Urteil des OLG Düsseldorf vom 09.02.2006

OLG Düsseldorf: gebühr, aufwand, kostendeckungsprinzip, rücknahme, vorrang, billigkeit, ermessen, rügeobliegenheit, amtshandlung, erfahrung

Oberlandesgericht Düsseldorf, VII-Verg 80/05
Datum:
09.02.2006
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
Vergabesenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
VII-Verg 80/05
Tenor:
Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen die Gebühren-
festsetzung im Beschluss der Vergabekammer bei der Bezirksre-gierung
Köln vom 17. Oktober 2005 (VK VOL 19/2005) wird auf ihre Kosten
zurückgewiesen.
Streitwert für das Beschwerdeverfahren: 300 Euro
(Hier Freitext: Tatbestand, Gründe etc.)
1
A. Die Antragstellerin nahm auf den Hinweis der Vergabekammer, der
Nachprüfungsantrag sei nach Aktenlage ohne mündliche Verhandlung als offensichtlich
unzulässig zurückzuweisen (§ 112 Abs. 1 S. 2 GWB), den Antrag zurück. Mit dem
angefochtenen Beschluss ermäßigte die Vergabekammer die anhand der
Gebührentabelle der Vergabekammern des Bundes (Stand 1.1.2003) nach dem
Bruttoauftragswert berechnete Gebühr auf die Hälfte und setzte einen Gebührenbetrag
von 1.292 Euro gegen die Antragstellerin fest.
2
Mit ihrer sofortigen Beschwerde macht die Antragstellerin geltend, die Gebühr habe -
wenn darauf nicht sogar ganz zu verzichten sei - aus Gründen der Billigkeit unter
Berücksichtigung des tatsächlichen Aufwandes weiter reduziert werden müssen.
3
B. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg. Die Antragstellerin hat keine weitere
Herabsetzung der Gebühr für das Verfahren der Vergabekammer (§ 128 Abs. 1 GWB)
zu beanspruchen.
4
1. Der Senat hat das von den Vergabekammern angewandte System der nach
Auftragswerten tabellarisch gestaffelten Gebührensätze und die hieran anknüpfende
Bemessung der Gebühr im Rahmen der durch § 128 Abs. 1 und 2 GWB gesetzlich
vorgegebenen Bewertungsmaßstäbe bereits in früheren Entscheidungen gebilligt (vgl.
OLG Düsseldorf, Beschl. v. 6.10.2003 – Verg 33/03; Beschl. v. 7.1.2004 – VII-Verg
55/02, beide zu der seit dem 1.1.2003 angewandten Gebührentabelle). Daran ist
festzuhalten. § 128 Abs. 2 GWB enthält den Grundsatz, dass sich die Höhe der für die
Amtshandlungen der Vergabekammer zu erhebenden Gebühren nach dem personellen
und sachlichen Aufwand der Vergabekammer unter Berücksichtigung der
5
wirtschaftlichen Bedeutung des Gegenstands des Nachprüfungsverfahrens richtet.
Ähnlich wie bei der das Kartellverwaltungsverfahren betreffenden Bestimmung in § 80
Abs. 2 Satz 1 GWB legt die Voranstellung des "personellen und sachlichen Aufwandes"
im Wortlaut der Vorschrift auch hier zwar die Auslegung nahe, dieses Kriterium habe
den Vorrang vor dem nur zu "berücksichtigenden" Element der wirtschaftlichen
Bedeutung des Gegenstands des Nachprüfungsverfahrens. Tatsächlich kommt dem
personellen und sachlichen Aufwand (als Ausdruck des sog. Kostendeckungsprinzips) -
eben-so wie im Kartellverwaltungsverfahren - jedoch kein Vorrang vor der
wirtschaftlichen Bedeutung der Sache zu, sondern stellt die wirtschaftliche Bedeutung
des Gegenstands des Nachprüfungsverfahrens (und mit ihr das sog. Äquivalenzprinzip)
den in erster Linie maßgebenden Anknüpfungspunkt für die Gebührenbemessung dar
(vgl. zu der auf die Gebührenfestsetzung im Vergabenachprüfungsverfahren
übertragbaren Rechtslage im Kartellverwaltungsverfahren: OLG Düsseldorf, Beschl. v.
