Urteil des OLG Düsseldorf vom 03.02.2004

OLG Düsseldorf: durchleitung, sicherheitsleistung, unternehmen, betreiber, verfügung, liberalisierung, verzicht, stromversorgung, einwilligung, wechsel

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Oberlandesgericht Düsseldorf, VI-W (Kart) 9/02
03.02.2004
Oberlandesgericht Düsseldorf
Kartellsenat
Beschluss
VI-W (Kart) 9/02
I. Die sofortige Beschwerde der Beklagten wird auf ihre Kosten zu-
rückgewiesen.
II. Beschwerdewert: 10.000 EUR.
G r ü n d e:
I.
Die Klägerin ist eine Tochtergesellschaft der E. E. B.-W. AG und Teil des E. - Konzerns,
des drittgrößten Energiekonzerns Deutschlands. Die Beklagte betreibt ein Stromnetz auf
der Hoch- Mittel- und Niederspannungsebene.
Nach der Liberalisierung der Strommärkte schloss die Klägerin mit verschiedenen
Stromabnehmern Energielieferverträge, wobei sie von ihren Kunden bevollmächtigt wurde,
die bestehenden Stromlieferverträge mit der Beklagten zu kündigen. Am 22.7.1999 wandte
sich die Klägerin an die Beklagte und bat um die Durchleitung elektrischer Energie zur
Erfüllung ihrer Verträge. Die Beklagte erklärte sich hierzu bereit, forderte jedoch den
Abschluss einer vertraglichen Vereinbarung mit der Klägerin. Die Parteien schlossen am
26.1.2000 einen Kooperationsvertrag (Anlage K 6), um die Versorgung der Kläger-Kunden
einstweilen sicherzustellen. Am 14.12.2000 legte die Beklagte der Klägerin den Entwurf
eines "Rahmenvertrages für die Belieferung von Kleinkunden" vor, der als Voraussetzung
für die Durchleitung den Abschluss eines gesonderten Netzanschluss- und
Netznutzungsvertrages der Kunden mit der Beklagten als Netzbetreiberin (§ 2 Abs. 1 des
Entwurfes) sowie eine Sicherheitsleistung der Klägerin vorsah (Anlage B 3). Die Klägerin
unterzeichnete den Entwurf nicht, sondern wandte sich vor allem dagegen, dass ihre
Kunden einen Vertrag mit der Beklagten schießen sollten. Auf ein Schreiben ihrer Anwälte
vom 31.7.2001 (Anlage K 8) anerkannte die Beklagte zwar mit Schreiben vom 9.8.2001 den
Durchleitungsanspruch, blieb jedoch dabei, dass zuvor eine vertragliche Einigung
herbeizuführen sei.
Mit der am 5.12.2001 erhobenen Klage hat die Klägerin, gestützt auf § 6 Abs. 1 EnWG, § 19
Abs. 4 Nr. 4 GWB, den Durchleitungsanspruch geltend gemacht. Ferner hat sie Klage auf
Feststellung des Bestehens von Schadensersatzansprüchen gegen die Beklagte wegen
Nichtgestattung der Durchleitung erhoben. Die Beklagte hat betragt, die Klage abzuweisen.
Mit Schriftsätzen vom 21.5.2002 (GA 83) und 10 6. 2002 (GA 86) haben die Parteien
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hinsichtlich des ersten Klageantrages einvernehmlich die Erledigung des Rechtsstreits in
der Hauptsache erklärt. Die diesbezüglichen Kosten hat das Landgericht im Urteil vom
26.6.2002 gemäß § 91 a ZPO der Beklagten auferlegt und im Übrigen die
Feststellungsklage mangels hinreichender Schadenswahrscheinlichkeit abgewiesen.
Gegen die Kostenentscheidung wendet sich die Beklagte mit der Beschwerde; sie
beantragt,
die Kosten des Rechtstreits der Klägerin aufzuerlegen.
Die Klägerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
II.
Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg.
Gemäß § 91 a ZPO ist über die Kosten im Falle einer beiderseitigen Erledigungserklärung
unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen zu
entscheiden. Dabei ist die allgemeine Grundwertung des Kostenrechts zu berücksichtigen,
dass die unterliegende Partei die Kosten zu tragen hat. Danach fallen der Beklagten die
Kosten zu Last.
Nach § 6 Abs. 1 EnWG haben Betreiber von Elektrizitätsversorgungsnetzen anderen
Unternehmen das Versorgungsnetz zu Bedingungen zur Verfügung zu stellen, die nicht
ungünstiger sind, als sie von ihnen in vergleichbaren Fällen für Leistungen innerhalb ihres
Unternehmens oder gegenüber verbundenen oder assoziierten Unternehmen tatsächlich
oder kalkulatorisch in Rechnung gestellt werden. Nach Absatz 1 Satz 2 gilt eine Ausnahme
nur dann, wenn der Betreiber nachweist, dass ihm die Durchleitung aus betriebsbedingten
oder sonstigen Gründen unter Berücksichtigung des Gesetzeszwecks nicht möglich oder
nicht zumutbar ist.
