Urteil des OLG Düsseldorf vom 22.07.2009

OLG Düsseldorf: verjährungsfrist, grobe fahrlässigkeit, haftpflichtversicherer, leichte fahrlässigkeit, kennzeichen, geringes verschulden, gerichtliche zuständigkeit, spanien, datum, verordnung

Oberlandesgericht Düsseldorf, I-1 U 190/08
Datum:
22.07.2009
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
1. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
I-1 U 190/08
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird unter Zurückweisung ihres
weitergehenden Rechtsmittels das am 6. November 2008 verkündete
Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Krefeld teilweise abgeändert
und insgesamt wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 20.574,62 € nebst Zinsen in
Höhe von 5,5 % seit dem 12. Januar 2008 zu zahlen.
Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreites fallen der Beklagten zur Last.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagten bleibt nachgelassen, die Zwangsvollstreckung des
Klägers ge-gen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu
vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht der Kläger vor der
Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Der Klage liegt ein Verkehrsunfall zugrunde, der sich am 21. August 2006 in Spanien.
auf der Autobahn XXX in Richtung XXX, Ausfahrt XX ereignete. Der bei der Beklagten
haftpflichtversicherte Lkw mit dem amtlichen spanischen Kennzeichen XXX fuhr auf die
Zugmaschine des Klägers mit dem Kennzeichen XXX auf. Beschädigt wurde dabei
auch ein durch den Kläger gemieteter Auflieger der Firma XXX mit dem Kennzeichen
XXX. Die deutsche Schadensregulierungsbeauftragte der Beklagten, die von XXX AG,
glich Ende Januar 2007 den Aufliegerschaden durch eine Überweisung in Höhe von
19.800,-- € aus.
1
Am 4. September 2006 erhielt der Kläger von dem Zentralruf der Autoversicherer in H.
wegen einer Falschbezeichnung des amtlichen Kennzeichens des
Schädigerfahrzeuges die unzutreffende Mitteilung, die für die Beklagte zuständige
Schadensregulierungsbeauftragte sei die XXX AG. Dieses Unternehmen teilte am 26.
April 2007 dem Kläger mit, dass es sich bei der Beklagten um den für das
Schädigerfahrzeug zuständigen Haftpflichtversicherer handele.
2
Mit Schreiben vom 26. September 2007 machte der Kläger gegenüber der XXX AG
seine unfallbedingten Vermögenseinbußen geltend. Die inländische
Schadensregulierungsbeauftragte der Beklagten berief sich in einem
Ablehnungsschreiben vom 19. November 2007 auf die Verjährung der klägerischen
Ersatzforderung und wiederholte die Zurückweisung der Ersatzforderung in einem
weiteren Schreiben vom 19. Februar 2008.
3
Der Kläger nimmt die Beklagte nunmehr gemäß Artikel 9 Abs. 1 Buchst. b) EuGVVO auf
Schadensersatz – erstinstanzlich an seinem Wohnsitzgericht – in Anspruch.
4
Der Kläger hat die Ansicht vertreten, sein aus Artikel 1902 des spanischen Codigo Civil
(CC) sich ableitender Schadensersatzanspruch sei nicht verjährt, da die maßgebliche
einjährige Verjährungsfrist des Artikel 1968 Nr. 2 CC erst dann eingesetzt habe, als er
den Schaden tatsächlich gegenüber der Beklagten gemäß Artikel 1969 CC habe
geltend machen können. Dies sei indes erst nach Mitteilung der XXX vom 26. April 2007
der Fall gewesen. Zudem habe die Beklagte mit nach spanischem Recht
verjährungsunterbrechender Wirkung den Anspruch dadurch anerkannt, dass sie den
Aufliegerschaden der XXX GmbH reguliert habe.
5
Zudem hat der Kläger Sach- und Rechtsausführungen zu einzelnen streitigen
Schadenspositionen gemacht.
6
Der Kläger hat beantragt,
7
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 20.574,62 € nebst Zinsen in Höhe von 5
%Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 19. Dezember 2007 zu
zahlen.
8
Die Beklagte hat beantragt,
9
die Klage abzuweisen.
10
Sie hat die Ansicht vertreten, die einjährige Verjährungsfrist habe schon mit dem Tag
des Unfallereignisses zu laufen begonnen.
