Urteil des OLG Düsseldorf vom 15.11.1984

OLG Düsseldorf (unerlaubte handlung, kläger, verletzung, beurteilung, arzt, praxis, arbeitsunfähigkeit, folge, unfall, haftung)

Oberlandesgericht Düsseldorf, 8 U 26/84
Datum:
15.11.1984
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
8. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
8 U 26/84
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das am 16. Dezember 1983
verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Kleve wird
zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
T a t b e s t a n d
1
Der Kläger war seit Mitte Juni 1981 als Dachdecker bei der H… C…
Bedachungsgeschäft GmbH in R…/W… beschäftigt. Am 11. Juli 1981 zog er sich bei
einem Unfall ein Schädelhirntrauma mit intracerebraler Blutung zu. Infolge der
Verletzung war er arbeitsunfähig. Nach stationärer Behandlung wurde er seit dem 06.
Oktober 1981 von Dr. med. K… versorgt, der als niedergelassener Arzt mit
Kassenarztzulassung in V… praktiziert. Am 04. März 1982 suchte der Kläger im
Rahmen des laufenden Behandlungsverhältnisses die Praxis von Dr. K… auf, der sich
damals im Urlaub befand. Dort wurde er von dem Beklagten, der noch keine
Kassenarztzulassung besaß und aufgrund Privatdienstvertrages als ärztlicher Vertreter
für Dr. K… in der Praxis tätig war, untersucht.
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Auf dem Vordruck für die Innungskrankenkasse in R… als Krankenversicherer nach der
Reichsversicherungsordnung vermerkte der Beklagte, dass der Kläger arbeitsfähig sei.
Der Kläger, der bis zum 04. März 1982 Krankengeld von der Innungskrankenkasse
bezogen hatte (Kalendertäglich 65,03 DM), und dessen Arbeitsverhältnis gekündigt
worden war, erhielt ausweislich der Bescheinigung der Innungskrankenkasse vom 19.
Januar 1983 (Bl. 47 GA) seit dem 05. März 1982 Arbeitslosengeld in geringer Höhe (44,-
- DM und später 46,53 DM Werktäglich).
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Vom 31. März bis 28. April 1982 hielt sich der Kläger zur Durchführung eines von der
Landesversicherungsanstalt angeordneten Heilverfahrens in der Klinik A… auf. Am 29.
April 1982 stellte er sich bei Dr. K… vor, der nach Untersuchung eine
krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit feststellte und bescheinigte.
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Im Rechtsstreit verlangt der Kläger vom Beklagten 8.129,60 DM als Schadensersatz. Er
hat ausgeführt: Aufgrund der Verletzungen aus dem Unfall vom 11. Juli 1981 sei er
durchgehend bis zum 14. Januar 1983 arbeitsunfähig gewesen. Die Stellungnahme des
Beklagten vom 04. März 1982 sei – wie die späteren Beurteilungen zeigten – sachlich
unzutreffend. Sie beruhe auf einer schuldhaften Verletzung ärztlicher Sorgfaltspflichten.
In Folge dieses ärztlichen Fehlers habe er (der Kläger) mit Ablauf des 04. März 1982
das nach dem letzten Arbeitseinkommen berechnete höhere Krankengeld eingebüßt.
bis zum 14. Januar 1983 würden auf der Grundlage des höheren Krankengeldes
20.449,48 DM angefallen sein. Bezogen habe er über das Arbeitslosengeld nur
12.419,88 DM, also 8.129,60 DM weniger.
5
Nach Abweisung der zunächst auf 7.183,75 DM beschränkten Zahlungsklage durch
Versäumnisurteil vom 16. September 1983 hat der Kläger Einspruch eingelegt und
beantragt,
6
das Versäumnisurteil aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, an ihn 8.129,60 DM
zu zahlen nebst 4 % Zinsen seit dem 09. März 1983.
7
Der Beklagte hat beantragt das Versäumnisurteil aufrecht zu erhalten.
8
Er hat das Vorbringen zum Grund und zur Höhe des Klagebegehrens bestritten und ein
vorwerfbares Fehlverhalten geleugnet.
