Urteil des OLG Düsseldorf vom 14.07.2005
OLG Düsseldorf: gegen die guten sitten, ausschluss, anpassung, erwerbstätigkeit, vertragsabschluss, ehevertrag, solidarität, versorgung, lebensversicherung, gütertrennung
Oberlandesgericht Düsseldorf, II-6 UF 169/03
Datum:
14.07.2005
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
6. Senat für Familiensachen
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
II-6 UF 169/03
Tenor:
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird das Verbundurteil des
Amtsgerichts - Familiengerichts - Mettmann vom 07.10.2003 hinsichtlich
der Entscheidung zum Versorgungsausgleich (II. des Urteilsausspruchs)
aufgeho-ben.
Insoweit wird die Sache zur erneuten Entscheidung an das Amtsgericht
Mettmann zurückverwiesen, das auch über die Kosten des
Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben wird.
I. Die am 20.12.1982 geschlossene Ehe der Parteien, aus der die am 09.12.1987
geborene Tochter K. hervorgegangen ist, wurde auf den dem Antragsgegner am
03.07.2003 zugestellten Scheidungsantrag der Antragstellerin durch Verbundurteil des
Amtsgerichts - Familiengerichts - Mettmann vom 07.10.2003 geschieden. Gleichzeitig
hat das Amtsgericht festgestellt, dass der Versorgungsausgleich nicht stattfindet. Der
Scheidungsausspruch ist seit dem 02.03.2004 rechtskräftig.
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Mit Ehevertrag vom 18.12.1982 - UR-Nr. 875/1982 Notar Dr. W. in F. - vereinbarten die
Parteien Gütertrennung, setzen sich - mit modifizierter Regelung - gegenseitig zu
alleinigen Erben ein und verzichteten auf die Durchführung des Versorgungsausgleichs.
Zum Zeitpunkt der Vereinbarung war der am 20.12.1952 geborene Antragsgegner
Diplom-Ökonom und bereitete sich auf die Steuerberaterprüfung vor. Die Antragstellerin
war als Industriekauffrau erwerbstätig. Nach der Geburt der Tochter übernahm sie deren
Betreuung und war bis zum Jahre 2000 nicht mehr erwerbstätig. Welche Tätigkeit die
Antragstellerin seit ihrer Rückkehr ins Erwerbsleben ausübt, ist nicht vorgetragen.
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Das Amtsgericht hat den Ehevertrag als wirksam angesehen und den
Versorgungsausgleich nicht durchgeführt. Auskünfte der Versorgungsträger hat es nicht
eingeholt.
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Dagegen wendet sich die Antragstellerin mit ihrer Beschwerde, mit der sie erreichen
will, dass der Versorgungsausgleich durchgeführt wird, weil dessen Ausschluss sie
einseitig belaste. Wegen der Kinderbetreuung sei es ihr nämlich nicht möglich gewesen,
eine angemessene Altersversorgung aufzubauen.
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Die Antragstellerin beantragt,
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unter teilweiser Abänderung des Urteils des Amtsgerichts Mettmann vom
07.10.2003 den Versorgungsausgleich durchzuführen.
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Der Antragsgegner beantragt,
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die Beschwerde zurückzuweisen.
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Er hält die ehevertragliche Regelung für bindend, zumal die Antragstellerin Begünstigte
einer Lebensversicherung gewesen sei, die sie sich im März 2003 habe auszahlen
lassen (15.667,20 €). Außerdem habe er während der Zeit, in der die Antragstellerin
nicht erwerbstätig gewesen sei (1987 bis 2000), vierteljährlich Beiträge in Höhe von
37,43 € für die Antragstellerin an die BVV gezahlt. Schließlich sei die Antragstellerin
gemeinsam mit ihm zu 1/2 Miteigentümerin der Eigentumswohnung in S., K.-straße ,
deren Unterdeckung von ihm getragen werde.
