Urteil des OLG Düsseldorf vom 27.04.2006

OLG Düsseldorf: verjährungsfrist, begriff, entstehung, fälligkeit, fristberechnung, zustellung, verfügung, kollisionsrecht, erlass, rücknahme

Oberlandesgericht Düsseldorf, I-24 U 171/05
Datum:
27.04.2006
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
24. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
I-24 U 171/05
Vorinstanz:
Landgericht Duisburg, 8 O 188/05
Tenor:
Der Senat beabsichtigt, die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO
zurückzuweisen. Der Klägerin wird Gelegenheit gegeben, hierzu binnen
zwei Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses Stellung zu nehmen.
Der für den 09. Mai 2006 avisierte Senatstermin findet nicht statt.
G r ü n d e
1
Die Berufung der Klägerin hat keine Aussicht auf Erfolg. Das landgerichtliche Urteil ist
richtig und auch die Berufungsbegründung rechtfertigt keine abweichende
Entscheidung.
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I.
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Zu Recht ist das Landgericht davon ausgegangen, dass der Anspruch der Klägerin
verjährt ist. Die gegen diese Beurteilung gerichteten Angriffe der Klägerin bleiben ohne
Erfolg.
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Es steht zwischen den Parteien nicht im Streit, dass die Forderung der Klägerin aus
dem gemäß §§ 765 ff. BGB vom Beklagten übernommenen Bürgschaftsversprechen für
die von der Leasingnehmerin geschuldeten Erfüllungs- und Schadensersatzansprüche
aus dem Leasingvertrag vom 21. Juli 1999 gemäß § 195 BGB n.F. der regelmäßigen
Verjährung von drei Jahren unterliegt. Unterschiedlicher Meinung sind die Parteien nur
über Beginn und Ablauf der Dreijahresfrist. Zum Zeitpunkt der gerichtlichen
Geltendmachung durch die Klägerin im Februar 2005 war ihr Anspruch bereits verjährt,
weshalb der Beklagte, der sich hierauf berufen hat, zur Leistungsverweigerung
berechtigt ist (§ 214 Abs. 1 BGB).
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1.
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Zum Zeitpunkt seiner Entstehung unterlag der Anspruch gemäß § 195 BGB a.F. der
regelmäßigen Verjährung von dreißig Jahren. Mit Inkrafttreten des Gesetzes zur
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Modernisierung des Schuldrechts vom 26. November 2001 (BGBl I 3138) ab 01. Januar
2002 verkürzte sich die regelmäßige Verjährungsfrist auf drei Jahre (§ 195 BGB n.F.).
Nach der allgemeinen Überleitungsvorschrift des Art. 229 § 5 S. 1 EGBGB ist auf
Schuldverhältnisse, die - wie das hier vorliegende Bürgschaftsversprechen - vor dem
01. Januar 2002 entstanden sind, das Bürgerliche Gesetzbuch, soweit nicht ein anderes
bestimmt ist, in der bis zu diesem Tag geltenden Fassung, also alten Rechts,
anzuwenden.
2.
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Zum Verjährungsrecht trifft Art. 229 § 6 EGBGB jedoch als lex specialis eine
differenzierende, vom Grundsatz des Art. 229 § 5 EGBGB teilweise abweichende
Regelung. Art. 229 § 6 Abs. 1 Satz 1 EGBGB bestimmt als Ausnahme von Art. 229 § 5
Satz 1 EGBGB, dass auf die am 1. Januar 2002 bestehenden und noch nicht verjährten
Ansprüche bereits das neue Verjährungsrecht Anwendung findet. So liegen die Dinge
hier.
9
a.
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Die Verjährung beginnt mit der Entstehung des Anspruchs (§ 199 Abs. 1 BGB n.F.; §
198 BGB a.F.), was wiederum dessen Fälligkeit voraussetzt (§ 271 Abs. 1 BGB) und
nach neuem Recht darüber hinaus die Kenntnis oder das Kennenmüssen des
Anspruchstellers von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des
Schuldners. Bürgschaftsansprüche entstehen mit der Fälligkeit der Hauptforderung
(BGH NJW-RR 2004, 1190, 1191; Palandt/Heinrichs, BGB, 65. Auflage, § 199 Rn. 3
m.w.N.). Da der Anspruch der Klägerin gegen die Leasingnehmerin mit der
Kündigungserklärung vom 02. August 2001 (Anlagenhefter GA 10 f.) fällig wurde, gilt
gleiches für die streitgegenständliche Bürgschaftsforderung. Spätestens mit
Übersendung des Schreibens vom 14. August 2001 hatte die Klägerin auch die
Kenntnis der nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB erforderlichen Tatsachen.
