Urteil des OLG Düsseldorf vom 19.11.2002
OLG Düsseldorf: versicherungsnehmer, kaufvertrag, fahrzeug, versicherer, obliegenheit, wagen, auskunftspflicht, verschulden, versicherungsvertragsgesetz, unfall
Oberlandesgericht Düsseldorf, 4 U 62/02
Datum:
19.11.2002
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
4. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
4 U 62/02
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das am 17. Januar 2002 verkündete
Urteil der 10. Zivilkammer des Landgerichts Mönchengladbach wird
zurück-ge-wiesen.
Die Kosten der Berufung werden dem Kläger auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die Berufung hat keinen Erfolg.
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I.
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Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung von 10.021,32 EUR (19.600 DM) aus §§
12 Nr. 1. I. b), 13 AKB.
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1.
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Es kann dahinstehen bleiben, ob das vom Kläger bei dem Beklagten versicherte
Fahrzeug im Zeitraum vom 27. August 2000 bis zum 14. September 2000 gestohlen
worden ist, weil es im Ergebnis nicht darauf ankommt. Denn der Beklagte ist wegen
einer dem Kläger anzulastenden Obliegenheitsverletzung nach § 7 Nr. I.2. S. 3, Nr. V.4.
AKB i. V. m. § 6 Abs. 3 VVG von seiner Leistungspflicht frei geworden.
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a) Nach § 7 Nr. I.2. S. 3 AKB ist der Versicherungsnehmer verpflichtet alles zu tun, was
zur Aufklärung des Tatbestandes und zur Minderung des Schadens dienlich sein kann.
Dazu hat er den Versicherer wahrheitsgemäß über alle Umstände zu unterrichten, die
für die Deckungspflicht bedeutsam sind (BGH VersR 1963, 134; OLG Köln VersR 1990,
1225) und die in der Schadenanzeige gestellten Fragen wahrheitsgemäß und
vollständig zu beantworten (vgl. Prölss/Martin, Versicherungsvertragsgesetz, 26. Aufl.
1998, AKB § 7 Rdnr. 13).
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b) Diese Obliegenheit hat der Kläger objektiv verletzt, in dem er in der Schadenanzeige
vom 15. September 2000 die Frage nach früheren Beschädigungen des Fahrzeugs m it
"bei mir nicht, Vorbesitzer lt. Kaufvertrag" beantwortete (GA 29) und in der
Schadenanzeige vom 30. September 2000 auf die Frage nach früher reparierten
Beschädigungen des Fahrzeugs angab "bei mir keine, als repariertes Unfallfahrzeug
gekauft (lt. Kaufvertrag)" (GA 30).
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Diese Angaben trafen, was dem Kläger bekannt war, so nicht zu: Der Kläger war bereits
in der Zeit, als seine Schwester noch Halterin des später bei dem Beklagten
versicherten Fahrzeugs war, Versicherungsnehmer einer bei der Provinzial für diesen
Wagen abgeschlossenen Versicherung (GA 77). Schon damals nutzte er den Pkw. Dies
folgt aus seinen eigenen Angaben. In der an die Provinzial gerichteten Unfallanzeige
vom 22. März 1999 gab der Kläger an, er ("ich") habe den Wagen am Abend des 21.
März 1999 auf dem Ahlener Feld in Mönchengladbach abgestellt und ihn, als er das
Fahrzeug am nächsten Morgen wieder habe benutzen wollen, dort beschädigt
aufgefunden (GA 33). Durch diesen Vorfall entstand an dem Fahrzeug ein Schaden in
Höhe von 5.220,81 DM (GA 35).
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Der Kläger kann sich in diesem Zusammenhang nicht mit Erfolg darauf berufen, die
Fragen der Klägerin formal zutreffend beantwortet zu haben. Die Auskunftspflicht des
Versicherungsnehmers beschränkt sich nicht auf die Beantwortung des Wortlauts der
gestellten Frage. Da die Antwort gewährleisten soll, dem Versicherer eine sachgemäße
Entscheidung über die Behandlung des Versicherungsfalls zu ermöglichen, genügt der
Versicherungsnehmer mit der bloßen Beantwortung einer Formularfrage seiner
Auskunftspflicht nicht, wenn der Sachverhalt - dem Versicherungsnehmer erkennbar -
von den üblichen Umständen der Schadensfälle, so wie sie die Grundlage
standardisierter Fragen sind, abweicht und Sinn und Zweck der Frage auch ungefragt
weitere Angaben erfordern (vgl. BGH VersR 1993, 828, 829; Prölss/Martin, a.a.O.).
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Eine solche Ausnahmesituation lag vor: Der Kläger war, bevor er den Wagen von seiner
Schwester erworben haben will, Versicherungsnehmer einer für das Fahrzeug
abgeschlossenen Versicherung; er nutzte das Fahrzeug schon zu dieser Zeit. Im
Zusammenhang damit war ihm nicht nur der im Zeitraum seiner Nutzung entstandene
Schaden vom 21./22. März 1999 sondern ein weiterer Unfall bekannt geworden, der sich
am 20. Juli 1999 ereignet hatte und zu Reparaturkosten in Höhe von 16.406,27 DM
führte (GA 89) die er als Versicherungsnehmer geltend gemacht hat. Dies ergibt sich
aus dem Gutachten des Sachverständigen Kellers vom 27. Juli 1999 (GA 81).
