Urteil des OLG Düsseldorf vom 07.09.2006

OLG Düsseldorf: aufschiebende wirkung, unternehmen, regionalisierung, genehmigung, vollziehung, rechtsschutz, anteil, zwischenverfügung, verwaltungsverfahren, geschäftstätigkeit

Oberlandesgericht Düsseldorf, VI-Kart 15/06 (V)
Datum:
07.09.2006
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
Kartellsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
VI-Kart 15/06 (V)
Tenor:
I. Im Wege der einstweiligen Anordnung wird die aufschiebende
Wirkung der Beschwerde gegen die Anordnungen des
Beschwerdegegners im Beschluss vom 23.08.06 (B 10 – 92713 – Kc –
148/05) wiederhergestellt, soweit sie sich gegen die
Untersagungsverfügungen unter A. richtet.
II. Diese Anordnung ist bis zum 01.11.06 befristet.
III. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe:
1
A.
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Das Bundeskartellamt hat die Verfahrensweise der Lottogesellschaften in drei
Sachkomplexen auf ihre Vereinbarkeit mit den Regeln des deutschen und des
europäischen Kartellrechts untersucht, erstens die Aufforderung, keine Spieleinsätze
aus gewerblicher terrestrischer Spielvermittlung anzunehmen, zweitens die
Vereinbarung der Lottogesellschaften im Blockvertrag, Lotterien und Sportwetten jeweils
nur in dem Bundesland anzubieten, in dem sie eine Genehmigung haben (sog.
Regionalitätsprinzip), und drittens die Information der Bundesländer über den von
gewerblichen Spielvermittlern stammenden Anteil an der Summe der Spieleinsätze und
der vereinnahmten Bearbeitungsgebühren sowie die darauf entfallende
Gewinnausschüttung und das Bearbeitungsentgelt durch die Lottogesellschaften, um
die Spieleinsätze unter den Bundesländern aufzuteilen. Im Ergebnis hat das
Bundeskartellamt angenommen, dass alle drei Verhaltensweisen der
Lottogesellschaften gegen europäisches und deutsches Kartellrecht verstoßen.
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Im Beschluss vom 23.08.2006 hat es folgende Feststellungen getroffen:
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A. Die am 25./26. April 2005 beschlossene Aufforderung des Rechtsausschusses
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des D. L.- und T. an alle Gesellschaften des D. L.- und T., durch terrestrische
Vermittlung gewerblicher Spielvermittler erzielte Spielumsätze nicht anzunehmen,
hat gegen Art. 81 EG und § 1 GWB sowie gegen § 21 Abs. 1 GWB und Art. 82 EG
verstoßen.
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B. § 2 des Blockvertrages der D. L.- und T.-unternehmen verstößt gegen Art. 81 EG
soweit sich die Gesellschafter des D. darin geeinigt haben, Lotterien und
Sportwetten, wie Lotto ..., S. .., S. .., F., O. und G., jeweils nur in dem Bundesland zu
vertreiben, in dem sie eine Genehmigung haben. § 5 Abs. 3 Lotteriestaatsvertrag
und die Landesgesetze zum Glücksspielwesen verstoßen gegen Art. 10 EG i.V.m.
Art. 81 EG, soweit sie die Tätigkeit der Gesellschaften des D. L.- und T. auf das
Gebiet des Bundeslandes beschränken, in dem sie über eine Genehmigung für die
von ihnen angebotenen Glücksspiele verfügen.
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C. Der Staatsvertrag über die Regionalisierung von Teilen der von den
Unternehmen des D. L.- und T. erzielten Einnahmen verstößt gegen Art. 81 Abs. 1
EG i. V. m. Art. 10 EG.
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Auf diese Feststellungen gestützt hat das Bundeskartellamt folgende Verfügungen
getroffen:
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A.
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1. Den Beteiligten zu 1. bis zu 18. wird nach § 32 GWB untersagt, die Gesellschaften
des D. L.- und T. aufzufordern, durch terrestrische Vermittlung gewerblicher
Spielvermittler erzielte Spielumsätze generell nicht anzunehmen.
