Urteil des OLG Düsseldorf vom 02.05.2008
OLG Düsseldorf: aufschiebende wirkung, rügeobliegenheit, eugh, ausschreibung, willkür, gleichbehandlungsgebot, zusammenrechnung, einfluss, wirtschaftlichkeit, zuschlagskriterium
Oberlandesgericht Düsseldorf, VII-Verg 26/08
Datum:
02.05.2008
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
Vergabesenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
VII-Verg 26/08
Tenor:
Die aufschiebende Wirkung der sofortigen Beschwerde der Antragstel-
lerin gegen den Beschluss der Vergabekammer bei der Bezirksregie-
rung Köln vom 04. April 2008 (VK VOF 33/2007) wird bis zur Entschei-
dung über die Beschwerde verlängert.
(Hier Freitext: Tatbestand, Gründe etc.)
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Die Antragsgegnerin, ein regional tätiges Energieversorgungsunternehmen, führt aus
Anlass von Neu- und Umbauvorhaben bei Verwaltungs- und Sozialgebäuden nach
öffentlicher Ausschreibung ein Verhandlungsverfahren zur Vergabe von
Tragwerksplanungen durch. Die Antragstellerin wurde zur Abgabe eines Angebots
zugelassen. Sie rügte vor allem der HOAI widersprechende Vergütungsvorgaben und
im Nachprüfungsverfahren darüber hinaus das Unterbleiben einer Bekanntgabe der
nachträglich aufgestellten Bewertungsmatrix sowie deren fehlende Kompatitbilität mit
den Bewertungskriterien der Verdingungsunterlagen. Ihr wurde schließlich mitgeteilt, auf
ihr Angebot könne "aus preislichen Gründen" kein Zuschlag erfolgen. Die
Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag mit der Begründung zurückgewiesen,
Vergabefehler hätten sich nicht zu Lasten der Antragstellerin ausgewirkt.
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Der Antrag der Antragstellerin auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung ihrer
sofortigen Beschwerde gemäß § 118 Abs. 1 S. 3 GWB ist begründet. Denn ihr
Nachprüfungsantrag ist entgegen der Auffassung der Vergabekammer voraussichtlich
erfolgreich.
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a) Dabei kann dahinstehen, ob die ausgeschriebene Leistung hinsichtlich ihrer "Lösung
vorab eindeutig und erschöpfend beschrieben werden" konnte (vgl. zur Abgrenzung
Müller-Wrede, VOF, 3. Aufl., § 2 Rdnr. 64 ff.), so dass gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 1 S. 1 VgV
der 4. Abschnitt der VOL/A anzuwenden ist, oder ob dies nicht der Fall ist, so dass im
Hinblick auf § 5 S. 3 und § 7 Abs. 2 Nr. 1 S. 2 VgV nach h.M. die §§ 97 ff. GWB sowie
die VKR unmittelbar gelten (vgl. OLG Brandenburg, NZBau 2007, 332 = VergabeR
2007, 235; Voppel, VergabeR 2006, 390; Stemmer/Wierer, VergabeR 2006, 7, 8; Kulartz
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in Müller-Wrede, a.a.O., § 1 Rn. 5; s. auch Bischoff, in Willenbruch/Bischoff,
Vergaberecht, S. 134/135).
b) Die Antragsgegnerin hat als Zuschlagskriterien eignungsbezogene Merkmale
genannt, nämlich Unternehmenskennwerte und Fachkunde, was grundsätzlich nicht nur
nach nationalem, sondern auch nach EG-Richtlinienrecht unstatthaft ist (vgl. EuGH,
Urteil vom 24.1.2008 – C-532/06, Rn. 30). Das darüber hinaus festgelegte
Zuschlagskriterium der Wirtschaftlichkeit ist außerdem inhaltlich völlig unbestimmt und
intransparent. Es ist ungeeignet, eine dem Gleichbehandlungsgebot (und zugleich einer
Vermeidung von Willkür) auch nur einigermaßen genügende Angebotswertung
sicherzustellen.
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Eine Verletzung der Rügeobliegenheit dürfte nicht vorliegen. Im VOF-Bereich wurde
bisher streitig diskutiert, inwieweit Eignungs- und Auftragskriterien strikt zu trennen sind
(vgl. Michels/Rude, VergabeR 2008, 183, 191 ff.; vgl. auch die Bemerkung der
Antragsgegnerin in ihrem Schriftsatz vom 05. März 2008 an die Vergabekammer, Bl.
3/4).
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c) Ferner hat die Antragsgegnerin gegen EG-Vergaberechtsvorschriften verstoßen,
indem sie den Bietern eine nachträglich aufgestellte Bewertungsmatrix nebst
Unterkriterien und Gewichtungskoeffizienten nicht offenbart hat. Unterkriterien und
Gewichtungen sind den Bietern aus Sicht des nationalen und des europäischen
Vergaberechts ohne Wenn und Aber rechtzeitig vor Ablauf der Angebotsfrist mitzuteilen,
damit die Angebote darauf eingestellt werden können (vgl. EuGH a.a.O. Rn. 36). Die
diesbezüglichen Rechtsbestimmungen haben bieterschützenden Charakter.
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Eine Verletzung der Rügeobliegenheit kommt hier bereits deswegen nicht in Betracht,
weil die fraglichen Tatsachen erst im Nachprüfungsverfahren bekannt geworden sind.
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d) Ob der Ausschreibungstext gegen die HOAI verstößt, bedarf danach keiner
Erörterung. Es sei lediglich darauf hingewiesen, dass bisher die Voraussetzungen des §
66 Abs. 2 HOAI für eine Zusammenrechnung nicht dargelegt sein dürften.
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e) Derzeit ist nicht zu verneinen, dass die genannten Vergaberechtsverstöße Einfluss
auf die Vorbereitung sowie auf den Inhalt der Angebote gehabt haben und die
Antragstellerin dadurch in Bieterrechten verletzt worden ist. Angesichts der vorliegenden
Vergaberechtsverstöße kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Antragstellerin bei
ordnungsgemäßer Ausschreibung den Zuschlag erhalten hätte.
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Dicks Schüttpelz Dieck-Bogatzke
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