Urteil des OLG Düsseldorf vom 17.10.2003

OLG Düsseldorf (aufschiebende wirkung, beschwerde, berufliche ausbildung, jugendhilfe, unternehmen, antrag, vorschrift, wettbewerb, wirkung, vergabeverfahren)

Oberlandesgericht Düsseldorf, VII-Verg 58/03
Datum:
17.10.2003
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
Vergabesenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
VII-Verg 58/03
Tenor:
I.
Die aufschiebende Wirkung der sofortigen Beschwerde der
Antragstellerin ge-gen den Beschluss der 1. Vergabekammer des
Bundes vom 19. September 2003 in der Fassung des Beschlusses vom
25. September 2003 (VK 1-77/03) wird bis zur Entscheidung über die
Beschwerde verlängert.
II.
Die Verfahrensbeteiligten werden aufgefordert, binnen 1 Woche ab
Zugang dieses Beschlusses mitzuteilen, ob auf die Durchführung einer
mündlichen Verhandlung über die Beschwerde verzichtet wird und eine
Entscheidung im schriftlichen Verfahren ergehen kann.
G r ü n d e :
1
Der Antrag der Antragstellerin, die aufschiebende Wirkung ihrer sofortigen Beschwerde
bis zur Beschwerdeentscheidung zu verlängern, ist begründet.
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Hat die Vergabekammer den Antrag auf Nachprüfung abgelehnt, kann das
Beschwerdegericht gemäß § 118 Abs. 1 Satz 3 GWB auf Antrag des Beschwerdeführers
die aufschiebende Wirkung der Beschwerde bis zur Entscheidung über den
Rechtsbehelf verlängern. Bei seiner Entscheidung hat das Gericht die Erfolgsaussichten
der Beschwerde zu berücksichtigen (§ 118 Abs. 2 Satz 1 GWB). Es lehnt den Antrag ab,
wenn unter Berücksichtigung aller möglicherweise geschädigten Interessen sowie des
Interesses der Allgemeinheit an einem raschen Abschluss des Vergabeverfahrens die
nachteiligen Folgen einer Verzögerung der Vergabe bis zur Entscheidung über die
Beschwerde die damit verbundenen Vorteile überwiegen (§ 118 Abs. 2 Satz 2 GWB).
Nach diesen Rechtsgrundsätzen ist im Streitfall die Suspensivwirkung der Beschwerde
bis zur Beschwerdeentscheidung zu verlängern.
3
I.
4
Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin und damit ihre Beschwerde haben
voraussichtlich Erfolg.
5
Es spricht einiges dafür, dass die Beigeladene vom Bieterwettbewerb auszuschließen
ist. Gemäß § 7 Nr. 6 VOL/A sind Justizvollzugsanstalten, Einrichtungen der Jugendhilfe,
Aus- und Fortbildungsstätten oder ähnliche Einrichtungen zum Wettbewerb mit
gewerblichen Unternehmen nicht zuzulassen. Die Beigeladene ist eine unter die
Vorschrift fallende (öffentliche) Einrichtung. Träger des J. sind die Kreise und kreisfreien
Städte des Landes (§ 6 JAWG). Für die Maßnahmen des J. stellt das Land S. - H. Mittel
zur Verfügung (§ 4 JAWG). Gegenstand der Beigeladenen ist auch die Jugendhilfe im
Sinne des § 7 Nr. 6 VOL/A. Zumindest ist sie danach eine "ähnliche Einrichtung". Die
Jugendhilfe umfasst Leistungen und andere Aufgaben zugunsten junger Menschen und
Familien (§ 2 Abs. 1 SGB VIII). Leistungen der Jugendhilfe sind unter anderem die
Angebote der Jugendarbeit und der Jugendsozialarbeit (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 SGB VIII). Zu
den Schwerpunkten der Jugendarbeit gehören außerschulische Jugendbildung mit
allgemeiner, politischer, sozialer, gesundheitlicher, kultureller, naturkundlicher und
technischer Bildung, sowie arbeits-, schul- und familienbezogene Jugendarbeit (§ 11
Abs. 3 Nr. 1, 3 SGB VIII). Im Rahmen der Jugendsozialarbeit soll jungen Menschen, die
zum Ausgleich sozialer Benachteiligungen oder zur Überwindung individueller
Beeinträchtigungen in erhöhtem Maße auf Unterstützung angewiesen sind,
sozialpädagogische Hilfen angeboten werden, die ihre schulische und berufliche
Ausbildung, Eingliederung in die Arbeitswelt und ihre soziale Integration fördern (§ 13
Abs. 1 SGB VIII). All dies entspricht auch den Zielsetzungen der Beigeladenen. Nach §
1 JAWG wird Jugendlichen durch das J. Gelegenheit gegeben, aufbauende Arbeit zu
leisten und sich zugleich geistig und körperlich weiterzubilden. Ferner kann das J.
berufsfördernde Maßnahmen einschließen (§ 1 Abs. 2 JAWG).
