Urteil des OLG Düsseldorf vom 09.07.2004

OLG Düsseldorf: ordre public, anerkennung, verordnung, mitgliedstaat, division, zwangsvollstreckung, vollstreckbarerklärung, anwendungsbereich, niederlassung, verwalter

Oberlandesgericht Düsseldorf, I-3 W 53/04
Datum:
09.07.2004
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
3. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
I-3 W 53/04
Tenor:
Das Rechtsmittel des Antragsgegners wird auf seine Kosten
zurückgewiesen.
Wert des Beschwerdegegenstandes: 4.000,- Euro.
G r ü n d e :
1
I.
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Die I. GmbH (HRB X. AG Neuss) wurde 1979 mit einem Stammkapital von 500.000,- DM
gegründet. Alleingesellschafterin ist die P. Beteiligungs-GmbH. Alleingeschäftsführerin
der I. Deutschland GmbH ist Frau F..
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Unter dem 16. Mai 2003 ordnete der High Court of Justice in Leeds auf Antrag des
englischen Geschäftsführers der P. Beteiligungs-GmbH R. die Eröffnung des
Insolvenzverfahrens in Bezug auf die I. Deutschland GmbH an ("Administration-Order")
und bestellte die Herren K., G. und T., Partner bei PC. zu gemeinschaftlichen
Insolvenzverwaltern ("Joint Administrators").
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Unter dem 17./19. Mai 2003 beantragte die Alleingeschäftsführerin die Eröffnung des
Insolvenzverfahrens über das Vermögen der I. Deutschland GmbH.
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Mit Beschluss vom 19. Mai 2003 (502 IN 124/03) bestellte das Insolvenzgericht
Düsseldorf den Beschwerdeführer zum vorläufigen Insolvenzverwalter über das
Vermögen der I. Deutschland GmbH.
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Am 6. Juni 2003 stellte das Insolvenzgericht Düsseldorf - 502 In 124/03 - im
Beschlusswege fest, dass die Administration Order des High Court of Justice in Leeds
vom 16. Mai 2003 für das in Düsseldorf anhängige Insolvenzverfahren keine
Rechtswirkungen entfalte, da es sich bei der I. Deutschland GmbH um ein im
Handelsregister Neuss eingetragenes wirtschaftlich und rechtlich selbständiges
Unternehmen handele.
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Am 10. Juli 2003 eröffnete das Insolvenzgericht Düsseldorf das Insolvenzverfahren über
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das Vermögen der I. Deutschland GmbH unter gleichzeitiger Bestellung des
Beschwerdeführers zum Insolvenzverwalter.
Der Beschwerdegegner bzw. die Joint Administrators legten gegen den
Insolvenzeröffnungsbeschluss Beschwerde ein, die sie kurz darauf zurücknahmen.
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Unter dem 21. November 2003 änderte der High Court of Justice in Leeds seine
Administration Order vom 16. Mai 2003 ("Amended Administration Order") ab.
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Der Antragsteller hat unter dem 21. Oktober/4. Dezember 2003 beantragt,
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die Amended Administration Order (No 861 to 876 of 2003) des High Court of
Justice in Leeds, England vom 16. Mai 2003 in der geänderten Fassung vom 21.
November 2003 für vollstreckbar zu erklären.
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Die Vorsitzende der 13. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf hat am 5. Januar
2004 beschlossen:
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a. Die Administration Order des High Court of Justice - Chancery division - Nr. 861
bis 876 aus2003 vom 16. Mai 2003, in Verbindung mit der Amended
Administration Order vom 21. November 2003 ist mit folgendem Tenor mit der
Vollstreckungsklausel zu versehen:
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Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens in Bezug auf die I. Deutschland GmbH
wird angeordnet.
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Zu den Befugnissen der Administratoren gehört insbesondere, aber ohne darauf
beschränkt zu sein, das Vermögen der Gesellschaft in Besitz zu nehmen,
einzuziehen und Vermögenswerte beizutreiben."
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Gegen diesen Beschluss beschwert sich der Antragsgegner mit dem Antrag, den
angefochtenen Beschluss des Landgerichts zu ändern und das Gesuch auf Zulassung
der Zwangsvollstreckung und Klauselerteilung aus der Administration Order vom 16.
