Urteil des OLG Düsseldorf vom 08.05.2002

OLG Düsseldorf: grundsatz der gleichbehandlung, ausschreibung des auftrags, vergabeverfahren, rügeobliegenheit, ausführung, firma, mitbewerber, ausschluss, marke, absicht

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Oberlandesgericht Düsseldorf, VII-Verg 4/02
08.05.2002
Oberlandesgericht Düsseldorf
Vergabesenat
Beschluss
VII-Verg 4/02
I. Die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss
der 2. Vergabekammer des Bundes vom 17. Januar 2002 (VK 2 - 46/01)
wird zurückgewiesen.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens
einschließlich der notwendigen Auslagen der Antragstellerin.
Die Beigeladene hat ihre notwendigen Auslagen selbst zu tragen.
III. Die Hinzuziehung eines anwaltlichen Bevollmächtigten war für die
Antragstellerin in der Beschwerdeinstanz notwendig.
IV. Der Beschwerdewert wird auf bis 87.100 EUR festgesetzt.
(Hier Freitext: Tatbestand, Gründe etc.)
Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg.
I.
Die Vergabekammer hat - nachdem sich das Nachprüfungsverfahren infolge Aufhebung
der streitgegenständlichen Ausschreibung erledigt hat - gemäß § 114 Abs. 2 Satz 2 GWB
mit Recht festgestellt, dass die Antragsgegnerin die Antragstellerin durch den
Angebotsausschluss in ihren Bieterrechten verletzt hat.
A. Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin ist zulässig.
1. Bedenken an der Antragsbefugnis der Antragstellerin bestehen nicht.
Die Antragsgegnerin meint, die Antragstellerin sei mangels Antragsbefugnis nicht
berechtigt, die Verletzung des Gleichbehandlungsgebots im
Vergabenachprüfungsverfahren geltend zu machen. Antragsbefugt im Sinne von § 107
Abs. 2 GWB sei - so argumentiert sie - nur derjenige Bieter, der ohne den beanstandeten
Vergaberechtsverstoß Chancen auf den Zuschlag gehabt hätte. Das treffe auf die
Antragstellerin nicht zu. Deren Angebot sei wegen Überschreitung des höchstzulässigen
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Schallleistungspegels zwingend von der Wertung auszuschließen gewesen, und es fehle
jedweder Anhaltspunkt, dass die Antragstellerin bei einer erneuten Ausschreibung des
Auftrags die Anforderungen an den Schallleistungspegel einhalten könne. Mangels
diesbezüglichen Sachvortrags sei vielmehr davon auszugehen, dass die Antragstellerin
außer Stande sei, die ausgeschriebenen Lüftungsgeräte mit einem Schallleistungspegel
von maximal 80 dB zu liefern, weshalb sie (die Antragstellerin) auch in einem neuen
Vergabeverfahren keinerlei Aussichten auf den Zuschlag habe. Vor diesem Hintergrund sei
die gerügte Ungleichbehandlung letztlich ohne nachteilige Folgen für die
Zuschlagschancen der Antragstellerin geblieben.
Diesen Überlegungen ist nicht zuzustimmen, weil sie den Besonderheiten des Streitfalles
nicht hinreichend Rechnung tragen.
a) Zutreffend ist der Ausgangspunkt der rechtlichen Überlegungen. Gemäß § 107 Abs. 2
GWB ist ein Unternehmen nur dann antragsbefugt, wenn es (u.a.) darlegen kann, dass ihm
durch die behauptete Verletzung der Vergabevorschriften ein Schaden entstanden ist oder
zu entstehen droht. Sinn und Zweck dieser Vorschrift ist es zu verhindern, dass ein Bieter,
der auch bei ordnungsgemäß durchgeführtem Vergabeverfahren keine Aussicht auf
Berücksichtigung seines Angebots und auf Erteilung des Zuschlags gehabt hätte, ein
Nachprüfungsverfahren einleiten kann. § 107 Abs. 2 GWB normiert insoweit für das
Vergabenachprüfungsverfahren das - bei sämtlichen Rechtsschutzverfahren geltende -
Erfordernis eines Rechtsschutzbedürfnisses. Zur Darlegung der Antragsbefugnis ist ein
Sachvortrag erforderlich, aus dem sich schlüssig und nachvollziehbar ergibt, dass durch
die einzelnen gerügten Verstöße gegen die Vergabevorschriften die Aussichten des
Antragstellers auf den Zuschlag beeinträchtigt worden sind oder dass die
Zuschlagschancen zumindest verschlechtert worden sein können (Senat, NZBau 2001,
106, 111; BayObLG, WuW 1999, 1037, 1044; NZBau 2000, 481, 485; OLG Frankfurt a.M.,
NZBau 2001, 101, 104; OLG Koblenz, NZBau 2000, 534, 537; Boesen, Vergaberecht, §
107 Rdz. 53-56 m.w.N.).
b) Die Antragstellerin ist in diesem Sinne antragsbefugt.