11
Durch die angefochtene Entscheidung hat das Landgericht die Beklagte in der
Hauptsache antragsgemäß verurteilt und lediglich hinsichtlich des für den Beginn der
Zinsforderung maßgeblichen Datums eine – nicht tenorierte – Teilabweisung
ausgesprochen.
12
Zur Begründung seiner Entscheidung hat es im Anschluss an Ausführungen hinsichtlich
seiner örtlichen und internationalen Zuständigkeit sowie der Maßgeblichkeit der
einschlägigen Vorschriften des Codigo Civil im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:
Die nach spanischem Recht zu beachtende einjährige Verjährungsfrist habe mit dem
Tag zu laufen begonnen, an welchem der fragliche Anspruch habe ausgeübt werden
können. Voraussetzung für diese Ausübung seien die Kenntnis des
ersatzbegründenden Ereignisses, des Bestehens eines Schadens und des jeweiligen
Anspruchsgegners. Die notwendige Kenntnis dieser Umstände habe der Kläger jedoch
nicht schon am Unfalltag gehabt, sondern erst zum Zeitpunkt der Mitteilung der XXX AG
vom 26. April 2007, dass nicht diese, sondern die van XXX AG die zuständige
Schadensregulierungsbeauftragte sei.
13
Dagegen spreche auch nicht, dass die Klägerin ihren Anspruch bereits gegenüber der
Halterin des Schädigerfahrzeuges hätte geltend machen können. Der von der
spanischen Polizei gefertigte Unfallaufnahmebogen sei hinsichtlich der maßgeblichen
Angaben kaum lesbar. Insbesondere sei das für die Ermittlung des Anspruchsgegners
unabdingbare amtliche Kennzeichen aufgrund undeutlicher Schreibweise im Ergebnis
nicht lesbar.
14
Da die einjährige Verjährungsfrist erst mit dem Datum des 26. April 2007 zu laufen
begonnen habe, sei zum Zeitpunkt der erstmaligen Geltendmachung des
klagegegenständlichen Ersatzanspruches gegenüber der Beklagten die Verjährungsfrist
noch nicht abgelaufen gewesen. Deshalb könne dahin stehen, ob die seitens des XXX
GmbH vorgenommene Schadensregulierung zu Gunsten der XXX GmbH
verjährungsunterbrechende Wirkung gehabt habe.
15
Im Übrigen hat das Landgericht ergänzende Ausführungen zur Ersatzfähigkeit aller
klagegegenständlichen Schadenspositionen gemacht.
16
Gegen diese Entscheidung wendet sich die Beklagte mit ihrer form- und fristgerecht
eingelegten Berufung. Sie hält unter Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vorbringens
ihre Verjährungseinrede aufrecht und rügt im Übrigen, dass nach dem einschlägigen
spanischen Recht das Landgericht der Klägerin einen zu hohen Zinsanspruch
zuerkannt habe.
17
Die Beklagte beantragt,
18
unter Aufhebung (richtig: Abänderung) des angefochtenen Urteils die Klage
abzuweisen.
19
Der Kläger beantragt,
20
die Berufung zurückzuweisen.
21
Er macht sich die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils zu Eigen und tritt
dem gegnerischen Rechtsmittelvorbringen im Einzelnen entgegen.
22
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zu
den Akten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf den Tatbestand und die
Entscheidungsgründe des angefochtene Urteils Bezug genommen.
23
Entscheidungsgründe:
24
I.
25
Die zulässige Berufung der Beklagten bleibt in der Sache weitgehend ohne Erfolg und
führt lediglich zu einer geringfügigen Abänderung der Zinsentscheidung.
26
Das Landgericht hat in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zutreffend die Beklagte
verurteilt, in der Hauptsache an die Klägerin 20.574,62 € zu zahlen.
27
In der Berufungsinstanz streiten die Parteien nur noch über die Rechtsfrage, ob der
28
seitens der Beklagten erhobene Verjährungseinwand nach den einschlägigen
zivilrechtlichen Vorschriften des Schadensortes Spanien (Artikel 40 Abs. 1 Satz 1, Abs.
