Urteil des OLG Düsseldorf vom 19.06.2007
OLG Düsseldorf: versorgung, pflegebedürftigkeit, leistungsfähigkeit, krankenversicherung, wäschereinigung, kausalität, körperpflege, verwahrlosung, vollstreckbarkeit, gefahr
Oberlandesgericht Düsseldorf, I-24 U 125/06
Datum:
19.06.2007
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
24. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
I-24 U 125/06
Vorinstanz:
Landgericht Düsseldorf, 6 O 303/05
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten werden das am 24. Mai 2006 verkündete
Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf abgeändert und
die Klage abgewiesen.
Die Kosten beider Rechtszüge trägt der Kläger.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger bleibt nachgelassen,
die Vollstre-ckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des
jeweils beizutreibenden Be-trages abzuwenden, es sei denn, die
Gegenseite leistet vorher Sicherheit in gleicher Höhe.
G r ü n d e
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A.
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Der Kläger wurde von den beiden beklagten, damals noch in Außensozietät miteinander
verbundenen Rechtsanwälten in dem vor dem Amtsgericht Krefeld (Amtsgericht) und
dem OLG Düsseldorf geführten Unterhaltsabänderungsverfahren (künftig:
Ausgangsverfahren) beraten und vertreten. Im Ausgangsverfahren hatte der Kläger für
die Zeit ab August 2001 den Wegfall der Unterhaltsrente in Höhe von monatlich 770 DM
(393,69 EUR) verfolgt, die er auf der Grundlage des Vergleichs vom 17. Februar 1994
(Amtsgericht Krefeld ) an seine geschiedene Ehefrau (künftig: Ehefrau) zu zahlen hatte.
Seit Anfang des Jahres 2001 nimmt der erwerbsunfähige, mit 100% GdE behinderte
Kläger, der an einer phasisch verlaufenden schizoaffektiven Psychose mit teils
depressiv-paranoider, teils depessiv-halluzinatorischer Symptomausprägung leidet,
weswegen er auch unter Betreuung steht, auf vertraglicher Grundlage in Gestalt des
"Betreuten Wohnens" seinen gesamten Lebensunterhalt deckende Leistungen durch
das betreuende Serviceunternehmen entgegen (künftig: Betreuungskosten). Im
Ausgangsverfahren hatte er mit Blick auf die Betreuungskosten Leistungsunfähigkeit
geltend gemacht. Dem war das Amtsgericht gefolgt (Urteil vom 17. 09. 2002). Auf die
Berufung der Ehefrau hatte das Oberlandesgericht nach Einholung eines Gutachtens
des ärztlichen Sachverständigen Dr. R. vom 19. November 2003 unter Abänderung des
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amtsgerichtlichen Urteils die Abänderungsklage abgewiesen (Urteil vom 19. 02. 2004).
Es hatte, wie zuvor im Senatstermin erörtert worden ist, den Kläger (im Anschluss an die
insoweit unrichtigen rechtlichen Ausführungen des Sachverständigen) irrtümlich für
pflegegeldberechtigt gehalten und deshalb krankheitsbedingten Mehrbedarf verneint.
Die Revision hat es nicht zugelassen.
Im vorliegenden Verfahren hat der Kläger geltend gemacht: Die (sachbearbeitende)
Zweitbeklagte hätte pflichtgemäß das unrichtige Sachverständigengutachten angreifen
müssen; dadurch wäre auch das unrichtige Urteil des Oberlandesgerichts verhindert
worden; bei ordentlicher Erfüllung ihrer anwaltlichen Pflichten hätte der Kläger im
Ausgangsverfahren obsiegt und wäre antragsgemäß von seinen Unterhaltspflichten
befreit worden.
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Der Kläger hat beantragt,
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die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen,
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1. an ihn 18.897,12 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz seit dem 16. Januar 2006 zu zahlen und
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2. ihn beginnend mit dem Monat August 2005 von den Unterhaltsverpflichtungen
gegenüber seiner geschiedenen Ehefrau auf der Basis des am 17. Februar 1994
vor dem Amtsgericht abgeschlossenen Vergleich in Höhe von monatlich 393,69
EUR freizustellen.
