Urteil des OLG Düsseldorf vom 30.07.2010

OLG Düsseldorf (ehemann, abschluss des vertrages, zeuge, verhältnis zwischen, anlage, bank, erwerb, beratung, höhe, zug)

Oberlandesgericht Düsseldorf, I-9 U 236/09
Datum:
30.07.2010
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
9. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
I-9 U 236/09
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das am 29. Oktober 2009 verkündete
Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Krefeld wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.
Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Klägerin bleibt nachgelassen, die Vollstreckung seitens der
Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund
des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die
Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des von ihr
zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
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I.
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Die Klägerin begehrt von der Beklagten als Rechtnachfolgerin der D... B... AG (im
Folgenden ebenfalls: Beklagte) wegen angeblich unzulänglicher und fehlerhafter
Beratung aus eigenem und abgetretenem Recht ihres Ehemannes Schadensersatz in
Höhe von 64.472,10 € Zug um Zug gegen Rückübertragung von 70
Investmentzertifikaten der L... B... T... C... B.V. (Emittentin), einer niederländischen
Tochtergesellschaft der US-amerikanischen L... B... H... Inc. (Garantin). Die Eheleute
M... sind langjährige Kunden der Beklagten. Sie zeichneten die Zertifikate im Februar
2007 aufgrund eines mit dem Ehemann der Klägerin verabredeten Besuchs des
Mitarbeiters A... der Beklagten im Hause der Eheleute M.... Wegen der Einzelheiten wird
auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil verwiesen.
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Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, weil es keine Pflichtverletzung der
Beklagten feststellen könne. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.
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Gegen dieses Urteil wendet sich die Klägerin mit der Berufung. Sie wiederholt und
vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen und macht im Wesentlichen geltend, sie und ihr
Ehemann hätten nicht über einschlägige Anlageerfahrungen verfügt. Im Februar 2007
sei es ihnen aufgrund ihrer persönlichen und wirtschaftlichen Situation nur noch um eine
den Kapitalerhalt garantierende Anlage gegangen. Das hätten sie Herrn A... mehrfach
deutlich erklärt. Sie hätten bis dahin auch kein mit dem streitgegenständlichen Zertifikat
nur annähernd vergleichbares Produkt im Depot gehabt. Die Funktionsweise des
Zertifikats sei ihnen nicht hinreichend erläutert worden. Ebenso habe Herr A... nicht
ausdrücklich über das Insolvenzrisiko bezüglich der Emittentin aufgeklärt, das im
Februar 2007 angesichts der sich abzeichnenden Subprime-Krise bereits nicht mehr nur
theoretischer Natur gewesen sei. Schließlich sei keine Aufklärung über die Gewährung
einer einmaligen Vertriebsprovision von bis zu 3,5 % und einer laufenden
Folgeprovision von bis zu 0,5 % p.a. erfolgt. Da der Hausbesuch des Herrn A... nicht
auch mit ihr – der Klägerin – abgesprochen worden sei, habe sie mit Schreiben vom
27.01.2010 ihre auf den Erwerb der Zertifikate gerichtete Willenserklärung gemäß § 312
BGB widerrufen.
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Die Klägerin beantragt,
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das Urteil des Landgerichts Krefeld vom 29.10.2009 teilweise abzuändern und die
Beklagte zu verurteilen, an sie – die Klägerin – 64.472,10 € nebst Zinsen in Höhe
von 4 % seit dem 16.02.2009 Zug um Zug gegen Übertragung von 70 Stück
Investmentzertifikaten L... B... TREAS. CO. B.V. G... C... ZT07 (13.5.10), WP KN ...,
zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie trägt im Wesentlichen vor, ihr Mitarbeiter A... habe die Eheleute M... bei dem
Verkaufsgespräch anhand der Produktbeschreibung (Anl. BB 2) über Funktionsweise,
Chancen und Risiken des Zertifikats und darüber informiert, dass sie durch den Verkauf
Erträge erziele, die jedoch von den Eheleuten nicht gesondert aufgebracht werden
müssten, obwohl sie zu einem solchen Hinweis beim Verkauf von Zertifikaten und dazu
noch im Eigenhandel nicht verpflichtet gewesen sei. Darüber hinaus habe sich schon
auf früheren Wertpapierabrechnungen auf der Rückseite ein Hinweis befunden, dass ihr
von dritter Seite geldwerte Vorteile gewährt werden könnten. Den Eheleuten M... sei
auch zu keinem Zeitpunkt vorgespiegelt worden, Verluste seien bei dem Zertifikat
ausgeschlossen. Eines besonderen Hinweises auf das Emittentenrisiko habe es im
Beratungsgespräch nicht bedurft. Im Übrigen sei ein solcher Hinweis in der den
Eheleuten von Herrn A... überreichten Kurzbeschreibung enthalten. Die Vermutung
aufklärungspflichtigen Verhaltens bei ordnungsgemäßer Aufklärung greife hier nicht.