4 EGBGB) bezogen auf den schadensersatzrechtlichen Direktanspruch gegen die
Beklagte als Haftpflichtversicherer aus Artikel 1902 CC rechtsvernichtende Wirkung hat.
Das Rechtsmittelvorbringen der Beklagten rechtfertigt in der Hauptsache keine
Abänderung der angefochtenen Entscheidung.
II.
29
1. Gemäß § 529 Abs. 1 Ziff. 1 ZPO hat das Berufungsgericht seiner Verhandlung und
Entscheidung die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen
zugrunde zu legen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder
Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb
eine erneute Feststellung gebieten. Konkreter Anhaltspunkt in diesem Sinne ist jeder
objektivierbare rechtliche oder tatsächliche Einwand gegen die erstinstanzlichen
Feststellungen. Bloß subjektive Zweifel, lediglich abstrakte Erwägungen oder
Vermutungen der Unrichtigkeit ohne greifbare Anhaltspunkte wollte der Gesetzgeber
ausschließen (BGH NJW 2006, 152 mit Hinweis auf BGHZ 159, 254, 258).
30
2. Derartige Zweifel sind in Bezug auf die Tatsachenfeststellungen im angefochtenen
Urteil nicht gegeben.
31
a) Nach der Vorlageentscheidung des EuGH vom 13. Dezember 2007 (C-463/06; DAR
2008, 17) in Verbindung mit dem Urteil des BGH vom 6. Mai 2008 zu dem Aktenzeichen
VI ZR 200/05 (ZfS 2008, 572) ist klargestellt, dass der Geschädigte, der seinen
Wohnsitz in einem Mitgliedsstaat der europäischen Union hat, vor dem Gericht seines
Wohnsitzes eine Klage unmittelbar gegen den Versicherer erheben kann, sofern – wie
hier – eine solche unmittelbare Klage zulässig ist und der Versicherer seinen Wohnsitz
im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedsstaates hat. Diese Zuständigkeitsregelung
ergibt sich aus der Verweisung in Artikel 11 Abs. 2 der Verordnung Nr. 44/2001 des
Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und Anerkennung
und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen auf Artikel 9 Abs. 1
Buchst. b) dieser Verordnung. Nach dem 13. Erwägungsgrund der Verordnung soll
diese einen günstigeren Schutz der schwächeren Parteien gewährleisten, als ihn die
allgemeinen Zuständigkeitsregeln vorsehen. Dem Geschädigten das Recht zu
verweigern, vor dem Gericht des Ortes seines eigenen Wohnsitzes zu klagen, würde
ihm nämlich einen Schutz vorenthalten, der demjenigen entspricht, der anderen
ebenfalls als schwächer angesehenen Parteien in Versicherungsrechtsstreitigkeiten
durch die Verordnung eingeräumt wird und stünde daher im Widerspruch zum Geist
dieser Verordnung (EuGH und BGH, jeweils a.a.O.).
32
b) Zwischen den Parteien steht außer Streit, dass den Fahrer des bei der Beklagten
haftpflichtversicherten Lkw mit dem spanischen amtlichen Kennzeichen XXX das
alleinige Verschulden an der Entstehung der Auffahrkollision trifft. In rechtlicher Hinsicht
ist nicht zweifelhaft, dass die Beklagte hinsichtlich der begründeten
Schadensersatzforderung des Klägers als Haftpflichtversicherer einem Direktanspruch –
vergleichbar mit der Regelung des § 3 Nr. 1 PflVG a.F. – nach Maßgabe der
schadensersatzrechtlichen Einstandspflicht aus Artikel 1902 CC ausgesetzt ist. Zudem
ist in Artikel 3 der 4. Kraftfahrzeughaftpflicht-Richtlinie der Europäischen Union (Nr.
2000/26/EG vom 16. Mai 2000) ein Direktanspruch gegen die Versicherung des
haftpflichtigen Unfallverursachers vorgesehen. Die im Jahre 2003 in Kraft getretene
33
Richtlinie kommt in allen Staaten der Europäischen Union zur Anwendung.
c) In der Berufungsinstanz ist nicht mehr streitig, dass die Schadensersatzverpflichtung
der Beklagten alle klagegegenständlichen Schadenspositionen einschließlich der
Aufwendungen für das Schadensgutachten, der Anmietung des Ersatzfahrzeuges sowie
der Vermögenseinbuße wegen des Frachtausfalles umfasst.