2. Den Beteiligten zu 2. bis zu 18. wird nach § 32 GWB untersagt, den unter 1.
bezeichneten Beschluss des Rechtsausschusses des D. L.- und T. weiter
umzusetzen und sich bei ihrer Geschäftstätigkeit daran zu halten.
3. Ferner werden den Beteiligten zu 2. bis zu 18. nach § 32 GWB alle gegen
gewerbliche Spielvermittler gerichteten Maßnahmen, wie insbesondere
Abmahnungen oder Vertragskündigungen, untersagt, die von den Beteiligten zu 2.
bis zu 18. deshalb ergriffen werden, weil die gewerblichen Spielvermittler
ordnungsbehördlich zugelassene Glücksspiele über terrestrische
Vermittlungsstellen vermitteln, und die auf die Behauptung von Verstößen der
gewerblichen Spielvermittler gegen das Ordnungsrecht gestützt werden, ohne
dass eine Ordnungsbehörde diesen Verstoß zuvor bestandskräftig festgestellt hat,
oder im Falle der Einlegung von Rechtsmitteln ein Gericht diesen Verstoß
rechtskräftig festgestellt hat. Ferner wird den Beteiligten zu 2. bis zu 18. untersagt,
gewerbliche Spielvermittler zu Zusagen zu veranlassen, die terrestrische
Spielvermittlung in einer bestimmten Art und Weise zu unterlassen oder nicht
aufzunehmen, deren Unvereinbarkeit mit ordnungsrechtlichen Vorschriften nicht in
einem behördlichen Verfahren bestandskräftig festgestellt worden ist, oder im
Falle der Einlegung von Rechtsmitteln von einem Gericht rechtskräftig festgestellt
wurde.
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4. Den Beteiligten zu 2. bis zu 18. wird außerdem nach § 32 GWB untersagt, sich im
Rahmen ihrer Geschäftstätigkeit an alle staatlichen Maßnahmen, wie Gesetze,
Verordnungen, Verwaltungsakte und Weisungen zu halten, die dazu dienen, dem
unter 1. bezeichneten Beschluss des Rechtsausschusses des D. L.- und T. weiter
Wirksamkeit zu verschaffen.
12
B.
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1. Den Verfahrensbeteiligten zu 2. bis zu 18. wird nach § 32 GWB untersagt, ihr
jeweiliges Vertriebsgebiet für Lotterien und Sportwetten unter Beachtung von § 2
Blockvertrag und § 5 Abs. 3 Lotteriestaatsvertrag und den Landesgesetzen zum
Glücksspielwesen auf das Gebiet des Bundeslandes zu beschränken, in dem sie
über eine Genehmigung für die von ihnen angebotenen Glücksspiele verfügen.
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2. Insbesondere wird den Verfahrensbeteiligten zu 2. bis zu 18. untersagt, ihren
Internetvertrieb aus diesem Grund auf Spielteilnehmer des Bundeslandes zu
beschränken, die ihren Wohnsitz im Land der Lottogesellschaft haben.
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3. Ferner wird den Verfahrensbeteiligten zu 2. bis zu 18. untersagt, Maßnahmen
gegen gewerbliche Spielvermittler zu ergreifen, die Spielverträge mit
Spielinteressenten aus anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union an die
Verfahrensbeteiligten zu 2. bis zu 18. vermitteln, soweit die Spielteilnahme und die
Vermittlung nach dem Recht des Staates, in dem die Spielinteressenten ihren
Spielschein abgeben, zulässig ist.
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C. Den Beteiligten zu 2. bis 18. wird nach § 32 GWB untersagt, den Staatsvertrag
über die Regionalisierung von Teilen der von den Unternehmen des D. L.- und T.
erzielten Einnahmen durchzuführen, soweit sie
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- den Bundesländern den von gewerblichen Spielvermittlern stammenden Anteil
an der Summe der Spieleinsätze und der vereinnahmten Bearbeitungsgebühren
getrennt für jede gemeinsame Veranstaltung von Glücksspielen des D. L.- und T.
sowie die auf diesen Anteil entfallende Gewinnausschüttung und
Bearbeitungsentgelt für die Zwecke der Regionalisierung nach § 3 des
Staatsvertrages mitteilen,
18
- die Pauschalen gem. § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und 3 des Staatsvertrages über die
Regionalisierung von Teilen der von den Unternehmen des D. L.- und T. erzielten
Einnahmen bei den Provisionsverhandlungen mit gewerblichen Spielvermittlern
berücksichtigen.