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b.
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Hinsichtlich der Dauer der Verjährungsfrist findet Art. 229 § 6 Abs. 4 EGBGB
Anwendung, weil die Verjährungsfrist in der seit dem 01. Januar 2002 geltenden
Fassung kürzer ist als nach der vorher gültigen Rechtslage. Insoweit kommt es auf
einen Fristenvergleich an, der dazu dient, das gesetzgeberische Prinzip des Vorrangs
der früher vollendeten Verjährung zu verwirklichen (BGH NJW 2006, 44 f.; Gsell, NJW
2002, 1297).
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c.
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Die kürzere Frist wird vom 01. Januar 2002 an berechnet und endete mit Ablauf des 31.
Dezember 2004 (vgl. auch Palandt/Heinrichs, a.a.O. EGBGB Art. 229 § 6 Rdn. 1, 6;
AnwKomm/Budzikiewicz/Mansel, EGBGB Art. 229 § 6 Rdn. 60; Münchener-
Kommentar/Grothe, EGBGB Art. 229 § 6 Rdn. 11; Assman/Wagner NJW 2005, 3169;
Schulte-Nölke/Hawxwell NJW 2005, 2117; Heß NJW 2002, 253). Auch in der
veröffentlichten Rechtsprechung wird etwas anderes nicht vertreten (vgl. OLG Bamberg
NJW 2006, 304; vgl. auch OLG Düsseldorf, Urteil vom 28. Oktober 2005, Az. 16 U 8/05;
OLG Jena, Beschluss vom 13. 3. 2006 - 2 W 68/06, OLG-NL 2006, 83). Somit war der
Anspruch der Klägerin bei Eintritt der Rechtshängigkeit bereits verjährt.
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d.
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Soweit die Klägerin im Anschluss an eine vereinzelt in der Literatur vertretene Stimme
(vgl. Kandelhard, NJW 2005, 630 ff.) die Auffassung vertritt, dass bei der in Art. 229 § 6
Abs. 4 EGBGB vorgeschriebenen Berechnung die Regelung des § 199 Abs. 1 BGB n.F.
Anwendung finde, so dass die Drei-Jahres-Frist erst mit dem Schluss des Jahres 2002
beginne und demgemäss die Frist erst am 31. Dezember 2005 hätte ablaufen können,
folgt der Senat dem nicht.
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Nach Art. 229 § 6 Abs. 4 S. 1 EGBGB wird die Frist "von dem 1. Januar 2002 an
berechnet". Nach § 187 Abs. 2 BGB n.F. tritt folglich Verjährung zum 31. Dezember
2004 ein. Soweit Kandelhard (a.a.O.) den Begriff "berechnet" dahin auslegt, dass § 199
Abs. 1 BGB n.F. Anwendung finden soll mit der Konsequenz, dass der Beginn der
Verjährungsfrist zum Jahresende 2002 verschoben werden soll (mit der Folge, dass
wegen der Sonn- und Feiertagsregel des § 193 BGB n.F. diese Frist erst am 02. Januar
2006 abliefe), widerspricht dies dem eindeutigen Wortlaut der genannten Vorschrift. Die
Berechnung einer Frist ab einem bestimmten Stichtag bedeutet, dass diese Frist ab dem
Stichtag zahlenmäßig anzuwenden ist. Der Gesetzgeber hat in Art. 229 § 6 Abs. 4
EGBGB (anders als in Absatz 1 Satz 2 dieser Vorschrift) gerade den Begriff
"Berechnung" und nicht den Begriff "Beginn" verwendet. Absatz 4 regelt somit nicht den
Beginn der Verjährungsfrist, sondern ihre Berechnung, und verweist nur auf die Regeln
für die Berechnung von Fristen, also auf § 187 Abs. 2 BGB n.F (vgl. zum Vorstehenden
zutreffend Schulte-Nölke/Hawxwell, NJW 2005, 2117 ff. mit zahlreichen Nachweisen;
siehe auch OLG Jena, a.a.O.). Gesetzgeberischer Zweck von Art. 229 § 6 Abs. 4
EGBGB war es zu vermeiden, dass Altansprüche bereits mit Inkrafttreten der
Neuregelung verjährt sind (BT-Drucks. 14/6040, S. 273). Dass die Frist ab dem 01.
