Urteil des OLG Düsseldorf vom 21.01.2010

OLG Düsseldorf (gefahr im verzug, stpo, anordnung, verhältnis zu, körperliche unversehrtheit, gefährdung, blutentnahme, verwertung, verletzung, bak)

Oberlandesgericht Düsseldorf, IV-1 RBs 3/10
Datum:
21.01.2010
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
1. Senat für Bußgeldsachen
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
IV-1 RBs 3/10
Tenor:
Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des
Amtsgerichts Neuss vom 4. August 2009 wird auf seine Kosten als
unbegründet verworfen.
Das Amtsgericht hat gegen den Betroffenen wegen fahrlässigen Führens eines
Kraftfahrzeugs unter Alkoholeinfluss (§ 24a Abs. 1, 3 StVG) eine Geldbuße von 175,- €
und ein einmonatiges Fahrverbot festgesetzt. Mit seiner Rechtsbeschwerde rügt der
Betroffene die Verletzung materiellen und formellen Rechts. Die zuständige
Einzelrichterin hat die Sache gemäß § 80a Abs. 3 Satz 1 OWiG zur Sicherung einer
einheitlichen Rechtsprechung auf den Bußgeldsenat in seiner Besetzung mit drei
Richtern übertragen.
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Die Rechtsbeschwerde ist auf Kosten des Betroffenen (§ 46 Abs. 1 OWiG, § 473 Abs. 1
Satz 1 StPO) als unbegründet zu verwerfen, weil die Nachprüfung des Urteils aufgrund
der Beschwerderechtfertigung keinen Rechtsfehler zu seinem Nachteil ergeben hat
(§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, § 349 Abs. 2 und 3 StPO). Näherer Erörterung bedarf hierbei
nur die Verfahrensrüge, mit der der Betroffene beanstandet, dass das dem Schuldspruch
zugrunde gelegte Ergebnis der Untersuchung einer ihm am Tattag entnommenen
Blutprobe nicht hätte verwertet werden dürfen.
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1. Die Rechtsbeschwerdebegründung trägt folgenden Verfahrensablauf vor:
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Am 14. Juli 2008 gegen 23:25 Uhr befuhr der Betroffene mit seinem Pkw die in und
wurde in Höhe der Einmündung von Polizeibeamten angehalten. Auf deren Nachfrage
erklärte er sich mit einem Atemalkoholtest einverstanden. Nachdem drei Messversuche
mit dem Messgerät Dräger Evidential 7110 "aus unterschiedlichen Gründen"
fehlgeschlagen waren, verbrachten die Beamten den Betroffenen zur Polizeiwache. Da
er eine Blutprobenentnahme ablehnte, wurde diese durch den Zeugen POK um 23:58
Uhr angeordnet. Zu einer eventuellen Alkoholaufnahme befragt, "hatte der Betroffene
noch geäußert", eine Flasche Bier getrunken zu haben. Die Blutprobe, deren
anschließende Untersuchung einen Mittelwert von 0,85 Promille ergab, wurde am
15. Juli 2008 um 00:45 Uhr ärztlicherseits entnommen. Den Versuch der Erlangung
einer richterlichen Anordnung der Blutprobenentnahme hatte der mit der Sache befasst
Zeuge POK zuvor nicht unternommen, weil er aufgrund eines "Erlasses der
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Polizeiführung" zutreffend davon ausging, dass sowohl beim Amtsgericht Neuss als
auch bei dem seit 2008 zuständigen Amtsgericht Düsseldorf ein richterlicher Eildienst
nur für den Zeitraum von 6:00 Uhr bis 21:00 Uhr eingerichtet ist.
In der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Neuss erklärte der Verteidiger des
Betroffenen sowohl nach dessen Einlassung zur Sache als auch nach der Verlesung
des ärztlichen Befundberichtes zur BAK-Feststellung den Widerspruch gegen die
Verwertung des Ergebnisses der Blutprobenuntersuchung wegen einer Verletzung der
gesetzlichen Vorschriften zum Richtervorbehalt.