aa) Der zur Beurteilung stehende Sachverhalt zeichnet sich dadurch aus, dass die
Antragsgegnerin bis auf das (Haupt-)Angebot der Beigeladenen sämtliche anderen
Angebote wegen vorhandener Abweichungen von den Vorgaben der
Verdingungsunterlagen (nämlich wegen Überschreitung des maximal zugelassenen
Schallleistungspegels, unterbliebener Aufteilung des Einheitspreises in einen Lohn- und
einen Materialanteil oder wegen des fehlenden Angebots eines Wartungsvertrages) von
der Wertung ausgeschlossen hat, und dass sie - wie nachfolgend noch ausgeführt werden
wird - bei Beachtung des Gleichbehandlungsgebots auch das (Haupt-)Angebot der
Beigeladenen wegen Nichteinhaltung des vorgegebenen Schallleistungspegels hätte
ausschließen müssen. Bei vergaberechtskonformer Verfahrensweise wäre mithin kein
einziges Angebot in die Wertung gelangt. Daraus hätte sich für die Antragsgegnerin die
Notwendigkeit ergeben, das laufende Vergabeverfahren gemäß § 26 Nr. 1 lit. a) VOB/A 2.
Abschnitt aufzuheben und die benötigten Bauleistungen erneut auszuschreiben. Das
belegt im übrigen auch der tatsächliche Fortgang der angegriffenen Ausschreibung. Die
Antragsgegnerin hat das streitbefangene Vergabeverfahren Mitte Dezember 2001
aufgehoben. Zur Begründung hat sie darauf hingewiesen, dass auch das Angebot der
Beigeladenen den Vorgaben der Leistungsbeschreibung widerspreche - wobei freilich
nicht auf die Überschreitung des Schallleistungspegels, sondern auf die zwischenzeitlich
erlangte Erkenntnis abgestellt wurde, dass die Beigeladene an Stelle der
ausgeschriebenen "einseitig saugende(n), freilaufende(n) Radialventilator(en)" (Ziffer 1.1
der Leistungsbeschreibung) zweiseitig saugende Ventilatoren angeboten hat -, so dass
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kein einziges Angebot in der Wertung verblieben sei. In dem entsprechenden
Informationsschreiben an die Bieter vom 17. Dezember 2001 (Bl. 782 f. VK-Akte) hat die
Antragsgegnerin zugleich ihre Absicht bekundet, die Bauleistungen erneut in einem
Offenen Verfahren auszuschreiben.
An dem - bei Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes erforderlich werdenden -
neuen Vergabeverfahren kann sich die Antragstellerin beteiligen und ein (neues) Angebot
abgeben. Die damit verbundene Chance, für die ausgeschriebenen Bauleistungen letztlich
doch noch den Zuschlag zu erhalten, ist der Antragstellerin durch den gerügten
Vergabefehler zunächst einmal genommen worden. Daraus resultiert für die Antragstellerin
zwanglos die Befugnis im Sinne von § 107 Abs. 2 GWB, die Verletzung des
Gleichbehandlungsgebots im Vergabenachprüfungsverfahren geltend zu machen.
bb) Dem kann die Antragsgegnerin nicht mit Erfolg entgegenhalten, die Antragstellerin
könne auch in einem neuen Vergabeverfahren kein zuschlagfähiges Angebot abgeben,
weil die von ihr in der streitgegenständlichen Ausschreibung offerierten Lüftungsgeräte
einen Schallleistungspegel von ​ 80 dB nicht erreichen können. Diese Argumentation ist
aus zwei Gründen nicht stichhaltig.