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Am 16. Dezember 1983 hat das Landgericht das Versäumnisurteil aufrecht erhalten und
in den Gründen ausgeführt: Es könne dahinstehen, ob der Beklagte den Kläger am 04.
März 1982 zu Unrecht Gesund geschrieben habe. Finanzielle Einbußen in Folge einer
fehlerhaften Beurteilung der Arbeitsfähigkeit müsse der Kläger alleine tragen, weil er es
unterlassen habe, die unrichtige ärztliche Beurteilung und deren Auswirkungen zu
beseitigen (§ 254 BGB).
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Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Klägers. Er ergänzt den Sachvortrag
und führt aus: Er habe dem Beklagten bei der Untersuchung am 04. März 1982 von der
Fortdauer der Unfallverletzungen und Unfallfolgen berichtet. Von der
"Gesundschreibung" durch den Beklagten habe er erst nachträglich erfahren. Dem
Vorwurf eines die Haftung ausschließenden Mitverschuldens stehe die durch den Unfall
vom 11. Juli 1981 ausgelöste Störung des Gedächtnisses und der Merkfähigkeit
entgegen. Für den Schaden habe der Beklagte jedenfalls nach den Vorschriften über
die unerlaubte Handlung einzustehen.
11
Der Beklagte beantragt,
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das angefochtene Urteil abzuändern, das Versäumnisurteil des Landgerichts vom 16.
September 1983 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen ,an ihn 8.129,60 DM zu
zahlen nebst 4 % Zinsen seit dem 09. März 1983.
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Der Beklagte beantragt,
14
die Berufung des Klägers zurück zu weisen.
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Er wiederholt den Sachvortrag und tritt dem Klagebegehren mit Rechtsausführungen
entgegen.
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Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den
Akteninhalt Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die Berufung ist zulässig. In der Sache hat das Rechtsmittel keinen Erfolg. Der Beklagte
ist aus keinem rechtlichen Gesichtspunkt zum Ersatz des Vermögensschadens
verpflichtet, der nach der Darstellung des Klägers dadurch ausgelöst worden ist, das der
Beklagte am 04. März 1982 den Gesundheitszustand des Patienten verkannt, eine
Krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit verneint und durch Mitteilung dieser Beurteilung
die Einstellung der nach dem letzten Arbeitseinkommen berechneten
Krankengeldzahlungen durch die Innungskrankenkasse herbeigeführt hat.
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1.)
20
Eine Haftung des Beklagten wegen schuldhafter Verletzung vertraglicher
Sorgfaltspflichten scheidet aus, weil zwischen den Prozessparteien vertragliche
Beziehungen nicht bestanden haben. Mit der Übernahme der Heilbehandlung wird
zwischen dem Arzt und dem Patienten grundsätzlich ein privatrechtlicher Dienstvertrag
begründet. Das gilt – nach § 368 b Abs. 4 RVO – auch für die Beziehungen zwischen
dem zur kassenärztlichen Versorgung zugelassenen niedergelassenen Arzt und dem
Patienten der Krankenversicherungsschutz nach der Reichsversicherungsordnung in
Anspruch nimmt (Laufs Arztrecht 2. Aufl., Rdnr. 18). Mit der 1955 eingeführten Regelung,
dass der Kassenarzt mit der Übernahme der Behandlung zur Sorgfalt nach den
Vorschriften des bürgerlichen Vertragsrechtes verpflichtet sei, hat der Gesetzgeber
klargestellt, dass der Kassenpatient, der in der Arztwahl nach § 368 b Abs. 1 RVO frei
ist, mit dem Kassenarzt einen privatrechtlichen Dienstvertrag schließt, der sich in der
Pflichtenstellung nicht von dem Behandlungsvertrag mit dem sogenannten Selbstzahler
unterscheidet (Steffen, Neue Entwicklungslinien der BGH-Rechtsprechung zum
Arzthaftungsrecht, 1984, Abschnitt A I 2 S. 8 unter dem Stichwort "Kassenpatient";
Haueisen in NJW 1956, 1745). für Schäden, die in einem derartigen
Behandlungsvertrag aus Fehlern von Hilfspersonen erwachsen, hat alleine der
Kassenarzt einzustehen. Erfüllungsgehilfe des Kassenarztes ist auch der ärztliche
Urlaubsvertreter der aufgrund Dienstvertrages in der Praxis des abwesenden
Kassenarztes Patienten behandelt (BGH NJW 1956, 1834 Nr. 2). Unterlaufen hierbei
Fehler, so hat allein der Kassenarzt selbst unter dem Gesichtspunkt der Verletzung von
Sorgfaltspflichten für den entstandenen Schaden einzustehen.
