Urteil des OLG Düsseldorf vom 19.04.2007
OLG Düsseldorf: psychologisches gutachten, sperrfrist, eugh, anerkennung, fahreignung, inhaber, sperre, missbrauch, berechtigung, vorrang
Oberlandesgericht Düsseldorf, III-5 Ss 23/07 - 39/07 IV
Datum:
19.04.2007
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
4. Strafsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
III-5 Ss 23/07 - 39/07 IV
Tenor:
Die Revisionen werden auf Kosten der Staatskasse, die auch die not-
wendigen Auslagen des Angeklagten zu tragen hat, als unbegründet
verworfen.
Zu III-5 Ss 23/ 07- 39/07 IV – 302 Js 327/ 05 StA Kleve: Das Amtsgericht Geldern
verurteilte den Angeklagten am 28. Juli 2006 wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis,
begangen am 8. Juni 2005, zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu 10 Euro und
setzte eine Sperrfrist für die Erteilung einer Fahrerlaubnis von einem Jahr fest. Auf die
hiergegen eingelegte Berufung des Angeklagten hat die 3. kleine Strafkammer des
Landgerichts Kleve am 5. Dezember 2006 das Urteil aufgehoben und den Angeklagten
freigesprochen.
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Zu III-5 Ss 22/ 07- 42/07 IV – 302 Js 65/ 06 StA Kleve: Wegen einer weiteren Fahrt am
16. Dezember 2005 wurde der Angeklagte durch Urteil des Amtsgerichts Emmerich vom
24. Juli 2006 vom Vorwurf des Fahrens ohne Fahrerlaubnis freigesprochen. Die
hiergegen gerichtete Berufung der Staatsanwaltschaft hat die 1. kleine Strafkammer des
Landgerichts Kleve mit Urteil vom 29. November 2006 verworfen.
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Gegen beide Berufungsurteile wendet sich die Staatsanwaltschaft mit der Revision, der
die Generalstaatsanwaltschaft jeweils beigetreten ist. Der Senat hat beide
Revisionsverfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.
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Die allein mit der näher ausgeführten Sachrüge begründeten Revisionen der
Staatsanwaltschaft bleiben ohne Erfolg.
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I.
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Nach den übereinstimmenden Feststellungen der angefochtenen Urteile erwarb der
Angeklagte am 4. August 1994 eine niederländische Fahrerlaubnis der Klasse B. Eine
deutsche Fahrerlaubnis wurde ihm trotz mehrfacher Ansätze nicht erteilt, weil er jeweils
entgegen der behördlichen Auflage kein medizinisch-psychologisches Gutachten zu
seiner Fahreignung beibrachte, und zwar zuletzt durch bestandskräftigen Bescheid des
Landrats in Kleve vom 9. August 2007.
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Im Jahre 1997 verurteilte ihn das Amtsgericht Kassel wegen einer Verkehrsstraftat und
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ordnete eine Sperrfrist für die Erteilung einer Fahrerlaubnis bis zum 20. September 1997
an.
Mit Bescheid vom 8. April 2004 erteilte der Bürgermeister von Rheden/Niederlande dem
Angeklagten erneut eine niederländische Fahrerlaubnis der Klasse B; hierbei handelt
es sich nicht um eine bloße Verlängerung der bereits zuvor erteilten niederländischen
Fahrerlaubnis.
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Der Angeklagte führte seinen PKW der Marke Ford am 8. Juni 2005 in K. und am 16.
Dezember 2005 in E..
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II.
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Nach diesen - weder angegriffenen noch zu beanstandenden - Feststellungen hat sich
der Angeklagte nicht wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis gemäß § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG
strafbar gemacht; denn er war zur jeweiligen Tatzeit im Besitz einer – niederländischen
– Fahrerlaubnis, welche ihn nach § 28 Abs. 1 der Verordnung über die Zulassung von
Personen zum Straßenverkehr (FeV) zum Führen von Personenkraftwagen im Inland
berechtigte.
