Urteil des OLG Düsseldorf vom 01.10.2003

OLG Düsseldorf: hinreichender tatverdacht, gewerbesteuer, anklageschrift, immobilie, zahl, identifizierung, konkretisierung, unentgeltlich, abgabe, unterlassen

Oberlandesgericht Düsseldorf, III-2 Ss 124/03 - 21/03 III
Datum:
01.10.2003
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
3. Senat für Straf- und Bußgeldsachen
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
III-2 Ss 124/03 - 21/03 III
Tenor:
b e s c h l o s s e n :
Das Verfahren wird eingestellt.
Die Verfahrenskosten und notwendigen Auslagen des Angeklagten
fallen der Staatskasse zur Last.
G r ü n d e :
1
I.
2
Das Amtsgericht Wuppertal - Schöffengericht - hat den Angeklagten durch das
angefochtene Urteil wegen Steuerverkürzung in 5 Fällen, "unter Einbeziehung der
Verurteilung durch das Amtsgericht Solingen vom 17. November 2000 in Verbindung mit
dem Urteil des Landgerichts Wuppertal vom 6. März 2002", zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren und 2 Monaten verurteilt. Dagegen wendet sich der
Angeklagte mit seiner form- und fristgerecht eingelegten Revision, mit der er die
Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt.
3
II.
4
Die zulässige Revision hat mit der Sachrüge Erfolg.
5
Das Verfahren ist gemäß § 206 a Abs. 1 StPO einzustellen. Denn die von Amts wegen
vorzunehmende Prüfung der Verfahrensvoraussetzungen hat ergeben, dass die
Anklage - ebenso wie der auf ihrer Grundlage ohne Änderung ergangene gerichtliche
Eröffnungsbeschluss - mangels hinreichender Konkretisierung und Individualisierung
des Verfahrensgegenstandes unwirksam ist.
6
1.
7
Die Anklage legt dem Angeklagten zur Last, in zwei Fällen den Finanzbehörden über
steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben gemacht und
dadurch Steuern verkürzt zu haben, sowie in drei weiteren Fällen die Finanzbehörden
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pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis gelassen und dadurch
Steuern hinterzogen zu haben. Im Anklagesatz heißt es dazu:
"zu 1. u. 2.
9
Am 15.12.1995 gab der Angeschuldigte die Umsatzsteuer-, Körperschaftssteuer-
und Gewerbesteuererklärung für das Jahr 1993 ab.
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Am 6.9.1996 gab der Angeschuldigte die Umsatzsteuer-, Körperschaftssteuer und
Gewerbesteuererklärung für das Jahr 1994 ab.
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Für beide Jahre erklärte er erzielte Erlöse nicht. Darüber hinaus führte die GmbH
unentgeltlich umfangreiche Renovierungsarbeiten an einer Immobilie des
Angeschuldigten aus. Der dadurch verursachte Lohn- und Materialaufwand wurde
bei der GmbH als Betriebsausgaben behandelt. Jedoch hätte der Wert dieser
Arbeiten gewinnerhöhend bei der GmbH berücksichtigt werden müssen.
12
zu 3. - 5.
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Für das Jahr 1992 gab der Angeschuldigte die Umsatzsteuerjahres-, die
Körperschafts- und die Gewerbesteuererklärung nicht ab.