34
3.a) Im Hinblick auf den Verjährungseinwand der Beklagten sind einschlägig die
Vorschriften der Artikel 1968 Nr. 2 CC sowie 1969 CC. Danach verjährt nach Ablauf
eines Jahres der verschuldens- oder fahrlässigkeitsbezogene Schadensersatzanspruch
aus Artikel 1902, "und zwar von dem Augenblick an, in dem der Betroffene es wusste"
(Artikel 1968 Nr. 2). Der Verjährungsbeginn für Ansprüche jeder Art wird grundsätzlich
"von dem Tag an gerechnet, an dem sie ausgeübt werden konnten" (Artikel 1969 CC).
35
b) Zutreffend ist die Feststellung im angefochtenen Urteil, dass der Beginn der kurzen
einjährigen Verjährungsfrist nach spanischem Recht nicht mit dem Unfalltag (21. August
2006) einsetzte, sondern mit dem Datum des 26. April 2007. Denn an diesem Tag erfuhr
der Kläger erstmals, wer für die Beklagte im Inland als
Schadensregulierungsbeauftragter im Sinne des Artikels 4 der 4.
Kraftfahrzeughaftpflicht-Richtlinien der Europäischen Union tätig wird. Es handelt sich
dabei um die XXX AG mit Sitz in XXX. Dieser Gesellschaft gegenüber hat der Kläger
seine Schadensersatzansprüche in nicht rechtsverjährter Zeit mit Schreiben vom 26.
September 2007 geltend gemacht, ehe diese Schadensregulierungsbeauftragte mit
Schreiben vom 19. Februar 2008 eine Ersatzleistung mit der Begründung der
Forderungsverjährung endgültig ablehnte (Bl. 28 d.A.).
36
c) Die Beklagte beruft sich ohne Erfolg darauf, der Kläger habe schon vom Unfalltag an
über die Informationen verfügt, welche es ihm ermöglicht hätten, seinen
Schadensersatzanspruch gegen den Halter oder Fahrer des Schädigerfahrzeuges
geltend zu machen; damit sei für den Beginn des Laufs der einjährigen Verjährungsfrist
auch das Schadensdatum maßgeblich, so dass die Schadensanmeldung gegenüber
der XXX AG unter dem Datum des 26. September 2007 um mehr als einen Monat zu
spät erfolgt sei.
37
aa) Zwar mag entsprechend dem Berufungsvorbringen der Fahrer des Klägers das
amtliche Kennzeichen des von hinten aufgefahrenen spanischen Lastkraftwagens
(XXX) richtig abgelesen haben. Dies ändert jedoch nichts daran, dass in dem
Unfallbericht der spanischen Autobahnpolizei das amtliche Kennzeichen des
Schädigerfahrzeuges in schlecht lesbarer Weise handschriftlich eingetragen ist.
Insbesondere die letzte Ziffer der Zahlenkombination ist nicht eindeutig als "6"
erkennbar. Diese schlechte Lesbarkeit führte dann dazu, dass der Kläger vom Zentralruf
der Autoversicherer in XXX, die als Auskunftsstelle gemäß Artikel 5 der 4.
Kraftfahrzeughaftpflicht-Richtlinie eingerichtet ist, eine nicht zuständige
Schadensregulierungsbeauftragte am 4. September 2006 benannt bekam (Bl. 10 d.A.).
Denn die Anfrage des Klägers hatte sich auf die falschen Kennzeichenangabe XXX
bezogen. Erst nachdem diese Falschangabe geklärt war, wurde der Kläger durch ein
Schreiben der XXX AG vom 26. April 2007 über den für den Schadensfall zuständigen
spanischen Haftpflichtversicherer informiert (Bl. 23 d.A.).
38
bb) Der Kläger hätte – darin ist der Beklagten beizupflichten – seinen
Schadensersatzanspruch von vornherein gegen den Fahrer und den Halter des von
39
hinten aufgefahrenen spanischen Lastkraftwagens geltend machen können.
