Urteil des OLG Düsseldorf vom 17.11.2008

OLG Düsseldorf: unerlaubte handlung, internationale zuständigkeit, anleger, örtliche zuständigkeit, strafbare handlung, rechtshängigkeit, schiedsabrede, kauf, schiedsvereinbarung, merkblatt

Oberlandesgericht Düsseldorf, I-9 U 87/08
Datum:
17.11.2008
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
9. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
I-9 U 87/08
Tenor:
Auf die Berufungen der Kläger wird das am 28. März 2008 verkündete
Urteil der 15. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf (15 O 289/07)
unter Zurückweisung der Berufungen im Übrigen teilweise abgeändert
und insgesamt wie folgt neu gefasst:
I.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger zu 1) 63.500,00 EUR nebst 4
% Zinsen
aus 3.000,00 EUR vom 10.06.2005 bis 21.06.2005,
aus 27.000,00 EUR am 22.06.2005,
aus 51.000,00 EUR vom 23.06.2005 bis 15.08.2005 und
aus 63.500,00 EUR vom 16.08.2005 bis 29.08.2007
sowie nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz aus 63.500,00 EUR seit dem 30.08.2007 zu zahlen.
Die Beklagte wird ferner verurteilt, an den Kläger zu 1) 880,00 EUR zu
zahlen.
II.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger zu 2) 63.123,57 EUR nebst 4
% Zinsen
aus 3.000,00 EUR vom 21.04.2005 bis 19.05.2005,
aus 28.000,00 EUR vom 20.05.2005 bis 23.05.2005,
aus 43.000,00 EUR vom 24.05.2005 bis 06.06.2005,
aus 58.000,00 EUR vom 07.06.2005 bis 15.06.2005,
aus 76.500,00 EUR vom 16.06.2005 bis 28.07.2005,
aus 87.800,00 EUR vom 29.07.2005 bis 30.08.2005,
aus 102.800,00 EUR vom 31.08.2005 bis 21.12.2005,
aus 63.135,63 EUR vom 22.12.2005 bis 23.01.2006 und
aus 63.123,57 EUR vom 24.01.2006 bis 29.08.2007
sowie nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz aus 63.123,57 EUR seit dem 30.08.2007 zu zahlen.
Die Beklagte wird ferner verurteilt, an den Kläger zu 2) 880,00 EUR zu
zahlen.
III.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger zu 3) 108.074,39 EUR nebst
4 % Zinsen
aus 3.000,00 EUR vom 04.05.2005 bis 02.06.2005,
aus 27.000,00 EUR vom 03.06.2005 bis 09.06.2005,
aus 39.000,00 EUR vom 10.06.2005 bis 16.06.2005,
aus 75.000,00 EUR vom 17.06.2005 bis 29.06.2005,
aus 106.000,00 EUR vom 30.06.2005 bis 18.07.2005,
aus 137.000,00 EUR vom 19.07.2005 bis 05.10.2005 und
aus 108.074,39 EUR vom 06.10.2005 bis 29.08.2007
sowie nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz aus 108.074,39 EUR seit dem 30.08.2007 zu zahlen.
Die Beklagte wird ferner verurteilt, an den Kläger zu 3) 1.059,22 EUR zu
zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die
Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des
aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der
jeweils vollstreckende Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe
von 120 % des von ihm zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
G r ü n d e
1
I.
2
Die Kläger begehren von der Beklagten, die der New Yorker Börsenaufsicht unterliegt
und die gewerblichen Vermittlern eine elektronische Plattform für die Abwicklung von
Wertpapiergeschäften in den Vereinigten Staaten über ihr Online-System "N... E..." zur
Verfügung stellt, den Ersatz von Verlusten, die sie bei Börsentermingeschäften an der
US-amerikanischen Börse erlitten haben. Die Beklagte macht im Wege der
Hilfswiderklage die Erstattung von vorprozessualen Anwaltsgebühren gegen die Kläger
geltend.
3
Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf das erstinstanzliche Urteil verwiesen.
4
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das Landgericht
ausgeführt, die Kläger hätten einen Sachverhalt, aus dem sich eine Beteiligung der
Beklagten an einer unerlaubten Handlung der Firma S... I... ergebe, nicht ausreichend
dargelegt und unter Beweis gestellt. Es sei weder ersichtlich, dass die Beklagte von
einer fehlenden Aufklärung der Kläger Kenntnis gehabt habe, noch hätten die Kläger die
Voraussetzungen eines "Churning" oder einer "Kick-Back-Vereinbarung" vorgetragen.
Eigene Aufklärungspflichten über die mit den Anlagegeschäften verbundenen Risiken
hätten der Beklagten demgegenüber nicht oblegen.
5
Hiergegen richten sich die Berufungen der Kläger, mit der sie ihr erstinstanzliches
Begehren weiterverfolgen.
6
Die Kläger sind der Auffassung, die Beklagte sei ihnen gegenüber
schadensersatzpflichtig. Die vom Landgericht herangezogene Entscheidung BGHZ 147,
343 ff. sei nicht einschlägig. Die Beklagte habe eine Kick-Back-Vereinbarung
geschlossen, so dass eine Aufklärung auch durch die Beklagte habe erfolgen müssen.
Auch ein Churning sei angesichts der Zahl der Geschäfte gegeben. Schließlich habe
sich die Beklagte an einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung durch die S... I...
vorsätzlich beteiligt, da sie billigend in Kauf genommen habe, dass nicht ausreichend
über die Risiken aufgeklärte Anleger Börsentermingeschäfte durchführten. Aus den
Umständen des Falles ergäben sich genügend Anhaltspunkte für eine vorsätzliche
Beteiligung der Beklagten.
7
Die Kläger beantragen,
8
unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Düsseldorf vom 28.03.2008
9
I.
10
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger zu 1) 63.500,00 EUR nebst Zinsen in
Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz
11
aus 3.000,00 EUR vom 10.06.2005 bis 21.06.2005,
12
aus 27.000,00 EUR am 22.06.2005,
13
aus 51.000,00 EUR vom 23.06.2005 bis 15.08.2005 und
14
aus 63.500,00 EUR seit dem 16.08.2005 zu bezahlen
15
sowie die Beklagte weiter zu verurteilen, an den Kläger zu 1) 880,00 EUR zu
bezahlen,
16
II.