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Das Bundeskartellamt hat die sofortige Vollziehung der Untersagungen nach A. 1. bis 4.
angeordnet, soweit sie auf § 32 GWB i.V. mit § 21 Abs. 1 GWB gestützt sind. Im übrigen,
soweit die Untersagungen mit § 1 GWB und Art. 81 und 82 EG gerechtfertigt werden, ist
es davon ausgegangen, dass die Beschwerde keine aufschiebende Wirkung hat.
Insoweit hat es von einer Aussetzung der Vollziehung abgesehen.
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Gegen den Beschluss vom 23.08.2006 haben die Beteiligten zu 1. bis 18. rechtzeitig
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Beschwerde eingelegt. Eine Beschwerdebegründung liegt noch nicht vor.
Mit Antrag vom 01.09.2006 haben die Beschwerdeführer beantragt,
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1. die aufschiebende Wirkung der am 28.08.2006 eingelegten Beschwerde gegen
die nach §§ 32 i. V. m. 21 GWB zu Abschnitt A. Ziffer 5 unter Anordnung der
sofortigen Vollziehung ergangenen Untersagungsverfügungen des
Bundeskartellamts vom 23.08.2006 wiederherzustellen und
2. die aufschiebende Wirkung der am 28.08.2006 eingelegten Beschwerde gegen
die nach § 32 i. V. m. Art. 10, 81 EG zu Abschnitt B. Ziffern 1 – 3 und zu Abschnitt
C. ergangenen Untersagungsverfügungen des Bundeskartellamts vom 23.08.2006
anzuordnen.
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Außerdem haben die Beschwerdeführer beantragt, diese Anordnungen bereits durch
einstweilige Anordnung bis zur Entscheidung über die Anträge gemäß § 65 Abs. 3 GWB
zu treffen.
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Der Beschwerdegegner hat mit Schriftsatz vom 04.09.06 erklärt, er werde von
Vollstreckungsmaßnahmen bezüglich der unter B. und C. getroffenen Anordnungen bis
zum
01.11.06
einstweilige Anordnung bis zur Entscheidung über die Anträge gemäß § 65 Abs. 3 GWB
insoweit zurückgenommen.
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Hinsichtlich des Anordnung unter A. hat der Beschwerdegegner eine gleiche
Verhaltensweise davon abhängig gemacht, dass die Beschwerdeführer während des
Verfahrens auf einstweiligen Rechtsschutz sämtliche von gewerblichen Spielvermittlern
vermittelten Spielumsätze annehmen. Im Hinblick auf diese Einschränkung halten die
Beschwerdeführer ihren Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung bis zur
Entscheidung über die Anträge gemäß § 65 Abs. 3 GWB aufrecht.
27
B.
28
Der noch aufrechterhaltene Antrag auf einstweilige Anordnung bis zur Entscheidung
über die Anträge gemäß § 65 Abs. 3 GWB ist zulässig und begründet.
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I.
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Es ist für das verwaltungsgerichtliche Verfahren des § 80 Abs. 5 VwGO anerkannt, dass
es zulässig ist, Zwischenverfügungen zu erlassen, wenn dies das in Art. 19 Abs. 4 GG
enthaltene Prinzip der Effektivität des Rechtsschutzes erfordert (Hamburgisches OVG
NVwZ 2004, 1135; Kopp/Schenke, VwGO, 14. Aufl., Rn. 170 zu § 80 m.w.N.). Für das
kartellrechtliche Verwaltungsverfahren, in dem ungeachtet des Wortlautes des § 73
GWB ergänzend auf Vorschriften der VwGO zurückzugreifen ist, wo diese der Natur der
Sache angemessener sind als diejenigen der ZPO (Karsten Schmidt in
Immenga/Mestmäcker, GWB, 3. Aufl., Rn. 1 zu § 73), kann nichts anderes gelten. Dass
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Zwischenverfügungen der hier zu treffenden Art im kartellrechtlichen
Verwaltungsverfahren bisher keine praktische Rolle gespielt haben, lag daran, dass das
Bundeskartellamt bisher dem Senat durch sog. Stillhalteerklärungen – wie hier auch zu
den Verfügungen unter B. und C. – stets die Zeit gegeben hat, die er benötigte, um die
für Entscheidungen gemäß § 65 Abs. 3 GWB notwendigen Prüfungen vornehmen zu
können.