14
Die Höhe der verkürzten Steuern berechnet sich im einzelnen wie folgt:
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I. Körperschaftssteuer
16
Jahr 1992 1993 1994
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Einkommen iSd § 47 II KStG 16.000,00 -10.238,00 -1.617,00
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Änderungen 106.975,00 41.356,00 57.549,00
19
Einkommen iSd § 47 II KStG 122.975,00 31.118,00 55.932,00
20
zu versteuerndes Einkommen 122.975,00 31.118,00 55.932,00
21
Körperschaftssteuer (50%) 61.487,00 15.559,00 25.169,00
22
KSt-minderung 16.411,00 6.224,00 8.390,00
23
KSt-erhöhung 39.683,00 15.102,00 40.332,00
24
festzusetzende KSt 84.759,00 24.437,00 57.111,00
25
KSt bisher 7.191,00 0,00 0,00
26
Verkürzungsbetrag 77.568,00 24.437,00 57.111,00
27
II. Gewerbesteuer
28
Jahr 1992 1993 1994
29
Gewinn 122.975,00 31.118,00 55.932,00
30
Hinzurechnungen 0,00 6.286,00 9.462,00
31
abger. Gewerbeertrag 122.900,00 37.400,00 65.300,00
32
abzgl. Freibetrag 0,00 0,00 0,00
33
verbl. Gewerbeertrag 122.900,00 37.400,00 65.300,00
34
Gewerbesteuermeßzahl neu (bis 6.145,00 1.870,00 3.265,00
35
1992 5 %, ab 1993 Staffeltarif)
36
Gewerbesteuermeßzahl bisher 800,00 0,00 0,00
37
(bis 1992 5 %, ab 1993 Staffeltarif)
38
Gewerbesteuer neu 27.038,00 8.228,00 14.366,00
39
(x Hebesatz bis 1992 420 %, ab
40
1993 440 %)
41
Gewerbesteuer bisher 3.520,00 0,00 0,00
42
(x Hebesatz bis 1992 420 %, ab
43
1993 440 %)
44
Verkürzungsbetrag 23.518,00 8.228,00 14.366,00
45
III. Umsatzsteuer
46
Jahr 1992 1993 1994
47
Umsatz 7 %
48
Umsatz 15 % 282.263,00 439.308,00 532.832,00
49
Umsatzsteuer 39.516,00 64.896,00 79.924,00
50
Umsatzsteuer bisher 24.439,00 58.458,00 59.740,00
51
Verkürzungsbetrag 15.077,00 7.438,00 20.184,00."
52
2.
53
Mit diesen Angaben genügt die Anklage den Erfordernissen des § 200 Abs. 1 Satz 1
54
StPO nicht. Die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat im Sinne dieser Bestimmung ist
nicht ausreichend bezeichnet. Die Anklage wird der für ihre Wirksamkeit
entscheidenden Umgrenzungsfunktion nicht gerecht.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat die Anklageschrift die
dem Angeklagten zur Last gelegte Tat sowie Zeit und Ort ihrer Begehung so genau zu
bezeichnen, dass die Identität des geschichtlichen Vorgangs klargestellt und erkennbar
wird, welche bestimmte Tat gemeint ist; sie muss sich von anderen gleichartigen
strafbaren Handlungen desselben Täters unterscheiden lassen (BGHSt 40, 44 [45] und
BGHR StPO § 200 Abs. 1 Satz 1 Tat 3, jeweils m.w.N.; vgl. ferner BGH StV 2000, 6;
OLG Zweibrücken MDR 1996, 956 , KG, Urteil vom 25. Oktober 1999 - (3) 1 Ss 191/99;
OLG Düsseldorf StV 1996, 199 [200]). Dabei muss die Schilderung um so konkreter
sein, je größer die allgemeine Möglichkeit ist, dass der Angeklagte verwechselbare
weitere Straftaten gleicher Art verübt hat (BGHR StPO § 200 Abs. 1 Satz 1 Tat 4 und 7;
KG, a.a.O.).
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In Steuerstrafsachen können in der Regel Tatablauf und Schuldumfang nicht schon
durch die bloße Angabe der betroffenen Steuerart und der Summe der jeweils
verkürzten Abgaben hinreichend deutlich gemacht werden (vgl. OLG Düsseldorf NJW
1989, 2145; NStZ 1982, 335 [336]; NStZ 1991, 99 [100]; OLG Hamm, Beschluss vom 11.
