Urteil des OLG Düsseldorf vom 07.03.2006

OLG Düsseldorf: vernehmung von zeugen, subjektives recht, geschäftsführer, gleichbehandlung, ausschreibung, mangel, ausnahme, vergabeverfahren, abgabe, gleichheit

Oberlandesgericht Düsseldorf, VII-Verg 98/05
Datum:
07.03.2006
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
Vergabesenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
VII-Verg 98/05
Tenor:
Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss der
2. Vergabekammer des Bundes vom 21. Dezember 2005 (VK 2 - 147/05)
wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens und der
Verfahren nach §§ 118 Abs. 1 S. 3, 121 GWB einschließlich der
notwendigen Auslagen, die der Antragsgegnerin und der Beigela-denen
in diesen Verfahren entstanden sind, zu tragen.
Beschwerdewert: bis 230.000 €.
(Hier Freitext: Tatbestand, Gründe etc.)
1
I.
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Die Antragsgegnerin schrieb die Erstellung labortechnischer Anlagen im Rahmen der
Baumaßnahme "Bundesanstalt für Züchtungsforschung an Kulturpflanzen (BAZ)" im
offenen Verfahren europaweit aus. Im Submissionstermin war das Nebenangebot 2 der
Antragstellerin das preislich günstigste. An preislich zweiter Stelle lag das Angebot der
Beigeladenen. Durch Vorabinformation vom 27.10.2005 (Anlage BF 5) teilte die
Antragsgegnerin der Antragstellerin mit, dass ihr der Zuschlag nicht erteilt werden
könne, weil das Angebot der Beigeladenen wirtschaftlicher sei. Ihr Nebenangebot sei
nicht wertbar, weil es einen bedingten Preisnachlass enthalte. Die Rügen der
Antragstellerin blieben ohne Erfolg. Die Vergabekammer hat ihren Nachprüfungsantrag
abgelehnt und im Wesentlichen ausgeführt: Die Antragstellerin sei zwingend
auszuschließen, weil sie nicht hinreichend dargetan habe, dass ihrem Angebot die
geforderten Referenzen beilagen. Auf den vergaberechtlichen
Gleichbehandlungsgrundsatz könne sie sich nicht mit Erfolg berufen. Zwar habe auch
die Beigeladene ihrem Angebot keine Referenzen beigefügt. Die Antragsgegnerin habe
aber beide Angebote gewertet und somit gleich behandelt. Andere
Vergaberechtsverstöße könne die Antragstellerin mit Blick auf den von ihr verwirklichten
Ausschlussgrund nicht geltend machen.
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Dagegen wendet sich die Antragstellerin mit der sofortigen Beschwerde. Sie beantragt,
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1. den angefochtenen Beschluss der Vergabekammer aufzuheben,
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2. die Antragsgegnerin zu verpflichten, das Angebot der Beigeladenen
auszuschließen,
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3. die Antragsgegnerin zu verpflichten, die Wertung unter Berücksichtigung
des Nebenangebotes 2 zu wiederholen,
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4. hilfsweise, die Antragsgegnerin zu verpflichten, die Wertung des Angebotes
unter Beachtung der Referenzliste und unter Berücksichtigung des
Nebenangebotes 2 zu wiederholen,
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5. hilfsweise, die Ausschreibung aufzuheben und
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6. die Antragsgegnerin zu verpflichten, das Angebot der Beigeladenen von der
erneuten Angebotswertung auszuschließen.
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Die Antragsgegnerin und die Beigeladene beantragen,
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die sofortige Beschwerde zurückzuweisen.
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Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die eingereichten
Schriftsätze und Anlagen verwiesen.
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Der Senat hat Beweis erhoben durch Vernehmung von Zeugen.
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II.
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Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist unbegründet. Die Antragstellerin kann
von der Antragsgegnerin weder den Ausschluss des Angebots der Beigeladenen, noch
die Wertung ihres Nebenangebots, noch die Aufhebung der Ausschreibung verlangen.
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1. Unterlässt es ein Bieter, mit seinem Angebot die geforderten Eignungsnachweise
bzw. Eignungsangaben einzureichen, so darf die Vergabestelle sein Angebot nicht
werten (§ 25 Nr. 2 Abs. 1 VOB/A). Im Streitfall waren nach Ziffer 3.2. der
Angebotsaufforderung (Anlage BF 9) mit dem Angebot u. a. Unterlagen gemäß § 8 Nr. 3
Abs. 1 lit. b VOB/A vorzulegen, also Unterlagen über die Ausführung von Leistungen in
den letzten drei abgeschlossenen Geschäftsjahren, die mit der zu vergebenden
Leistung vergleichbar sind. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist davon
auszugehen, dass dem Angebot der Antragstellerin die geforderten Unterlagen nicht
beilagen. Ihr Angebot ist daher zwingend auszuschließen. Auf den
Gleichbehandlungsgrundsatz kann sie sich nicht mit Erfolg berufen.
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a) Die Antragstellerin macht geltend, die aus der Anlage BF 6 ersichtliche
"Referenzliste" sei ihrem Angebot beigefügt gewesen. Wie indes schon die
Vergabekammer festgestellt hat, befindet sich diese Liste nicht in der Vergabeakte.