17
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger zu 2) 63.123,57 EUR nebst Zinsen in
Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz
18
aus 3.000,00 EUR vom 19.04.2005 bis 19.05.2005,
19
aus 28.000,00 EUR vom 20.05.2005 bis 23.05.2005,
20
aus 43.000,00 EUR vom 24.05.2005 bis 02.06.2005,
21
aus 58.000,00 EUR vom 03.06.2005 bis 15.06.2005,
22
aus 76.500,00 EUR vom 16.06.2005 bis 27.07.2005,
23
aus 87.800,00 EUR vom 28.07.2005 bis 30.08.2005,
24
aus 102.800,00 EUR vom 31.08.2005 bis 21.12.2005,
25
aus 63.135,63 EUR vom 22.12.2005 bis 23.01.2006 und
26
aus 63.123,57 EUR seit dem 24.01.2006 zu bezahlen
27
sowie die Beklagte weiter zu verurteilen, an den Kläger zu 2) 880,00 EUR zu
bezahlen,
28
III.
29
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger zu 3) 108.074,39 EUR nebst Zinsen in
Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz
30
aus 3.000,00 EUR vom 04.05.2005 bis 02.06.2005,
31
aus 27.000,00 EUR vom 03.06.2005 bis 09.06.2005,
32
aus 39.000,00 EUR vom 10.06.2005 bis 16.06.2005,
33
aus 75.000,00 EUR vom 17.06.2005 bis 29.06.2005,
34
aus 106.000,00 EUR vom 30.06.2005 bis 15.07.2005,
35
aus 137.000,00 EUR vom 16.07.2005 bis 05.10.2005 und
36
aus 108.074,39 EUR seit dem 06.10.2005 zu bezahlen
37
sowie die Beklagte weiter zu verurteilen, an den Kläger zu 3) 1.059,22 EUR zu
bezahlen.
38
Die Beklagte beantragt,
39
die Berufungen der Kläger zurückzuweisen.
40
Im Wege der Anschlussberufung beantragt sie hilfsweise für den Fall des Obsiegens,
das angefochtene Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 28.03.2008, soweit es die
Hilfswiderklage abgewiesen hat, abzuändern und
41
den Kläger zu 1 zu verurteilen, an die Beklagte 1.704,50 EUR nebst Zinsen in
Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu
zahlen,
42
den Kläger zu 2 zu verurteilen, an die Beklagte 1.704,50 EUR nebst Zinsen in
Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu
zahlen und
43
den Kläger zu 3 zu verurteilen, an die Beklagte 2.051,00 EUR nebst Zinsen in
Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu
zahlen.
44
Die Kläger beantragen,
45
die Anschlussberufung der Beklagten zurückzuweisen.
46
Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil. Sie macht geltend, die deutschen
Gerichte seien nicht international zuständig. Der für die Begründung eines inländischen
Gerichtsstands erforderliche Handlungs- bzw. Erfolgsort liege auch nach dem
Vorbringen der Kläger im Staat New York, USA. Des Weiteren erhebt die Beklagte die
Einrede des Schiedsvertrags. Sie trägt vor, der zwischen den Parteien jeweils
abgeschlossene Schiedsvertrag sei wirksam. Sie habe aber auch keine unerlaubte
Handlung begangen. Eigene Aufklärungspflichten hätten ihr nach der Rechtsprechung
des Bundesgerichtshofs nicht oblegen. Von Pflichtverletzungen der S... I..., die sie
bestreite, habe sie demgegenüber keine Kenntnis gehabt. Die S... I... habe über die
erforderlichen finanzaufsichtlichen Erlaubnisse verfügt. Weiter gehende
Überwachungspflichten hätten nicht bestanden. Auch andere Pflichtverletzungen seien
ihr nicht vorzuwerfen. Eine Kick-Back-Vereinbarung habe sie nicht getroffen. Zudem
seien die Gebühren im Geschäftsbesorgungsvertrag offengelegt worden. Auch die
Voraussetzungen eines Churning hätten nicht vorgelegen. Vielmehr habe sie lediglich
47
einen rechtlich zulässigen Service angeboten. Weshalb die jeweiligen Kunden die
Geschäfte durchgeführt haben, sei für sie dabei nicht erkennbar gewesen. So sei es
insbesondere auch möglich, dass es sich um Hedge-Geschäfte gehandelt habe.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die
gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
48
Die Akten 8 O 111/07, 15 O 110/07, 15 O 217/07 und 15 O 291/07 des Landgerichts
Düsseldorf lagen vor und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
49
II.
50
Die Berufungen der Kläger sind zulässig und mit Ausnahme eines Teils der
Zinsforderung auch begründet.
51
1.
52
Die vor einem deutschen Gericht erhobenen Klagen der Kläger sind zulässig. Die
deutsche Gerichtsbarkeit ist gegeben. Auch steht die Schiedsklausel in Nr. 15 der
Geschäftsbedingungen der Beklagten (O... A..., Anlage B 6) der Zulässigkeit der Klage
nicht entgegen.
53
a)
54
Die deutschen Gerichte sind international zuständig, da der Gerichtsstand der
unerlaubten Handlung gemäß § 32 ZPO eröffnet ist.
55
Die internationale Zuständigkeit ist im Verhältnis zwischen Deutschland und den USA
nicht speziell geregelt, so dass nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs
insoweit die Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit heranzuziehen sind. Demnach
ergibt sich die internationale Zuständigkeit, soweit ein deutsches Gericht örtlich
zuständig ist.
56
Nach diesen Grundsätzen folgt die internationale Zuständigkeit hier aus § 32 ZPO.
Dieser Gerichtsstand ist eröffnet, wenn das Klagevorbringen die Möglichkeit einer
unerlaubten Handlung nahelegt. Ob die Beklagte tatsächlich eine unerlaubte Handlung
begangen hat, ist demgegenüber eine Frage der Begründetheit der Klage. Nach dem
Klagevorbringen ergibt sich aber eine Beteiligung der Beklagten an einer sittenwidrigen
Schädigung durch die S... I.... Die Beklagte soll nach dem Vorbringen der Kläger davon
Kenntnis gehabt haben, dass die S... I... die Kläger in sittenwidriger Weise,
insbesondere ohne die erforderliche Aufklärung, zur Durchführung von hochriskanten
Optionsgeschäften veranlasst hat. Diese unerlaubte Handlung ist auch in Deutschland
begangen worden, da die Geschäfte von Deutschland aus veranlasst worden sind. Die
Tatbeiträge der S... I... muss sich die Beklagte bei der Frage der internationalen
Zuständigkeit zurechnen lassen (vgl. BGH WM 1995, 100, 102). Im Übrigen ist auch der
Vermögensschaden der Kläger jeweils in Deutschland eingetreten, da sie aufgrund der
mangelnden Aufklärung dazu veranlasst wurden, Gelder aus Deutschland auf ein bei
der Beklagten eingerichtetes Konto zu transferieren. Ob das Landgericht Düsseldorf
örtlich zuständig war, hat das Berufungsgericht demgegenüber gemäß § 513 Abs. 2
ZPO nicht zu prüfen.
