkeiten um die Angelegenheiten des
zuständigen Organs zukommen (vgl. OLG Naumburg, a. a. O.).
Nach den amtsgerichtlichen Feststellungen bestand zwischen den Vertretungsorganen der
GmbH und Co. KG eine interne Zuständigkeitsregelung der Art, dass der Betroffene für den
kaufmännischen Bereich und den Vertrieb verantwortlich war, während der
Mitgesellschafter Dr. D... für Technik und Betrieb des Unternehmens zuständig war. Da die
Beachtung der umweltschutzrechtlichen Vorschriften, insbesondere der Anzeigepflichten
nach dem BImSchG (§ 15 BImSchG) im Zusammenhang mit der Umstellung des
Unternehmens von Zweischicht- auf Dreischichtbetrieb in den Geschäftsbereich des
Mitgesellschafters des Betroffenen fiel, war der Betroffene nicht unmittelbar selbst für die
Einhaltung der ordnungsrechtlichen Vorschriften des BImSchG verantwortlich. Für die dem
Verantwortungsbereich des Mitgeschäftsführers zuzurechnenden Ordnungsverstöße gegen
das BImSchG kann der Betroffene bisher, obwohl er in den oben aufgezeigten Grenzen
Normadressat blieb, nicht verantwortlich gemacht werden, denn es fehlt an Feststellungen
dazu, auf Grund welcher konkreten Anhaltspunkte der Betroffene die Unterlassungen des
Mitgeschäftsführers hätte erkennen und dagegen einschreiten müssen.
Entgegen der von der Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Antragsschrift vertretenen
Auffassung kann - auf der Grundlage der bisherigen amtsgerichtlichen Feststellungen -
eine Verantwortlichkeit des Betroffenen für den Verstoß gegen § 15 BImSchG nicht auf die
Ausführungen des Bundesgerichtshofs aus dem Urteil vom 6. Juli 1990 (BGHSt 37, 106ff,
123 = wistra 1990, 342ff, 346) gestützt werden. Zwar hat der Bundesgerichtshof festgestellt,
dass im Prinzip einer Aufteilung der Geschäftsbereiche unter mehreren Geschäftsführern
einer GmbH ohne Einfluss auf die Verantwortung eines jeden Einzelnen für die
Geschäftsführung insgesamt bleibt. Jedoch hat er weiter dargelegt, dass die
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Pflichtenstellung des Geschäftsführers im allgemeinen an den von ihm betreuten
Geschäfts- und Verantwortungsbereich anknüpft. Der Grundsatz der Generalverantwortung
und Allzuständigkeit der Geschäftsleitung greife jedoch dann ein, wo - wie etwa in Krisen-
und Ausnahmesituationen - aus besonderem Anlass das Unternehmen als Ganzes
betroffen ist; dann ist die Geschäftsführung insgesamt zum Handeln berufen. Damit wird
auch vom Bundesgerichtshof die - oben skizzierte - Bedeutung einer internen
Zuständigkeitsverteilung auf die Organe einer juristischen Person für die
ordnungsrechtliche (und auch strafrechtliche) Verantwortung des einzelnen Organs nicht in
Frage gestellt. Der Bundesgerichtshof hat lediglich besonders herausgestellt, dass die
jeweiligen Geschäftbereiche der Organe in Situationen, die die Gesellschaft existenziell
bzw. grundlegend betreffen, ihre Relevanz verlieren können.
Von einem solchen Ausnahmefall ist hier nicht auszugehen. Zwar mag die grundsätzliche
Entscheidung, ob das Unternehmen im Zwei- oder im Dreischichtbetrieb geführt werden
soll, von derart herausragender Bedeutung für die Gesellschaft sein, dass hier die
Allzuständigkeit der Geschäftsführer eingreift. Die zur Umsetzung einer solchen
Entscheidung in technischer Hinsicht zu treffenden Maßnahmen (wozu auch die Einhaltung
der hiermit verbundenen rechtlichen Regelungen zählt) stellen dagegen nicht ein Problem
dar, das nur "ressortübergreifend" und unter Aufhebung der bestehenden
Kompetenzverteilung gelöst werden kann und muss.
II. Die aufgezeigten Mängel nötigen zur Aufhebung und Zurückverweisung der Sache.
Entgegen dem Antrag der Rechtsbeschwerde ist die Sache nicht entscheidungsreif. Es
kann nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden, dass noch
Feststellungen getroffen werden können, die - trotz der bestehenden
Zuständigkeitsverteilung der Geschäftsbereiche - eine ordnungsrechtliche
Verantwortlichkeit des Betroffenen (so bei Kenntnis der maßgeblichen Vorgänge)
rechtfertigen könnten. Der Senat sieht keinen Anlass, die Sache an eine andere als die
bisher zuständige Abteilung des Amtsgerichts zurückzuverweisen.