Urteil des OLG Düsseldorf vom 27.05.2008

OLG Düsseldorf: pflichtverteidiger, strafbefehlsverfahren, einspruch, gebühr, beratung, vorverfahren, form, bewährung, beschränkung, einsichtnahme

Oberlandesgericht Düsseldorf, III-3 Ws 160/08
Datum:
27.05.2008
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
3. Senat für Straf, - und Bußgeldsachen
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
III-3 Ws 160/08
Tenor:
Die weitere Beschwerde wird als unbegründet verworfen.
G r ü n d e :
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I.
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Nachdem der Angeklagte in der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht ausgeblieben
war und die Staatsanwaltschaft einen Strafbefehlsantrag gestellt hatte, hat das
Amtsgericht dem Angeklagten Rechtsanwalt ......... in ....... gemäß § 408b StPO zum
Pflichtverteidiger für das Strafbefehlsverfahren bestellt. Der sodann erlassene
Strafbefehl ist dem Pflichtverteidiger zugestellt worden. Dieser hat Akteneinsicht
genommen und versucht, mit dem Angeklagten Kontakt aufzunehmen. Da kein
Einspruch eingelegt wurde, ist der Strafbefehl rechtskräftig.
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Der Pflichtverteidiger hat die Grundgebühr Nr. 4100 VV in Höhe von 132 Euro und die
Verfahrensgebühr Nr. 4106 VV in Höhe von 112 Euro zur Festsetzung angemeldet. Der
Rechtspfleger bei dem Amtsgericht hat statt dessen lediglich die Gebühr für eine
Einzeltätigkeit nach Nr. 4302 VV in Höhe von 108 Euro festgesetzt. Die hiergegen
gerichtete Erinnerung des Pflichtverteidigers hat der Abteilungsrichter als unbegründet
verworfen und die Beschwerde zugelassen. Das Landgericht hat den
Festsetzungsbeschluss auf die Beschwerde des Pflichtverteidigers dahin abgeändert,
dass nicht die Gebühr für eine Einzeltätigkeit, sondern die Grund- und Verfahrensgebühr
aus der Staatskasse zu zahlen sind. Die Strafkammer hat in der Besetzung mit drei
Richtern entschieden und die weitere Beschwerde zugelassen. Der Vertreter der
Staatskasse hat weitere Beschwerde eingelegt und die Wiederherstellung der
amtsgerichtlichen Festsetzung beantragt.
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II.
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Die weitere Beschwerde ist zulässig (§§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 6 Satz 1 RVG),
jedoch nicht begründet.
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Dass bei dem Amtsgericht der Rechtspfleger anstelle des gemäß § 55 Abs. 1 Satz 1
RVG zuständigen Urkundsbeamten der Geschäftsstelle über den Festsetzungsantrag
entschieden hat, ist ungeachtet der Regelung des § 8 Abs. 5 RPflG für das Verfahren
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über die weitere Beschwerde schon deshalb ohne Belang, weil das Landgericht eine
eigene Sachentscheidung getroffen hat.
Das Landgericht hat zugunsten des Pflichtverteidigers für dessen Tätigkeit in dem
Strafbefehlsverfahren zu Recht die Grundgebühr Nr. 4100 VV in Höhe von 132 Euro und
die Verfahrensgebühr Nr. 4106 VV in Höhe von 112 Euro festgesetzt.
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Zwar ist anerkannt, dass die Bestellung eines Pflichtverteidigers nach § 408b StPO
lediglich für das Strafbefehlsverfahren, nicht aber darüber hinaus für das weitere
Verfahren nach Einspruch gegen einen Strafbefehl gilt (vgl. OLG Düsseldorf NStZ 2002,
390; Meyer-Goßner, StPO, 50. Aufl., § 408b Rdn. 6). Hieraus folgt jedoch nicht, dass die
Tätigkeit des nach § 408b StPO bestellten Pflichtverteidigers vergütungsrechtlich
lediglich als Einzeltätigkeit nach Nr. 4302 VV zu beurteilen wäre.