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II. Die zulässige Beschwerde führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und
zur Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht. Insoweit ist § 538 Abs. 2 Nr. 4
ZPO im zum Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit gehörenden
Versorgungsausgleichsverfahren entsprechend anzuwenden, nachdem das Amtsgericht
dem Grunde nach die Durchführung des Versorgungsausgleichs abgelehnt und deshalb
die Höhe der auszugleichenden Anwartschaften nicht mehr ermittelt hat (vgl. BGH
FamRZ 1982, 152, 153 zu § 538 Abs. 1 Nr. 3 ZPO a. F.; Zöller/Phi-lippi, 25. Aufl., § 621
e ZPO Rdnr. 78). Eines ausdrücklichen Antrages der Parteien bedarf es insoweit nicht,
da § 538 Abs. 2 ZPO gemäß § 621 e Abs. 3 Satz 2 ZPO keine unmittelbare Anwendung
findet (vgl. OLG Brandenburg FamRZ 2003, 624; OLG Dresden NJW-RR 2003, 1162;
Baumbach/Lauterbach/Albers, 63. Aufl., § 621 e ZPO Rdnr. 24; Musielak/Borth, 4. Aufl.,
§ 621 e ZPO Rdnr. 26).
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Die notariell beurkundete Vereinbarung über den Ausschluss des
Versorgungsausgleichs ist allerdings entgegen der Ansicht der Antragstellerin nicht von
vornherein sittenwidrig (§ 138 Abs. 1 BGB). Die Gesamtwürdigung der individuellen
Verhältnisse der Parteien bei Vertragsabschluss rechtfertigt nicht die Feststellung, dass
die Vereinbarung schon im Zeitpunkt ihres Zustandekommens offenkundig zu einer
derart einseitigen Lastenverteilung im Scheidungsfall führen werde, dass ihr - losgelöst
von der künftigen Entwicklung der Ehegatten und ihrer Lebensverhältnisse - wegen
Verstoßes gegen die guten Sitten die Anerkennung der Rechtsordnung ganz oder
teilweise mit der Folge zu versagen wäre, dass an ihre Stelle die gesetzliche Regelung
tritt (vgl. BGH FamRZ 2004, 601, 606; BGH FamRZ 2005, 185, 186). Die Antragstellerin
war damals versicherungspflichtig erwerbstätig und konnte daher eine eigene
Altersvorsorge aufbauen. Konkrete Vorstellungen, ob und inwieweit künftige
gemeinsame Kinder diese Lebensgestaltung ändern sollten, hatten die Parteien nicht.
Zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses war die Antragstellerin nicht schwanger. Ihr
Argument, wegen des Vertragsabschlusses zwei Tage vor der Hochzeit habe sie unter
Druck gestanden, weil sonst die Hochzeit "geplatzt" wäre, ist auch mit Rücksicht darauf,
dass die Parteien bereits seit 1980 zusammenlebten, nicht nachvollziehbar. Die
Antragstellerin war zum damaligen Zeitpunkt beruflich eigenständig und nicht auf eine
Versorgung durch den Antragsgegner angewiesen.
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Dennoch kann der Antragsgegner sich nicht ohne weiteres auf den Ausschluss des
Versorgungsausgleichs berufen (§ 242 BGB). Auch wenn die Parteien durch den
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notariell beurkundeten Verzicht im Rahmen ihrer Privatautonomie von einer in § 1408
Abs. 2 BGB vorgesehenen Gestaltungsmöglichkeit Gebrauch gemacht haben, kommt
eine Anpassung des Vertrages an die veränderten Lebensverhältnisse der Parteien in
Betracht. Denn der Versorgungsausgleich ist auch als vorweggenommener
Altersunterhalt zu verstehen und steht daher einer vertraglichen Abbedingung nicht
schrankenlos offen. Er ist wie der Unterhalt wegen Alters Ausdruck ehelicher Solidarität
und gehört zum Kernbereich des gesetzlichen Scheidungsfolgenrechts. Ein zunächst
wirksam vereinbarter Ausschluss des Versorgungsausgleichs hält nach der
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, der der Senat sich anschließt, der
Ausübungskontrolle am Maßstab des § 242 BGB deshalb dann nicht stand, wenn er
dazu führt, dass ein Ehegatte aufgrund einvernehmlicher Änderung der
gemeinschaftlichen Lebensumstände über keine hinreichende Altersversorgung verfügt,
und dieses Ergebnis mit dem Gebot der ehelichen Solidarität schlechthin unvereinbar
erscheint (vgl. BGH FamRZ 2005, 185, 186).