Möglicherweise hätten dazu die in dem polizeilichen Unfallbericht diesbezüglich
enthaltenen handschriftlichen Eintragungen den zu den Personalien ausgereicht.
Hingegen enthielt der Bericht keine Angaben über die Beklagte als das zuständige
spanische Haftpflichtversicherungsunternehmen; erst recht war dem Bericht nichts über
den deutschen Schadensregulierungsbeauftragten zu entnehmen. Auch hätte eine
unfallnahe Inanspruchnahme des Halters und/oder Fahrers des Schädigerfahrzeuges
im Hinblick auf Artikel 1974 Abs. 1 CC eine Verjährungsunterbrechung bezüglich des
Direktanspruches gegen die Beklagte als Haftpflichtversicherer bewirkt. Denn nach
dieser Regelung gereicht die Verjährungsunterbrechung von Ansprüchen bei
gesamtschuldnerischen Verbindlichkeiten allen Gläubigern und Schuldnern
gleichermaßen zum Nutzen oder Nachteil (Bl. 35 d.A.).
cc) Indes verkennt die Beklagte, dass der Kläger nicht gehalten war, von vornherein den
Fahrer und/oder Halter des unfallverursachenden Lkw außergerichtlich oder gerichtlich
auf Schadensersatz in Anspruch zu nehmen. Er durfte in Wahrnehmung seiner
berechtigten Regulierungsinteressen sogleich den Versuch der Durchsetzung seines
begründeten Schadensersatzanspruches gegenüber dem leistungsfähigsten
Gesamtschuldner unternehmen – also gegenüber der Beklagten als dem zuständigen
spanischen Haftpflichtversicherungsunternehmen bzw. gegenüber dessen deutschen
Schadensregulierungsbeauftragten. Dies gilt umso mehr im Hinblick auf die mit der 4.
Kraftfahrzeughaftpflicht-Richtlinie der Europäischen Union erfolgte Zielsetzung. Denn
auf der Grundlage dieser Richtlinie sollen Geschädigte unabhängig vom Unfallland bei
der Abwicklung von Personen- und Sachschäden vergleichbar behandelt werden; die
Folgen der Konfrontation mit ausländischem Recht, fremder Sprache, ungewohnter
Abwicklungspraxis und oft unabsehbar langer Regulierungsdauer sollen minimiert
werden (Neidhart in Ludovisy/Eggert/Burhoff, Praxis des Straßenverkehrsrechts, 4. Aufl.,
Teil 11, Rdnr. 7). Gerade im Hinblick auf diese Zielsetzung ist die Institution des
inländischen Regulierungsbeauftragten geschaffen worden. Nach Artikel 4 der
Richtlinie muss durch jeden Kfz-Haftpflichtversicherer in jedem anderen EU- bzw. EWR-
Land eine Schadensregulierungsstelle eingerichtet werden. Als weitere wichtige
Institution der 4. Kraftfahrzeughaftpflicht-Richtlinie fungiert gemäß Artikel 5 die
Auskunftsstelle. Der Geschädigte kann sich grundsätzlich sowohl an diese Stelle im
Zulassungsstaat seines Kraftfahrzeuges als auch an diejenige im Land des Unfallortes
wenden. In Deutschland ist die Auskunftsstelle beim Zentralruf der Autoversicherer
(GDV) in Hamburg eingerichtet. Dort können vom Geschädigten gemäß § 8a Abs. 1
PflVG n.F. u.a. die Versicherung des Schädigerfahrzeuges sowie der
Schadensregulierungsbeauftragte dieser Versicherung für Deutschland abgefragt
werden (Neidhart a.a.O., Rdnr. 13, 15). Aufgrund eines solchen Abrufversuches hatte
der Kläger zunächst unter dem Datum des 4. September 2006 die XXX AG als
unzuständige Schadensregulierungsbeauftragte benannt bekommen.