25.4.2000 – Kart 2/00 (V), WuW/E DE-R 514, 519 f. – "Tequila"; KG WuW/E OLG 1545,
1546 – "Exportagentur für chemische Rohstoffe"; Bechtold, GWB, 3. Aufl., § 80 GWB
Rn. 5 m.w.N., und zur Rechtslage nach § 128 Abs. 2 GWB: Bechtold, § 128 GWB Rn. 2;
Noelle in Byok/Jaeger, Komm. zum Vergaberecht, 2. Aufl., § 128 GWB Rn. 1346
m.w.N.). Hinsichtlich des Bemessungskriteriums der wirtschaftlichen Bedeutung hat die
Vergabekammer als die mit dem Verfahren befasste sachnächste Stelle einen
Bewertungsspielraum, so dass die Aufhebung einer Gebührenfestsetzung nur angezeigt
sein kann, sofern das Äquivalenzprinzip grob missachtet worden ist (vgl. OLG
Düsseldorf WuW/E DE-R 519, 520 - "Tequila" - m.w.N.). Das die Verknüpfung mit dem
personellen und sachlichen Aufwand herstellende Kostendeckungsprinzip ist damit
nicht außer Kraft gesetzt. Denn je gewichtiger die in der Höhe des Auftragswerts zum
Ausdruck kommende wirtschaftliche Bedeutung eines Nachprüfungsverfahrens ist,
desto höher wird bei pflichtgemäßer Amtsausübung in der Regel auch der personelle
und sachliche Aufwand der Vergabekammer sein (vgl. KG WuW/E OLG 1545, 1546 –
"Exportagentur für chemische Rohstoffe"). Darüber hinaus werden erfahrungsgemäß
proportional mit einer Erhöhung der Auftragswerte die Fälle durch eine in der Regel
gleichzeitig eintretende Zunahme des Streitstoffs in tatsächlicher und rechtlicher
Hinsicht komplex und schwieriger lösbar. Die Entscheidung über den
Nachprüfungsantrag erfordert deswegen bei höheren Auftragswerten im Allgemeinen
auch einen in sachlicher und personeller Hinsicht höheren Aufwand. Einzelfällen, in
denen die Erfahrung eines dem Auftragswert entsprechenden Aufwands sich nicht
bestätigt (oder in denen sie sogar widerlegt ist), kann im gegebenen Fall durch eine
Ermäßigung (oder auch durch eine Erhöhung) der Gebühr entsprochen werden. Das
folgt aus dem Kostendeckungsgrundsatz, wonach dem im jeweiligen
Nachprüfungsverfahren konkret angefallenen personellen und sachlichen Aufwand der
Vergabekammer gegenüber dem generalisierenden Gebührenansatz nach der
wirtschaftlichen Bedeutung der Sache eine korrigierende Funktion zukommen kann
(und u.U. sogar muss; vgl. Noelle in Byok/Jaeger, § 128 GWB Rn. 1346, 1367). Auch bei
der Bewertung des personellen und sachlichen Aufwands ist der Vergabekammer ein
nur begrenzt kontrollierbarer Bewertungsspielraum zuzuerkennen.
Nimmt der Antragsteller - wie im vorliegenden Fall - den Nachprüfungsantrag vor der
Entscheidung der Vergabekammer zurück, trägt das Gesetz in § 128 Abs. 3 Satz 3 GWB
dem Umstand, dass in solchen Fällen in der Regel kein dem Auftragswert äquivalenter
Aufwand entsteht, sondern der Erledigungsaufwand typischerweise geringer ist, in der
Weise Rechnung, dass die Gebühr pauschal auf die Hälfte zu ermäßigen ist. Unter der
"Hälfte der Gebühr" ist die Hälfte der ansonsten angemessenen Ausgangsgebühr zu
verstehen. Das bedeutet, dass vor dem Rechenschritt der Halbierung der Gebühr
6
gemäß dem Kostendeckungsprinzip - im oben dargestellten Sinn - unter dem
Gesichtspunkt des personellen und sachlichen Aufwands mögliche Ermäßigungen
(aber auch mögliche Erhöhungen) der Gebühr zu prüfen sind (ebenso Lausen,
VergabeR 2003, 527, 531; Noelle in Byok/Jaeger, § 128 GWB Rn. 1369).
Im Anschluss an die Halbierung der Gebühr kann eine weitere Herabsetzung der
Gebühr nur noch aus Gründen der Billigkeit gemäß § 128 Abs. 3 Satz 4 GWB
gerechtfertigt sein. Hierbei ist das Verbot zu beachten, dieselben Gesichtspunkte, die
schon bei einem früheren Prüfungsschritt zu einer Reduzierung der Gebühr geführt
haben, für eine solche Ermäßigung der Gebühr ein weiteres Mal heranzuziehen (vgl.
auch Lausen, VergabeR 2003, 527, 531; Noelle in Byok/Jaeger, § 128 GWB Rn. 1015).