57
b)
58
Der Geltendmachung der Schadensersatzansprüche durch die Kläger vor einem
deutschen ordentlichen Gericht steht auch die Einrede des Schiedsvertrags nicht
entgegen. Zwar erfasst die jeweils mit der Beklagten vereinbarte Schiedsabrede nach
ihrem Wortlaut auch Ansprüche aus unerlaubter Handlung. Die Schiedsabrede ist aber
unwirksam.
59
In diesem Zusammenhang kann offen bleiben, ob es sich bei den Klägern um Kaufleute
im Sinne von § 1 HGB handelt. Zwar fände in diesem Fall § 37 h WpHG unabhängig
von der Frage, ob die Börsentermingeschäfte für das Handelsunternehmen ausgeführt
worden waren, keine Anwendung (vgl. Assmann/Sethe, WpHG, 4. Aufl., § 37 h RdN 19).
Die Unwirksamkeit der Schiedsabrede folgt aber jedenfalls aus einer entsprechenden
Anwendung des Art. 42 EGBGB. Nach dieser Bestimmung ist eine vorweggenommene
Rechtswahl bei einer unerlaubten Handlung unzulässig. Hierauf liefe die zwischen den
Parteien getroffene Schiedsabrede, verbunden mit dem den Kontoauszügen in
regelmäßigen Abständen beigefügten Merkblatt "T..." (Anlage B 8), im Ergebnis aber
hinaus. Mit der in diesem Merkblatt abgedruckten Schiedsvereinbarung ist die Wahl
New Yorker Rechts verknüpft (letzter Absatz des Merkblattes). Dass das ausländische
Schiedsgericht trotzdem deutsches Recht anwenden würde, ist kaum zu erwarten,
keinesfalls aber sicher. Um dem Gedanken des Art. 42 EGBGB Rechnung zu tragen,
muss daher die Unwirksamkeit der Rechtswahl durchschlagen (vgl. OLG Düsseldorf,
Urteil vom 06.03.2008, I-6 U 109/07).
60
Schließlich ist die Berufung der Kläger auf die Unwirksamkeit der Schiedsabrede auch
nicht treuwidrig. Dass sie die jeweilige Schiedsvereinbarung unterschrieben haben,
steht der Berufung auf die Unwirksamkeit nicht entgegen. Art. 42 EGBGB dient dem
Schutz der Anleger, der nur dann erreicht werden kann, wenn eine Geltendmachung der
Unwirksamkeit nicht ausgeschlossen ist. Dafür, dass die Kläger die
Schiedsvereinbarung jeweils in Kenntnis der Unwirksamkeit unterzeichnet hätten, gibt
es demgegenüber keine Anhaltspunkte. Auch dass die Kläger die Vertragsbeziehung
zur Beklagten über eine längere Dauer fortgesetzt haben, ist insoweit unerheblich, denn
während der Laufzeit des Vertrages stellte sich die Frage der Wirksamkeit der
Schiedsvereinbarung nicht.
61
2.
62
Die Klagen sind auch mit Ausnahme eines Teils der Zinsforderung begründet.
63
Die Beklagte haftet den Klägern aus einer mit der S... I... gemeinsam begangenen
vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung im Sinne von §§ 826, 830 BGB.
64
a)
65
Ob die S... I... und die Beklagte eine unerlaubte Handlung begangen haben, ist nach
dem deutschen Deliktsrecht zu beurteilen.
66
Gemäß Art. 40 Abs. 1 Satz 1 EGBGB unterliegen Ansprüche aus unerlaubter Handlung
dem Recht des Staates, in dem der Ersatzpflichtige gehandelt hat. Der Verletzte kann
jedoch verlangen, dass anstelle dieses Rechts das Recht des Staates angewandt wird,
in dem der Erfolg eingetreten ist (Art. 40 Abs. 1 Satz 2 EGBGB).
67
Vorliegend befindet sich bereits der Handlungsort im Sinne des Art. 40 Abs. 1 Satz 1
EGBGB in Deutschland. Zwar gilt für die Haftung von Mittätern grundsätzlich das Recht
des jeweiligen Handlungsorts (vgl. Palandt/Heldrich, BGB, 67. Aufl., Art. 40 EGBGB
RdN 3), was in Bezug auf die Beklagte das Recht des Staates New York wäre. Eine
Ausnahme findet dieser Grundsatz jedoch in Art. 41 Abs. 1 EGBGB. Hiernach gilt nicht
das jeweilige Recht am Handlungsort, sofern eine gemeinsame wesentlich engere
Verbindung zum Recht eines anderen Staates besteht (vgl. Palandt/Heldrich, BGB, Art.
40 EGBGB RdN 3). Das ist vorliegend der Fall. Der Vorwurf der Kläger geht dahin, dass
sie durch die S... I... und die Beklagte zur Anlage von Vermögen in hochspekulative
Termingeschäfte veranlasst wurden, ohne ausreichend über die Risiken aufgeklärt
worden zu sein. Die Aufklärung hätte in Deutschland erfolgen müssen. Von dort aus
wurden die Kläger durch die S... I... zu den hochspekulativen Anlagegeschäften
veranlasst. Im Übrigen wurden auch die Anlagegelder in Umsetzung des
Anlageentschlusses von Deutschland aus überwiesen, so dass hier auch der
schädigende Erfolg eingetreten ist (Art. 40 Abs. 1 Satz 2 EGBGB). Dass die Konten bei
der Beklagten als Einzelkonten der Kläger geführt wurden und die Gelder somit rechtlich
zunächst noch im Vermögen der Kläger blieben, ändert daran nichts, denn die Kläger
haben mit der Entscheidung, ihr Geld in Optionsgeschäfte anzulegen, bereits
Dispositionen getroffen, die letztlich zum Verlust der Gelder führten. Zudem kam mit der
Einzahlung der Beträge auf das Brokereinzelkonto der Vertrag mit der S... I... zustande
(vgl. Ziff. 1 des Geschäftsbesorgungsvertrags, Anlage K 21).