40
dd) Zwar ist nach der Rechtsprechung des Senats die den Zentralruf betreibende
Dienstleistungs-GmbH nicht Erfüllungsgehilfin gemäß § 278 BGB des für den
ersatzpflichtigen Fahrer bzw. Halter zuständigen Haftpflichtversicherer bei der
Schadensregulierung (Senat, Urteil vom 22. Januar 2007, Az.: I-1 U 151/06). Dessen
ungeachtet darf einem Unfallgeschädigten jedoch kein rechtlicher Nachteil aus der
Tatsache erwachsen, dass er sich bei dem Versuch der Durchsetzung seines
begründeten Schadensersatzanspruches einer der Institutionen bedient, wie etwa der
Auskunftsstelle, die durch die 4. Kraftfahrzeughaftpflicht-Richtlinie gerade zum Zwecke
der erleichterten Regulierung von Kraftfahrzeugschadensfällen im Geltungsbereich der
41
Europäischen Union geschaffen worden sind.
4. Im Hinblick auf die – auch nach spanischem Recht – Selbstständigkeit des
Direktanspruches eines Unfallgeschädigten gegenüber dem zuständigen
Haftpflichtversicherer als einem der Gesamtschuldner ist es für den Verjährungsbeginn
gemäß Artikel 1969 CC entscheidend, von welchem Tag an der
Schadensersatzanspruch gerade gegenüber der Beklagten – außergerichtlich – geltend
gemacht werden konnte. Dies war aus den dargelegten Gründen nicht vor dem 26. April
2007 der Fall.
42
a) Einerseits bezieht Artikel 1968 Ziff. 2 den Beginn des Laufs der einjährigen
Verjährungsfrist eines Schadensersatzanspruches aus Artikel 1902 CC auf den
"Augenblick", "in dem der Betroffene es wusste" (Bl. 34 d.A.). Diese Regelung könnte für
die Annahme sprechen, dass allein schon die Kenntnis des Geschädigten von der
Existenz seines Schadensersatzanspruches ausreicht, um den Lauf der Verjährungsfrist
in Gang zu setzen. Dies führte jedoch im Hinblick auf die Kürze der hier einschlägigen
Verjährungsfrist von nur einem Jahr zu unbilligen Ergebnissen. Denn allein das Wissen
des Geschädigten, dass er Inhaber eines Schadensersatzanspruches aus einem
Unfallereignis ist, besagt noch nichts über die Durchsetzbarkeit einer solchen Forderung
gegenüber einem in Spanien ansässigen Anspruchsgegner. Dies zeigt gerade der
vorliegende Fall in aller Deutlichkeit: Als der Kläger Kenntnis von der Passivlegitimation
der Beklagten erhielt, wären – den durch sie eingenommenen Rechtsstandpunkt als
richtig unterstellt – von der einjährigen Verjährungsfrist bereits 8 Monate verstrichen
gewesen. Maßgeblich ist deshalb nach Artikel 1969 CC für den Beginn des Laufes der
kurzen Verjährungsfrist der Tag, von dem an der Geschädigte tatsächlich in der Lage
war, seinen Schadensersatzanspruch gegenüber dem nach Namen und Anschrift
identifizierten Ersatzverpflichteten oder dessen Vertreter bzw. Regulierungsbeauftragten
auszuüben.
43
b) Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang ein Vergleich mit dem im Bürgerlichen
Gesetzbuch geregelten Beginn der regelmäßigen dreijährigen Verjährungsfrist. Dieser
setzt neben der Anspruchsentstehung (§ 199 Abs. 1 Ziff. 1 BGB) darüber hinaus u.a.
auch die Kenntnis des Berechtigten von den den Anspruch begründenden Umständen
voraus (§ 199 Abs. 1 Ziff. 2 1. Halbsatz BGB). Diese Regelung ist vergleichbar mit der
Bestimmung des Artikel 1968 Ziff. 2 CC. Für den Verjährungsbeginn muss daneben
aber auch noch die Kenntnis des Berechtigten von der Person des Schuldners treten,
wobei ihm grob fahrlässige Unkenntnis in Bezug auf Umstände und Personen schadet
(§ 199 Abs. 1 Ziff. 2 2. Halbsatz BGB). Diese Bestimmung geht in die Richtung der
Regelung des Artikels 1969 CC – mit dem Unterschied, dass nach dem Wortlaut des
spanischen Rechtes ("…, an dem sie ausgeübt werden konnten" und nicht: "…, an dem
sie hätten ausgeübt werden können"), es augenscheinlich nicht auf eine irgendwie
geartete fahrlässige Unkenntnis des Berechtigten hinsichtlich der den Anspruch
begründenden Umstände oder der Person des Schuldners ankommt. Tatsächlich
ausüben konnte der Kläger seine Rechtsposition gegenüber der Beklagten aber erst ab
dem Ende des Monats April 2007.