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In Anbetracht der ihm bekannten Vorgeschichte des Fahrzeugs durfte der Kläger unter
Beachtung von Sinn und Zweck der ihm gestellten Fragen, die darauf gerichtet waren,
dem Versicherer genaue Kenntnis der Bechädigungen des versicherten Wagens zu
verschaffen, nicht unter - seine tatsächliche Kenntnis verschleierender - Bezugnahme
auf den Kaufvertrag angeben, reparierte Vorschäden seien laut Kaufvertrag vorhanden,
Beschädigungen habe es "bei ihm" nicht gegeben. Diese Angabe war falsch, weil sich
mindestens einer der Vorschäden zu einer Zeit ereignet hatte, als der Kläger das
Fahrzeug auch nutzte, ohne dass es darauf ankommt, ob er schon damals Eigentümer
das Wagens war. Sie war irreführend, weil der Kläger damit zugleich vorgespiegelt hat,
keine weitere Kenntnis von den Einzelheiten der Vorschäden gehabt zu haben. Sein
Wissen um Art und Umfang der erheblichen Vorschäden, die in dem Kaufvertrag vom 1.
Juni 2000 nicht näher bezeichnet worden sind, durfte der Kläger - was ihm erkennbar
auf der Hand lag - nicht durch die Angabe, in seiner Besitzzeit habe sich kein Unfall
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ereignet sowie die Bezugnahme auf den Kaufvertrag verschleiern. Ob der Kläger das
Fahrzeug gegenüber dem die Schadenanzeige ausfüllenden Agenten der Provinzial als
"meinen Pkw" bezeichnet hat, kann dahinstehen bleiben. Entscheidend ist allein, dass
der Kläger den Pkw - was er nicht in Frage stellt - schon vor Abschluss des Kaufvertrags
nutze und ihm aus dieser Zeit Art und Umfang der Vorschäden bekannt waren.
c) Hat der Versicherungsnehmer objektiv eine ihn treffende Obliegenheit verletzt, wird
nach § 6 Abs. 3 VVG vermutet, dass die Verletzung der Obliegenheit auf Vorsatz oder
grober Fahrlässigkeit beruht (vgl. Römer/Langheid, Versicherungsvertragsgesetz, 1997,
§ 6 Rdnr. 63). Umstände, die dazu geeignet wären, diese Vermutung zu entkräften, sind
nicht ersichtlich. Soweit sich der Kläger darauf beruft, die Schadenanzeige sei von
einem Agenten des Beklagten ausgefüllt worden, der ihn nicht aufgefordert habe,
sämtliche Vorschäden in allen Einzelheiten zu schildern, vermag ihn das nicht zu
entlasten. Zu entsprechenden Nachfragen hätten der Beklagte und sein Agent erst dann
Veranlassung gehabt, wenn ihnen erkennbar gewesen wäre, dass dem Kläger die
Vorgeschichte des Fahrzeugs bekannt war. Davon mussten sie jedoch nicht ausgehen,
weil der Kläger ihnen durch die Bezugnahme auf den Kaufvertrag und die Angabe, bei
ihm habe sich keine Beschädigung ereignet, vorgespiegelt hatte, dass ihm nähere
Angaben zu den Vorschäden nicht möglich seien.
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2.
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Die Obliegenheitsverletzung war relevant im Sinne der Relevanzrechtsprechung des
Bundesgerichtshofes, d.h., sie war generell geeignet, die Interessen des Beklagten zu
gefährden und den Kläger traf ein erhebliches Verschulden (vgl. Römer/Langheid,
a.a.O., § 6 Rdnr. 39). Falsche oder unvollständige Angaben zu Vorschäden, deren
Umfang und Reparatur können erhebliche Auswirkungen auf die Wertermittlung und
damit die Entschädigungsleistung des Versicherers haben (vgl. Senat, ZfS 2001, 505,
506). Den Kläger trifft ein erhebliches Verschulden. Es liegt kein Fehlverhalten vor, das
auch einem ordentlichen Versicherungsnehmer leicht unterlaufen kann und für das
deshalb ein einsichtiger Versicherer Verständnis aufzubringen vermag. Schließlich ist
der Kläger sowohl in der Schadensanzeige 15. September 2000 (GA 29), als auch in
der Schadenanzeige vom 30. September 2000 (GA 30) ordnungsgemäß über die
Folgen bewusst unwahrer und unvollständiger Angaben belehrt worden.
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II. Die Kostenentscheidung rechtfertigt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidungen
zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgen aus § 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO. Die
Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 543 Abs. 2 ZPO).
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III. Der Streitwert beträgt 10.021,32 EUR.
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