Zum einen habe es verschiedene Möglichkeiten aufklärungsrichtigen Verhaltens
gegeben, zum anderen hätten die Eheleute M... auch nach Übersendung der
"Informationen zum Wertpapiergeschäft" (Anl. BB 5) im September 2007 an der Anlage
festgehalten und weitere vergleichbare Geldanlagen erworben. Dass die angeblich
nicht objektgerechte Beratung nicht kausal für den Erwerb der Zertifikate gewesen sei,
ergebe sich schließlich auch daraus, dass die Klägerin mehrfach in erster Instanz
vorgetragen habe, entscheidend für ihre Anlagen sei – wie schon in der Vergangenheit -
die Frage gewesen, ob sich Herr A... selbst vorstellen könne, sein Geld ebenso zu
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investieren.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zur Akte
gereichten Schriftsätze nebst Anlagen und auf die Sitzungsniederschriften beider
Rechtszüge Bezug genommen.
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Der Senat hat die Klägerin persönlich angehört und ihren Ehemann sowie den
Mitarbeiter A... der Beklagten zum Inhalt des Verkaufsgesprächs im Hause der Klägerin
im Februar 2007 als Zeugen vernommen. Auf das Protokoll der mündlichen
Verhandlung am 17.05.2010 wird verwiesen (Bl. 211 ff. GA).
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II.
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Die zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Die Beklagte ist der Klägerin
nicht gemäß §§ 280 Abs. 1, 398 BGB in Verbindung mit einem Beratungsvertrag wegen
des Erwerbs der L...-Zertifikate im Februar 2007 zum Schadensersatz verpflichtet.
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Zwischen den Eheleuten M... und der Beklagten, hier handelnd durch den Zeugen A...,
ist durch die Aufnahme des Verkaufsgesprächs im Hause M... Anfang Februar 2007
stillschweigend ein Beratungsvertrag zustande gekommen. Inhalt und Umfang der sich
daraus für die Beklagte ergebenden Beratungspflichten sind von einer Reihe von
Faktoren abhängig, die sich einerseits auf die Person des Kunden und andererseits auf
das Anlageprojekt beziehen. Zu den Umständen in der Person des Kunden gehören
insbesondere dessen Wissensstand über Anlagegeschäfte der vorgesehenen Art und
dessen Risikobereitschaft; zu berücksichtigen ist also vor allem, ob es sich bei dem
Kunden um einen erfahrenen Anleger mit einschlägigem Fachwissen handelt und
welches Anlageziel der Kunde verfolgt. Die empfohlene Anlage muss unter
Berücksichtigung dieses Ziels auf die persönlichen Verhältnisse des Kunden
zugeschnitten, also "anlegergerecht” sein. In Bezug auf das Anlageobjekt hat sich die
Beratung auf diejenigen Eigenschaften und Risiken zu beziehen, die für die jeweilige
Anlageentscheidung wesentliche Bedeutung haben oder haben können. Dabei ist
zwischen den allgemeinen Risiken (Konjunkturlage, Entwicklung des Börsenmarktes)
und den speziellen Risiken zu unterscheiden, die sich aus den individuellen
Gegebenheiten des Anlageobjekts (Kurs-, Zins- und Währungsrisiko) ergeben. Die
Beratung der Bank muss richtig und sorgfältig, dabei für den Kunden verständlich und
vollständig sein und zeitnah über alle Umstände unterrichten, die für das
Anlagegeschäft von Bedeutung sind (vgl. BGH NJW 1993, 2433 m.w.N.).
