Urteil des OLG Düsseldorf vom 12.02.2008

OLG Düsseldorf: zustellung, hauptsache, verfügung, rechtshängigkeit, anfang, rückwirkung, gefahr, prozesshandlung, vorschuss, gewissheit

Oberlandesgericht Düsseldorf, I-20 U 166/07
Datum:
12.02.2008
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
20. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
I-20 U 166/07
Tenor:
Die Berufung des Antragstellers des Aufhebungsverfahrens gegen das
am 19. September 2007 verkündete Urteil der 1. Kammer für
Handelssachen des Landgerichts Krefeld wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Berufung trägt der Antragsteller des
Aufhebungsverfahrens.
Gründe
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I. Die Parteien streiten über die Frage, ob Erledigung eines Antrags nach §§ 936, 926
Abs. 2 ZPO eingetreten ist.
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Das Landgericht hat gegen den jetzigen Antragsteller des Aufhebungsverfahrens
(nachfolgend: Antragsteller) mit Beschluss vom 29.03.2007 eine
Unterlassungsverfügung erlassen. Antragsgemäß hat es auf dessen Antrag hin der
Antragsgegnerin des Aufhebungsverfahrens (nachfolgend: Antragsgegnerin) mit
Beschluss vom 26.04.2007 eine Frist zur Klageerhebung in der Hauptsache bis zum
04.06.2007 gesetzt.
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Die Antragsgegnerin hat die Hauptsacheklage per Fax am 24.05.2007 beim Landgericht
Krefeld eingereicht; die mit einem Scheck über den erwarteten Gerichtskostenvorschuss
versehene Klageschrift ist im Original am 29.05.2007 bei Gericht eingegangen. Sie ist
dem Antragsteller am 14.06.2007 zugestellt worden.
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Mit am 13.06.2007 bei Gericht eingegangen Schriftsatz hat der Antragssteller den
Antrag auf Aufhebung der einstweiligen Verfügung gestellt (§§ 936, 926 Abs. 2 ZPO).
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Der auf die Zustellung der Klageschrift in der Hauptsache folgenden
Erledigungserklärung des Antragstellers hat sich die Antragsgegnerin nicht
angeschlossen.
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Das Landgericht hat mit der angefochtenen Entscheidung, auf deren tatsächliche
Feststellungen gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ergänzend Bezug genommen wird, den
Antrag zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt, da die Zustellung nach § 167
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ZPO auf den Zeitpunkt der Klageeinreichung zurückwirke, sei der Aufhebungsantrag
von Anfang an unbegründet gewesen.
Hiergegen richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte und sogleich begründete
Berufung des Antragstellers, mit der er beantragt,
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unter Abänderung des am 19.09.2007 verkündeten Urteils des Landgerichts
Krefeld festzustellen, dass die Hauptsache erledigt sei, und die Kosten des
Aufhebungsverfahrens der Antragsgegnerin aufzuerlegen.
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Der Antragssteller ist der Ansicht, § 167 ZPO sei auf den vorliegenden Fall nicht
anwendbar.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie verteidigt das landgerichtliche Urteil unter Wiederholung ihrer erstinstanzlich bereits
geäußerten Rechtsauffassung.
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II. Die zulässige Berufung ist unbegründet, denn die angefochtene Entscheidung beruht
weder auf Rechtsfehlern, noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden
Tatsachen eine andere Entscheidung.
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Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Landgericht den Antrag auf
Feststellung der Erledigung zurückgewiesen. Auszugehen ist zunächst davon, dass
nach einhelliger Auffassung, die auch die Parteien nicht in Frage stellen, auch bei
einem Verfahren auf Aufhebung einer einstweiligen Verfügung nach §§ 936, 926 Abs. 2
ZPO grundsätzlich Erledigung eintreten kann. Bleibt in einem derartigen Fall die
Erledigungserklärung des Antragstellers des Aufhebungsverfahrens einseitig, ist sie in
einen Feststellungsantrag dahin umzudeuten, dass Erledigung des
Aufhebungsverfahrens eingetreten sei.