44
c) Nach dem insoweit unwidersprochen gebliebenen Vorbringen des Klägers in seiner
Berufungsbegründung hat nach der ständigen Rechtsprechung des spanischen
obersten Gerichtshofes die Regelung des Artikels 1969 CC Vorrang gegenüber
derjenigen des Artikels 1968 Nr. 2 CC. Auch diese Judikatur bestätigt die Richtigkeit
dessen, dass für den Verjährungsbeginn nicht die Kenntnis des Berechtigten von der
45
Existenz seines Anspruches maßgeblich ist, sondern die tatsächliche Möglichkeit der
Anspruchsausübung.
d) In diesem Zusammenhang darf auch nicht außer Acht gelassen werden, dass die
nach spanischem Recht maßgebliche Regelverjährungsfrist von einem Jahr für einen
Anspruch aus unerlaubter Handlung sehr kurz bemessen ist. Nicht zuletzt aus diesem
Grund erscheint eine Auslegung der einschlägigen Vorschriften des Codigo Civil in dem
Sinne geboten, den Verjährungsbeginn erst an die tatsächliche Möglichkeit zur
Anspruchsausübung zu knüpfen und insoweit nicht auf eine fahrlässige Unkenntnis in
Bezug auf die den Anspruch begründenden Umstände oder hinsichtlich der Person des
Ersatzpflichtigen abzustellen. Ganz abgesehen davon, dass wegen der nicht
eindeutigen handschriftlichen Schreibweise in dem polizeilichen Unfallbericht die
Falschbenennung des Kennzeichen des Schädigerfahrzeuges gegenüber dem
inländischen Regulierungsbeauftragten nicht auf eine grobe Fahrlässigkeit des Klägers
zurückgeführt werden kann, hindert nach der vergleichbaren deutschen Rechtsvorschrift
(§ 199 Abs. 1 Ziff. 2 BGB) nur grobe Fahrlässigkeit nicht den Beginn des Laufs der
Verjährungsfrist. Und das bei einer regelmäßigen Verjährungsfrist von immerhin 3
Jahren (§ 195 BGB).
46
5. Zudem dürfen für das Verständnis der spanischen Verjährungsvorschriften, die für
den Schadensersatzanspruch eines Unfallgeschädigten maßgeblich sind, die
Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Ermittlung des passiv legitimierten
Haftpflichtversicherers nicht unberücksichtigt bleiben. Wie bereits ausgeführt, sollen
aber durch die 4. Kraftfahrzeughaftpflicht-Richtlinie der Europäischen Union die Folgen
der Konfrontation mit ausländischem Recht sowie der ungewohnten Abwicklungspraxis
minimiert werden.
47
a) Anhand des amtlichen Kennzeichens kann zwar der Halter des jeweiligen
Fahrzeuges über die zuständige Verkehrsbehörde der Provinz (Jefatura provincial de
Tráfico) ermittelt werden; die für das Fahrzeug maßgebliche Kfz-Versicherung ist dort
jedoch nicht registriert. Aufgrund eines Dekretes aus dem Jahre 2001 sind die
Versicherer verpflichtet, über einen Garantiefonds alle Policenangaben dem
Wirtschaftsministerium mitzuteilen. Dort werden die Versicherungsdaten seitdem zentral
registriert (Neidhart a.a.O., Rdnr. 875). Ein über diese Zusammenhänge nicht
informierter ausländischer Unfallgeschädigter wird allerdings kaum auf die Idee
kommen, sich bei der Suche nach dem zuständigen Haftpflichtversicherer seines
Unfallgegners sich an das spanische Wirtschaftsministerium zu wenden.