Namentlich kann allein darauf, dass die Vergabekammer infolge der Antragsrücknahme
weder mündlich verhandeln noch eine Sachentscheidung treffen musste, eine weitere
Gebührenermäßigung nicht gestützt werden, da diesen Umständen im Gesetz (vgl.
§ 128 Abs. 3 S. 3 GWB), und zwar durch die Halbierung der Gebühr, bereits Rechnung
getragen ist. Unter Umständen kann z.B. aber der Zeitpunkt der Rücknahme des
Nachprüfungsantrags zu einer weiteren Herabsetzung der Gebühr aus
Billigkeitsgründen führen. Nach dem Wortlaut von § 128 Abs. 3 Satz 4 GWB ("kann") hat
die Vergabekammer darüber nach ihrem Ermessen zu entscheiden.
7
2. Ausgehend von diesem Vorverständnis ist im vorliegenden Fall eine (von der
Beschwerde angestrebte) weitere Ermäßigung der festgesetzten Gebühr nicht geboten.
Die Antragstellerin schuldet als Veranlasser der Amtshandlung ungeachtet der
Rücknahme des Nachprüfungsantrags eine Gebühr für das Verfahren der
Vergabekammer (vgl. § 128 Abs. 1 GWB in Verbindung mit § 13 Abs. 1 Nr. 1
Verwaltungskostengesetz). Im Streitfall hat die Vergabekammer im Ausgangspunkt
anhand des Auftragswerts eine zutreffende Regelgebühr von 2.584 Euro ermittelt, die
der wirtschaftlichen Bedeutung der Angelegenheit entspricht. Von der vor dem Schritt
einer Halbierung der Gebühr (vgl. § 128 Abs. 3 S. 3 GWB) gegebenen Möglichkeit, die
Gebühr wegen des personellen und sachlichen Aufwandes herabzusetzen, hat die
Vergabekammer keinen Gebrauch gemacht. Vor dem Hintergrund, dass ihr dabei ein
Bewertungsspielraum zuzuerkennen ist, kann dies nicht beanstandet werden. Das
ergibt sich aus dem Gang des Nachprüfungsverfahrens: Die Sache war bis zur
Erklärung der Antragsrücknahme durch Antragsschrift nebst Begründung,
Antragserwiderung und Replik der Antragstellerin "ausgeschrieben". Danach hat die
Vergabekammer unter Hinweis auf eine offensichtliche Unzulässigkeit des
Nachprüfungsantrags angekündigt, über den Antrag im schriftlichen Verfahren zu
entscheiden (vgl. § 112 Abs. 1 S. 2 GWB). Die Gründe, die in der Nichtbefolgung der
Rügeobliegenheit nach § 107 Abs. 3 S. 2 GWB lagen, sind der Antragstellerin schriftlich
mitgeteilt worden. Hieraus folgt, dass die Erfolgsaussicht des Nachprüfungsantrags von
der Vergabekammer geprüft worden ist. Bei dieser Sachlage überschreitet die
Entscheidung der Vergabekammer, von einer Ermäßigung der (im nächsten Schritt aus
Gründen der Antragsrücknahme zu halbierenden) Gebühr abzusehen, nicht den ihr bei
der Festsetzung eingeräumten Bewertungsspielraum. Mit Rücksicht auf die sachliche
Prüfung des Nachprüfungsantrags verdient der im Nachprüfungsverfahren entstandene
personelle und sachliche Aufwand nicht als außergewöhnlich gering bezeichnet zu
werden.
8
Die im nächsten Schritt halbierte Gebühr (vgl. § 128 Abs. 3 S. 3 GWB) ist von der
Vergabekammer ermessensfehlerfrei nicht nochmals aus Billigkeitsgründen gemäß
§ 128 Abs. 3 S. 4 GWB reduziert worden. Dem Umstand, dass infolge der
9
Antragsrücknahme eine mündliche Verhandlung und eine Sachentscheidung
entbehrlich wurden, ist durch die Halbierung der Gebühr abschließend Rechnung
getragen. Eine Doppelbewertung ist unzulässig (s.o. S. 5). Der Zeitpunkt der
Antragsrücknahme trägt keine weitere Herabsetzung der Gebühr. Die Antragstellerin hat
den Nachprüfungsantrag zu einem Zeitpunkt zurückgenommen, in dem die
Vergabekammer den Antrag bereits abschließend geprüft hatte. Weitere
Billigkeitsgründe sind von der Antragstellerin weder geltend gemacht worden, noch sind
sie sonst zu erkennen.
Die Kostenfolge ergibt sich aus entsprechender Anwendung von § 97 Abs. 1 ZPO.
10
Der Festsetzung des Gegenstandswerts hat der Senat den Mindeststreitwert zugrunde
gelegt.
11
D. W. F.
12