Mai 2003 des High Court of Justice, Leeds, Nr. 861 - 876/ 2003 in Verbindung mit der
Amended Administration Order vom 21. November 2003 zurückzuweisen.
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Er hat zunächst vorgetragen, die Administration Order des High Court of Justice, Leeds,
Nr. 861 - 876/ 2003 vom 16. Mai 2003 sei mit dem deutschen
Insolvenzeröffnungsbeschluss vom 10. Juli 2003 im Sinne des Art. 34 Ziffer 3 EuGVVO
unvereinbar. Der Antragsteller ist dem entgegen getreten.
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Am 8. März 2004 beantragten die Joint-Administrators die Eröffnung eines
Sekundärinsolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin.
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Am 12. März 2004 stellte das Amtsgericht Düsseldorf auf die Beschwerde des Joint-
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Administrators gegen den Insolvenzeröffnungsbeschluss des Insolvenzgerichts
Düsseldorf das Insolvenzverfahren gemäß Art. 102 § 4 Abs. 1 Satz 1 EGInsO zu
Gunsten der Verfahrenseröffnung vom 16. Mai 2003 vor dem High Court of Justice,
Leeds (NO 861-867/03) ein, eröffnete mit Beschluss vom selben Tage (502 IE 1/04) ein
Sekundärinsolvenzverfahren nach Art. 3 Abs. 2, Art. 27 Verordnung (EG) Nr. 1346/2000
des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren (EuInsVO) und bestellte den
Beschwerdeführer zum Insolvenzverwalter.
Der Beschwerdeführer macht nunmehr geltend, die im Staat der Eröffnung des
Sekundärverfahrens belegenen Vermögensgegenstände und Rechtsverhältnisse
könnten nicht mehr in das Hauptverfahren einbezogen werden; sie bildeten die
Insolvenzmasse des Sekundärverfahrens. Eine Zwangsvollstreckung und
Klauselerteilung aus der Administration Order vom 16. Mai 2003 des High Court of
Justice, Leeds, Nr. 861 - 867/2003 in Verbindung mit der Amended Administration Order
vom 21. November 2003 komme daher seit Eröffnung des Sekundärverfahrens in
Deutschland nicht mehr in Betracht. Dem widerspricht der Antragsteller.
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Wegen der Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
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II.
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Das zulässige Rechtsmittel hat in der Sache keinen Erfolg.
25
1.
26
a)
27
Prinzipiell führt die Eröffnungsentscheidung des zuständigen Gerichts gemäß Art. 16
Abs. 1 EuInsVO zu einer automatischen Anerkennung in dem gesamten
Anwendungsbereich der Verordnung.
28
b)
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Der einzige Grund für eine Versagung der Anerkennung findet sich in Art. 26 EuInsVO.
Hiernach kann jeder Mitgliedsstaat sich weigern, ein in einem anderen Mitgliedstaat
eröffnetes Insolvenzverfahren anzuerkennen oder eine in einem solchen Verfahren
ergangene Entscheidung zu vollstrecken, soweit diese Anerkennung oder diese
Vollstreckung gegen den ordre - public verstößt, also zu einem Ergebnis führt, das
offensichtlich mit seiner öffentlichen Ordnung, insbesondere mit den Grundprinzipien
oder den verfassungsmäßig garantierten Rechten und Freiheiten des Einzelnen,
unvereinbar ist.