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Als öffentliche Einrichtung der Jugendhilfe (oder "ähnliche Einrichtung") könnte die
Beigeladene zum Wettbewerb im vorliegenden Vergabeverfahren nicht zugelassen
werden. Angesichts des klaren Wortlauts der Bestimmung dürfte kein Raum für die von
der Vergabekammer vorgenommene einschränkende Auslegung bleiben. Namentlich
ist nicht darauf abzustellen, ob sich die Gefahr, die dem Normzweck des § 7 Nr. 6 VOL/A
zugrunde liegt, bezogen auf den konkreten Vergabewettbewerb (hier: Ausschreibung
einer ausbildungsbegleitenden Hilfe gemäß § 241 SGB III) realisieren würde. Zweck der
Vorschrift ist es, zu verhindern, dass private erwerbswirtschaftlich betriebene
Unternehmen durch öffentliche Einrichtungen, die aufgrund steuerlicher Vorteile oder
öffentlicher Zuschusszahlungen einen erheblichen Kalkulations- und
Wettbewerbsvorsprung haben, verdrängt werden. Die Bestimmung enthält eine
obligatorische Ausschlussregelung, da anderenfalls ein echter Wettbewerb, der die
Einhaltung gleicher Grundbedingungen für alle Bewerber erfordert, mangels
Chancengleichheit nicht gegeben wäre (vgl. die Erläuterungen zu § 7 Nr. 6 VOL/A;
Daub/Eberstein, Kommentar zur VOL/A, 5. Aufl., § 7 Rdn. 72) . Die Entscheidung, von
welchen öffentlichen Einrichtungen im Falle ihrer Zulassung zum Vergabewettbewerb
eine Verdrängungsgefahr für private Unternehmen ausgehen würde, hat der
Verordnungsgeber in § 7 Nr. 6 VOL/A abstrakt und verbindlich vorweg getroffen. Die
Vergabestelle hat daher nur zu prüfen, ob es sich bei dem Bieter um eine in § 7 Nr. 6
VOL/A ausdrücklich genannte oder ähnliche Einrichtung handelt. Dabei können im
konkreten Vergabevorgang festgestellte Kalkulationsvorteile (oder deren Fehlen)
indizielle Hilfestellung geben. Soweit die Senatsentscheidung vom 22.11.1999 (Verg
2/99) jedoch weitergehend dahin verstanden werden sollte, dass ungeachtet der
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Einordnung als öffentliche Einrichtung i. S. d. § 7 Nr. 6 VOL/A bezogen auf das konkrete
Vergabeverfahren für einen Bieterausschluss festgestellt werden müsse, dass sich die
denkbaren Wettbewerbsvorteile, die der Verordnungsgeber im Auge hatte, tatsächlich
realisieren würden, hält der Senat daran nicht fest. In der von der Vergabekammer
ebenfalls angezogenen Senatsentscheidung vom 12.1.2000 (NZBau 2000, 155) ist im
Übrigen als tragender Grund für die Nichtanwendung des § 7 Nr. 6 VOL/A angeführt,
dass kommunale Unternehmen (der Abfallwirtschaft) schon im Ansatz nicht unter die
Vorschrift fallen.
II.
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Überwiegende Belange des Gemeinwohls, die ausnahmsweise das Interesse der
Antragstellerin an einem effektiven Rechtsschutz überwiegen, sind mit Blick auf die
hohen Erfolgsaussichten der Beschwerde nicht gegeben. Falls die
Verfahrensbeteiligten nicht auf eine mündliche Verhandlung über die Beschwerde
verzichten, wird der Eilbedürftigkeit der Beschaffungsmaßnahme durch einen
alsbaldigen Verhandlungstermin hinreichend Rechnung getragen.
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III.
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Eine Kostenentscheidung ist nicht angezeigt. Bei den Kosten des Verfahrens nach §
118 Abs. 1 Satz 3 GWB handelt es sich um Kosten des Beschwerdeverfahrens, über die
gemäß § 128 GWB einheitlich im Rahmen der Entscheidung über die Hauptsache zu
befinden ist.
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B. D. W.
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