Januar 2002 zu berechnen sei, hat keine Bedeutung, die darüber hinausgeht, dass die
neuen Frist ab diesem Stichtag zahlenmäßig anzuwenden ist (OLG Jena, a.a.O.,
Assman/Wagner, NJW 2005, 3169; Schulte-Nölke/Hawxwell, NJW 2005, 2117).
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Eine "Schlechterstellung" der Klägerin liegt bei dieser Fristberechnung nicht vor. Es ist
ein allgemeines Problem der regelmäßigen Verjährung, dass derjenige, dessen
Anspruch am 01. Januar entsteht und für den auch die Voraussetzungen des § 199 Abs.
1 Nr. 2 BGB vorliegen, stets mehr Zeit zur Verfügung hat als derjenige, dessen
Anspruch die Voraussetzungen erst am 31. Dezember eines Jahres erfüllt.
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Auch das Privileg der Ultimoverjährung gemäß § 199 BGB für Neugläubiger ab dem
01.01.2002 rechtfertigt keine Notwendigkeit, die gesetzliche Anordnung in Art. 229 § 6
Abs. 1 S. 2 EGBGB, nach der für Altgläubiger die bisherigen Vorschriften zum Beginn
der Verjährung anwendbar sein sollen, im Wege einer korrigierenden
Gesetzesauslegung zu ignorieren. Denn ausschlaggebend bleibt der Wille des
Gesetzgebers, die laufenden Fristen abzukürzen. Dass ein derartiges intertemporales
Kollisionsrecht Brüche aufweist, ist so lange kein Problem, als einem Gläubiger, der
seinen Anspruch kennt, eine ausreichend lange Übergangsfrist für die Geltendmachung
verbleibt. Hierfür sind drei Jahre nicht zu kurz und deshalb ist es nicht gerechtfertigt,
entgegen dem Gesetzeswortlaut durch die Heranziehung des für Altansprüche nicht
anwendbaren § 199 BGB n.F. dem Gläubiger ein zusätzliches Jahr zuzubilligen
(Schulte-Nölke/Hawxwell, a.a.O.).
20
e.
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Soweit Art. 229 § 6 Abs. 4 EGBGB teilweise einschränkend dahin verstanden wird, dass
der 01. Januar 2002 der "früheste" Verjährungsbeginn sein kann und ein späterer
Zeitpunkt in Betracht kommen kann, wenn der Anspruchsteller erst nach dem 01. Januar
2002 die erforderliche Kenntnis erlangt (OLG Bamberg, NJW 2006, 304; Gsell, NJW
2002, 1298; Palandt/Heinrichs, a.a.O., Art. 229 § 6 EGBGB rn. 1, 6; Münchener-
Kommentar/Grothe, Art. 229 § 6 EGBGB rn. 11; kritisch dazu Assman/Wagner, NJW
2005, 3169) hat das für den hier zu entscheidenden Fall keine Bedeutung. Denn hier
hatte die Klägerin unstreitig vor dem 01. Januar 2002 Kenntnis von der Person des
Schuldners und dem Bestehen des streitgegenständlichen Anspruchs.
22
II.
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Die weiteren in § 522 Abs. 2 Ziffer 2 und 3 ZPO genannten Voraussetzungen liegen
ebenfalls vor. Eine grundsätzliche Bedeutung der Sache liegt nicht vor, weil gegen die
bislang einhellige Rechtsprechung nachhaltige Bedenken im Schrifttum nicht geäußert
worden sind.
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Der Senat weist darauf hin, dass die Rücknahme der Berufung vor Erlass einer
Entscheidung nach § 522 Abs. 2 ZPO kostenrechtlich privilegiert ist.
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Düsseldorf, den 27. April 2006
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Oberlandesgericht, 24. Zivilsenat
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Z S H
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(Vorsitzender Richter (Richter am (Richterin am
29
am Oberlandesgericht) Oberlandesgericht) Oberlandesgericht)
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