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Im Falle einer Klage ist eine solche Feststellungsklage dann begründet, wenn die Klage
ursprünglich zulässig und begründet war und durch ein nach Rechtshängigkeit
eingetretenes erledigendes Ereignis unzulässig oder unbegründet geworden ist.
Rechtshängigkeit tritt in diesem Falle mit der Zustellung der Klageschrift ein. Erledigung
vor Zustellung der Klageschrift kann es letztlich nicht geben, weil zu diesem Zeitpunkt
ein Prozessrechtsverhältnis noch nicht begründet ist. Für die Klage hat diese
Rechtsprechung ihre Bestätigung dadurch gefunden, dass für den Fall der "Erledigung"
zwischen Anhängigkeit und Rechtshängigkeit das Gesetz nunmehr in § 269 Abs. 3 ZPO
eine dem § 91 a ZPO angenäherte Kostenentscheidung vorsieht, wenn im Hinblick auf
die "Erledigung" die Klage zurückgenommen wird.
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Diese Grundsätze können allerdings nicht uneingeschränkt auf das Verfahren auf
Aufhebung einer einstweiligen Verfügung übertragen werden, weil der Antrag nach §
926 Abs. 2 ZPO ein bestehendes Prozessrechtsverhältnis voraussetzt. Ob bei
Anwendung dieser Grundsätze auf das Aufhebungsverfahren daher der Antrag auf
Feststellung der Erledigung auch dann gerechtfertigt ist, wenn – wie hier – die
Zustellung der Hauptsacheklage zwischen Einreichung des Antrags bei Gericht und
Zustellung des Aufhebungsantrages an den Antragsgegner erfolgt, oder nicht, bedarf
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hier jedoch keiner Entscheidung (vgl. zu dieser Frage OLG Frankfurt, GRUR 1987, 650,
651 unter 2.), denn entgegen der Ansicht des Antragstellers ist § 167 ZPO auch auf die
Einhaltung der Frist zur Klageerhebung anzuwenden, so dass der Antrag auf Aufhebung
deshalb schon zum Zeitpunkt seines Eingangs bei Gericht unbegründet war.
Die Frage, ob die Bestimmung des § 167 ZPO auch anzuwenden ist, wenn die
Einhaltung der zur Klageerhebung in der Hauptsache gesetzten Frist in Rede steht, wird
in Rechtsprechung und Literatur uneinheitlich beantwortet.
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Jedenfalls dann, wenn die Zustellung der Hauptsacheklage noch vor dem Schluss der
mündlichen Verhandlung über den Aufhebungsantrag erfolgt, ist § 167 ZPO
anzuwenden.
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In einem solchen Fall, der hier vorliegt, kann gegen die Anwendung des § 167 ZPO
nicht eingewandt werden, dass im für die Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt noch
gar nicht fest steht, ob die Zustellung demnächst erfolgt (so das Argument von Musielak-
Huber, ZPO, 5. Aufl., § 926 Rn. 15). Auch § 231 Abs. 2 ZPO steht in dieser Konstellation
der Anwendung nicht entgegen (vgl. OLG Celle, NJW-RR 1995, 443, 444 unter 2 b)),
denn nach dieser Vorschrift kann eine Prozesshandlung nur bis zum Schluss der
mündlichen Verhandlung nachgeholt werden. Dies ist hier aber geschehen, denn zum
Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung war die Hauptsacheklage zugestellt.
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Der Senat vermag der Ansicht des OLG Frankfurt (a.a.O. unter 3.) nicht beizutreten, die
erledigende Wirkung der Hauptsacheklage trete nicht rückwirkend mit ihrer Einreichung
bei Gericht ein, wenn die Zustellung demnächst erfolge.
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Das OLG Frankfurt führt insoweit zunächst zutreffend aus, dass die in § 167 ZPO
vorgesehene Rückwirkung der Zustellung allein die Frage betrifft, ob eine Frist gewahrt
wird, nicht aber für sonstige Wirkungen, insbesondere den Eintritt der Rechtshängigkeit.