48
b) Die nach der 4. Kraftfahrzeughaftpflicht-Richtlinie der Europäischen Gemeinschaften
geschaffene Versicherungs-Auskunftsstelle findet sich in Spanien unter derselben
Anschrift wie der sogenannte Garantiefonds, der bis zur Höhe der Kfz-Mindestdeckung
Personen- und Sachschäden ersetzt, wenn der motorisierte Unfallgegner nicht
versichert ist oder mit einem gestohlenen Fahrzeug Schäden verursacht (Neidhart
a.a.O., Rdnr. 870, 875). Auch dazu ist anzumerken, dass ein ausländischer
Unfallgeschädigter jedenfalls nicht ohne Weiteres auf den Gedanken kommen wird, sich
in Spanien bei der Suche nach dem zuständigen Haftpflichtversicherer der Anschrift
eines Garantiefonds zu bedienen.
49
c) Zumindest ist es wegen der nicht transparenten Zuständigkeitszuweisungen leicht
möglich, dass einem Anspruchsberechtigten, der sich in Spanien auf die Suche nach
dem für seine Unfallschadensregulierung zuständigen Haftpflichtversicherer macht,
50
infolge leichter Fahrlässigkeit Umstände unbekannt bleiben, die für die Auffindung des
einschlägigen Versicherungsunternehmens wesentlich sind. Wäre für den
Verjährungsbeginn nach Artikel 1969 CC nicht die tatsächliche Möglichkeit zur
Anspruchsausübung maßgeblich, sondern käme es insoweit auch auf eine nur leicht
fahrlässige Unkenntnis der für die Realisierung der Forderung maßgeblichen Umstände
an, so liefe ein in Spanien Unfallgeschädigter entgegen der erklärten Absicht des
Gesetzgebers der Europäischen Union gerade wegen der ungewohnten ausländischen
Abwicklungspraxis in vielen Fällen Gefahr, dass seine begründete Ersatzforderung in
Anbetracht der kurzen einschlägigen Verjährungsfrist des Artikels 1968 CC untergeht.
Im Zusammenhang mit der Falschangabe des Kennzeichens des Schädigerfahrzeuges
gegenüber dem Zentralruf der Autoversicherer in XXX kann dem Kläger jedoch – wenn
überhaupt – wegen der undeutlichen Schreibweise im polizeilichen Unfallbericht nur
eine leichte Fahrlässigkeit zur Last gelegt werden. Ein solches geringes Verschulden
darf sich aus den oben dargelegten Gründen nicht zu Gunsten der Beklagten in dem
Sinne auswirken, dass die einjährige Verjährungsfrist gemäß Artikel 1968, 1969 CC
bereits vor dem Datum des 26. April 2007 zu laufen begann.
III.
51
Das Rechtsmittel der Beklagten hat lediglich hinsichtlich des Zinsausspruches der
angefochtenen Entscheidung in geringem Umfang Erfolg. Wegen der Einschlägigkeit
der spanischen Rechtsvorschriften ist für die Verzinsung nicht die Vorschrift des § 288
Abs. 1 Satz 2 BGB maßgeblich, sondern diejenige der Artikel 1108 und 1109 CC. Diese
gewähren dem Anspruchsinhaber lediglich "den gesetzlichen Zinssatz sowohl bei
Verzug als auch nach Klageerhebung". Dieser machte nach dem insoweit
unwidersprochen gebliebenen Vorbringen der Beklagten im Jahre 2008 nur 5,50 % aus
(Bl. 136 d.A.). Mehr kann der Kläger nicht beanspruchen.
52
IV.
53
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 92 Abs. 2 Ziff. 1, 97 Abs. 1 ZPO.
54
Die Anordnung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils hat ihre Grundlage in §§
708 Nr. 10, 711 ZPO.
55
Der Gegenstandswert für den Berufungsrechtszug beträgt 20.574,62 €. Dieser Betrag
macht auch die Beschwer der Beklagten aus.
56
Zur Zulassung der Revision besteht kein Anlass, weil die Voraussetzungen des § 543
Abs. 2 ZPO nicht gegeben sind. Insbesondere hat die Rechtssache keine
grundsätzliche Bedeutung im Sinne der Ziff. 1 dieser Vorschrift. Die durch den Senat
vertretene Ansicht zum Beginn des Laufes der einjährigen Verjährungsfrist nach
spanischem Recht steht im Ergebnis in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des
spanischen obersten Gerichtshofes (oben II. 4. c)).
57