Urteil des OLG Düsseldorf vom 09.05.2008
OLG Düsseldorf: ersuchte behörde, akteneinsicht, selbstbestimmungsrecht, prozesshandlung, auflage, gerichtsbehörde, unterliegen, amtshilfeersuchen, beteiligter, verwertungsverbot
Oberlandesgericht Düsseldorf, I-3 VA 4/08
Datum:
09.05.2008
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
3. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
I-3 VA 4/08
Tenor:
Das Gesuch wird auf Kosten des Antragstellers als unzulässig
zurückgewiesen.
Wert des Beschwerdegegenstandes: 1.000 Euro.
G r ü n d e :
1
I.
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Das Amtsgericht Düsseldorf – Familiengericht (250 F 2354/97) - hat mit am 12.
September 2007 verkündetem Urteil den Antragsteller von seiner Ehefrau geschieden,
die Übertragung von Rentenanwartschaften des Antragstellers auf das
Rentenversicherungskonto der Ehefrau ausgesprochen und den Antragsteller zur
Zahlung eines Zugewinnausgleichs verpflichtet. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
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Der Antragsteller führt vor dem Sozialgericht Düsseldorf – S 7 AL 138/04 und S 29 AS
117/06 ER –Verfahren gegen die Bundesagentur für Arbeit bzw. die ARGE Düsseldorf.
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Am 7. Juni 2004 erhielt der Antragsteller davon Kenntnis, dass der Familienrichter die
Akten des Ehescheidungsverfahrens ohne seine Zustimmung am 27. Mai 2004 auf
Ersuchen des Sozialgerichts nach dort (S 7 AL 62/04) übersandt hatte.
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Hiergegen hat sich der Antragsteller mit seiner am 8. Juni 2004 eingegangenen
Eingabe gewendet.
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Der Amtsrichter hat diese als sofortige Beschwerde behandelt, ihr nicht abgeholfen, weil
die Akteneinsicht als Amtshilfe im anhängigen Verfahren gewährt worden sei und hat
die Akten dem OLG Düsseldorf – Familiensenat – " zur Entscheidung über die verfügte
Aktenübersendung an das SozG" vorgelegt.
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Dieser hat über das Rechtsmittel nicht entschieden, sondern die Akten mit Verfügung
vom 2. Juli 2004 an das Amtsgericht zurückgegeben, mit dem Bemerken, es fehle an
einer beschwerdefähigen Entscheidung im Sinne einer Prozesshandlung; die
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Gewährung von Akteneinsicht an unbeteiligte Dritte wie hier an das Sozialgericht
Düsseldorf im Wege der Amtshilfe sei als Justizverwaltungsakt im Sinne des § 23
EGGVG zu werten; über die Eingabe des Antragstellers sei daher in einem gesonderten
Verfahren nach § 23 EGGVG zu entscheiden.
In dieser Sache wurde Weiteres nicht unternommen.
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In der Folgezeit entsprach der Familienrichter weiteren Aktenanforderungen des
Sozialgerichts (dort zu S 29 AS 117/06 ER) vom 11. September, 10. Oktober und 13.
November 2006.
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Am 28. August 2007 bat das Sozialgericht um Mitteilung des Terminsergebnisses (vom
5. September 2007), unter dem 6. September und 16. Oktober 2007 um Übersendung
der Sitzungsniederschrift. Am 23. Januar 2008 verfügte der Amtsrichter auf Gesuch des
Sozialgerichts die Übersendung einer Abschrift des Scheidungsurteils.
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Der Antragsteller, der sich durch die Übersendungen in seinen Rechten verletzt sieht,
beantragt,
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1. festzustellen, dass die gewährte Akteneinsicht rechtswidrig ist;
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2. dem Familienrichter aufzugeben:
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a) die an Dritte weitergeleiteten Akten zurückzufordern
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b) die Weiterleitung/Offenlegung von Akten und Urteilen an
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unbeteiligte Dritte unter Anordnung von Sanktionen zu unter-
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sagen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
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II.
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Der Antrag ist nicht gemäß §§ 23, 24, 26 EGGVG statthaft.
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1. a)
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Über die Rechtmäßigkeit der Anordnungen, Verfügungen oder sonstigen Maßnahmen,
die von Justizbehörden zur Regelung einzelner Angelegenheiten – u. A. – auf dem
Gebiet des bürgerlichen Rechts getroffen werden, entscheiden auf Antrag die
ordentlichen Gerichte, § 23 Abs. 1 Satz 1 EGGVG, und zwar nach § 25 Abs. 1 Satz 1
EGGVG der Zivilsenat des Oberlandesgerichts, in dessen Bezirk die Justizbehörde
ihren Sitz hat.