August 1980 - 6 Ws 227/80). Zur Kennzeichnung einer zu ahndenden
Steuerhinterziehung in der Anklage gehört vielmehr die - wenn auch kurze - Darstellung
der tatsächlichen Grundlagen des materiellen Steueranspruchs, über dessen
Verkürzung entschieden werden soll, sowie die Angabe, durch welches Täterverhalten
und für welchen in Betracht kommenden Steuerabschnitt die Erklärungs- und/oder
Anmeldepflichten verletzt wurden (OLG Düsseldorf a.a.O.).
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Zur Identifizierung der Umsatzsteuerverkürzung gehört somit eine - notfalls
summarische - Darstellung dessen, was die eigentliche Tathandlung ausmacht, ob und
welche Umsätze nicht angegeben, ob Vorsteuer zu Unrecht geltend gemacht, ob ein
unrichtiger Steuersatz angewendet oder ob unrichtige Angaben zu
Steuerbefreiungstatbeständen gemacht worden sind. Ebenso gehört zur Identifizierung
von Ertragssteuern die Darstellung, worin die Unrichtigkeit der Steuererklärung besteht,
ob und durch welche Manipulationen Erträge falsch oder gar nicht angegeben, und/oder
auf welche Weise zu Unrecht Steuervergünstigungen in Anspruch genommen worden
sind (vgl. OLG Düsseldorf NJW 1989, 2145 [2146]).
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Ob darüber hinaus auch ein Vergleich der gesetzlich geschuldeten Steuer mit
derjenigen, die aufgrund der unrichtigen oder unvollständigen Angaben des Täters
gegenüber der Steuerbehörde nicht, nicht in voller Höhe oder nicht rechtzeitig
angemeldet oder festgesetzt wurde erforderlich ist (für dieses Erfordernis OLG
Düsseldorf a.a.O.; dagegen BayObLG NStZ 1992, 403), kann vorliegend dahinstehen.
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Denn die im vorliegenden Fall unverändert zur Hauptverhandlung zugelassene Anklage
lässt bereits die tatsächlichen Grundlagen des materiellen Steueranspruchs nicht
erkennen. Es ist nicht einmal ansatzweise ersichtlich, welchen Inhalt die von dem
Angeklagten abgegebenen Erklärungen hatten und welche Umsätze wann - und ferner
in welcher Höhe - nicht angegeben worden sind. Bezüglich der nach der Anklageschrift
unentgeltlich an einer Immobilie des Angeklagten ausgeführten Renovierungsarbeiten
ist ebenfalls nicht ansatzweise zu erkennen, wann und in welcher Höhe dadurch
verursachte Lohn- und Materialaufwendungen bei der GmbH als Betriebsausgaben
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behandelt, der Wert dieser Arbeiten jedoch nicht gewinnerhöhend bei dieser
berücksichtigt worden ist.
Hier wäre es zumindest erforderlich gewesen, für alle Steuerarten - und für die
jeweiligen Veranlagungszeiträume - getrennt anzugeben, zu welchem Zeitpunkt der
Angeklagte Erklärungen oder Anmeldungen bzw. Voranmeldungen abgegeben hat,
welchen Inhalt diese Erklärungen oder Anmeldungen hatten und inwiefern die in ihnen
enthaltenen Angaben falsch waren. Soweit dem Angeklagten vorgeworfen wird, es
unterlassen zu haben, solche Erklärungen, zu deren Abgabe er verpflichtet war,
überhaupt abzugeben, hätte in der Anklage angegeben werden müssen, zu welchem
Zeitpunkt der Angeklagte solche Erklärungen hätte abgeben müssen und welche
Angaben diese hätten enthalten müssen. Nur aufgrund dieser Angaben in der Anklage
ist für das Gericht und für alle Verfahrensbeteiligten, insbesondere für den Angeklagten
selbst, erkennbar, von welchem Umsatz im Sinne des Umsatzsteuergesetz und von
welchem Gewerbeertrag bzw. zu versteuernden Einkommen in den jeweiligen
Zeiträumen die Staatsanwaltschaft ausgeht, und nur so kann das Gericht sachgemäß
prüfen, ob insoweit nach den bisherigen Ermittlungsergebnissen ein hinreichender
Tatverdacht gegeben ist (vgl. OLG Hamm a.a.O.).