68
Der Anwendbarkeit des deutschen Deliktsrechts steht auch Art. 41 Abs. 2 Nr. 1 EGBGB
nicht entgegen. Der von den Klägern erhobene Vorwurf gegen die Beklagte leitet sich
nicht aus den vertraglichen Beziehungen zwischen den Parteien ab, sondern geht
dahin, dass die Beklagte gemeinschaftlich mit der in Deutschland ansässigen S... I...
deliktisch gehandelt hat. Hierbei ist die S... I..., die primär zur Aufklärung verpflichtet war,
als Haupttäterin anzusehen, so dass ein engerer Bezug zum deutschen Recht besteht.
69
b)
70
Die Beklagte hat sich auch an einer von der S... I... begangenen unerlaubten Handlung
beteiligt.
71
aa)
72
Die S... I... hat die Kläger vorsätzlich sittenwidrig geschädigt und damit eine unerlaubte
Handlung im Sinne von § 826 BGB begangen.
73
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind gewerbliche Vermittler
von Terminoptionen verpflichtet, Kaufinteressenten vor Vertragsschluss schriftlich die
Kenntnisse zu vermitteln, die sie in die Lage versetzen, den Umfang ihres Verlustrisikos
und die Verringerung ihrer Gewinnchance durch den Aufschlag auf die Optionsprämie
richtig einzuschätzen. Dazu gehört neben der Bekanntgabe der Höhe der
Optionsprämie auch die Aufklärung über die wirtschaftlichen Zusammenhänge des
Optionsgeschäfts und die Bedeutung der Prämie sowie ihren Einfluss auf das mit dem
Geschäft verbundene Risiko. So muss darauf hingewiesen werden, dass die Prämie
den Rahmen eines vom Markt noch als vertretbar angesehenen Risikobereichs
kennzeichnet und ihre Höhe den noch als realistisch angesehenen, wenn auch
weitgehend spekulativen Kurserwartungen des Börsenfachhandels entspricht. Ferner ist
74
darzulegen, ob und in welcher Höhe ein Aufschlag auf die Prämie erhoben wird, und
dass ein solcher Aufschlag die Gewinnerwartung verschlechtert, weil ein höherer
Kursaufschlag als der vom Börsenfachhandel als realistisch angesehene notwendig ist,
um in die Gewinnzone zu kommen. In diesem Zusammenhang ist unmissverständlich
darauf hinzuweisen, dass höhere Aufschläge vor allem Anleger, die mehrere
verschiedene Optionen erwerben, aller Wahrscheinlichkeit nach im Ergebnis praktisch
chancenlos machen. Die Aussagekraft dieses Hinweises, der schriftlich und in auch für
flüchtige Leser auffälliger Form zu erfolgen hat, darf weder durch Beschönigungen noch
auf andere Weise beeinträchtigt werden (vgl. BGH WM 2005, 28, 29 m.w.N.).
Diese Grundsätze sind auch im vorliegenden Fall anwendbar. Der Einwand der
Beklagten, die Verluste seien nicht aufgrund der Gebühren, sondern aufgrund der
Marktsituation und einer falschen Anlagestrategie eingetreten, könnte allenfalls relevant
sein, wenn die Gebühren und Aufschläge die Gewinnchancen lediglich geringfügig
verschlechtert hätten. Vorliegend ist dies indes nicht der Fall. Die S... I... hat ausweislich
des "P..." zu Ziffer 5 des Geschäftsbesorgungsvertrages eine Round-turn-Gebühr in
Höhe von 100 $, eine Dienstleistungsgebühr in Höhe von 6 % sowie eine
Gewinnbeteiligung von 10 % berechnet. Dies sind keine geringfügigen Gebühren im
Sinne der Rechtsprechung. Eine Geringfügigkeit kann bereits bei einem
Gesamtaufschlag von 11 % nicht mehr angenommen werden (vgl. BGH WM 2006, 84,
86).
75
Den vorgenannten Anforderungen an die Aufklärung des Anlegers genügen die im
Geschäftsbesorgungsvertrag mit der S... I... enthaltenen Angaben nicht. Diese erwähnen
die mit den erhöhten Gebühren verbundenen Risiken nicht.
76
Auch das Merkblatt "Wichtige Informationen über Verlustrisiken bei
Börsentermingeschäften" reichte zur notwendigen Aufklärung nicht aus. Dieses
Merkblatt enthält lediglich abstrakte und typisierte Risikohinweise, die der Herstellung
der Börsentermingeschäftsfähigkeit dienen, nicht aber dazu geeignet sind, eine
anlegergerechte und objektgerechte Aufklärung zu gewährleisten (vgl. BGH NJW 1997,
2171, 2172; BGH NJW-RR 1997, 176).
77
Es kann auch nicht festgestellt werden, dass die Kläger weiteres schriftliches
Informationsmaterial erhalten haben. Zwar sind sie für den Umstand, dass sie nicht
ausreichend aufgeklärt worden sind, darlegungs- und beweispflichtig. Der Schwierigkeit
eines solchen Negativbeweises ist aber dadurch Rechnung zu tragen, dass die
Gegenpartei die entsprechende Behauptung unter Benennung übersandten
Aufklärungsmaterials substantiiert bestreiten und die beweisbelastete Partei sodann die
Unrichtigkeit dieser Gegendarstellung beweisen muss (vgl. BGH WM 2005, 28, 29).
Eine solche weitere Aufklärung hat die Beklagte nicht konkret vorgetragen.
78
Schließlich sind auch keine Anhaltspunkte dafür vorhanden, dass die Kläger bereits
anlageerfahren waren, dass sie sich als anlageerfahren geriert oder dass sie auf eine
Aufklärung verzichtet haben, so dass eine individuelle Aufklärung ausnahmsweise
entbehrlich gewesen wäre (vgl. BGH NJW 2000, 359, 361; hierzu BGH NJW-RR 2004,
484 f.; BGH NJW 2004, 3628, 3629):
79
Der Kläger zu 1 hat lediglich angegeben, Anlageerfahrungen bzw. Vorkenntnisse
bezüglich konservativer Anlagen und "sonstiger Anlagen" zu besitzen (Anlagen K 21
und B 3). Hieraus konnte die S... I... – wie auch die Beklagte - aber nicht den Schluss
80
ziehen, dass er mit den beabsichtigten Optionsgeschäften vertraut war. Um welche Art
von Anlagen es sich bei den "sonstigen Anlagen" handelte, wurde ersichtlich nicht
hinterfragt. Zudem enthielten sowohl die Formulare der Beklagten als auch die der S...