Das ist hier der Fall, weil sich die Antragstellerin einvernehmlich der Betreuung der
gemeinsamen Tochter gewidmet und deshalb auf eine versorgungsbegründende
Erwerbstätigkeit bis zum Jahre 2000 - nach dem Vorbringen des Antragsgegners
unbeanstandet zumindest bis zur Jahreswende 1997/1998 - gänzlich verzichtet hat.
Dadurch ergibt sich für die Antragstellerin bei Scheitern ihrer Ehe eine unzumutbare
einseitige Belastung, die der Versorgungsausgleich durch die gleichmäßige Verteilung
der von den Ehegatten während der Ehezeit erworbenen Anrechte gerade vermeiden
soll.
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Im Rahmen der nach § 242 BGB vorzunehmenden angemessenen und sachgerechten
Anpassung können mit Blick auf die Vorstellungen der Parteien bei Vertragsabschluss
und das Ziel des Versorgungsausgleichs nur ehebedingte Nach-teile ausgeglichen
werden. Mit dem Ausschluss des Versorgungsausgleichs haben die Parteien nämlich
zu erkennen gegeben, keine Teilhabe an den von dem jeweils anderen Ehegatten
gegebenenfalls erworbenen höherwertigen Versorgungs-anrechten beanspruchen zu
wollen, sondern jeder Ehegatte sollte - auch im Falle der Scheidung der Ehe -
diejenigen Versorgungsanrechte behalten, die er eigenständig mit Hilfe seines
jeweiligen Einkommens erwerben würde. Maßstab für den Ausgleich der ehebedingten
Nachteile ist daher grundsätzlich diejenige Versorgung, die der berechtigte Ehegatte bei
Weiterführung seiner beruflichen Tätigkeit voraussichtlich hätte erzielen können. Dabei
sind die fiktiven, im Wege einer Prognose festgestellten Versorgungsanrechte des
berechtigten Ehegatten zugrunde zu legen, wobei auch eine überschlägige Schätzung
nach § 287 ZPO möglich ist (vgl. BGH FamRZ 2005, 185, 187).
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Vorliegend bedeutet dies, dass das Amtsgericht zunächst die tatsächlich
ehezeitbezogen erworbenen Versorgungsanrechte beider Parteien und die
voraussichtlich bei durchgängiger Erwerbstätigkeit von der Antragstellerin erworbenen
Anrechte zu ermitteln haben wird. Bei der Frage, in welcher Höhe die Anpassung
vorzunehmen ist, wird das Amtsgericht sodann zu berücksichtigen haben, ob und
inwieweit der ehebedingte Nachteil durch die Beitragszahlung von vierteljährlich 37,43
€ an die BVV durch den Antragsgegner beeinflusst wird. Die Lebensversicherung, die
die Antragstellerin angespart hatte (15.667,20 € im März 2003), kann keine
Kompensation für ehebedingte Nachteile im Rahmen des Versorgungsausgleichs
darstellen, denn die Parteien haben - zulässigerweise - Gütertrennung vereinbart. Auch
der Miteigentumsanteil an der Eigentumswohnung in S. stellt keinen (teilweisen)
Ausgleich für die ausgeschlossenen Versorgungsanrechte dar, weil auch der
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Antragsgegner sich durch seinen hälftigen Anteil eine zusätzliche Altersvorsorge
aufgebaut hat, die im Rahmen des Solidaritätsgedankens auch der Antragstellerin
zustehen muss.