60
Da auch im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen, welches zur Ergänzung
heranzuziehen ist (vgl. BGH NJW 2000, 3293; BGHSt 40, 44 [47]; BGH NStZ 1999, 520;
OLG Karlsruhe StV 1993, 403 [404]; Krause/Thon StV 1985, 252 [255]) keinerlei
weiterführenden Angaben enthalten sind, wird die Anklage ihrer Umgrenzungsfunktion
nicht gerecht und bildet keine Basis für eine ausreichende Abgrenzung des
Verfahrensstoffs.
61
3.
62
Da die unzureichende Konkretisierung des Tatvorwurfs zur Unwirksamkeit der Anklage
und des auf ihrer Grundlage unverändert ergangenen Eröffnungsbeschlusses führt (vgl.
BGH NStZ 1999, 520; BGH NJW 1991, 2716; BGH NStZ 1992, 553; Senatsbeschlüsse
vom 27. Januar 2003 - 2a Ss 216/02 und vom 11. April 2003 - 2a Ss 16/03; KG, Urteil
vom 25. Oktober 1999 - (3) 1 Ss 191/99), liegt ein auf die Sachrüge von Amts wegen zu
beachtendes Verfahrenshindernis vor, das gemäß § 206 a Abs. 1 StPO zur
Verfahrenseinstellung zwingt (BGH StV 2000, 6; BGH NStZ 1999, 520).
63
Der Senat kann offen lassen, ob Mängel, die einer Anklageschrift im Hinblick auf ihre
Umgrenzungsfunktion anhaften, im weiteren Verfahren geheilt werden können (vgl.
verneinend BGH StV 2000, 6; Krause/Thon, StV 1985, 252 [255]; LR-Rieß a.a.O. § 200
Rn. 57a; ders. Anmerkung zu OLG Frankfurt/Main OLGSt StPO § 200 Nr. 1; bejahend
wohl BGH GA 1980, 108 [109]; BGH GA 1973, 111 [112]; OLG Karlsruhe StV 1993, 403
[404]; offengelassen OLG Düsseldorf - 2. Strafsenat - StV 1996, 199 [201]; OLG Bremen
StV 1990, 25 [26]). Eine solche Heilung ist hier jedenfalls nicht erfolgt.
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4.
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Infolge der Einstellungsentscheidung des Senats verliert das angefochtene Urteil ohne
weiteres seine Wirkung (vgl. Senatsbeschlüsse vom 27. Januar 2003 - 2a Ss 216/02
und vom 30. Juni 2003 - 2 Ss 92/03 - 9/03; Meyer-Goßner, StPO, 46. Aufl., § 206a Rn.
1), ohne dass es einer Aufhebung bedarf.
66
5.
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Einer neuen, den verfahrensrechtlichen Anforderungen entsprechenden Anklage steht
die Verfahrenseinstellung nicht entgegen (BGHR StPO § 200 Abs. 1 Satz 1 Tat 13; BGH
NStZ 1999, 520 [521]).
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Allerdings weist der Senat insoweit vorsorglich darauf hin, dass bezüglich des Vorwurfs
der Nichtabgabe von Steuererklärungen (Umsatzsteuerjahres-, Körperschaftssteuer-
und Gewerbesteuererklärung) für das Jahr 1992 zu überprüfen sein wird, ob
Strafverfolgungsverjährung eingetreten ist.
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III.
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Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf § 467 Abs. 1 StPO. Der Senat hat
hier nicht gemäß § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StPO davon abgesehen, der Staatskasse die
notwendigen Auslagen des Angeklagten aufzuerlegen, denn eine Anwendung dieser
Ausnahmevorschrift scheidet aus, wenn die Verfahrenseinstellung - wie hier - wegen
eines Verfahrenshindernisses erfolgte, das der Einleitung des Strafverfahrens von
vornherein und erkennbar entgegenstand (vgl. BGH wistra 84, 62 [63]; KG StV 91, 479
[479]).
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