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2. Soweit der Betroffene rügt, die polizeiliche Anordnung der Blutprobenentnahme sei
schon mangels hinreichender Anhaltspunkte für ein "Alkoholdelikt" des Betroffenen zu
Unrecht ergangen, genügt sein Vorbringen nicht den Darlegungsanforderungen des
§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG i.V.m. § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Die Beschwerdebegründung
teilt den der Anordnung zugrunde liegenden Sachverhalt nicht vollständig mit, denn es
ist nicht angegeben, zu welchem Zeitpunkt der Betroffene in der fraglichen Nacht
Angaben zu seinem Alkoholkonsum gemacht hatte und aus welchen Gründen die
Versuche einer Messung des Atemalkoholgehalts fehlgeschlagen waren. Darüber
hinaus vermag der Senat dem Beschwerdevorbringen nicht zu entnehmen, dass der
Betroffene in der Hauptverhandlung einer Verwertung der durch die
Blutprobenentnahme gewonnenen Beweisergebnisse speziell unter dem Gesichtspunkt
eines Fehlens der Anordnungsvoraussetzungen im Sinne von § 46 Abs. 4 Satz 1 OWiG,
§ 81a Abs. 1 Satz 2 StPO ("hinreichende Anhaltspunkte" für eine Ordnungswidrigkeit,
vgl. Meyer-Goßner, StPO, 52. Auflage [2009], § 81a Rdnr. 2) widersprochen hat.
Dahingehender Darlegungen hätte es aber bedurft. Ein Beweisverwertungsverbot setzt
nämlich nicht nur voraus, dass der Beschwerdeführer in der erstinstanzlichen
Hauptverhandlung – zu dem nach § 257 StPO maßgeblichen Zeitpunkt – der
Verwertung des Beweismittels überhaupt widersprochen hat; er muss seinen
Widerspruch vielmehr auch unter Angabe des/der hierfür konkret relevanten
Verfahrensfehler(s) begründet und dadurch die Angriffsrichtung spezifiziert haben, die
zugleich den Prüfungsumfang des Tatrichters begrenzt (BGH NJW 2007, 3587, 3588f.;
OLG Hamm, Beschluss vom 26. Februar 2009 [3 Ss 7/09] ).
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3. Soweit der Betroffene die Verletzung der gesetzlichen Vorschriften zum
Richtervorbehalt bei der Anordnung der Blutprobenentnahme (§ 46 Abs. 1, Abs. 4 Satz 1
OWiG, § 81a Abs. 2 StPO) beanstandet, ist die – insoweit zulässig erhobene –
Verfahrensrüge unbegründet.
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a) Nach § 81a Abs. 2 StPO steht die Anordnung der Blutentnahme grundsätzlich dem
Richter zu. Nur bei Gefährdung des Untersuchungserfolges durch die mit der Einholung
einer richterlichen Entscheidung einhergehende Verzögerung besteht auch eine
Anordnungskompetenz der Staatsanwaltschaft und ihrer Ermittlungspersonen. Ordnet
die Strafverfolgungsbehörde eine Blutentnahme an, so muss die Gefährdung des
Untersuchungserfolges mit Tatsachen begründet werden, die auf den Einzelfall
bezogen und in den Ermittlungsakten zu dokumentieren sind, sofern die Dringlichkeit
nicht evident ist (BVerfG NZV 2007, 581, 582).
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Diese Grundsätze beanspruchen nach mittlerweile einhelliger Rechtsprechung der
Oberlandesgerichte (vgl. nur OLG Celle NJW 2009, 3524, 3525; OLG Hamm NJW 2009,
242, 243; OLG Stuttgart NStZ 2008, 238; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 2. Juni 2009
[1 Ss 183/08] ; OLG Bamberg NJW 2009, 2146, 2147) auch bei Blutentnahmen
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aus Anlass des Verdachts einer Teilnahme am Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss
Geltung. Den tragenden Erwägungen dieser Entscheidungen schließt sich der Senat
an. Zwar kann in derartigen Fallkonstellationen eine zu weitgehende Verzögerung der
Blutentnahme bedingt durch den körpereigenen Alkoholabbau die – durch pauschale
Rückrechnung nicht ausreichend kompensierbare – Gefährdung des
Ermittlungserfolges bewirken. Da der Verdächtige für die Blutentnahme jedoch ohnehin
einem Arzt vorzustellen ist, besteht für die Strafverfolgungsbehörde regelmäßig
hinreichende Gelegenheit, telefonisch – und damit ohne Zeitverlust – eine richterliche
Anordnung einzuholen, deren fernmündliche Erteilung bei den überschaubaren und
einfachen Sachverhalten der hier vorliegenden Art nicht von vornherein ausgeschlossen
ist. Mangels Evidenz einer Gefährdung des Untersuchungserfolges ist daher eine
Verletzung des Richtervorbehalts jedenfalls dann zu besorgen, wenn der
Ermittlungsbeamte vor seiner Anordnung der Blutentnahme von der grundsätzlich
bestehenden Möglichkeit der telefonischen Kontaktaufnahme mit einem
Ermittlungsrichter keinen Gebrauch gemacht hat.
b) Gemessen an diesen Anforderungen bestehen gegen die Verwertung der BAK-
Feststellung im vorliegenden Fall unter dem Gesichtspunkt des Richtervorbehalts keine
Bedenken. Bei der Anordnung der Blutprobenentnahme war die "Gefährdung des
Untersuchungserfolges" im Sinne von § 81a Abs. 2 StPO mangels Erreichbarkeit eines
Ermittlungsrichters evident.