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Die Beklagten haben beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie haben eine Pflichtverletzung in Abrede gestellt und hilfsweise geltend gemacht, die
behauptete Pflichtverletzung sei jedenfalls für einen Unterhaltsschaden des Klägers
nicht kausal geworden; hätte das Oberlandesgericht die mangelnde
Pflegegeldberechtigung des Klägers erkannt, wäre seine bleibende
Unterhaltsverpflichtung nämlich mit mangelnder Pflegebedürftigkeit ("Luxus betreuten
Wohnens") begründet worden.
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Das Landgericht hat die Beklagten antragsgemäß verurteilt. Dagegen richtet sich deren
Berufung. Unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens
beantragen sie,
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unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
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B.
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Die zulässige Berufung hat Erfolg. Sie führt antragsgemäß zur Abänderung des
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angefochtenen landgerichtlichen Urteils und zur Abweisung der Klage.
I. Allerdings folgt der Senat dem Landgericht uneingeschränkt in der Beurteilung, die
Zweitbeklagte habe ihre anwaltlichen Pflichten im Ausgangsverfahren verletzt. Zur
Vermeidung unnötiger Wiederholungen nimmt der Senat Bezug auf die zutreffenden
Erwägungen im angefochtenen Urteil. Daraus folgt, dass auch der Erstbeklagte für die
Folgen der Pflichtverletzung einzustehen hat.
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II. Der Senat folgt - abweichend von seiner im Hinweisbeschluss vom 14. Februar 2007
zunächst eingenommenen Position - dem Landgericht aber nicht in der Beurteilung der
Kausalitätsfrage. Darauf ist die Prozessbevollmächtigte des Klägers in der mündlichen
Verhandlung hingewiesen worden und dies ist sodann erörtert worden.
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1. Wenn – wie hier – im Regressprozess die Frage, ob dem Mandanten durch eine
schuldhafte Pflichtverletzung des Rechtsanwalts ein Schaden entstanden ist, vom
hypothetischen Ergebnis des Ausgangsverfahrens abhängt, muss deshalb
grundsätzlich das Regressgericht selbst prüfen, wie jenes Verfahren richtigerweise zu
entscheiden gewesen wäre (BGHZ 133, 110, 111 = NJW 1996, 2501; BGH NJW 1996,
48; 2000, 730 und 1263 und 1572; 2002, 1417f; BGHZ 163, 223 = NJW 2005, 3071). In
tatsächlicher Hinsicht ist klärungsbedürftiger Sachverhalt aufzuklären, insbesondere
sind Beweise, die ohne die pflichtwidrige Handlung des Rechtsanwalts
entscheidungserheblich geworden wären, zu erheben. In rechtlicher Hinsicht hat das
Regressgericht seine eigene Sichtweise unter Beachtung von Recht und Gesetz, wie
sie zum Zeitpunkt der pflichtwidrigen Handlung gegolten hatten, zugrunde zu legen;
welche rechtliche Beurteilung das mit dem Vorprozess befasste Gericht seiner
Entscheidung hypothetisch zugrunde gelegt hätte, ist, weil dies zwangsläufig spekulativ
bliebe und vielfach gar nicht oder nur mit unangemessen hohem Aufwand aufgeklärt
werden könnte, ohne Belang (vgl. BGH aaO).
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2. Unter Anlegung dieses Maßstabs kann nicht festgestellt werden, dass der Kläger im
Ausgangsverfahren obsiegt hätte.
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a) Allerdings steht fest, dass die vom Kläger im Ausgangsverfahren geltend gemachten
monatlichen Betreuungskosten (1.339 DM [684,62 EUR]) trotz seiner Hilfsbedürftigkeit
mangels der gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
SGB XI nicht durch Pflegegeld gemäß § 36 SGB XI hätten aufgefangen werden können.
Die darauf bezogene Hauptbegründung des Berufungsurteils im Ausgangsverfahren,
mit welcher das Oberlandesgericht unterhaltsrechtlich die fehlende Leistungsfähigkeit
des Klägers verneint hatte, war aus Rechtsgründen nicht tragfähig. Der Senat ist mit
dem Landgericht auch davon überzeugt (§ 286 ZPO), dass das Oberlandesgericht, wäre
es pflichtgemäß von der Zweitbeklagten auf die Rechtslage hingewiesen worden, der
Berufung der Ehefrau mit der gegebenen Begründung nicht stattgegeben hätte.