Sie beruht zum einen auf der Annahme, dass für das neue Vergabeverfahren die
ursprüngliche Leistungsbeschreibung unverändert übernommen wird. Das steht indes
weder fest noch ist dies ohne weiteres anzunehmen. Selbst wenn - wie die Beschwerde
vorträgt - der höchstzulässige Schallleistungspegel von ​ 80 dB unverändert beibehalten
werden soll, kann beispielsweise die in diesem Zusammenhang wichtige Vorgabe des
"einseitig saugende(n), freilaufende(n) Radialventilator(s)" von der Antragsgegnerin fallen
gelassen werden. Immerhin hat die Antragsgegnerin im Verfahren vor der Vergabekammer
zur Deutung ihres Informationsschreibens an die Bieter vom 17. Dezember 2001 geltend
gemacht, dass sich diese Leistungsanforderung überhaupt nicht auf die
Leistungspositionen 1.1.460, 1.1.490, 1.1.520, 1.1.550, 1.1.580 und 1.1.610 beziehe. Auch
wenn diesem Verständnis der Leistungsbeschreibung im Ergebnis nicht beizutreten ist,
weil Ziffer 1.1. der Leistungsbeschreibung mit der Formulierung
"Für die nachfolgenden Positionen ist die Leistungsbeschreibung für die
Lüftungsgeräte - zur Innenaufstellung - über die vorkommenden Bauteile im Langtext gültig:
.........
........
Ventilator freilaufendes Rad
Mit einseitig saugendem, freilaufendem Radialventilator mit rückwärts
gekrümmter...... (Unterstreichung hinzugefügt)"
die Leistungsanforderung des einseitig saugenden, freilaufenden Rads für sämtliche
Lüftungsgeräte des Titels 1. festschreibt, belegt es doch die grundsätzliche Bereitschaft der
Antragsgegnerin, bei einer künftigen neuen Ausschreibung für die erwähnten
Leistungspositionen 1.1.460, 1.1.490, 1.1.520, 1.1.550, 1.1.580 und 1.1.610 von dieser
Anforderung unter Umständen Abstand zu nehmen. In diesem Falle besteht aber nach dem
Sach- und Streitstand durchaus die Möglichkeit, auch mit den von der Antragstellerin
angebotenen Lüftungsgeräten einen Schallleistungspegel von ​ 80 dB zu erreichen. Die
Beigeladene, die ebenso wie die Antragstellerin Lüftungsgeräte der Marke "A..." angeboten
hatte, hat im Vergabekammerverfahren auf das Schreiben ihres Lieferanten vom 12.
September 2001 verwiesen und unwidersprochen geltend gemacht, dass sich mit den
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Lüftungsgeräten des Herstellers "A..." dann eine Schallleistung von ​ 80 dB erreichen lasse,
wenn abweichend von der Standard-Ausführung doppelseitig saugende Ventilatoren des
Fabrikats G... mit Keilriemenantrieb und regelbare Antriebsmotoren des Herstellers K...
verwendet werden. Diese Möglichkeit, von der die Beigeladene bereits im Rahmen der
ursprünglichen Ausschreibung Gebrauch gemacht hat, steht auch der Antragstellerin in
dem neuen Vergabeverfahren offen.
Die Argumentation der Antragsgegnerin lässt zum anderen unberücksichtigt, dass
Lüftungsgeräte der ausgeschriebenen Art nicht nur von der Firma "A...", sondern auch von
anderen Herstellern produziert werden. So haben Mitbewerber der Antragstellerin und der
Beigeladenen nämlich zum Beispiel die Firmen "B... GmbH" und S... AG" Lüftungsgeräte
anderen Fabrikats angeboten, die nach den Angaben in den betreffenden Angeboten der
Mitbieter den vorgeschriebenen Schallleistungspegel von ​ 80 dB einhalten. Es ist nichts
dafür ersichtlich, dass der Antragstellerin diese Produkte nicht zugänglich sind. Auch vor
diesem Hintergrund ist die Behauptung der Antragsgegnerin, die Antragstellerin könne bei
der erneuten Ausschreibung Lüftungsgeräte mit dem geforderten Schallleistungspegel
nicht anbieten, nicht nachvollziehbar.
2. Die Antragstellerin ist ebensowenig wegen Verletzung ihrer Rügeobliegenheit (§ 107
Abs. 3 Satz 1 GWB) gehindert, eine Verletzung des Gleichbehandlungsgebots geltend zu
machen.
Die Antragsgegnerin sieht die Rügeobliegenheit deshalb verletzt, weil die Antragstellerin
vor Einleitung des Nachprüfungsverfahrens nicht gerügt habe, dass der in der
Leistungsbeschreibung geforderte Schallleistungspegel von ​ 80 dB nicht einzuhalten sei.