30
c)
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Ziel und Folge der Anerkennung ist die Wirkungserstreckung, dass nämlich die
Eröffnung eines Verfahrens nach Artikel 3 Absatz 1 EuInsVO in jedem anderen
Mitgliedstaat, ohne dass es hierfür irgendwelcher Förmlichkeiten bedürfte, grundsätzlich
die Wirkungen entfaltet, die das Recht des Staates der Verfahrenseröffnung dem
Verfahren beilegt. Die universelle Geltung der Rechtswirkungen des
Hauptinsolvenzverfahrens erfährt allerdings eine Einschränkung insoweit als sie nur
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solange besteht wie in diesem anderen Mitgliedstaat kein Verfahren nach Artikel 3
Absatz 2 EuInsVO eröffnet ist. Ist indes in einem anderen Mitgliedsstaat, in dem der
Schuldner eine Niederlassung hat, ein Sekundärinsolvenzverfahren (Art. 17 Abs. 1
EuInsVO) eröffnet worden, so wird hierdurch die Wirkungserstreckung des
ausländischen Hauptinsolvenzverfahrens auf das in dem anderen Mitgliedsstaat
befindliche Schuldnervermögen gehindert. Die Wirkungen des
Sekundärinsolvenzverfahrens sind auf das im Gebiet des letzteren Mitgliedsstaates
belegene Vermögen des Schuldners beschränkt (Artikel 3 Absatz 2 Satz 2 EuInsVO)
und dürfen in den übrigen Mitgliedsstaaten nicht in Frage gestellt werden (Art. 17 Abs. 2
Satz 1 EuInsVO).
2.
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Dies vorausgeschickt hat das Landgericht zu Recht die " Administration Order des High
Court of Justice - Chancery division - Nr. 861 bis 876 aus 2003 vom 16. Mai 2003, in
Verbindung mit der Amended Administration Order vom 21. November 2003 mit dem
Tenor der Anordnung einer Eröffnung des Insolvenzverfahrens in Bezug auf die I.
Deutschland GmbH für vollstreckbar erklärt.
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a)
35
Die Eröffnungsentscheidung unterliegt gemäß Art. 16 Abs. 1 EuInsVO der
automatischen Anerkennung in dem gesamten Anwendungsbereich der Verordnung,
demnach auch der in der Bundesrepublik Deutschland.
36
b)
37
Gründe für eine Versagung der Anerkennung aus dem Gesichtspunkt eines Verstoßes
gegen den deutschen ordre public (Art. 26 EuInsVO) sind weder dargetan noch sonst
ersichtlich.
38
c)
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Die Eröffnung des Sekundärinsolvenzverfahrens über das Vermögen der I. Deutschland
GmbH (HRB X. AG Neuss) durch das Amtsgericht Düsseldorf (502 IE 2/04) am 7. April
2004 (GA 102 f.) steht der von der Antragstellerin begehrten Vollstreckbarerklärung der
"Administration Order" des High Court of Justice - Chancery division - Nr. 861 bis 876
aus 2003 vom 16. Mai 2003 in Verbindung mit der Amended Administration Order vom
21. November 2003 mit dem Tenor der Anordnung einer Eröffnung des
Insolvenzverfahrens in Bezug auf die I. Deutschland GmbH letztlich nicht entgegen.
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Zwar ist die Wirkungserstreckung der Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens durch
das britische Gericht auf das Inlandsvermögen der Schuldnerin gehindert (Art. 3 Abs. 1
EuInsVO). Dies führt aber nicht zu einer Verweigerung der Vollstreckbarerklärung der
Administration-Order des High Court of Justice in Leeds vom 16. Mai 2003 in
Verbindung mit der in Abänderung derselben erlassenen Amended Administration
Order vom 21. November 2003. Denn zum Einen ist die vorbezeichnete Einschränkung
der Wirkungserstreckung in Art. 26 EuInsVO nicht als Versagungsgrund aufgeführt. Zum
Anderen erscheint es aus Gründen des Gläubigerschutzes gerechtfertigt, dass die
Wirkung des Hauptinsolvenzverfahrens sich - sollte das Hindernis Sekundärverfahren
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entfallen - wiederum auf das Schuldnervermögen im gesamten EU-Raum erstreckt (vgl.
auch Art. 17 Abs. 1 EuInsVO - "solange").
Schließlich sind in Art .31 EuInsVO umfangreiche wechselseitige Kooperations- und
Informationspflichten der Verwalter des Haupt- und des Sekundärinsolvenzverfahrens
vorgesehen, wobei der Gang des Sekundärverfahrens regelmäßig den Bedürfnissen
des Hauptverfahrens untergeordnet ist (vgl. Art 31 Abs. 3 EuInsVO).
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Hiernach bleibt festzuhalten, dass der Vorsitzende der Kammer zu Recht die
Vollstreckungsklausel erteilt hat. Das Rechtsmittel war deshalb mit der Kostenfolge des
§ 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.
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