I... neben der Rubrik "sonstige Anlagen" eine gesonderte Rubrik für Anlageerfahrungen
im Optionshandel. Diese hat der Kläger zu 1 aber nicht angekreuzt. Demnach musste
die S... I... – ebenso wie die Beklagte - davon ausgehen, dass er über keinerlei
Erfahrungen auf diesem Gebiet verfügte. An der Aufklärungsbedürftigkeit ändert auch
nichts, dass der Kläger zu 1 als Ziel seiner Anlage die Spekulation bzw. eine "sehr
hohe" Spekulationsbereitschaft angegeben hat. Hieraus kann lediglich auf seine
Risikobereitschaft, nicht jedoch darauf geschlossen werden, dass er auf eine
ordnungsgemäße Aufklärung verzichten wollte.
Der Kläger zu 2 hat gegenüber der S... I... Erfahrungen mit konservativen Anlagen sowie
mit Aktien angegeben (Anlage K 22). Gegenüber der Beklagten hat er erklärt, seit einem
Jahr Erfahrungen mit Optionen und sonstigen Anlagen und seit 2 Jahren Erfahrungen
mit Aktien zu besitzen (Anlage B 4), wobei er behauptet, durch einen Mitarbeiter der S...
I... zu diesen – wahrheitswidrigen – Angaben veranlasst worden zu sein. Unabhängig
von der Frage, ob dies zutrifft, konnte die S... I... – wie auch die Beklagte – daraus
jedenfalls nicht entnehmen, dass der Kläger zu 2 nicht aufklärungsbedürftig war. Hierfür
hätte es einer längerfristigen Anlageerfahrung bedurft; erst daraus hätte die gesicherte
Erkenntnis gezogen werden können, dass ein Anleger über die mit den
Spekulationsgeschäften verbundenen Risiken hinreichend informiert war.
81
Der Kläger zu 3 hat gegenüber der S... I... ebenfalls angegeben, keine Erfahrungen mit
Optionsgeschäften, sondern nur mit konservativen Geldanlagen, Aktien und "sonstigen
Anlagen" zu besitzen (Anlage K 23). Gegenüber der Beklagten hat er demgegenüber
erklärt, er habe einjährige Erfahrungen mit Optionen, zweijährige Erfahrungen mit
sonstigen Anlagen und Erfahrungen mit Aktien von 0,2 Jahren (Anlage B 5), wobei er
behauptet, dass die S... I... diese Erklärung eigenmächtig und wahrheitswidrig
vorformuliert habe. Auch hieraus kann aus den obigen Gründen eine ausreichende
Anlageerfahrung mit Optionen, die eine Aufklärungspflicht entfallen lassen könnte, nicht
hergeleitet werden.
82
Der Inhaber der S... I... hat auch vorsätzlich gehandelt. Ihm oblag es, für eine
ordnungsgemäße Aufklärung der Anleger Sorge zu tragen. Dass die von ihm
verwendeten Unterlagen nicht ausreichend waren, lag dabei angesichts der spätestens
seit Beginn der 90iger Jahre bestehenden höchstrichterlichen Rechtsprechung zum
Inhalt der Aufklärungspflichten eines Vermittlers von hochspekulativen
Börsentermingeschäften auf der Hand. Sollte ihm dies nicht bekannt gewesen sein, so
hätte er sich dieser Erkenntnis jedenfalls bewusst verschlossen, was dem Vorsatz
gleichzustellen ist.
83
Dass die Kläger vom Abschluss der Geschäfte Abstand genommen hätten, wenn sie
zuvor in ordnungsgemäßer Weise aufgeklärt worden wären, wird vermutet. Dies gilt
auch, soweit die Kläger nach erlittenen Verlusten weiterhin Anlagegeschäfte getätigt
haben. Denn ein Kunde steht warnenden Hinweisen nach ersten durchgeführten
Optionsgeschäften nicht mehr unvoreingenommen gegenüber, und zwar unabhängig
davon, ob Gewinne oder Verluste erzielt wurden (vgl. BGH WM 1993, 1457, 1458).
84
bb)
85
An dieser vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung der S... I... hat sich die Beklagte
beteiligt, wobei es nicht darauf ankommt, ob die Teilnahme als Mittäterschaft, Anstiftung
oder Beihilfe zu qualifizieren ist (§ 830 Abs. 2 BGB).
86
Die Voraussetzungen für die Teilnahme an einer unerlaubten Handlung im Sinne des §
830 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB richten sich nach den für das Strafrecht entwickelten
Grundsätzen. Die Teilnahme verlangt demgemäß neben der Kenntnis der Tatumstände
wenigstens in groben Zügen den jeweiligen Willen der einzelnen Beteiligten, die Tat
gemeinschaftlich mit anderen auszuführen oder sie als fremde Tat zu fördern. Objektiv
muss eine Beteiligung an der Ausführung der Tat hinzukommen, die in irgendeiner Form
deren Begehung fördert und für diese relevant ist. Für den einzelnen Teilnehmer muss
ein Verhalten festgestellt werden können, das den rechtswidrigen Eingriff in das fremde
Rechtsgut unterstützt hat und das von der Kenntnis der Tatumstände und dem auf die
Rechtsgutsverletzung gerichteten Willen getragen war. Dabei wird sich in Fällen der
vorliegenden Art nur ausnahmsweise eine ausdrückliche Verabredung der Beteiligten
zur Vornahme der sittenwidrigen Handlungen oder eine ausdrückliche Zusage eines
Beteiligten zur Hilfeleistung feststellen lassen. Es ergibt sich dann die Notwendigkeit,
die gesamten Umstände des konkreten Einzelfalls, die möglicherweise auch Grundzüge
bestimmter zu missbilligender branchentypischer Handlungsweisen aufzeigen,
daraufhin zu untersuchen, ob sich ausreichende Anhaltspunkte für die Beteiligung an
einem sittenwidrigen Verhalten ergeben (vgl. BGH NJW 2004, 3423, 3425).