Es kann auf sich beruhen, ob diese Annahme zutrifft. Denn im Streitfall ist sie ohne
rechtliche Bedeutung. Für die Frage, ob die Antragstellerin gehindert ist, sich auf die
Mißachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes zu berufen, kommt es ausschließlich auf
die Verletzung einer diesbezüglichen Rügeobliegenheit an. Maßgeblich ist mithin alleine,
ob die Antragstellerin gemäß § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB gehalten war, vor Einreichung ihres
Nachprüfungsantrags gegenüber der Antragsgegnerin zu rügen, dass im Rahmen der
Angebotswertung unterschiedliche Konsequenzen aus der sowohl bei ihrem eigenen als
auch bei dem Angebot der Beigeladenen vorhandenen Überschreitung des maximal
zulässigen Schallleistungspegels gezogen worden sind. Das ist ersichtlich nicht der Fall.
Die Antragstellerin hat erst im Verlauf des Vergabenachprüfungsverfahrens von diesem
Sachverhalt Kenntnis erlangt, und für solche dem Bieter erst nach Einleitung des
Nachprüfungsverfahrens bekannt werdenden Vergaberechtsfehler gilt die
Rügeobliegenheit des § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB nicht (vgl. nur: Rechtsprechungsbericht
von J., NZBau 2001, 289, 296 m.w.N.).
B. Die Beschwerde wendet sich im Ergebnis auch ohne Erfolg gegen die Feststellung der
Vergabekammer, dass zum Nachteil der Antragstellerin der vergaberechtliche Grundsatz
der Gleichbehandlung (§ 97 Abs. 2 GWB) mißachtet worden ist.
Die Antragsgegnerin hat den Gleichbehandlungsgrundsatz dadurch verletzt, dass sie zwar
- wie dies die §§ 25 Nr. 1 Abs. 1 lit. b), 21 Nr. 1 Abs. 2 VOB/A 2. Abschnitt zwingend
vorschreiben (vgl. BGH, BauR 1998, 1249, 1251; Senat, Beschluss vom 29.11.2000 - Verg
21/00) - das Angebot der Antragstellerin wegen Abweichung von den Vorgaben der
Leistungsbeschreibung von der Angebotswertung ausgeschlossen hat, das Angebot der
Beigeladenen aber trotz vorhandener Diskrepanz zur Leistungsbeschreibung gewertet und
sogar für den Zuschlag vorgesehen hatte. Eine vergaberechtswidrige Ungleichbehandlung
zum Nachteil der Antragstellerin liegt vor, weil die Antragsgegnerin aus der Überschreitung
des (u.a.) in den Positionen 1.1.460, 1.1.490, 1.1.520, 1.1.580 und 1.1.610 der
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Leistungsbeschreibung vorgeschriebenen höchstzulässigen Schallleistungspegels (LWA)
von 80 dB bei der Antragstellerin einerseits und der Beigeladenen andererseits
unterschiedliche Konsequenzen gezogen hat. Das Angebot der Antragstellerin hat sie
wegen Überschreitung des maximalen Schallleistungspegels von der Angebotswertung
ausgeschlossen. Das Angebot der Beigeladenen, welches bei Position 1.1.610 der
Leistungsbeschreibung mit 81 dB den maximal zugelassenen Schallleistungspegel
gleichfalls nicht einhält, hat sie indes in der Wertung belassen. Das verstößt gegen den
Grundsatz der Gleichbehandlung und ist rechtsfehlerhaft. Dass die Antragstellerin den
zulässigen Schallleistungspegel bei insgesamt fünf Positionen des
Leistungsverzeichnisses und mit Werten zwischen 83 und 89 dB überschritten hat,
während das Angebot der Beigeladenen die Vorgaben der Leistungsbeschreibung
lediglich bei einer Position mißachtet und der Schallleistungspegel den zugelassenen
Maximalwert zudem nur geringfügig übersteigt, spielt keine Rolle. Die
Leistungsbeschreibung fordert für jede der betreffenden Leistungspositionen einen
Schallleistungspegel von ​ 80 dB. Die Vorgaben des Leistungsverzeichnisses sind folglich
schon dann nicht erfüllt, wenn bei bloß einer Position der zugelassene Maximalwert von 80
dB überschritten wird. An die Überschreitung dieses vorgegebenen Höchstwertes knüpft
sich - und zwar ohne Rücksicht, in welchem Umfang der Maximalwert nicht eingehalten
wird - zwingend der Ausschluss des Angebots.
II.
Die Kostenentscheidung ergeht in entsprechender Anwendung des § 128 Abs. 3 Satz 1,
Abs. 4 Satz 2 GWB.
III.
Die Festsetzung des Beschwerdewertes beruht auf § 12 a Abs. 2 GKG.