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Dieser Berechtigung steht nicht die Vorschrift des § 28 Abs. 4 Nr. 3 Alt. 2 FeV entgegen.
Danach besteht ein Recht für Inhaber einer EU-Fahrerlaubnis zum Führen von
Fahrzeugen im Inland dann nicht, wenn die Fahrerlaubnis im Inland bestandskräftig
versagt worden ist. Das ist zwar vorliegend der Fall (zuletzt mit Bescheid des Landrats
in Kleve vom 9. August 2004); aber diese Ausnahmevorschrift vermag hier keine
Wirkung zu entfalten, da sie höherrangigem europäischen Recht widerspricht.
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Nach Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie des Rates vom 29. Juli 1991 über den Führerschein
(91/439/EWG) gilt der Grundsatz, dass die von den Mitgliedstaaten ausgestellten
Führerscheine gegenseitig anerkannt werden. Hieran muss sich nationales Recht
messen lassen (vgl. EuGH, Urteil vom 29. April 2004, NJW 2004, 1725 (Kapper)). In
konsequenter Fortführung dieser Rechtslage ist es einem Mitgliedsstaat versagt, die
Umschreibung eines ausländischen Führerscheins davon abhängig zu machen, dass
eine erneute Untersuchung der Fahreignung des Antragstellers vorgenommen wird
(EuGH, Urteil vom 6. April 2006, NJW 2006, 2173 (Halbritter); OLG München, Urteil vom
29. Januar 2007 – 4 St RR 222/06, bei juris). Die Ausnahmevorschrift des § 28 Abs. 4
Abs. 3 Alt. 2 FeV ist daher insoweit unwirksam; sie steht mithin der dem Angeklagten am
8. April 2004 in den Niederlanden erteilten Fahrerlaubnis nicht entgegen.
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Es kann dahinstehen, ob sich die Rechtslage im Fall eines Missbrauchs
("Führerscheintourismus"; vgl. dazu OLG München a a O) ändert; im vorliegenden Fall
lassen sich aus den Feststellungen beider angefochtener Urteile jedoch für einen
Missbrauch keine Anhaltspunkte gewinnen.
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Andere Gründe, dem Angeklagten die Anerkennung der niederländischen
Fahrerlaubnis im Inland zu versagen, bestehen nicht. Insbesondere steht nicht
entgegen, dass gegen den Angeklagten im Jahre 1997 einmal eine Sperre für die
Erteilung der Fahrerlaubnis bis zum 20. September 1997 angeordnet worden war. Der
Vorrang der Anerkennung im Ausland erworbener Fahrerlaubnisse führt dazu, dass ein
Versagungsgrund gemäß § 28 Abs. 4 Nr. 3 Alt. 1 FeV dann nicht (mehr) besteht, wenn
eine Sperrfrist für die Neuerteilung der Fahrerlaubnis bereits abgelaufen war (EuGH
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(Kapper) a a O). Vorliegend hat der Angeklagte unter dem 8. April 2004 durch erneuten
Rechtsakt eine niederländische Fahrerlaubnis enthalten, als die Sperrfrist lange Zeit
zuvor abgelaufen war.
Ob sich die Rechtslage durch die Richtlinie 2006/126/EG des Europäischen Parlaments
und des Rates vom 20. Dezember 2006 etwa ändert, braucht der Senat nicht zu
entscheiden; denn zur Tatzeit galt die oben erwähnte Richtlinie 91/439/EWG des Rates
vom 29. Juli 1991, welche als dem Angeklagten günstiges Recht hier anwendbar ist, § 2
Abs. 1 und 2 StGB.
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Der Beschluss des Senats vom 24. April 2006 (III-5 Ss 133/05–91/05 IV -NZV 2006,
489) steht der vorliegenden Entscheidung nicht entgegen, da er einen anderen Fall
betrifft.
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Die Revisionen der Staatsanwaltschaft sind daher mit der Kostenfolge aus § 473 Abs. 1
StPO als unbegründet zu verwerfen.
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