87
Allein der Umstand, dass die vom Beteiligten vorgenommene Handlung als
berufsspezifisch angesehen werden kann, schließt den Vorsatz zur Begehung eines
Delikts dabei nicht aus. Eine generelle Straflosigkeit von "neutralen", "berufstypischen"
oder "professionell adäquaten" Handlungen kommt nicht in Betracht. Weder
Alltagshandlungen noch berufstypische Handlungen sind in jedem Fall neutral. Fast
jede Handlung kann in einen strafbaren bzw. deliktischen Kontext gestellt werden. Die
genannten Begriffe sind daher für sich allein nicht geeignet, strafbare bzw. deliktische
Beihilfe von erlaubtem Handeln eindeutig abzugrenzen. Vielmehr kann die Alltäglichkeit
oder Berufstypik einer Handlung lediglich ein Kriterium bei der Gesamtwürdigung sein.
Zielt das Handeln des Haupttäters ausschließlich darauf ab, eine strafbare Handlung zu
begehen, und weiß dies der Hilfeleistende, so ist sein Tatbeitrag als Beihilfehandlung
zu werten. In diesem Fall verliert sein Tun stets den "Alltagscharakter"; es ist als
Solidarisierung mit dem Täter zu deuten und dann auch nicht mehr als sozialadäquat
anzusehen. Weiß der Hilfeleistende dagegen nicht, wie der von ihm geleistete Beitrag
vom Haupttäter verwendet wird, hält er es lediglich für möglich, dass sein Tun zur
Begehung einer Straftat bzw. einer unerlaubten Handlung genutzt wird, so ist sein
Handeln regelmäßig nicht als strafbare bzw. deliktische Beihilfehandlung zu beurteilen,
es sei denn, das von ihm erkannte Risiko strafbaren bzw. deliktischen Verhaltens des
von ihm Unterstützten war derart hoch, dass er sich mit seiner Hilfeleistung "die
Förderung eines erkennbar tatgeneigten Täters angelegen sein" ließ (vgl. BGH, 5.
Strafsenat, NJW 2000, 3010, 3011).
88
Nach diesen Grundsätzen ist das Handeln der Beklagten als bedingt vorsätzliche
Beteiligung an der sittenwidrigen Schädigung durch die S... I... anzusehen.
89
Die Beklagte hat einen objektiven Tatbeitrag zur sittenwidrigen Schädigung durch die
S... I... geleistet. Sie hat diesem Unternehmen, das über keine Börsenzulassung in den
USA verfügte, den Zugang zur New Yorker Börse, und dies nach ihren Angaben zu
günstigen Konditionen, ermöglicht. Hieran ändert auch der Umstand, dass die Beklagte
90
hierfür ihr Onlinesystem zur Verfügung gestellt und der Anlagenvermittler die Geschäfte
faktisch selbst ausgeführt hat, nichts. Denn ohne das Onlinesystem hätte die S... I... die
Geschäfte nicht ausführen können. Gerade für diese Dienste hat die Beklagte auch ihre
Provision erhalten.
Die Beklagte hat auch bedingt vorsätzlich gehandelt. Sie hat zumindest billigend in Kauf
genommen, dass die S... I... Anleger dazu veranlasste, hochspekulative
Börsentermingeschäfte ohne die erforderliche Aufklärung durchzuführen.
91
Zwar lässt sich die Beklagte dahingehend ein, sie habe von der fehlenden Aufklärung
der Anleger durch die S... I... keine Kenntnis gehabt. Auch habe sie keinen Grund
gehabt, daran zu zweifeln, dass die S... I... ihre gegenüber den Anlegern bestehenden
Aufklärungspflichten erfüllte. Die S... I... habe über die erforderlichen Genehmigungen
nach dem KWG verfügt und der Aufsicht der Bundesanstalt für
Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) unterstanden. Auch habe die S... I... ihr
gegenüber erklärt, dass sie gemäß den in Deutschland geltenden Gesetzen handele.
Auf die Zuverlässigkeit dieser Angaben habe sie – die Beklagte – vertrauen können.
92
Diese Einlassung vermag die Beklagte allerdings nicht zu entlasten. Bei der Beklagten
handelt es sich um ein großes US-amerikanisches Online-Brokerhaus, das zahlreiche
Geschäftsbeziehungen in das Ausland unterhält. Ihr war mithin bekannt, dass
Börsentermingeschäfte mit privaten Anlegern hochspekulativ und mit erheblichen
Risiken für den Anleger verbunden sind und deshalb besondere Aufklärungspflichten
begründen. Als Unternehmen, das selbst der US-amerikanischen Börsenaufsicht
unterliegt, war ihr nach ihrem eigenen Vortrag auch bekannt, dass
Vermittlerunternehmen in Deutschland der Aufsicht der BaFin unterstehen und über
eine Erlaubnis nach dem KWG verfügen müssen. Hat die Beklagte aber Erkundigungen
über die in Deutschland geltende Rechtslage eingezogen und hiernach das Erfordernis
gesehen, die Vermittlerfirmen zu überprüfen, erscheint es nach Auswertung des
Vorbringens der Parteien für den Senat ausgeschlossen, dass sie sich als international
tätiges Unternehmen nicht auch über die in Deutschland herrschende höchstrichterliche
Rechtsprechung und die bestehende Rechtswirklichkeit – sei es über ihre
Rechtsabteilung oder über eine international tätige Rechtsanwaltskanzlei – informiert
hat. Durch Rahmenverträge mit verschiedenen deutschen Vermittlerfirmen hatte sie eine
Verbindung nach Deutschland geschaffen, die eine solche Information schon im
eigenen Haftungsinteresse dringend erforderte. Der Senat ist deshalb davon überzeugt,
dass die Beklagte die seit vielen Jahren entwickelte Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs zu den Aufklärungspflichten eines deutschen Vermittlers von
Börsentermingeschäften ebenso wie den Umstand, dass es zahlreiche Fälle von
unzureichender Risikoaufklärung (insbesondere in Bezug auf den Zusammenhang
zwischen den Risiken der Geschäfte und der Gebührenhöhe) gab, in den Grundzügen
kannte. War dies aber der Fall, hatte die Beklagte Veranlassung, sich von der Seriosität
der S... I... zu überzeugen. Dass sie nach ihren Angaben gerade dies getan haben will,
bestätigt, dass ihr die Problematik durchaus bekannt war.