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Nach diesen Maßstäben ist nach Anhörung der insoweit darlegungs- und
beweispflichtigen Klägerin und der Vernehmung ihres Ehemanns sowie des
Mitarbeiters A... der Beklagten als Zeugen eine Pflichtverletzung auf Seiten der
Beklagten nicht festzustellen:
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Die Empfehlung des Zeugen A... im Februar 2007, die "Global Champion"-Zertifikate
der L... B... Treasury Co. B.V. zu erwerben, entsprach dem damaligen Profil der Klägerin
und ihres Ehemanns als chancenorientierte Anleger. Sie waren bereits seit mehr als
zehn Jahre im Wertpapierbereich aktiv. Nach den unwidersprochen gebliebenen
Darlegungen der Beklagten in der Klageerwiderung vom 09.09.2009 (Bl. 45 GA) hatten
sie seit 2003 acht verschiedene Aktienfonds, darunter auch einen mit einem
zusätzlichen Währungsrisiko behafteten Fremdwährungsfonds in US-Dollar erworben.
Darüber hinaus hatten sie bereits im Jahre 2004 "D... B... Barriere"-Zertifikate
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gezeichnet. Der Ehemann der Klägerin, unstreitig der Gesprächsführer in
Wertpapierangelegenheiten auf Seiten der Eheleute M..., verfügte zudem als früherer
Inhaber und Geschäftsführer eines Textilunternehmens über wirtschaftliche Erfahrung
und Verständnis. Er hat denn auch bei seiner Vernehmung bestätigt, es sei Anfang
Februar 2007 um eine zwar sichere, zugleich aber mit einem "vernünftigen" Gewinn
verbundene Anlage gegangen. Es habe eine Anlage mit einem "ausgewogenen
Verhältnis" zwischen Chancen und Risiken gewählt werden sollen, wobei ihm als
Kaufmann bewusst gewesen sei, dass ein höherer Ertrag auch ein höheres Risiko
bedeutete.
Jedenfalls dem Ehemann der Klägerin war auch die Funktionsweise des L...-Zertifikats
hinreichend bekannt. Der Zeuge A... hat dazu ausgesagt, er habe diese bei dem
Anlagegespräch erklärt. Insbesondere habe er erläutert, dass es eine Anbindung an den
Aktienmarkt gebe, und zwar über eine Barriere, die auf Aktienindizes aufbaue. Der
Ehemann der Klägerin konnte sich jedenfalls noch erinnern, dass der Zeuge A... "etwas
von einer Barriere" und von verschiedenen Aktienindizes erzählt habe, die nicht um
mehr als 40 % fallen dürften. Auch wenn der Ehemann der Klägerin naturgemäß nicht
mehr alle Einzelheiten des Gesprächs schildern konnte, hat er dem Senat doch den
Eindruck vermittelt, dass er Charakter und Funktionsweise des Zertifikats damals
verstanden und eine verantwortliche Anlageentscheidung getroffen hatte.
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Die Beweisaufnahme hat auch nicht die schriftsätzliche Behauptung der Klägerin
bestätigt, der Zeuge A... habe geäußert, die Anlage in L...-Zertifikate sei 100 %ig sicher
und über jeden Zweifel erhaben. Die Klägerin mag diesen Eindruck subjektiv gewonnen
haben; bei ihrer Anhörung vor dem Senat konnte sie sich allerdings nicht mehr erinnern,
was der Zeuge zu dem Zertifikat gesagt hatte. Auch ihr Ehemann konnte die
behaupteten Äußerungen nicht bestätigen. Die Anlageempfehlung des Zeugen A... ist
aber auch nicht deshalb zu beanstanden, weil er nicht andererseits ausdrücklich auf das
Risiko eines Totalverlustes durch eine mögliche Insolvenz der Emittentin und der
Garantin hingewiesen hat. Dass jedes private Wirtschaftsunternehmen, auch eine Bank,
theoretisch insolvent werden kann, war jedenfalls dem wirtschaftlich erfahrenen
Ehemann der Klägerin ohnehin bekannt. Ein spezielles Risiko der Insolvenz gerade
bezüglich der L...-Gesellschaften, auf das der Zeuge A... gegebenenfalls hätte
hinweisen müssen, gab es aus damaliger Sicht Anfang Februar 2007 nicht. Die US-
amerikanische Muttergesellschaft genoß als viertgrößte Investmentbank der Welt einen
ausgezeichneten Ruf. Sie wurde trotz der sich bereits 2007 abzeichnenden Subprime-
Krise bis zu ihrer Insolvenz im Jahre 2008 von führenden Ratingagenturen positiv
bewertet. Abweichende Erkenntnisse der Beklagten hat die Klägerin nicht konkret
dargetan.