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b)
aufsichtsführende Richter, bzw. der Direktor oder Präsident der Gerichtsbehörde, dritten
Personen, also solchen, die nicht Partei des Verfahrens sind, ohne Einwilligung der
Parteien die Einsicht in die Akten gestatten, wenn ein rechtliches Interesse glaubhaft
gemacht wird.
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gemacht wird.
Diese Entscheidung stellt regelmäßig einen Justizverwaltungsakt im Sinne des § 23
Abs. 1 Satz 1 EGGVG dar.
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2.
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a)
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So liegen die Dinge hier aber nicht. Adressat der Aktenübersendung war nämlich nicht –
was § 299 Abs. 2 ZPO allerdings schon vom eindeutigen Wortlaut her voraussetzt - eine
dritte Person, sondern eine Behörde, nämlich das Sozialgericht Düsseldorf. Deshalb
sind auch die vom Antragsteller beanstandeten Verfügungen der Aktenübersendung zu
Recht nicht von der Leitung der Gerichtsbehörde getroffen worden, sondern innerhalb
des noch nicht rechtskräftig abgeschlossenen Familiengerichtsverfahrens vom
Amtsrichter in richterlicher Unabhängigkeit (vgl. Zöller-Greger ZPO § 299 Rdz. 8), und
dies nicht etwa von Amts wegen, was u. U. nach § 12 ff. EGGVG zu einer Überprüfung
nach § 23 Abs. 1 EGGVG hätte führen können, sondern auf Gesuch eines anderen
Gerichts.
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b)
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Auf die Ersuchen anderer Behörden ist aber § 299 Abs. 2 ZPO ohnehin nicht
anwendbar. Diese können nämlich mit Blick auf Art. 35 GG, wonach alle Behörden des
Bundes und der Länder sich gegenseitig Rechts- und Amtshilfe leisten, grundsätzlich
ohne die Beschränkungen des § 299 Abs. 2 ZPO Akten zur Einsicht anfordern, soweit
die Voraussetzungen eines Amtshilfepflicht vorliegen. (Reichold in Thomas-Putzo, ZPO
8. Auflage 2007 § 299 Rdz. 5; Holch ZZP 87, 14, 17).
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Das Gesetz regelt allerdings nicht, ob, unter welchen Voraussetzungen und wem in
einem schwebenden Verfahren der Richter Auskünfte aus den Gerichtakten zu erteilen
oder Einsicht in dieselben zu gewähren hat. Die Entscheidung darüber, ist richterliche
Tätigkeit, die der Unabhängigkeitsgarantie untersteht, also nur an Gesetz und Recht
gebunden ist (BGHZ 51, 193; Zöller-Greger a.a.O. § 299 Rdz. 8). Die Entscheidung,
innerhalb eines laufenden Verfahrens die Akten auf Ersuchen eines anderen Gerichts
an dieses zu übersenden, stellt - ebensowenig wie die Aktenübersendung selbst - ein
Verwaltungshandeln des amtierenden Richters, sondern die Erledigung einer
Richteraufgabe im Rahmen der ihm obliegenden Aktenführung dar.
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Es liegt anderseits keine Prozesshandlung vor, die mit den nach Prozessordnung
vorgesehenen Rechtsmitteln, z. B. der Beschwerde anzugreifen wäre (Zöller-Gummer
a.a.O. § 23 EGGVG Rdz. 12).
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Dies bedeutet allerdings nicht, dass die Maßnahme deshalb aus verfassungsrechtlichen
Grundsätzen der unmittelbaren gerichtlichen Überprüfung auf anderem Wege
unterliegen muss. So bestimmt beispielsweise § 44 a VwGO, dass Rechtsbehelfe
gegen behördliche Verfahrenshandlungen (eine solche ist die Amtshilfe im Verhältnis
zum Bürger, vgl. Gubelt in von Münch/Kunig, GG-Kommentar, 5. Auflage 2001 Art. 35
Anm. 19) nur gleichzeitig und den gegen die Sachentscheidung zulässigen
Rechtsbehelfen geltend gemacht werden können.
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c)
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Dass Amtshilfersuchen unter Gerichten, namentlich auf Aktenübersendung, nicht als
anfechtbare Justizverwaltungsakte angesehen werden können, ergibt zudem folgende
Kontrollüberlegung:
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Würde das Ersuchen eines Gerichts an ein anderes um Akteneinsicht analog § 299 Abs.