Gleichwohl behauptet die Antragstellerin, die Liste mit dem Angebot eingereicht zu
haben. Ihr Mitarbeiter L... habe von den beizufügenden Unterlagen Ablichtungen
gefertigt. Ihr Kalkulator S. und anschließend ihr Geschäftsführer R. W... hätten das
Angebot überprüft und festgestellt, dass die Referenzliste beigelegt war. Von dieser
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Darstellung ist der Senat nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht überzeugt. Ein
Anlagenverzeichnis, das u.a. die Referenzen aufführt, hat die Antragstellerin ihrem
Angebot nicht beigefügt. Am Ende ihres Angebotsschreibens heißt es lediglich:
"Anlagen: 1 Freiumschlag, diverse Bescheinigungen".
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Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch ist eine "Bescheinigung" ein Schriftstück,
dessen Verfasser einen Sachverhalt bestätigt. Eine bestätigende Erklärung enthält die
Referenzliste Anlage BF 3 indes nicht. Es ist zwar nicht auszuschließen, dass der
Zeuge S., der das Angebotsschreiben fertigte, mit dem Wort "Bescheinigungen" (auch)
andere Unterlagen und Zertifikate, womöglich auch eine Referenzliste meinte. Die
diesbezüglichen Zweifel müssen indes zu Lasten der beweispflichtigen Antragstellerin
gehen. Zweifel sind umso mehr angebracht, als der Zeuge S. deutliche
Begünstigungstendenzen erkennen ließ, und auch die Darstellung der Antragstellerin in
einem maßgebenden Punkt nicht überzeugen kann. Danach soll der Geschäftsführer R.
W... das unterschriftsreife Angebot in Gegenwart des Zeugen S. nochmals einer
kompletten Vollständigkeitsüberprüfung unterzogen haben. Das erscheint nach Lage
der Dinge unrealistisch. Vor einer solchen Prüfung hätte der Geschäftsführer der
Antragstellerin die umfangreichen Verdingungsunterlagen, unter anderem die
Bewerbungsbedingungen und die Vergabebekanntmachung, gründlich studieren und
ihre Anforderungen feststellen müssen. Dass er die insoweit interessierenden Teile der
Verdingungsunterlagen auswendig präsent hatte, ist unwahrscheinlich; dergleichen
haben im Übrigen weder der Zeuge S. noch die Antragstellerin selbst behauptet.
Ebenso wenig haben sie behauptet, dass S. dem Geschäftsführer R. W... die
Anforderungen an das Angebot vorab mündlich vortrug. Somit konnte der
Geschäftsführer erst nach einer zeitintensiven Lektüre der Verdingungsunterlagen zu
einer ernstlichen Vollständigkeitsprüfung übergehen. Ein gezieltes Vorgehen war ihm
hierbei indes versagt. Denn das Angebot wies kein Anlagenverzeichnis auf. Das
Studium der umfangreichen Verdingungsunterlagen und die anschließende
Vollständigkeitsprüfung hätten somit eine geraume Zeit in Anspruch genommen, die mit
30 Minuten noch knapp veranschlagt ist. Während dieser Zeit will der Zeuge S., wie er
auf Vorhalt angab, neben dem Geschäftsführer gestanden haben. Das ist kaum
vorstellbar. Wahrscheinlicher ist, dass S. bei dem bewussten Vorgang zwar neben dem
Geschäftsführer gestanden hat, dieser aber in Wirklichkeit keine gründliche
Vollständigkeitsprüfung durchführte, sondern sich insoweit auf seinen langjährigen
Mitarbeiter verließ und das Angebot nach höchstens flüchtiger Durchsicht unterschrieb.
Dafür spricht auch, dass er nur das Angebotsschreiben selbst, nicht aber, wie der Zeuge
S., weitere Bestandteile des Angebotes mit seinem Handzeichen versah. Die
diesbezügliche Erklärung des Zeugen, dass man davon bewusst abgesehen habe, weil
zu viele Unterschriften bei der Antragsgegnerin Verwirrung gestiftet hätten, erscheint
dem Senat dürftig und unterstreicht nur die schon angesprochene
Begünstigungstendenz des Zeugen. Wie es tatsächlich gewesen ist, vermag der Senat
somit nicht festzustellen. Dies geht zu Lasten der Antragstellerin. Die Aussage des
Zeugen L... kann das Beweisdefizit nicht beheben. Der Zeuge hat nur an der
Vorbereitung des Angebots mitgewirkt und konnte nicht zuverlässig bekunden, in
welchem Zustand es sich bei seiner Abgabe befand. Hinzu kommt: Die Antragstellerin
und die Antragsgegnerin kannten sich aus früheren Vorhaben. Dies kann erklären,
weshalb man eine Vorlage von Eignungsnachweisen bei der Antragstellerin nicht für
erforderlich hielt. Ferner ist denkbar, dass die Antragstellerin eine Beifügung der
Unterlagen im Sinne des § 8 Nr. 3 Abs. 1 lit. b VOB/A aus rechtlichen Gründen für
entbehrlich erachtete. Immerhin hat auch die Antragsgegnerin diesen (unzutreffenden)
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Rechtsstandpunkt zunächst eingenommen.