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2.)
22
Die Verpflichtung zur Leistung von Schadensersatz kann auch nicht auf die Vorschriften
über die unerlaubte Handlung gestützt werden.
23
a)
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Voraussetzung für eine Inanspruchnahme nach § 823 Abs. 1 BGB wäre, dass der im
Rechtstreit geltend gemachte Vermögensnachteil durch eine vom Beklagten als Arzt
verschuldete Körperverletzung oder Gesundheitsbeeinträchtigung verursacht worden
ist. hieran fehlt es nach der eigenen Darstellung des Klägers. Sein Vorwurf geht
ausschließlich dahin, dass der Beklagte am 04. März 1982 die damals noch
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vorhandenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen verkannt und insbesondere deren
Auswirkungen auf die Arbeitsunfähigkeit fehlerhaft beurteilt habe.
b)
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Entgegen der Ansicht des Klägers erfüllt die behauptete fehlerhafte Beurteilung des
Gesundheitszustandes und der Arbeitsfähigkeit auch nicht den Tatbestand eines
haftungsbegründenden Schutzgesetzverstosses im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB.
Danach ist schadensersatzpflichtig, wer gegen ein den Schutz eines anderen
bezweckendes Gesetz verstößt. Für die Qualifizierung einer Rechtsnorm als
Schutzgesetz in diesem Sinn ist ausschlaggebend, ob sie nach ihrem Inhalt und nach
dem Willen des Gesetzgebers ein bestimmtes Gebot oder Verbot enthält, das neben
anderen Zwecken auch gegen eine bestimmte Art der Schädigung individueller
Rechtsgüter gerichtet ist.
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Der vom Kläger als Schutzgesetz in Anspruch genommene § 23 des Heilberufsgesetzes
für Nordrhein-Westfalen (vom 30. Juli 1975) deckt sich nach Wortlaut und Stellung
innerhalb des Gesetzes mit der Regelung, die für Niedersachsen in § 28 des
Kammergesetzes für die Heilberufe vom 30. Mai 1980 getroffen worden ist. Beide
Gesetze behandeln die Errichtung der Ärztekammern die unter anderem zuständig sind
für den Erlaß der ärztlichen Berufsordnungen und damit für die Normierung der
ärztlichen Berufspflichten. Die Bestimmungen (§ 23 des Heilberufsgesetzes und § 28
des Kammergesetzes) sind im jeweiligen Gesetz die Einleitung des Abschnittes über
die "Berufsausübung". Mit der Formulierung, die Kammerangehörigen (dazu gehören
unter anderem die Ärzte) seien verpflichtet, ihren Beruf gewissenhaft auszuüben und
dem ihnen im Zusammenhang mit dem Beruf entgegengebrachten Vertrauen zu
entsprechen, hat der Gesetzgeber lediglich allgemein umschrieben, was zum
Berufsethos gehört. Ein Gebot oder Verbot zum Schutz der Patienten ist nicht
ausgesprochen worden. Das war auch nicht der Wille des Gesetzgebers. Wollte man für
die Ärzte auf den allgemeinen Grundsatz des "nihil nocere" abstellen, so könnte
allenfalls an ein allgemeines Verbot der Schädigung von Körper und Gesundheit durch
ärztliche Tätigkeit gedacht werden, nicht aber an den Schutz von Vermögensinteressen
(soweit sie nicht die Folge einer Gesundheitsschädigung oder Körperverletzung sind).
28
3.)
29
Da das Landgericht somit im Ergebnis richtig entschieden hat, ist die Berufung des
Klägers zurückzuweisen.
30
Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO. Die
Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
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Beschwer des Klägers: 8.129,60 DM
32
Richter am Landgericht W….
33
K…. B….. ist in seine Planstelle zurückge- treten und ist deshalb gehindert
34
zu unterschreiben.
35
K…..
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