93
Die von der Beklagten insoweit getroffenen Maßnahmen waren allerdings gänzlich
unzureichend, was für die Beklagte auch auf der Hand liegen musste. Die Prüfung, ob
die S... I... über die erforderliche Genehmigung nach dem KWG verfügte, besagte noch
nichts über die Erfüllung der Aufklärungspflichten. Auch eine Aufsichtsbehörde kann
keine lückenlose Überwachung gewährleisten, sondern in der Regel nur dann tätig
werden, wenn Beschwerden über ein konkretes Vermittlungsunternehmen vorliegen,
94
was wiederum voraussetzt, dass der Anleger die Pflichtwidrigkeit der Handlung des
Vermittlungsunternehmens überhaupt erkennt. Wenn der Anleger aber über die
wirtschaftlichen Zusammenhänge nicht aufgeklärt wird, wird er regelmäßig auch nicht in
der Lage sein, die Pflichtwidrigkeit zu erkennen und entsprechende Maßnahmen zu
veranlassen. Schließlich stellt auch die von der S... I... abgegebene Erklärung, sie
komme ihren Pflichten nach, ersichtlich kein geeignetes Kontrollinstrument dar. Es lag
im Interesse der S... I..., mit der Beklagten in geschäftlichen Kontakt zu treten, so dass
eine objektive Eigenauskunft nicht ohne Weiteres erwartet werden konnte. Soweit die
Beklagte darüber hinaus vorgetragen hat, sie habe das Geschäftsgebaren der S... I...
überprüft, fehlt diesem Vorbringen jegliche Substanz.
Demgegenüber hat die Beklagte trotz der offenkundigen Erkenntnis, dass die hohen
Vergütungen des Anlagevermittlers diesem einen erheblichen Anreiz boten, seine
geschäftliche Überlegenheit missbräuchlich gegenüber den geworbenen Kunden
auszunutzen, auf naheliegende, sich geradezu aufdrängende Kontrollmöglichkeiten
verzichtet. Insbesondere hat sie sich nicht über die Höhe der anfallenden Gebühren
informiert. Dies wäre ihr aber, sei es als Vorabinformation im Zusammenhang mit der
Aufnahme der Geschäftsbeziehungen oder stichprobenartig bei der Durchführung der
Transaktionen, problemlos möglich gewesen. Die bei der S... I... anfallenden Gebühren
wurden von dieser gleichzeitig mit dem durchzuführenden Geschäft in das Online-
System eingegeben und hätten damit ohne Weiteres festgestellt werden können. Indem
die Beklagte in dieser Situation lediglich ihr Online-System zur Verfügung stellte, ohne
ein geeignetes Kontrollsystem zu installieren, hat sie bewusst die Augen vor den
bestehenden Verlustmöglichkeiten der Kunden bei der Durchführung von hochriskanten
Geschäften verschlossen.
95
Ein Broker, der unter den aufgezeigten Umständen die aus dem extremen Verlustrisiko
und der transaktionsabhängigen Vergütung des Anlagevermittlers folgende
naheliegende Gefahr eines Missbrauchs geschäftlicher Überlegenheit des
Anlagevermittlers kennt und gleichwohl ohne jedwede Schutzmaßnahmen
provisionsauslösende Geschäfte ausführt, nimmt die Verwirklichung der Gefahr in Kauf
und leistet damit zumindest bedingt vorsätzlich Hilfe zu dem sittenwidrigen Handeln des
Anlagevermittlers. Ob die Hilfeleistung der eigentliche oder einzige Beweggrund des
Brokers ist, ob er andere Absichten und Ziele als der Anlagevermittler verfolgt oder ob er
dessen Handeln möglicherweise sogar innerlich ablehnt, ist für die Haftung unerheblich
(vgl. BGH NJW 2004, 3423, 3425). Auch wenn vorliegend die Voraussetzungen eines
"Churning" oder einer "Kick-Back-Vereinbarung" nicht ausreichend dargelegt worden
sind, musste sich ein Missbrauch geschäftlicher Überlegenheit der Beklagten
aufdrängen, da das Verhältnis von Chancen und ohnehin hohen Risiken durch hohe
Aufschläge stark zum Nachteil der Anleger verschlechtert worden sind. In ihrer
Klageerwiderung (Seite 18, Bl. 52 GA) hat die Beklagte beispielhaft aufgezeigt, dass
etwa die Vermittlungsprovision der S... I... beim Kauf von 33 Optionskontrakten auf je
100 Aktien der S... Corp. 1.650,00 $ betrug, während sich der Optionspreis auf 2.145,00
$ belief. Dies bedeutet, dass die Gebühren fast 77 % des Optionspreises erreichten,
während die Beklagte für diese Transaktion von der S... I... Gebühren in Höhe von
lediglich 67,50 $ erhob. Für den Erwerb von 280 Optionskontrakten auf je 100 Aktien der
E... M... zahlte der Kläger zu 1 insgesamt 12.600,00 $, während die entsprechende
Kommission 14.000,00 $ nebst 2 $ "Service Charge" betrug (Bl. 9 GA). Genau die hier
offenbar werdende sittenwidrige Ausnutzung geschäftlicher Überlegenheit hat die
Beklagte der S... I... ermöglicht und zumindest die Augen davor verschlossen, dass die
S... I... hohe Provisionen vereinnahmte und damit ihre Kunden einem extremen Risiko
96
aussetzte. Dass sich dieses Risiko in einigen Fällen nicht realisierte, ändert daran
nichts. Denn es versteht sich von selbst, dass Erfolg und Misserfolg auch der hier
vorgenommenen Kapitalanlagegeschäfte vom Marktgeschehen abhingen. Für oder
gegen den indiziell zu beweisenden Vorsatz der Verantwortlichen der Beklagten zur
Beihilfe an der vorsätzlich sittenwidrigen Schädigungshandlung der S... I... besagt dies
nichts (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 20.12.2007, I-6 U 224/06, zitiert nach juris; OLG
Düsseldorf, Urteil vom 06.03.2008, I-6 U 109/07).