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Nach der Vorbemerkung 4.3 Abs. 1 VV entstehen die Gebühren Nr. 4300 bis 4304 VV
für einzelne Tätigkeiten, ohne dass dem Rechtsanwalt sonst die Verteidigung oder
Vertretung übertragen ist. Der nach 408b StPO bestellte Pflichtverteidiger ist indes
"Vollverteidiger", seine Tätigkeit in dem Strafbefehlsverfahren unterliegt inhaltlich
keinen Beschränkungen. Seine Funktion beschränkt sich ersichtlich nicht etwa darauf,
nach § 145a Abs. 1 StPO den Strafbefehl für den Angeklagten in Empfang zu nehmen
und hiergegen nach dessen Willen oder vorsorglich ggf. Einspruch einzulegen.
Vielmehr gehört zu seinen Aufgaben, dem Angeklagten fachkundige Beratung
zukommen zu lassen und dessen verfahrensmäßigen Rechte in dem
Strafbefehlsverfahren wahrzunehmen. Um dieser Funktion gerecht zu werden, ist der
Pflichtverteidiger gehalten, Einsicht in die Ermittlungsakten zu nehmen und als
fachkundiger Berater mit dem Angeklagten zu erörtern, ob es zweckmäßig erscheint,
Einspruch gegen den Strafbefehl einzulegen. Eine Beschränkung der
Verteidigerbefugnisse besteht wegen der auf das Strafbefehlsverfahren beschränkten
Bestellung lediglich in zeitlicher Hinsicht.
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Dass es sich bei dem nach § 408b StPO bestellten Pflichtverteidiger um einen
"Vollverteidiger" handelt, zeigt auch § 408b Satz 2 StPO mit dem Verweis auf § 141
Abs. 3 StPO, wonach der Pflichtverteidiger auch schon während des Vorverfahrens
bestellt werden kann. Unabhängig davon, ob die Bestellung im Vorverfahren unmittelbar
nach § 141 Abs. 3 StPO oder unter Zwischenschaltung des § 408b Satz 2 StPO erfolgt
ist, kann der Pflichtverteidiger im Vor- und Zwischenverfahren etwa Beweisanträge
stellen, Stellungnahmen abgeben und an Vernehmungen teilnehmen. Dass die
Befugnisse des nach 408b StPO bestellten Pflichtverteidigers inhaltlich in irgendeiner
Form Beschränkungen unterliegen sollen, findet im Gesetzeswortlaut keine Stütze und
läuft dem Sinn und Zweck der Regelung zuwider, den erforderlichen anwaltlichen
Beistand zu gewährleisten, wenn der Richter erwägt, einen Strafbefehl mit der in § 407
Abs. 2 Satz 2 StPO genannten Rechtsfolge (Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr unter
Strafaussetzung zur Bewährung) zu erlassen.
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Dementsprechend hat das LG Bayreuth (StV 1988, 614) vor Inkrafttreten des RVG mit
überzeugender Begründung entschieden, dass es sich bei der Tätigkeit des nach §
408b StPO bestellten Pflichtverteidigers nicht um eine einzelne Tätigkeit im Sinne des §
91 BRAGO handelt. Der Senat schließt sich dieser Auffassung unter Geltung der
Bestimmungen des RVG an. Der nach § 408b StPO bestellte Pflichtverteidiger ist aus
den dargelegten Gründen ein "Vollverteidiger", dessen Tätigkeit nicht nach den
subsidiären Regelungen für bloße Einzeltätigkeiten zu vergüten ist. Vielmehr sind
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vorliegend die Grundgebühr Nr. 4100 VV und die Verfahrensgebühr Nr. 4106 VV
angefallen. Dass der Pflichtverteidiger nach Einsichtnahme in die Ermittlungsakten
keinen Kontakt zu dem Angeklagten herstellen und deshalb eine Beratung nicht
stattfinden konnte, ändert hieran nichts.
Das Verfahren über die weitere Beschwerde ist gebührenfrei; Kosten werden nicht
erstattet (§ 56 Abs. 2 Satz 2 u. 3 RVG).
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