Hieraus kann aber entgegen der Ansicht des OLG Frankfurt gerade nicht gefolgert
werden, auch die das Aufhebungsverfahren erledigende Wirkung trete nicht rückwirkend
ein, denn entscheidend für die Begründetheit des Aufhebungsantrages ist die
Einhaltung der zur Klageerhebung gesetzten Frist. Es geht daher genau um den Fall,
den § 167 ZPO regelt: Durch die Erhebung der Klage soll eine Frist gewahrt werden,
nämlich die nach §§ 936, 926 Abs. 1 ZPO gesetzte Frist zur Erhebung der
Hauptsacheklage.
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Auch die weiteren Argumente der Gegenansicht vermögen nicht zu überzeugen. Sinn
des § 167 ZPO ist es, den Gläubiger vor unvertretbaren Nachteilen des Amtsverfahrens
zu schützen. Dieses Schutzes bedarf der Gläubiger aber entgegen der Ansicht des OLG
Frankfurt auch im Falle des § 926 ZPO. Auch hier besteht die Gefahr, dass sich die
Zustellung seiner Klage durch gerichtsinterne, von ihm nicht zu beeinflussende
Vorgänge verzögert (Senat, Beschluss vom 16. Juli 2007, I-20 W 131/06). Dem vom
OLG Frankfurt hervorgehobenen Interesse des Schuldners wird bereits durch die
Fristsetzung zur Klageerhebung hinreichend Rechnung getragen (wie hier: OLG Celle,
Beschl. v. 12.04.2007, 3 W 43/07, Juris Rn. 10 = OLGR Celle 2007, 701; OLG Köln,
Beschl. v. 23.06.1999, 6 W 12/99, Juris Rn. 2 = MD 1999, 1276).
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Entgegen der Ansicht des OLG Frankfurt a.a.O. führt dies auch nicht dazu, dass der
Gläubiger den Schuldner gleichsam "ins offene Messer" laufen lassen könnte, denn der
Antragsteller hat ja – worauf das OLG Köln a.a.O. Rn. 5 zutreffend hinweist – auch die
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Möglichkeit, sich durch eine Nachfrage bei Gericht oder – insbesondere wenn der
Gerichtsstand der Hauptsache nicht bekannt ist – beim Gegner Gewissheit zu
verschaffen, ob fristgerecht eine Hauptsacheklage eingereicht worden ist.
Es sind daher keine Gründe ersichtlich, § 167 ZPO entgegen seinem Wortlaut auf die
Wahrung der nach § 926 Abs. 1 ZPO gesetzten Frist zur Erhebung der
Hauptsacheklage nicht anzuwenden (Senat a.a.O.; OLG Celle, a.a.O. Rn. 10).
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Die Voraussetzungen des § 167 ZPO liegen auch im Übrigen vor. Die Klage ist hier mit
einem kostendeckenden Vorschuss bereits einige Zeit vor Ablauf der für die
Klageerhebung gesetzten Frist eingereicht worden; dass die Zustellung sich dann noch
mehrere Wochen hinzog, ist der Antragsgegnerin nicht anzulasten, so dass die
Zustellung demnächst im Sinne des § 167 ZPO erfolgt ist.
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Da die Antragsgegnerin danach innerhalb der gesetzten Frist die Hauptsacheklage
erhoben hat, war der Aufhebungsantrag von Anfang an unbegründet. Für die begehrte
Feststellung der Erledigung bleibt kein Raum.
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Eine Zulassung der Revision kommt nicht in Betracht, weil die Revision gegen Urteile,
die im Verfahren über die Aufhebung einer einstweiligen Verfügung ergehen, nach §
542 Abs. 2 ZPO unstatthaft ist. Die Revision wird nicht dadurch statthaft, dass die
Parteien nur noch über die Frage der Erledigung des Aufhebungsverfahrens streiten.
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Streitwert: bis 3.000,00 EUR
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