Im vorliegenden Fall stand der Klägerin ein Durchleitungsanspruch gegen die Beklagte zu,
den sie auch unmittelbar einklagen konnte. Schon die Gesetzesformulierung "hat zu
Bedingungen zur Verfügung zu stellen" legt nahe, dass die Verpflichtung des
Netzbetreibers jedenfalls nach ernstlichen Verhandlungsbemühungen unabhängig von
einer getroffenen Vereinbarung gerichtlich zugesprochen werden kann. Zudem versucht
das EnWG eine sichere, preiswerte und umweltverträgliche Stromversorgung durch mehr
Wettbewerb auf dem Stromlieferantenmarkt herzustellen. Würde ein Anspruch auf
Durchleitung stets erst nach Abschluss einer die Durchleitung regelnden Vereinbarung
bestehen, könnten die Netzbetreiber durch hinhaltendes Verweigern der Durchleitung im
Ergebnis die vom Gesetzgeber angestrebte Liberalisierung des Strommarktes verzögern.
Der Durchleitungspetent müsste zunächst auf Einwilligung zu einem Vertrag klagen, um
erst anschließend in einem zweiten Verfahren die Durchleitung letztlich durchsetzen zu
können. Dem hat Ziffer 1.1. der VV II plus weithin Rechnung getragen. Danach hat der
Stromlieferant bei Vorlage eines sog. "all-inclusive-Vertrages" zur Versorgung eines
Einzelkunden Anspruch auf den zeitnahen Abschluss eines Netznutzungsvertrages mit
dem Netzbetreiber. Ob ein solcher Anspruch stets unmittelbar besteht (ex lege Theorie)
oder sich erst aus einseitig durch Verhalten des Netzbetreibers nach gescheiterten
Vertragsverhandlungen ergibt (Verdichtungskonzept), bedarf hier nicht der abschließenden
rechtlichen Klärung. Denn die Klägerin hat das Erforderliche getan hat, um zum Abschluss
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eines die Durchleitung regelnden Vertrages mit der Beklagten zu gelangen. Dem
Vertragsschluss standen nur die von der Beklagten gewünschte Sicherheitsleistung und
der Abschluss eines eigenen Netzzugangs- und Netznutzungsvertrages mit den Kunden
der Klägerin entgegen, welche die Beklagte indes nicht verlangen konnte, weil dies die
Kläger unzumutbar behindert hätte. Namentlich konnte die Beklagte die Netznutzung nicht
nach dem sog. Doppelvertragsmodell von dem Abschluss gesonderter
Netznutzungsverträgen mit den Kunden der Klägerin abhängig machen (vgl. hierzu Holtdorf
RdE 2002, 264, 268 mit weiteren Nachweisen). Die Beklagte hatte zwar ein
nachvollziehbares Interesse daran, ein eigenes Betretensrecht zu den Gebäuden der
Kunden zwecks Ablesung der Messgeräte vertraglich zu sichern. Ein solches Recht konnte
ihr aber auch die Klägerin vermitteln; des Abschlusses eines eigenen Vertrages mit den
Kunden der Klägerin bedurfte es mithin nicht. Umgekehrt bedeutete der Abschluss
gesonderter Verträge mit den Kunden der Klägerin ein den Wechsel den Stromanbieters
unnötig komplizierendes Verfahren, das für die Klägerin einen erheblichen
Wettbewerbsnachteil bedeutet hätte.
Auch mit Blick auf die von der Beklagten geforderte Sicherheitsleistung überwiegt das
Interesse der Klägerin dasjenige der Beklagten deutlich. Der Verzicht der Beklagten auf
eine Sicherheitsleistung belastete die Beklagte nicht unzumutbar im Sinne des § 6 Abs. 1
Satz 2 EnWG. Die Beklagte hat selbst vorgetragen, dass die Klägerin ein wirtschaftlich
starkes Unternehmen sei (GA 30).
Die Beklagte hat auch Anlaß zur Klageerhebung ergeben, weswegen eine
Kostenentscheidung nach dem Rechtsgedanken des § 93 ZPO ausscheidet. Sie hat auch
noch in dem zweiten von ihr vorgelegten Vertragsentwurf aus Dezember 2001 die Leistung
einer Sicherheit von der Klägerin verlangt, obwohl sie, wie dargetan, davon die
Durchleitung nicht abhängig machen durfte.
Danach wäre die Klage aus § 6 Abs. 1 EnWG erfolgreich gewesen, so dass es keiner
näheren Darlegung der - im Übrigen zu bejahenden - Frage bedarf, ob sich der Anspruch
auch aus § 19 Abs. 4 Nr. 4 GWB ergeben hätte.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
a. W.