b) Da das Angebot der Antragstellerin auszuschließen ist, kann im Endergebnis offen
bleiben, ob die Beigeladene die Vollständigkeit ihres Angebots nachgewiesen hat.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. Beschluss vom 18.5.2004, X
ZB 7/04, Umdruck S. 8 f.) und des Senats gilt:
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Ist ein Angebot auszuschließen, so kann der Fortgang des Vergabeverfahrens
grundsätzlich weder die Interessen des Bieters berühren, noch kann der Bieter durch
eine etwaige Nichtbeachtung vergaberechtlicher Bestimmungen in seinen Rechten
nach § 97 Abs. 7 GWB verletzt sein. Da der Bieter in einem solchen Fall auf ein zu
Recht auszuschließendes Angebot einen Zuschlag nicht erlangen kann, ist sein
Nachprüfungsantrag jedenfalls unbegründet. Hiervon hat der Senat in ständiger
Rechsprechung eine Ausnahme nur in dem Fall zugelassen, in dem der öffentliche
Auftraggeber bei gebührender Beachtung des als verletzt gerügten
Gleichbehandlungsgrundsatzes nicht nur das Angebot des Antragstellers, sondern
wegen mindestens gleichartiger Mängel auch das allein in der Wertung gebliebene
Angebot des Beigeladenen oder sämtliche anderen Angebote hätte ausschließen
müssen. Das Gebot der Gleichbehandlung der Bieter (§ 97 Abs. 2 GWB) verpflichtet den
öffentlichen Auftraggeber, solche Angebote, die vergaberechtlich an dem selben oder
gleichartigen Mangel leiden, vergaberechtlich gleich zu behandeln, das heißt aus dem
übereinstimmend vorliegenden Mangel jener Angebote vergaberechtlich dieselben
Konsequenzen zu ziehen (vgl. Senat, Beschluss 27.4.2005, VII – Verg 23/05, VergabeR
2005, 483 ff m. w. N.). Im Streitfall sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt. Denn das
Angebot des weiteren Bieters W. enthält die in Rede stehende Angabe über
vergleichbaren Leistungen im Sinne des § 8 Nr. 3 Abs. 1 lit. b VOB/A. Zwar fehlt diesem
Angebot eine geforderte Preisangabe. Dabei handelt es sich jedoch nicht um einen
identischen oder wenigstens gleichartigen Angebotsmangel. Die Ansicht der
Antragstellerin, dass schlechthin alle Angebotsmängel, die einen zwingenden
Ausschlussgrund bedeuten, im Rahmen des Anspruchs auf Gleichbehandlung zu
berücksichtigen seien, teilt der Senat nicht. Ob Angebotsmängel identisch oder
gleichartig sind, d.h. ob sie im wesentlichen gleich sind und ein Bieter deshalb einen
Anspruch auf Gleichbehandlung im Vergabeverfahren hat, beurteilt sich nicht von der
Rechtsfolgenseite. Maßgebend ist vielmehr der den Mängeln zugrundeliegende
Lebenssachverhalt. Nur tatsächlich im Wesentlichen gleiche Angebotsmängel können
ein subjektives Recht auf Gleichbehandlung begründen. An dem notwendigen Maß von
Gleichheit fehlt es, wenn dem einen Angebot ein geforderter Eignungsnachweis, dem
anderen aber eine Preisangabe fehlt. Der Senat sieht nach erneuter Prüfung keine
Veranlassung, von seiner Rechtsprechung abzurücken. Ergänzend ist zu bemerken,
dass die in diesem Zusammenhang diskutierten Judikate der Oberlandesgerichte
Naumburg (IBR 2005, 707), Jena (Vergaberecht 2005, 492) und Frankfurt (Beschluss
vom 23.12.2005, 11 Verg 13/05) schon im Ansatz keinen Anlass für eine
Divergenzvorlage gemäß § 124 Abs. 2 GWB geben können. Denn in allen Fällen
wurden die Nachprüfungsanträge bzw. Beschwerden vor einer abschließenden
Entscheidung zurückgenommen.
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2. Zu Unrecht meint die Antragstellerin, die Ausschreibung sei nach § 26 Nr. 1 VOB/A
mangels wertbarer Angebote zwingend aufzuheben. Die Vorschrift des § 26 Nr. 1
VOB/A räumt dem öffentlichen Auftraggeber nur eine Aufhebungsbefugnis ein,
verpflichtet ihn aber nicht zu einer solchen Entscheidung, wie § 3a Nr. 4 lit. a VOB/A
bestätigt. Bei einem Aufhebungsgrund sollen dem Auftraggeber im Rahmen seines
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Entschließungsermessens grundsätzlich auch andere Wege offen bleiben, um die im
öffentlichen Interesse stehende Beschaffung abzuschließen. Im Streitfall gilt nichts
anderes.
III.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO (analog).
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D.
W.
F.
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