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Nach dem – durch die freibeweislich getroffenen Feststellungen des Senats zum
Geschehenshergang bestätigten – Rechtsbeschwerdevorbringen wurde der Betroffene
am Tattag um 23:25 Uhr als Straßenverkehrsteilnehmer polizeilich kontrolliert. Da ein
richterlicher Eildienst bei den Amtsgerichten in Nordrhein-Westfalen entsprechend der
AV 2043-I.3 des Justizministers vom 15. Mai 2007 (JMBlNW 2007, 165) nur in der Zeit
von 6:00 Uhr bis 21:00 Uhr vorgehalten wird, konnte der Zeuge POK bei seiner
Entscheidung über die Anordnung einer Blutprobenentnahme zu Recht davon
ausgehen, dass ein Bereitschaftsrichter erst um 6:00 Uhr morgens erreichbar sein
werde. Ein Zuwarten bis zu diesem Zeitpunkt hätte – wegen der dann erforderlichen
Rückrechnung des BAK-Werts über mehrere Stunden – zu einer nicht hinnehmbaren
Verschlechterung der Beweislage geführt und wäre mit Rücksicht auf die Dauer der
damit verbundenen Freiheitsentziehung zum Nachteil des Betroffenen auch nicht mehr
verhältnismäßig gewesen. Angesichts dieser Sachlage bestand bei der polizeilichen
Anordnung der Blutprobenentnahme um 23:58 Uhr Gefahr im Verzug.
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Dass die fehlende Erreichbarkeit eines Ermittlungsrichters zur Nachtzeit auf diese
Weise für Fälle der hier vorliegenden Art ohne Weiteres eine polizeiliche
Anordnungszuständigkeit begründen kann, begegnet keinen rechtlichen Bedenken,
denn ihr liegt kein Organisationsverschulden der Justiz zugrunde. Entgegen der Ansicht
des Betroffenen ist die Justizverwaltung nicht gehalten, zwecks Wahrung des in § 81a
Abs. 2 StPO vorgesehenen Richtervorbehalts für Anordnungen einer
Blutprobenentnahme anlässlich polizeilicher Kontrollen im Straßenverkehr einen
nächtlichen Eildienst einzurichten. Das Bundesverfassungsgericht (NJW 2004, 1442)
hat eine dahingehende Verpflichtung bislang nur für Durchsuchungsanordnungen –
unter der einschränkenden Voraussetzung eines über Ausnahmefälle hinausgehenden
praktischen Bedarfs – im Grundsatz bejaht, da in diesem Bereich der Richtervorbehalt
verfassungsrechtlichen Rang hat (Art. 13 Abs. 2 GG). § 81a Abs. 2 StPO ordnet indes
nur einen einfachgesetzlichen Richtervorbehalt an, dessen Gewährleistung nicht zum
rechtsstaatlichen Mindeststandard gehört (BVerfG NJW 2008, 3053, 3054; OLG
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Bamberg NJW 2009, 2146, 2148 a.E.). Der mit einer Blutprobenentnahme verbundene
Eingriff in die körperliche Unversehrtheit ist geringfügiger Natur und für den Betroffenen
absolut ungefährlich (Meyer-Goßner, aaO, § 81a Rdnr. 13). Er unterliegt – jedenfalls in
den hier zur Rede stehenden Verdachtsfällen einer alkoholisierten Teilnahme am
Straßenverkehr – leicht überschaubaren und für Fehlerquellen nicht ohne weiteres
anfälligen Anordnungsvoraussetzungen. Angesichts dieser Sachlage stünde der mit der
Einrichtung eines nächtlichen Eildienstes erreichbare Zuwachs an effektivem
Rechtsschutz für den Bürger in keinem Verhältnis zu dem erheblichen personellen
Aufwand, den eine solche Maßnahme mit sich bringen würde (ebenso OLG Hamm,
4. Strafsenat, Beschluss vom 10. September 2009 [4 Ss 316/09] ).
N. Dr. H. F.
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