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Die Beklagte hat auch keine Aufklärungspflicht über Provisionen verletzt. Dabei kann
offenbleiben, ob der Zeuge A... bei dem Beratungsgespräch auf den sich für die
Beklagte ergebenden Ertrag von 3,5 % beim Verkauf der L...-Zertifikate hingewiesen hat,
denn eines solchen Hinweises bedurfte es hier nicht. Es handelte sich nicht um
aufklärungspflichtige Rückvergütungen, die im Rahmen eines Beratungsvertrages über
Fondsbeteiligungen offengelegt werden müssen. Solche liegen nach der
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nur vor, wenn - anders als hier - Teile der
Ausgabeaufschläge oder Verwaltungsgebühren, die der Kunde über die Bank an die
Gesellschaft zahlt, hinter seinem Rücken an die beratende Bank umsatzabhängig
zurückfließen, so dass diese ein für den Kunden nicht erkennbares besonderes
Interesse hat, gerade diese Beteiligung zu empfehlen (vgl. BGH WM 2009, 2306, 2307).
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Hier hat die Beklagte dagegen lediglich eine Provision von 3,5 % des Verkaufspreises
für sich einbehalten, die die Emittentin ihr aus ihrer Marge zugestanden hat. Damit muss
ein Anleger, zumal der in wirtschaftlichen Dingen erfahrene Ehemann der Klägerin, der
nach seinen Angaben selbst als Kaufmann in erheblichem Umfang auf Provisionsbasis
gearbeitet hatte, rechnen; eine Aufklärungspflicht der beratenden Bank besteht insoweit
nicht (vgl. auch Nobbe, WuB I G 1. - 5.10). Im Übrigen wäre eine etwaige diesbezügliche
Pflichtverletzung der Beklagten aber auch nicht kausal für den Erwerb der Zertifikate
gewesen. Der Ehemann der Klägerin hat dazu als Zeuge ausgesagt, eine Provision in
einer Größenordnung von 3,5 % hätte ihn nicht von der Anlage abgehalten. 7 % wären
"schon etwas anderes gewesen". Für ihn sei entscheidend gewesen, ob er die
Provision zu zahlen hatte. Wenn dies nicht der Fall war, hätten ihn 3,5 % "nicht gestört".
Schließlich ist auch der Widerruf der auf den Abschluss des Vertrages über den Erwerb
der streitgegenständlichen Zertifikate gerichteten Willenserklärung der Klägerin gemäß
Schreiben vom 27.01.2010 nicht rechtswirksam. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob
der erstmals in zweiter Instanz erklärte Widerruf prozessual noch zu berücksichtigen
wäre. Jedenfalls hat das Verkaufsgespräch nicht in einer "Haustürsituation" im Sinne
des § 312 Abs. 1 Nr. 1 BGB stattgefunden. Die Vorschrift will vermeiden, dass ein
Verbraucher durch die Anbahnung eines Vertragsschlusses in einer räumlich
ungewohnten Umgebung überrumpelt und zu einem unüberlegten Geschäftsabschluss
veranlasst wird. Diese Situation lag indes hier nicht vor. Nach der Aussage des
Ehemanns der Klägerin hatte er den Termin in der ehelichen Wohnung mit dem Zeugen
A... vereinbart. Dem waren mehrere Telefonate vorausgegangen. Der Zeuge war
außerdem zuvor schon des Öfteren zu Anlagegesprächen im Haus der Klägerin und
ihres Ehemanns gewesen. Schließlich hat die Klägerin das Anlagegespräch – wie
schon zuvor - weitgehend ihrem Ehemann überlassen und nicht einmal ununterbrochen
daran teilgenommen. Von einer Überrumpelung kann danach nicht die Rede sein.
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Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
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Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO liegen
nicht vor.
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Streitwert für die Berufungsinstanz: 64.472,10 €.
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M... S... D...
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