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b) Der Kläger wäre im Ausgangsprozess gleichwohl unterlegen gewesen.
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aa) Das Oberlandesgericht hatte sich nämlich auf den Standpunkt gestellt, dass die vom
Kläger veranlassten Betreuungskosten im Falle mangelnder Pflegegeldberechtigung
unangemessen seien, insbesondere dass er dann keinen Anspruch auf den "Luxus
eines ,betreuten Wohnens' " habe (OLG-Urteil Seite 7). Damit steht fest, dass der
Familiensenat konkret die Betreuungskosten bei mangelnder Pflegegeldberechtigung
nicht anerkennen wollte, und zwar insoweit auch gegen die Beurteilung des
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Sachverständigen Dr. R.. Es geht deshalb im Streitfall nicht um das hypothetische,
grundsätzlich unbeachtliche Ergebnis des Ausgangsverfahrens aus der Sicht des früher
mit dem Fall befassten Gerichts, sondern darum, ob die Zweitbeklagte auch ohne den
ihr zur Last fallenden Fehler den Verlust des Ausgangsverfahrens hätte verhindern
können. Da das nicht der Fall ist, geht das zu Lasten des Klägers. Denn die
anzuwendenden Grundsätze der hypothetischen Kausalität im Regressprozess sind
kein Instrument, das Prozessrisiko, das stets der Mandant zu tragen hat (vgl.
Vollkommer/Heinemann, Anwaltshaftungsrecht, 2. Aufl. Rn 553), auf den Rechtsanwalt
nur deshalb abzuwälzen, weil er seine anwaltlichen Pflichten in einem Punkt nur
defizitär erfüllt hat.
bb) Dem kann der Kläger im Ergebnis nicht mit Erfolg entgegenhalten, das "Betreute
Wohnen" sei kein Luxus gewesen. Ob der Fall zutrifft, kann der Senat auf der Grundlage
dieses Vortrags nicht hinreichend beurteilen. Der Kläger lässt dabei außer Acht, dass
das im Sozialgerichtsverfahren (SG Aachen) vorgelegte Pflegegutachten des
Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) zu dem Ergebnis gelangt
(übrigens insoweit in Übereinstimmung mit der Beurteilung des Sachverständigen Dr. R.
in dessen Gutachten vom 19. November 2003), dass der Kläger wohl im Bereich der
hauswirtschaftlichen Versorgung (Zubereitung der Nahrung, Wohnungs- und
Wäschereinigung), nicht aber im Grundpflegebereich (Körperpflege,
Nahrungsaufnahme, Mobilität) pflegebedürftig sei. Ob die Pflegebedürftigkeit allein im
Bereich hauswirtschaftlicher Versorgung die Inanspruchnahme eines "Betreuten
Wohnens" rechtfertigt, ist aber gerade die Frage. Der Kläger hätte demgemäß darlegen
und erforderlichenfalls auch beweisen müssen, dass ein ambulantes Hilfskonzept
(selbständiges Wohnen, ambulante hauswirtschaftliche Versorgung ["Essen auf
Rädern", Waschsalon, stundenweise Putzhilfe) entweder nicht durchführbar gewesen
wäre (etwa wegen der Gefahr seiner Verwahrlosung) oder wegen der dadurch
entstehenden Kosten auch zu seiner Leistungsunfähigkeit geführt hätte. Diesbezüglich
hat der Kläger der Zweitbeklagten aber weder substanziiert defizitären Sachvortrag im
Ausgangsverfahren vorgeworfen, noch trägt er im Regressprozess ausreichend
Tatsachen vor, die den Schluss zulassen könnten, dass auch ein ambulantes
Hilfskonzept rechtlich zwingend zur Abänderung des Unterhaltstitels zu Lasten der
Ehefrau geführt hätte.
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III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung zur
vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Es besteht kein Anlass,
die Revision zuzulassen; die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch
erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts, § 543 Abs. 2 ZPO.
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Z. T. S.
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Vors. Richter am OLG Richter am OLG Richter am OLG
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