Die Gesichtspunkte des Massengeschäfts und des Onlinesystems vermögen die
Beklagte auch sonst nicht zu entlasten. Überlässt die Beklagte dem in Deutschland
wirkenden Finanzdienstleister die Ausführung der vorsätzlich sittenwidrigen
Schädigung über das von ihr geführte Konto, wendet sie damit den Blick von dieser
unerlaubten Handlung ab, ohne dass ihr dieser Blick verstellt wäre. Denn es genügt ein
Blick auf die Kontobewegungen, um zu erkennen, dass der Anleger aufgrund der hohen
Aufschläge auf die Optionsprämien einem extremen Verlustrisiko ausgesetzt ist, vor
dem er grundsätzlich eines Schutzes bedarf (vgl. OLG Düsseldorf, aaO).
97
Aus der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 11.03.2004 (BGHZ 158, 236 ff.)
lassen sich entgegen der Auffassung der Beklagten keine abweichenden Schlüsse
ziehen. Die dort behandelte Internetplattform (Internet-Auktionshaus) ist nicht mit dem
hier streitgegenständlichen extrem risikobehafteten Geschäftsbereich, bei dem es in der
Vergangenheit zu erheblichen Missbräuchen durch Vermittlungsfirmen gekommen ist,
vergleichbar. Sowohl die Schadensgeneigtheit als auch die Kontrollmöglichkeiten sind
in letzterem Fall erheblich höher anzusetzen. Hinzu kommt, dass zwischen der
Beklagten und der S... I... anders als bei einem Verkauf über eine Internetplattform eine
enge Zusammenarbeit auf der Grundlage des "F..." bestand, die wesentlich bessere
Informations- und Erkenntnismöglichkeiten eröffnete.
98
Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte davon ausgehen konnte, die Geschäfte würden
zwecks eines Hedging durchgeführt, sind angesichts des Geschäftsvolumens nicht
ersichtlich. Zudem haben die Kläger gegenüber der Beklagten in ihren
Kontoeröffnungsanträgen als Anlageziel die Spekulation angegeben.
99
Ebenso wenig steht die Entscheidung des Bundesgerichtshofs in BGHZ 147, 343 ff. der
Annahme eines bedingten Vorsatzes der Beklagten entgegen. Vorliegend geht es nicht
um die Verletzung eigener Aufklärungspflichten der Beklagten, sondern um die
Mitwirkung an einer sittenwidrigen Schädigung der S... I.... Diese ist unabhängig davon,
ob der Beklagten zugleich eigene Pflichten gegenüber den Klägern oblagen. Daher
kommt es auch nicht auf die Entscheidungen des Bundesgerichtshofs zum Discount-
Broker an (vgl. BGH NJW 2000, 359 ff.; BGH NJW-RR 2004, 484 ff.). Anders als in
diesen Entscheidungen ist vorliegend nichts dafür ersichtlich, dass die Kläger auf die
ihnen gegenüber zu erfüllende Aufklärungsverpflichtung durch die S... I... verzichtet
hätten.
100
c)
101
Art und Umfang des den Klägern jeweils zu erstattenden Schadens richten sich nach §§
249 ff. BGB. Danach sind die Kläger so zu stellen, wie sie stehen würden, wenn ihre
geschäftliche Unterlegenheit nicht missbraucht worden wäre und sie damit die
hochriskanten Geschäfte nicht getätigt hätten.
102
In diesem Fall wäre dem Kläger zu 1 der geltend gemachte Verlust in Höhe von
63.500,00 EUR erspart geblieben. Dem Kläger zu 2 wäre kein Verlust in Höhe von
63.123,57 EUR entstanden. Schließlich hätte der Kläger zu 3 keinen Verlust in Höhe
von 108.074,39 EUR erlitten. Einwendungen zur jeweils entstandenen Schadenshöhe
hat die Beklagte nicht erhoben.
103
Ein anspruchsminderndes Mitverschulden der allenfalls fahrlässig handelnden Kläger
gegenüber einer Haftung der Beklagten aus § 826 BGB kommt grundsätzlich nicht in
Betracht.
104
d)
105
Der Zinsanspruch ergibt sich für die Zeit vor Rechtshängigkeit (30.08.2007) aus § 849
BGB. Diese Vorschrift ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auch dann
anwendbar, wenn der Geschädigte durch eine unerlaubte Handlung zur Überweisung
von Geld bestimmt worden ist (vgl. BGH WM 2008, 291). Zwar mögen die Kläger die
Möglichkeit gehabt haben, ihr Guthaben bei der Beklagten zurückzufordern. Dies haben
sie jedoch aufgrund ihrer mangelnden Aufklärung über die Bedeutung der
Börsentermingeschäfte nicht getan.
106
Die Zinshöhe vor Rechtshängigkeit bleibt auf 4 % beschränkt (§ 246 BGB). Zinsen in
Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz kommen erst ab Rechtshängigkeit
in Betracht, §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB, weil die Kläger einen früheren
Verzugseintritt nicht dargetan haben. Hierzu reichen insbesondere die Schreiben der
Prozessbevollmächtigten der Kläger vom 12.02.2007 (Anlagen K 55, K 57, K 59) nicht
aus, da diese keine eindeutigen Aufforderungen zur Leistung und somit keine Mahnung
beinhalten. Vielmehr wurde die Beklagte lediglich aufgefordert, einen Vorschlag zu
unterbreiten, wie der erlittene Schaden ersetzt werden kann.
107
Den Verzinsungsbeginn hat der Senat aufgrund der vorgelegten Unterlagen teilweise
korrigiert.
108
e)
109
Allerdings können die Kläger die für die Schreiben vom 12.02.2007 entstandenen
Rechtsanwaltsgebühren, die angemessen erscheinen und deren Höhe auch von der
Beklagten nicht beanstandet wird, unter dem Gesichtspunkt der unerlaubten Handlung
ersetzt verlangen.
110
3.
111
Über die Anschlussberufung der Beklagten ist nicht zu entscheiden, da sie nur für den
Fall des Obsiegens der Beklagten eingelegt worden ist.
112
4.
113
Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Die Entscheidung über
die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
114
Der Senat hat die Revision gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO zugelassen, weil die
Rechtssache im Hinblick auf die teilweise abweichende Rechtsprechung anderer
115
Zivilsenate des Oberlandesgerichts Düsseldorf - insbesondere zu den
Voraussetzungen, unter denen eine Beteiligung des Brokers an einer sittenwidrigen
Schädigung des Kunden durch den Vermittler anzunehmen ist - grundsätzliche
Bedeutung hat.
Streitwert für die Berufungsinstanz:
234.697,96 EUR
116
(63.500,00 EUR + 63.123,57 EUR + 108.074,39 EUR).
117
M... D... S...
118