2 ZPO behandelt, so müsste nämlich das ersuchte Gericht (hier das Amtsgericht) bevor
es dem Amtshilfeersuchen nachkommt, prüfen, ob das ersuchende Gericht (hier das
Sozialgericht) ein rechtliches Interesse an der Übersendung der Akten hinreichend
glaubhaft gemacht hat, das heißt der für die Maßnahme verantwortliche Amtsrichter
müsste mit Blick auf das informationelle Selbstbestimmungsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m.
Art. 1 Abs. 1 GG; vgl. zuletzt BVerfG 1 BvR 2074/05 und 1 BvR 1254/07 vom 11.03.2008
bei juris) der Verfahrensbeteiligten prüfen, ob das Sozialgericht die Akten oder nur
einzelne Teile derselben zu seiner Entscheidungsfindung benötigt oder benötigen kann.
Hierzu müsste der Familienrichter entweder das Sozialgericht auffordern, zwecks
Schaffung einer Beurteilungsgrundlage für seine Entscheidung über die
Aktenübersendung, darzustellen, welche Bedeutung die Famliengerichtsakten für das
konkrete Sozialgerichtsverfahren haben, welche Tatsache also durch den Inhalt der
Famliengerichtsakten (zum Nachteil des Antragstellers?) belegt oder widerlegt werden
soll, oder der Familienrichter müsste womöglich seinerseits die Akten des
Sozialgerichts zum Zwecke einer entsprechenden Überprüfung anfordern und einsehen.
Dass dies nicht sein kann, liegt auf der Hand und gilt umso mehr als die Akteneinsicht
durch den Amtsrichter oder die Darstellung von durch das Sozialgericht zum Zwecke
der Begründung der Aktenanforderung preisgegebenen Verfahrendetails wiederum
geeignet sein könnten, das informationelle Selbstbestimmungsrecht des Antragstellers,
diesmal als Beteiligter am Sozialgerichtsverfahren, zu tangieren.
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Dies sieht das OLG Köln (NJW-RR 1994, 1075) offenbar nicht als problematisch an, da
es die ersuchte Behörde – dort allerdings den Gerichtsvorstand – auch bei gerichtlicheh
Aktenanforderungen für verpflichtet hält, die Rechtmäßigkeit der Maßnahme zu prüfen.
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d)
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§ 23 EGGVG eröffnet auch nicht allein deshalb einen zusätzlichen Rechtsweg, weil die
Übersendung der Prozessakten auf Anfordern eines anderen Gerichts innerhalb eines
laufenden Verfahrens im Wege der Amtshilfe durch den amtierenden Richter – mangels
Qualifizierung als Justizverwaltungsakt – eine unanfechtbare gerichtliche Entscheidung
darstellt. Solches erfordert auch die Rechtsweggarantie nach Art. 19 Abs. 4 GG nicht
(BVerfG 49, 340; Zöller-Gummer ZPO § 23 EGGVG Rdz. 3).
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3.
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Diese Betrachtungsweise hat nicht notwendigerweise zur Folge, dass der Antragsteller
schutzlos gestellt wird. Sollte nämlich in dem Sozialgerichtsverfahren eine ihm
nachteilige Entscheidung ergehen, die auf der Einführung und Bewertung von im Wege
der Amtshilfe durch den Familienrichter gewonnenen Tatsachen beruht, so könnte mit
Blick auf die vom Bundesverfassungsgericht (NJW 1970, 555) für die Übersendung von
Ehescheidungsakten unter Verwaltungsträgern (Übersendungsgenehmigung des
Landgerichtspräsidenten an den Regierungspräsidenten als Untersuchungsführer in
einem vom gegen den dortigen Beschwerdeführer geführten Disziplinarverfahren)
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einem vom gegen den dortigen Beschwerdeführer geführten Disziplinarverfahren)
entwickelten Gesichtspunkte ein etwa hieraus resultierendes Verwertungsverbot mit
einem Rechtsmittel gegen die Entscheidung des Sozialgerichts geltend gemacht
werden.
Dies ändert allerdings nichts daran, dass das Gesuch des Antragstellers im Verfahren
nach §§ 23 ff. EGGVG als unstatthaft zurückzuweisen ist.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 30 Abs. 1 EGGVG.
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Die Wertfestsetzung beruht auf §§ 30 Abs. 3 EGGVG, 30 Abs. 2 KostO.
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