II.
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Die Voraussetzungen für den Erlass einer Zwischenverfügung liegen vor.
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Für den Senat ist es unmöglich, binnen weniger Tage die Prüfung gemäß § 65 Abs. 3
GWB durchzuführen. Hier ist eine komplexe Rechtslage zu beurteilen, in die sich der
Senat erst einarbeiten muss. Der angefochtene Beschluss hat immerhin 198 Seiten
benötigt, um die komplizierte Sach- und Rechtslage darzustellen. Dass die Beschwerde
offensichtlich unbegründet ist und deshalb näherer Prüfung nicht bedarf, lässt sich
aufgrund der Antragsbegründungsschrift der Beschwerdeführer nicht feststellen.
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Unter diesen Umständen kann nur aufgrund einer Interessenabwägung entschieden
werden, ob eine Zwischenverfügung nötig ist. Hierbei sind die Folgen, die einträten,
wenn die Beschwerdeführer sofort sämtliche von gewerblichen Spielvermittlern
vermittelten Spieleinsätze annehmen müssten und der Antrag gemäß § 65 Abs. 3 GWB
später Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abzuwägen, die entstünden, wenn die
Vollziehung ausgesetzt und der Eilantrag später abgelehnt würde.
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Diese Abwägung geht zugunsten der Beschwerdeführer aus.
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Mit dem angefochtenen Beschluss will der Beschwerdeführer ein langjährig
bestehendes System der Abwicklung von Lottowetten aufbrechen. Wenn dieses System
noch bis zum 01.11.06 weiterläuft und der – unterstellt – kartellrechtswidrige Zustand bis
dahin noch andauert, ist das auf dem Hintergrund, dass der Beschwerdeführer dieses
System selbst jahrelang hingenommen hat, nicht als schwerwiegender Nachteil
anzusehen. Demgegenüber wäre es ein schwerwiegender Nachteil für die
Beschwerdeführer, wenn sie jetzt für möglicherweise nur knapp 2 Monate die für die
Annahme der Spielumsätze nötigen tatsächlichen und rechtlichen Vorkehrungen treffen
müssten. Auch das Interesse der Beigeladenen zu 1., ihre möglicherweise im Vertrauen
auf Zusagen des Bundeskartellamtes finanzierten Investitionen möglichst bald - konkret
schon jetzt statt ab November - durch höhere Einnahmen aus der Vermittlung von
Lotterien amortisieren und die durch Werbung oder Vertragsschlüsse erweckten
Erwartungen ihrer Kunden erfüllen zu können, überwiegt nicht. Der Beigeladenen zu 1.
musste klar sein, dass die Beschwerdeführer die Entscheidung des
Beschwerdegegners nicht hinnehmen und einstweiligen Rechtsschutz suchen würden.
Wenn sie dennoch auf der bisher erkennbar ungesicherten Rechtslage, die durch
Auflagen an den Gesetzgeber in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom
28.03.06 noch zusätzlich in Bewegung gekommen ist, Investitionen tätigt, ohne
zumindest eine vorläufige Entscheidung des Senats abzuwarten, war das ihr eigenes
Risiko und kann nicht als Argument dafür dienen, den Rechtsschutz der
Beschwerdeführer zu verkürzen.
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C.
38
Die Rechtsbeschwerde gegen diesen Beschluss wird entgegen der Anregung des
Beschwerdegegners nicht zugelassen. Die Zulassung der Rechtsbeschwerde
widerspräche dem Sinn des hier vorliegenden besonderen Eilverfahrens, zumal eine
Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts voraussichtlich ohnehin nicht vor dem
01.11.06 möglich sein wird.
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B. K. Dr. M.
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